Vorwort. Essen auf diesem Forschungsgebiet erheblich engagiert. Universität Duisburg Essen



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Transkript:

Vorwort Dem FORUM Forschung zum Ende des Jahres 2005 das Schwerpunktthema Energie zu geben, ist kein Zufall. Fragen der Energietechnik, Energiepolitik und Energiewirtschaft drängen wieder verstärkt in den Mittelpunkt globaler und lokaler Diskussionen: Endlichkeit fossiler Ressourcen, Erwärmung der Atmosphäre, politisch unsichere Versorgungsabhängigkeiten von Nahost, Wechselwirkungen von Naturkatastrophen mit den Preisen für Öl oder Gas, sprunghaft wachsender Energiebedarf erwachender Volkswirtschaften wie China und Indien die Aufzählung ließe sich beliebig erweitern. Ohne Energie funktioniert keine Volkswirtschaft. Das Bruttosozialprodukt einer Volkswirtschaft skaliert auf ziemlich eindeutige Weise mit ihrem Energieverbrauch. Nimmt man an, dass die Entwicklung der aufstrebenden Volkswirtschaften dem gleichen Energieverbrauch zustrebt, wie ihn die frühindustrialiserten Länder praktizieren, so stellt dies eine ökologische und politische Zeitbombe dar. Seit der Zähmung des Feuers war es immer der menschliche Forschergeist, der die Grenzen der Energiegewinnung und -nutzung verschoben hat. Andererseits ist die Wissenschaft bis heute auch immer wieder Endstation für den Schwarzen Peter: Quo vadis, Energiegewinnung? Die Lösungsansätze und Forschungsgegenstände sind so vielschichtig, wie es die Artikel der FORUM Forschung-Ausgabe in Ihren Händen sind. Versorgungs- und Verteilungsprobleme der Gegenwart und der näheren Zukunft werden wohl nicht durch den einen, großen Wurf gelöst werden. Vielmehr gilt es, Bestehendes zu verbessern: Geräte müssen leistungsfähiger, Verfahren ressourcenschonender und Prozesse synergetischer werden, als es heute der Fall ist. Mit der Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union wird Energie zunehmend zur echten Handelsware mit allen Chancen und Risiken. Die Regeln für solch einen liberalisierten Energiemarkt sind intensiver Forschungsgegenstand in der Volks- und Betriebswirtschaft. Die Wasserstoffwirtschaft und die Fischer- Tropsch-Synthese von Kohlenwasserstoffen werden als Ausweg aus der Begrenztheit fossiler Brennstoffe gesehen. Diese Alternativen müssen im Zusammenhang mit der Brennstoffzelle diskutiert werden. Mit dem Zentrum für Brennstoffzellen-Technologie ist die Universität Duisburg- Essen auf diesem Forschungsgebiet erheblich engagiert. Universität Duisburg Essen Mit der zunehmenden Nutzung regenerativer Energien werden begrenzte fossile Ressourcen geschont. Strom aus Wind, Sonne und Wasser unterliegt aber Schwankungen und Unwägbarkeiten, die der Mensch nicht beeinflussen kann wie den Output eines Kraftwerkes für fossile Brennstoffe. Was bedeutet das für die Stabilität und Verlässlichkeit der Energieversorgung? Und welche Auswirkungen haben diese Unwägbarkeiten auf Wirtschaft und Preispolitik? Die nachhaltige Sicherung der Energieversorgung und die Verbesserung der Energieausnutzung sind Aufgaben, deren Lösung längst mehr als nur eine Fachdisziplin benötigt. Interdisziplinarität ist auch auf diesem Arbeitsfeld das Gebot der Stunde. Die Universität Duisburg- Essen ist für diese Herausforderungen gut gerüstet. Beheimatet in einer Region, die wie keine zweite in Deutschland mit Energie in Verbindung gebracht wird, bündelt sie durch den campusübergreifenden Austausch unterschiedlicher Expertise und durch die intensive Kooperation mit großen, aber auch kleinen und mittelständischen Unternehmen theoretisches und praktisches Fachwissen auf höchstem Niveau. Zu welchen Ergebnissen ein solcher lösungsorientierter Dialog im praktischen Hochschulalltag zwischen Experten aus Maschinen- und Anlagenbau, Physik, Biologie und Mathematik, zwischen Grundlagenforschung und industrieller Anwendung, zwischen Fragen der Energieerzeugung, des verlustarmen Transports und der schonenden Ressourcennutzung führen kann, können Sie auf den folgenden Seiten erfahren. Die Aufgabenstellungen reichen von der Energieerzeugung, der Medizintechnik, dem Schiffbau und der Informationstechnik bis hin zu Betriebswirtschaft oder Abfall- und Verfahrenstechnik. Mein Dank gilt allen Wissenschaftlern der Universität Duisburg-Essen, die durch ihre engagierte Mitarbeit entscheidend zum Gelingen dieses Heftes beigetragen haben und denen es auf diesem Weg gelingen möge, ihre hervorragenden Forschungsleistungen einer breiten Leserschaft jenseits der Grenzen der Hochschule oder gar der Fachdisziplin zugänglich zu machen. Eingeschlossen in diesen Dank ist natürlich auch das Redaktionsteam der Transferstelle Hochschule-Praxis. Ganz besonders zu danken habe ich schließlich den beiden Gastautoren, die in ihren Beiträgen wichtige Bekenntnisse zum Standort Ruhrgebiet und eindrucksvolle Visionen einer energiewirtschaftlich effizienteren Welt vermitteln. Prof. Dr. Eckart Hasselbrink Prorektor für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs, Transfer 3 VORWORT

INHALT Titelbild: Solar Flames. Mit freundlicher Genehmigung von SOHO (Solar & Heliospheric Observatory), einer internationalen Kooperation der European Space Agency (ESA) und der National Aeronautics and Space Administration (NASA). 4 Inhalt Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker Streit um Energiequellen oder Effizienzrevolution beim Verbrauch?...6 Christa Thoben Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen. An der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft...8 Dipl.-Ing. Benjamin Friedhoff Prof. Dr.-Ing. Moustafa Abdel-Maksoud Schiffstechnik und Transportsysteme Per Simulation durch die Nordsee. Duisburger Computermodell senkt Kraftstoffverbrauch bei RoRo-Schiffen...12 Prof. Dr.-Ing. Moustafa Abdel-Maksoud Dipl.-Ing. Sven-Brian Müller Schiffstechnik und Transportsysteme Große Pötte auf kleiner Flamme. Energieeinsparung durch Optimierung von Containerschiffspropellern...18 Prof. Dr. Volker Buck Dünnschichttechnologie Mikroskopische Barrieren. Dünnschichten in der Energietechnik helfen bei der Leistungssteigerung...24 Prof. Dr.-Ing. István Erlich Elektrische Anlagen und Netze Sturmfest und erdverwachsen. Neue Windkraftanlagen müssen Netzstabilität sichern...30 Prof. Dr. Hans-Curt Flemming Dr. rer. nat. Martin Strathmann Biofilm Centre Kraftwerk unter dem Mikroskop...36 Prof. Dr.-Ing. Klaus Görner Dr.-Ing. Peter Gillmann Dipl.-Ing. Kay Schroer Umweltverfahrenstechnik und Anlagentechnik Blauer Himmel über der Ruhr. Experimentelle Verbrennungsforschung senkt Schadstoffmengen...38 Prof. Dr. Angelika Heinzel Energietechnik Vom Nischenprodukt zum Hoffnungsträger. Brennstoffzellen für stationäre und mobile Anwendungen...46 Dr.-Ing. Peter Beckhaus Prof. Dr. Angelika Heinzel Prof. Kurt Mehnert Energietechnik Sail away, dream your dream Flüssiggas-Brennstoffzellen versorgen Segelyachten mit Strom...50 Prof. Dr. Jan-Dirk Herbell Dr. Eva Selic Abfalltechnik Wassermelonen statt Windeln. Hausmüllverwertungskonzept für chinesische Tourismusregion...56 Prof. Dr.-Ing. Holger Hirsch Energietransport und -speicherung Alles unter Kontrolle. Informationstech nische Komponenten in Energieanlagen...60 Prof. Bedrich J. Hosticka, Ph.D. Dr. Dirk Weiler Benjamin Bechen Mikroelektronische Systeme Zwerge mit gebremstem Appetit. Energiesparende Mikroelektronik in Medizin, Fotografie und Autobau...65 Prof. Dr. Dieter Jäger Dr.-Ing. Rüdiger Buß Dr.-Ing. Andreas Stöhr Optoelektronik Augenblicke voller Spannung. Drahtlose Energieversorgung bei elektronischen Retina-Implantaten...70 Prof. Dr.-Ing. Hans-Dieter Kochs Dr.-Ing. Jörg Petersen Dipl.-Ing. Kirsten Simons Dr.-Ing. B. Siemes Informationslogistik Lichtblick im Tarifdschungel. Moderne Informationslogistik ordnet liberalisierte Energiemärkte...76 FORUM Forschung 2005/2006

Prof. Dr.-Ing. Hans-Dieter Kochs Dipl.-Inform. Philipp Limbourg Dr.-Ing. Jörg Petersen Informationstechnik Explosiver Wettbewerb. Risikoorientierte Planung erhält das Sicherheitsniveau und senkt Wartungskosten für Gasnetze...82 Prof. Dr. Christof Schulz Verbrennung und Gasdynamik Feuer und Flamme. Forschung mit Laserlicht optimiert Verbrennungsprozesse...103 Prof. Dr.-Ing. Gerhard Krost Dipl.-Ing. Jens Matics Elektrische Anlagen und Netze Der Sonne entgegen... Untersuchung und Simulation an Photovoltaikanlagen...88 Prof. Dr. Michael Schreckenberg Physik von Transport und Verkehr Kostenfaktor Stillstand. Computergestützte Verkehrsprognosen senken Energieverbrauch...92 Prof. Dr. Christoph Weber Dipl.-Kfm. Joachim Benatzky Dipl.-Kfm. Oliver Woll Dipl.-Vw. Philip Vogel Energiewirtschaft Vom Winde verweht? Erneuerbare Energien und andere Risiken im liberalisierten Strommarkt...110 Prof. Dr.-Ing. Renatus Widmann Dipl.-Ing. Roland Haubrichs Dipl.-Ing. Michaela Krupp Abfallwirtschaft und Abfalltechnik Mit Vollgas aus der Kläranlage. Methan und Wasserstoff als regenerative Energieträger...116 Prof. Dr. Rüdiger Schultz Diskrete Mathematik und Optimierung Berechenbare Energien. Mathematische Modelle für dezentrale Kraftwerke...98 Impressum Herausgeber Prorektor für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs, Transfer der Universität Duisburg-Essen Konzept & Koordinierung Andreas Hohn Transferstelle Hochschule-Praxis der Universität Duisburg-Essen andreas.hohn@uni-due.de Redaktion Andreas Hohn Justus Klasen, ARTEFAKT, Duisburg artefakt@deutschland.ms Gestaltung & Satz r a s c h. multimedia, Duisburg http://www.rasch-multimedia.de Ralf Schneider, Nicole Maibusch Prof. Peter Wippermann Jörg Jelden Kunst und Design Das Ende der Steigerungslogik. Die Konsumenten bestimmen die Energiemärkte der Zukunft...122 Verlag/Anzeigenwerbung Public Verlagsgesellschaft und Anzeigenagentur mbh Mainzer Straße 31, 55411 Bingen Tel. 0 67 21/23 95, Fax 0 67 21/16 22 7 m.laloi@publicverlag.com Druck VMK-Druckerei GmbH 67590 Monsheim, Tel. 0 62 43/90 90 Bildnachweis Alle Bilder ohne ausdrücklichen Copyright-Hinweis stammen aus dem Archiv des jeweiligen Autors. FORUM Forschung im Internet (mit Archiv aller bisherigen Ausgaben seit 1998) http://www.forum-forschung.de/ IMPRESSUM Universität Duisburg Essen 5

Energiepolitik: Streit um Energiequellen oder Effizienzrevolution beim Verbrauch? Photodic Ernst Ulrich von Weizsäcker ist Professor für Biologie und war Mitglied des Gründungssenats der Universität Essen. Er war bis Oktober 2005 Mitglied des Bundestages (Wahlkreis Stuttgart Süd, SPD) und Vorsitzender des Bundestags-Umweltausschusses. Gemeinsam mit Amory und Hunter Lovins veröffentlichte er 1997 das Buch Faktor vier. Doppelter Wohlstand, halbierter Naturverbrauch. 6 Ernst Ulrich von Weizsäcker Der energiepolitische Streit tobt fast ausschließlich auf der Erzeugungsseite: Windräder oder Atomstrom, Kohle oder Gas, und wie teuer darf das Gas werden? Auch bei der Umwelt streitet man sich über die Erzeugung: Kann man das Kohlendioxid abfangen und unschädlich machen? Wie soll das Endlager für Kernkraftabfälle aussehen, und vor allem wo soll es eingerichtet werden? Schaden die Windräder den Vögeln oder der Landschaft? All diese Streitpunkte wären schlagartig entschärft, wenn der Energiebedarf schrumpfen oder wenigstens nicht mehr steigen würde. Es macht Sinn, die Energietechnologie vom Verbraucher her zu denken und von dort her die Verminderung des Bedarfs einzuleiten. Dafür gibt es grob gesagt zwei Wege: die Sparsamkeit und die Erhöhung der Produktivität. Sparsamkeit ist zwar eine Tugend, aber politisch schwer zu verkaufen. Die Erhöhung der Energieproduktivität hingegen ist technologisch begeisternd und politisch sehr attraktiv. Langfristig bleibt uns auch gar nichts anderes übrig, als die Energieproduktivität dramatisch zu steigern. Nehmen wir uns ein Beispiel an der Entwicklung der Arbeitsproduktivität. Sie stand beim technischen Fortschritt zwei Jahrhunderte lang im Vordergrund. Das war gut für die Arbeitnehmer, weil sich dadurch die Löhne erhöhen konnten, und es war gut für die Arbeitgeber, weil sie dann weniger Arbeiter zu bezahlen brauchten. Die Arbeitsproduktivität stieg auf das Zwanzigfache ihres Wertes vor 200 Jahren! Mit der Energieproduktivität lässt sich in 200 Jahren Ähnliches anstellen, und wieder wäre es gut für alle oder fast alle. Die Anbieter können dann höhere Tarife durchsetzen und brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben. Und die Abnehmer freuen sich, wenn sie weniger brauchen. Der hauptsächliche Unterschied ist dieser: Bei der Arbeit ist der Anbieter der einzelne Mensch und der Abnehmer zumeist das Wirtschaftsunternehmen. Bei der Energie ist der Anbieter meist das Wirtschaftsunternehmen und der Abnehmer hauptsächlich der Einzelmensch. Und weil der technische Fortschritt eher bei den Wirtschaftsunternehmen gemacht wird, weniger beim Einzelmenschen, hinkt die Erhöhung der Energieproduktivität so jämmerlich hinterher. Das ist vereinfacht gesagt. Auch der Einzelne kann viel zur Erhöhung seiner eigenen Arbeitsproduktivität beitragen; das nennt man Bildung. Ferner kann man technischen Fortschritt auch außerhalb der Wirtschaft herstellen, in den Forschungs- und Entwicklungslabors der Universitäten und des Staates. Und es gibt auch Wirtschaftsbetriebe, die ein massives Interesse an der Erhöhung der Energieproduktivität haben so etwa in der Chemieindustrie. Die hat es auch geschafft, ihre durchschnittliche Energieproduktivität, also den Wert ihrer Produkte pro eingesetzter Menge Energie, in dreißig Jahren zu vervierfachen. Wie auch immer: Es lohnt sich, über die Erhöhung der Energieproduktivität systematisch nachzudenken. Ich kenne keine Branche, in welcher nicht eine Vervierfachung der Energieproduktivität erreichbar wäre. Und könnte ich Technologien des 22. Jahrhunderts vorhersagen, könnte ich wohl auch an eine Verzwanzigfachung denken. Am anstößigsten wird man diese Behauptung von mir in der Grundstoffindustrie finden. Denn dort ist man mit den heutigen Verfahren oft schon am thermodynamischen Anschlagpunkt, wo man die Energieeffizienz aus naturgesetzlichen Gründen nicht mehr steigern kann. Das ist etwa bei der Chloralkalielektrolyse oder der Aluminiumschmelze der Fall. Aber schon mit Recycling lässt sich die Energie viel effizienter einsetzen bei Aluminium um etwa einen FORUM Forschung 2005/2006

Faktor zehn gegenüber der Herstellung aus Bauxit. Ferner gibt es natürlich Substitutionen. Das würde bedeuten, dass die Grundstoffindustrie in ihrer heutigen Form kaum bestehen bleiben würde. Das muss aber, wie Japan vorgeführt hat, kein Nachteil für die Wirtschaft insgesamt sein. Und auch beim Faktor Arbeit haben die ursprünglich sehr arbeitsintensiven Branchen den stärksten Strukturwandel durchgemacht; und genau das wurde im Nachhinein als technischer Fortschritt gefeiert. Worauf man beim Strukturwandel allerdings legitimer Weise achten muss, ist die Vermeidung mutwilliger Kapitalvernichtung. Am leichtesten ist die Vervierfachung in der Baubranche zu erreichen. Das Passivhaus ist gegenüber anderen Neubauten um etwa einen Faktor zehn energieeffizienter. Bei der Altbausanierung ist zumindest ein Faktor vier erreichbar. Aber auch bei Fahrzeugen kommen neue Modelle in Anlehnung an Amory Lovins Hypercar dem magischen Faktor vier nahe. Die Umstellung von sehr energie- und transportintensiver Landwirtschaft auf ökologischere Wirtschaftsweisen kann auch in die Nähe des Faktors vier kommen. Und wenn man die kompletten Herstellungsketten bei ganz normalen Produkten wie Kameras oder Matratzen systematisch nach stofflichen und energetischen Effizienzpotenzialen durchsucht, kommt man auch häufig auf einen Faktor vier. Die Aachener Stiftung Kathy Beys hat kürzlich vorgeführt, dass eine Politik der systematischen Erhöhung der Ressourcenproduktivität eine Erhöhung des Wirtschaftswachstums um jährlich etwa 1% anstoßen würde, also ein regelrechtes Konjunkturprogramm wäre. Allerdings eines mit Abnahme statt Zunahme der Staatsverschuldung. Wenn man nun aus konjunkturellen oder ökologischen Gründen eine Schwerpunktverlagerung des technischen Fortschritts von der Erhöhung der Arbeitsproduktivität zur Erhöhung der Ressourcenproduktivität herbeiwünscht, stellt sich die Frage, wie man die Verlagerung induzieren kann. Eine simple Strategie ist die einer entsprechenden gegenseitigen Verschiebung der Faktorpreise: Energie sollte teurer, menschliche Arbeit billiger werden. Das ist der richtige Grundgedanke der ökologischen Steuerreform. Dass man in Deutschland (anders als etwa in Dänemark) die Großverbraucher mit einer großzügigen Ausnahmeregelung beschenkt hat, hat die Reform im Volk wie bei der EU-Kommission unbeliebt gemacht. Aber man soll den Sinn einer Reform nicht in erster Linie an ihren Detailfehlern beurteilen. Es gibt auch andere Instrumente zur Beschleunigung des gewünschten Strukturwandels. Der Handel mit CO 2 -Emissionszertifikaten führt derzeit zu einem Überdenken alter Industriemuster, damit allerdings auch zu neuen Sorgen. In Japan ist ein Top Runner -Programm angelaufen, bei welchem für die zwanzig vielleicht wichtigsten Geräte und Fahrzeugtypen der energetisch Beste zum Top Runner erklärt wird. Wer nach ein paar Jahren noch die energieverschwendenden Geräte anbietet, wird öffentlich beschämt eine in Japan sehr wirksame Form der Richtungsbeeinflussung. Schließlich gibt es sogar Bußgelder. Bei Desktop-Computern braucht der Top Runner nur 17 % so viel Strom wie der Durchschnitt, das ist mehr als ein Faktor fünf. Und bei Kühlschränken heißt es, es sei soeben ein Faktor sieben in der Effizienzverbesserung erreicht worden. Eine ebenso wichtige wie vielleicht bedrohliche Nachricht für deutsche oder amerikanische Hersteller! Auch China hat angesichts gravierender Energieengpässe angefangen, die Standards heraufzusetzen, zunächst einmal für Autos. Beim jährlich stattfindenden Entwicklungsforum in Peking haben im Juni 2005 sechs Minister oder Vizeminister eindrucksvolle Bekenntnisse zu einer dramatischen Steigerung der Ressourceneffizienz abgelegt aus wohlverstandenem Eigeninteresse Chinas und zugleich als Signal dafür, dass man an den strategisch wichtigen Stellen gedenkt, die technologische Führerschaft zu erreichen. Die Effizienzrevolution im Umgang mit Energie könnte zum Charakteristikum der nächsten industriellen Revolution werden. Vielleicht schaffen es die Ruhrgebietsuniversitäten mit ihren vielen technischen Fakultäten, die neue Revolution zum Nutzen unseres Landes und der Umwelt vorzubereiten. Ich wünsche ihnen und an dieser Stelle in besonderer Weise der Universität Duisburg-Essen dabei viel Erfolg. GASTBEITRAG Photodic Universität Duisburg Essen 7

Energiepolitik in Nordrhein-Westfalen An der Schnittstelle von Wirtschaft und Wissenschaft Christa Thoben ist seit Sommer 2005 Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nord rhein-westfalen Christa Thoben Nordrhein-Westfalen wird gerne als das Energieland Nr. 1 in Deutschland und als Energiestandort von europäischem Rang bezeichnet. Das mag zwar hochtrabend klingen, beschreibt aber die Realität: 40 % des industriellen Energieverbrauchs in Deutschland fallen auf NRW. In NRW werden 90 % der deutschen Steinkohle gefördert; bezogen auf die EU sind es immerhin noch 33 %. NRW fördert 50 % der deutschen Braunkohle. In NRW werden 33 % des Stroms in Deutschland erzeugt. Landesweit gibt es mehr als 200.000 Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft. anfangs in Form von Kohle und Koks, zunehmend dann in Form von Strom, Wärme und Kraftstoffen. Sie benötigten Energie in wachsenden Mengen, sicher und preiswert. Abbildung 1: Spritzgegossene Bipolarplatten für Brennstoffzellen. Quelle: ZBT Zentrum für BrennstoffzellenTechnik ggmbh, Duisburg Die Industriestruktur unseres Landes ist das Ergebnis eines 200 Jahre langen Entwicklungsprozesses an Rhein und Ruhr. Vor allem die Ruhrregion hat sich dabei zur industriellen Kernzone Deutschlands entwickelt und der gesamten Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidende wirtschaftliche Impulse für den Wiederaufbau gegeben. Hier war die für die Industrialisierung notwendige Ressource vorhanden: Energie in Form von Kohle. Hier fanden Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie, die weiterverarbeitenden Industrien sowie die Zulieferer beste Voraussetzungen zur Prosperität. Der Maschinenund Anlagenbau wurde zur Kernindustrie dieser Region. Und alle benötigten Energie Rohstoff Wissen Unter diesen Bedingungen entwickelte sich in der Region die Kompetenz, mit Energie umzugehen. Die Menschen lernten, den Rohstoff Kohle zu gewinnen, in Strom und Wärme umzuwandeln und beide Formen von Energie effizient und zunehmend hochtechnisiert einzusetzen. Es entstand ein weiterer wichtiger Rohstoff : Das Know-how der Menschen um die technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenhänge im Energiebereich. Heute spielen Kohle und Stahl zwar nicht mehr die gleiche Rolle wie vor 50 Jahren, das damit verbundene Know-how ist aber nach wie vor wichtig. Energiegewinnung, -umwandlung und -nutzung sind für die Zukunft der Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen und darüber hinaus von großer Bedeutung. Denn wir stehen weltweit vor großen Herausforderungen: Der Energiehunger in der Welt ist bereits jetzt immens, und für die Zukunft werden weitere Zuwachsraten in der Größenordnung von 3 % pro Jahr prognostiziert. Abbildung 2: Brennstoffzellen-Stack des ZBT. Quelle: ZBT Zentrum für BrennstoffzellenTechnik ggmbh, Duisburg. 8

Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass die fossilen Energieressourcen begrenzt sind wobei für die Kohlevorräte weltweit noch die längsten Reichweiten prognostiziert werden, dass die Konkurrenz um diese Ressourcen zunehmen wird, denn der Energiebedarf der rasant wachsenden Schwellenländer China und Indien, um nur die größten zu nennen, ist enorm, und dass Energieumwandlung mit Klimaund Umweltbelastungen verbunden ist. Innovation als Herausforderung Eine moderne, verantwortungsvolle und zukunftsfähige Energiepolitik hat dem Rechnung zu tragen. Sie muss sich kurz-, mittel- und langfristig auf die Zukunft vorbereiten. Dazu benötigt sie die Energieforschung. Grundlage für eine zukunftsfähige Energieversorgung ist die Weiterentwicklung von Techniken zur effizienteren Nutzung der heutigen und zur Erschließung neuer Energiequellen. Das heißt: Ohne Innovationen sind die zukünftigen Herausforderungen an die Energiepolitik als ein Kernelement der Wirtschaftspolitik nicht zu bewältigen. Neue zukunftsfähige und effiziente Energietechniken senken die Kosten in der Produktion und sichern damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer heimischen Unternehmen. Und sie tragen durch ihre Exportchancen zum Erhalt und Ausbau von Arbeitsplätzen in unserem Land bei. Hochentwickelte Industrieländer wie Deutschland und insbesondere Nordrhein-Westfalen stehen in einer ganz besonderen Verantwortung hinsichtlich der Sicherung zukünftiger Energieversorgung. Denn nur sie verfügen über die Universität Duisburg Essen materiellen und personellen Ressourcen, die für langfristige Forschung und Entwicklung notwendig sind. Hier sind Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gemeinsam in der Verantwortung. Dabei ist es notwendig, sich sowohl mit wirtschaftsnaher Energieforschung zu beschäftigen als auch mit den Forschungsbereichen, die erst in Jahren oder gar Jahrzehnten marktfähige Techniken erwarten lassen. Energieregion Rhein-Ruhr Und gerade im Rhein-Ruhr-Raum ist der Start in neue moderne Energietechnologien gut möglich. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat beschlossen, mit allen Beteiligten über das sozialverträgliche Auslaufen des hoch subventionierten Bergbaus zu verhandeln. Die Zukunft des Ruhrgebietes liegt in innovativen Technologien im Energiebereich. Hier sollte die Region ihre Kernkompetenz selbstbewusst nach außen tragen. Die Energiewirtschaft hat in der Stadt Essen de facto ihre Hauptstadt. Mit der e-world of energy and water ist eine Messe entstanden, die sich zur europäischen Leitmesse für Energie entwickeln will. In der Rhein-Ruhr-Region haben bedeutende Energieunternehmen ihren Sitz. Der wichtigste europäische Kraftwerksverband ebenso wie der größte deutsche Gasversorger. Bedeutende Unternehmen der Kraftwerks-, der Kohle- und der Mineralölwirtschaft sind hier ansässig. In dieser Region werden die modernsten und effizientesten Kraftwerke gebaut, die es heute gibt. Hier wird an den Kraftwerken der übernächsten Generation im Rahmen eines europäischen Projektes mit internationaler Beteiligung gearbeitet, und das CO 2 -freie Kraftwerk der Zukunft steht hier ebenfalls auf der Agenda. Abbildung 3 (links): Biodiesel-Zapfsäulen. Quelle: AG Abbildung 4 (Mitte): Rapspresserei für Biodiesel. Quelle: AG Abbildung 5 (rechts): Bohrung für eine Wärmepumpe in der Wärmepumpen-Siedlung Fürstenhof, Dortmund-Mengede. Quelle: Landesinitiative Zukunftsenergien NRW 9 GRUSSWORT

Auch erneuerbare Energietechniken haben hier einen guten Nährboden, wie das in der Entwicklung befindliche Solarcluster mit Modul- und Zellenfertigung belegt. Die Biomassennutzung für Strom, Wärme und Treibstoffe sowie eine für Nordrhein-Westfalen charakteristische Energie aus der Erde, die Geothermie, sind hier auf dem Vormarsch. Zwar nicht mit Siebenmeilenstiefeln, aber dafür sicher, verlässlich und wirtschaftlich, Schritt für Schritt. Die Region hat mit Wasserstoff, der von Experten als ein Energieträger der Zukunft angesehen wird, bereits jahrzehntelange Erfahrungen eine gute Grundlage für vielfältige wirtschaftliche und wissenschaftliche Aktivitäten auf diesem Feld. Abbildung 6: Vordergrund: Protego-Haube Hintergrund: Blockheizkraftwerk energetischer Grubengasnutzung der Firma Minegas-Power GmbH, Essen. Quelle: Ruhrkohle AG 10 In der Brennstoffzellentechnologie steht Nordrhein-Westfalen ebenfalls mit an der Spitze. Hier gibt es ein dichtes Netzwerk mit internationaler Ausrichtung, das wesentlich bei der Erschließung früher Märkte hilft. Region der Wissenschaft Dank der Zahl von Universitäten und Fachhochschulen und ihrer Nähe zu den wirtschaftlichen Erfordernissen kann man das Ruhrgebiet auch als Region der Wissenschaft bezeichnen. Hier werden Potenziale zur Energieeinsparung und zur Energieeffizienz mit Technologien erschlossen, die zwar schon seit vielen Jahren bekannt und erforscht sind, deren Möglichkeiten der technischen Weiterentwicklung mit Blick auf ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten jedoch noch nicht ausgereizt sind. Und neben der angewandten Forschung tragen auch die Vernetzung der wissenschaftlichen Einrichtungen, der Wissenstransfer und die Zusammenarbeit mit Herstellern und Anwendern Früchte. Dadurch gelingt es, Innovationsfelder zielgenauer und praxisorientierter anzugehen und die Umsetzung in den Markt zu beschleunigen. Abbildung 7: Fassadenintegrierte Solarstromanlage der Firma Cleff. Quelle: Energieagentur NRW Beispiele hierfür sind das Kompetenz-Netzwerk Kraftwerkstechnik mit seiner Geschäftsstelle in Gelsenkirchen, das Zentrum für Brennstoffzellentechnologie an der Universität Duisburg-Essen oder auch die ef-ruhr. Sie sind im Bereich der angewandten Energieforschung verbindende Klammern zwischen den Universitäten Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund und der Wirtschaft. Es ist wichtig, dass Wirtschaft und Wissenschaft an einem Tisch sitzen und sich austauschen. Das ist Voraussetzung für einen erfolgreichen Technologietransfer. Die Politik ist gerne bereit, die Moderation zukunftsgerechter technologisch-industrieller Prozesse zu übernehmen. Denn wir betrachten die Entwicklung von innovativen Technologien als strategische Investition für das Industrieland Nordrhein-Westfalen. Abbildung 8: Computergesteuerter Löt- und Prüfroboter zum Verketten und Verstringern von Solarzellen bei der Firma Scheuten Solar. Quelle: Scheuten Solar Technology GmbH FORUM Forschung 2005/2006

POLITIK UND ENERGIEWIRTSCHAFT: NUR ZUSAMMEN KÖNNEN WIR MEHR ERREICHEN. Deutschland hat die größte Versorgungssicherheit in Europa. Damit das so bleibt, ist es wichtig, jetzt die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die energiepolitischen Ziele Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit sowie Umwelt- und Ressourcenschutz müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Nur so lässt sich die Planungssicherheit garantieren, die der Standort Deutschland für eine erfolgreiche Zukunft braucht. WWW.VATTENFALL.DE ENERGIE NACH MASS.

P er Simulation durch die Nordsee Duisburger Computermodell senkt Kraftstoffverbrauch bei RoRo-Schiffen An jenem Tag ließ man das Tor des Schiffes öffnen und man brachte all unsere Pferde hinein, die wir übers Meer mitnehmen sollten. Dann schloss man das Tor wieder und dichtete es gut ab, wie man ein Fass abdichtet, weil das ganze Tor unter Wasser liegt, wenn das Schiff auf See ist. So schilderte Jean de Joinville, Biograph des französischen Königs Louis IX. seine Beobachtung beim Transport von Kriegsgerät für den 6. Kreuzzug von 1248 bis 1254 wahrscheinlich eine der ersten Beschreibungen eines RoRo-Schiffes in der Geschichte. Heute transportieren moderne RoRo-Schiffe statt Kriegsgerät Wirtschaftsgüter. Sie verkehren im Linienverkehr auf festen Routen; Verspätungen sind teuer. Deshalb arbeitet das Duisburger Institut für Schiffstechnik und Transportsysteme (IST) in Kooperation mit der Flensburger Schiffbau Gesellschaft (FSG) an Simulationsmodellen, die den pünktlichen und energiesparenden Betrieb von RoRo-Schiffen verbessern sollen. Abbildung 1: Modernes RoRo-Schiff (hier: Computermodell eines Neubaus der Flensburger Schiffbau Gesellschaft für die türkische Reederei U.N.RoRo) Um ein wirtschaftliches und energiesparendes RoRo-Schiff (Abb. 1) zu einem konkurrenzfähigen Preis zu bauen, muss man bereits beim Entwurf die wesentlichen Umwelteinflüsse berücksichtigen, die zu Verspätungen führen können. Dazu wird der Schiffsbetrieb im Computer simuliert und statistisch ausgewertet. Die Ergebnisse ermöglichen unter anderem eine optimale Dimensionierung der Antriebsanlage. Neben den zeitlich veränderlichen Umwelteinflüssen wie Wind, Seegang und Tideströmung birgt in vielen Seegebieten besonders die Wassertiefe ein bemerkenswertes Potenzial zur Einsparung wertvollen Treibstoffes. Steigende Ölpreise und wachsendes Umweltbewusstsein dürften dieses Potenzial in naher Zukunft verstärkt in das Interesse der Reedereien rücken. Im Rahmen ihres gemeinschaftlichen Forschungsvorhabens mit der FSG wurde von den Duisburger Wissenschaftlern mit Hilfe einer so genannten genetischen Optimierung eine an das jeweilige Wassertiefenprofil angepasste Geschwindigkeitsverteilung ermittelt. Dieses Fahrprofil wird anschließend einer aufwändigen Computersimulation zugrunde gelegt. 300 Gigabyte Daten Dabei wird der Schiffsbetrieb anhand von räumlich und zeitlich aufgelösten Werten für insgesamt 17 verschiedene Umweltparameter simuliert. Die Daten stammen aus Nachrechnungen von Klimaprozessen, welche in dem EU-Vorhaben HIPOCAS (Hindcast of Dynamic Processes of the Ocean and Coastal Areas of Europe) unter anderem vom GKSS-Forschungszentrum (Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbh) in Geesthacht durchgeführt wurden. Sie liegen für das Gebiet der südlichen Nordsee vor. Bei einer räumlichen Auflösung von etwa fünf Kilometern in Breiten- und Längenrichtung sind die Daten für den Zeitraum von 1958 bis 2000 stundenweise in einer Datenbank abgelegt. Daraus ergibt sich ein Datenvolumen von mehr als 300 Gigabyte. 12 FORUM Forschung 2005/2006

Die untersuchten Routen werden durch geographische Koordinaten von Wegepunkten beschrieben, an denen das Schiff seinen Kurs wechselt. Zwischen diesen Punkten verläuft die Route entlang von so genannten Orthodromen. Orthodrome sind Segmente von Großkreisen. Dabei versteht man unter einem Großkreis einen größtmöglichen Kreis auf einer Kugeloberfläche, dessen Mittelpunkt immer mit dem Mittelpunkt der Kugel zusammenfällt. Im geographischen Koordinatensystem der Erde sind alle Längengrade sowie der Äquator solche Großkreise. Ein Orthodrom ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Kugeloberfläche. Im Laufe der Simulation werden an einer frei wählbaren Anzahl ortsfester Punkte die berücksichtigten Wetterdaten aktualisiert. Jedem dieser Punkte wird ein ihn umgebender Streckenabschnitt mit gleich bleibender Wassertiefe und konstantem Kurs zugeordnet. Flachwassereinfluss Eine verringerte Wassertiefe erfordert durch Beeinflussung des Wellensystems und der Schiffsumströmung eine Steigerung der Leistung, welche zum Erreichen einer vorgegebenen Geschwindigkeit benötigt wird. Analog sinkt bei konstanter Leistung und niedriger Wassertiefe die Fahrgeschwindigkeit (Abb. 2). Je nach Schiffsgeschwindigkeit beginnt dieser Einfluss bereits bei Wassertiefen von rund 40 Metern. Somit müssen große Teile der Nordsee (Abb. 3), aber auch fast die gesamte Ostsee als Flachwasser bezeichnet werden. Abbildung 2: Abhängigkeit der erforderlichen Antriebsleistung von der Wassertiefe ANZEIGE SCHOTTEL for the Shipping World Unser Produktprogramm umfasst rundum steuerbare Antriebs- und Manövriersysteme sowie komplette konventionelle Antriebsanlagen bis 30 MW Leistung. Über unser weltweites Vertriebs- und Servicenetz bieten wir wirtschaftliche und zuverlässige Lösungen für Schiffe aller Art und Größe. Innovators in propulsion technology SCHOTTEL GmbH & Co. KG Mainzer Str. 99 D-56322 Spay/Rhein Tel.: + 49 (0) 26 28 / 6 10 Fax: + 49 (0) 26 28 / 6 13 00 email: info@schottel.de www.schottel.de Universität Duisburg Essen 13

Abbildung 3: Visualisierung der Wassertiefen im Bereich der südlichen Nordsee (HIPOCAS-Daten für die Simulation des Fahrbetriebs in der südlichen Nordsee zwischen 1958 und 2000). 14 Die Leistungskurven bei verschiedenen Wassertiefen werden mit der Methode der Effektivgeschwindigkeit berechnet. Dieses Verfahren wurde am Duisburger Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST), einem An- Institut der Universität Duisburg-Essen, von Tao Jiang entwickelt. Da eine Berücksichtigung aller in der Datenbank entlang einer Route vorkommenden Wassertiefen zu aufwändig wäre, arbeitet das Programm mit einer anwendergestützten Diskretisierung der Wassertiefen, d. h. der Anwender gibt vor, in welchen Bereichen die Wassertiefe als konstant angenommen werden soll. Dadurch kann bei geringem Genauigkeitsverlust eine abschnittsweise konstante Wassertiefe unterstellt werden. Auf Streckenabschnitten mit geringer Tiefenänderung oder mit geringem Einfluss durch eine relativ große Wassertiefe genügt eine grobe Einteilung. Dies verringert zum einen den Speicher- und Rechenaufwand der Simulation erheblich. Zum anderen ermöglicht es die nachstehend beschriebene Optimierung des Geschwindigkeitsprofils durch eine reduzierte Anzahl der Freiheitsgrade. Fahrprofile Im Laufe der Simulation müssen bei verschiedenen Wassertiefen möglichst realistische Fahrtzustände berücksichtigt werden. Hierzu wurden verschiedene so genannte Fahrprofile implementiert und untersucht. Das einfachste Fahrprofil ist die Vorgabe einer konstanten Geschwindigkeit, sofern diese mit der installierten Antriebsleistung bei gegebener Wassertiefe zu erreichen ist. Dieses Profil berücksichtigt den vorgegebenen Fahrplan durch eine gleich bleibende Reisedauer, solange die Wetterbedingungen nicht zu einer unvermeidbaren Geschwindigkeitsreduktion führen. Allerdings führt die wassertiefenunabhängige Geschwindigkeitsvorgabe in flachen Routenabschnitten zu sehr hohen Anforderungen an die Antriebsanlage. Für die zusätzliche Berücksichtigung der Einflüsse von Wind und Seegang bleiben dann nur noch geringe Reserven. Zudem steigt bei hohen Geschwindigkeiten im Flachwasser der Treibstoffverbrauch erheblich. Als zweites Fahrprofil wurde eine konstante Leistung vorgegeben. Dieses Profil führt zwar zu einer plausiblen Geschwindigkeitsreduktion in flachem Wasser, jedoch auch zu einer sehr starken Streuung der Reisedauer. Minimale Einflüsse durch Wind und Seegang bewirken so bereits eine unakzeptable Verschiebung der Ankunftszeit. Die Vorteile der beiden beschriebenen Profile können jedoch durch die Vorgabe abschnittsweise konstanter und wassertiefenabhängiger Geschwindigkeiten verbunden werden. Genauere Untersuchungen ergaben, dass das Geschwindigkeitsprofil, welches sich bei konstanter Leistung einstellt, noch nicht das Optimum darstellt. Eine zusätzliche Fahrtreduktion bei geringen Wassertiefen, welche in tieferem Wasser durch entsprechend größere Geschwindigkeiten ausgeglichen wird, führt zu weiteren Einsparungen im Kraftstoffverbrauch. Zur Ermittlung der Geschwindigkeitsverteilung entlang der Route mit dem geringsten Treibstoffbedarf wird zur Vorbereitung der eigentlichen Simulation eine Optimierung durchgeführt. Das Ergebnis steht anschließend als drittes Fahrprofil für die Simulation zur Verfügung (Abb. 4 auf Seite 16). Optimierung Zur Optimierung des Geschwindigkeitsprofils wird die oben beschriebene Diskretisierung der Route anhand der Wassertiefe verwendet. Die zeitabhängigen Parameter wie Wind, Seegang und Strömung bleiben unberücksichtigt. Als Stellgrößen dienen die abschnittsweise für jede diskretisierte Wassertiefe konstanten Geschwindigkeiten. Die zu minimierende Zielfunktion ist der Gesamttreibstoffbedarf der Reise. Als Randbedingung muss eine vorgegebene Reisedauer eingehalten werden. Zusätzlich darf in keinem Routenabschnitt die Geschwindigkeit bzw. der damit verbundene Leistungsbedarf außerhalb der entsprechenden Grenzen des untersuchten Schiffes liegen. Die Optimierung erfolgt auf der Grundlage eines so genannten genetischen Algorithmus. Dabei FORUM Forschung 2005/2006

EXPERTENWISSEN Funktionsweise der Optimierung Die Optimierung erfolgt in Anlehnung an die Evolution nach einem so genannten genetischen Algorithmus. Zunächst wird eine beliebige Einzellösung, welche alle Randbedingungen erfüllt, ermittelt. Daraus generiert das Programm durch wahllose Variation der einzelnen Parameter, jedoch unter Einhaltung der Randbedingungen eine zufällig gewählte Population von beispielsweise vierzig plausiblen Einzellösungen. Auf dieser Population basierend wird in jedem Schleifendurchlauf, sozusagen für jede Generation, durch zwei verschiedene Mutationsmechanismen eine dreimal so große Zwischenpopulation generiert. Beide Mutationen halten grundsätzlich die vorgegebene Reisedauer ein. So wird eine reduzierte Geschwindigkeit auf einem Routenabschnitt durch eine Geschwindigkeitssteigerung in einem anderen Abschnitt kompensiert. Der erste Mechanismus verändert die Gene (Geschwindigkeiten) der vorherigen Population nach dem Glättungsprinzip. So werden Elemente mit extremen Geschwindigkeiten auf einzelnen Abschnitten zügig zu plausiblen Lösungen weiterentwickelt. Der zweite Mechanismus mutiert zufallsbasiert, aber nutzt das Prinzip einer anderen Optimierungsmethodik. Mit fortschreitender Verbesserung der Lösungen wird die maximale Sprungweite der zur Mutation vorgenommenen Geschwindigkeitsänderungen herabgesetzt. Dies entspricht der fiktiven Temperatur der so genannten Simulated Annealing-Algorithmen, welche sich an dem Modellbild des Erstarrungsprozesses eines Kristalls, bei dem sich ein optimaler Energiezustand einstellt, orientieren. Für jede der enthaltenen Einzellösungen wird die Zielfunktion ausgewertet und das Drittel mit den günstigsten Treibstoffverbräuchen für die folgende Generation verwendet. Verbessert sich der erzeugt man ähnlich wie bei der biologischen Evolution eine Anzahl von Individuen und wählt diejenigen aus, die einem bestimmten Gütekriterium am besten entsprechen. Deren Eigenschaften werden dann leicht verändert und miteinander kombiniert, um eine neue Generation von Individuen zu erzeugen (vgl. Kasten Expertenwissen und Abb. A). Die Computersimulation des Liniendienstes von RoRo-Schiffen auf vorgegebenen Routen wird Universität Duisburg Essen geringste Verbrauch über eine einstellbare Anzahl von Durchläufen nicht weiter, so wird der Vorgang beendet und das günstigste Ergebnis ausgegeben. Zur Anpassung der Optimierung an die Anzahl der Freiheitsgrade oder die Randbedingungen der Hardware sind die Populationsgröße, der Temperaturgradient sowie die maximale Anzahl von Iterationen ohne weitere Ver besserung frei einstellbar. Mit den so gewonnenen optimalen Geschwindigkeiten wird anschließend der Schiffsbetrieb unter realistischen Bedingungen untersucht. In einer Computersimulation fährt das Schiff immer wieder durch das Nordseewetter des vergangenen halben Jahrhunderts. mit einer Vielzahl von Parametern kontrolliert. So kann wahlweise innerhalb der durch die Daten abgedeckten Periode von 43 Jahren der Zeitraum zwischen einer beliebigen Start- und einer Endstunde simuliert werden, oder der Anwender wählt einen periodisch wiederkehrenden Zeitraum aus. Letzteres eignet sich beispielsweise für die Untersuchung ausgewählter Wintermonate mit besonders schwierigen Wetterbedingungen. Innerhalb des gewählten Zeitrahmens können vollständige Rundreisen oder ausschließ- Abbildung A: Schematisches Modell des eingesetzten genetischen Algorithmus. 15

Windeinfallswinkel Zusatzwiderstand durch Wind Geschwindigkeit der Oberflächenströmung Einfallswinkel der Strömung Abbildung 4: Leistungsprofil vor und nach der Optimierung. 16 lich Hin- oder Rückreisen simuliert werden. Auch die Vorgabe fester Tageszeiten für die Abreise oder betriebsbedingter Pausen für den Umschlag der Ladung ist möglich. Des Weiteren können zahlreiche Beiwerte zur Beschreibung der Antriebsanlage oder zur Auswertung der Einflüsse von Wind und Seegang an die speziellen Bedingungen des untersuchten Schiffsentwurfs angepasst werden. Zusätzlich zu den genannten Parametern können im Vorfeld auch einige Einstellungen für die Auswertung der Simulation vorgenommen werden. So kann der Anwender aus der nachstehenden Liste die für die Analyse relevanten Größen auswählen: Reisedauer: Zur Quantifizierung der Verspätungen wird für jede simulierte Reise die benötigte Zeitdauer ausgewertet. Treibstoffverbrauch: Für eine detaillierte Prognose der zu erwartenden Betriebskosten wird der summierte Treibstoffverbrauch jeder Reise klassiert. Distanz: Während die zurückgelegte Distanz über Grund bei fest vorgegebenen Wegepunkten konstant ist, variiert die durch das Wasser zu fahrende Distanz in Folge der Oberflächenströmung. Im Verlauf jeder Reise können, sofern gewünscht, die nachstehenden weiteren Größen klassiert und in die Ausgabedatei eingetragen werden: Leistungsbedarf Schiffsgeschwindigkeit Tiefen-Froudezahl (dimensionslose, wassertiefenabhängige Geschwindigkeit) Signifikante Wellenhöhe Wellenperiode Wellenbegegnungswinkel Zusatzwiderstand durch Seegang Windgeschwindigkeit Große Einsparpotenziale Die Ergebnisse sind hier beispielhaft für die 332 Seemeilen lange Rundreise eines 200 m- RoRo-Schiffes zwischen Zeebrügge in Belgien und Immingham in Großbritannien dargestellt. Die Lösung der Optimierung ist ein Profil abschnittsweise konstanter, an die jeweiligen Wassertiefen angepasster Geschwindigkeiten. Abbildung 4 zeigt die optimierten Geschwindigkeiten im Vergleich zu den Werten, die sich aus einer konstanten Leistung ergeben. Setzt man für die oben genannte Rundreise eine Reisedauer von sechzehn Stunden an, so liegt der ermittelte Verbrauch bei dem optimierten Profil bei 38,6 t Schweröl je Reise. Im Vergleich dazu benötigt dasselbe Schiff bei unangepasster Geschwindigkeit über allen auftretenden Wassertiefen 41,8 t. Selbst bei konstant gehaltener Bremsleistung und somit verringerten Flachwassergeschwindigkeiten liegt der Verbrauch noch bei 40,6 t. Bei Annahme eines Schwerölpreises von etwa 160 EUR je Tonne ergibt sich ein Sparpotenzial von bis zu 200.000 EUR jährlich für ein einziges Schiff! Die Geschwindigkeit der Optimierung liegt deutlich über den anfänglichen Erwartungen. Obwohl mehrere hunderttausend Einzellösungen untersucht werden, liegt das Ergebnis für die Beispielroute mit etwa zwanzig Abschnitten je nach Einstellung der Optimierungsparameter bereits nach ein bis zwei Minuten vor. Selbst eine Erhöhung der Freiheitsgrade auf sechzig Routenabschnitte liefert noch in weniger als einer halben Stunde Rechenzeit ein zufrieden stellendes Ergebnis. Somit eignet sich dieses Verfahren auch für den laufend aktualisierten Einsatz an Bord. Am Ende einer Simulation werden die Ergebnisse in einer Ausgabedatei zusammengefasst. Dieser Datei lässt sich beispielsweise entnehmen, dass das untersuchte Schiff in zehn Jahren etwa 7 % der Reisen verspätet beendet. Diese Verspätung beträgt jedoch nur in 0,5 % der Fälle mehr als dreißig Minuten. Die ebenfalls gewonnenen statistischen Lastprofile der Antriebsanlage können von den jeweiligen Zulieferern zur Auslegung einzelner Komponenten verwendet werden. Die Daten über die verschiedenen Windund Seegangsparameter ermöglichen darüber hinaus eine Optimierung des Schiffsentwurfs hinsichtlich der zu erwartenden Einsatzbedingungen. FORUM Forschung 2005/2006

Abbildung 5: Visualisierte Simulation eines Ro-Ro-Schiffes im Seegang. Die hier vorgestellte Methodik liefert vielfältig einsetzbare Ergebnisse für den Schiffsbetrieb auf offener See. Die so genannte Revierfahrt mit ihren komplexen Einflussfaktoren, aber auch Hafenmanöver können mit heutigen Mitteln dagegen bislang nur unzureichend simuliert werden. Die Ausweitung der Methodik auf diese Bereiche ist Bestandteil zukünftiger Projekte des Instituts für Schiffstechnik und Transportsysteme, der FSG und ihrer Forschungspartner. Der summierte Verbrauch für 3.650 Reisen eines Simulationszeitraums von zehn Jahren liegt etwa 9 % über dem Verbrauch des optimierten Wertes in ideal ruhigem Wetter. Diese Differenz entspricht dem gemittelten zusätzlichen Leistungsbedarf in Folge von Wind, Seegang und Strömung. Kontakt Dipl.-Ing. Benjamin Friedhoff Prof. Dr.-Ing. Moustafa Abdel-Maksoud Schiffstechnik und Transportsysteme Tel.: 02 03/3 79-11 73 IST@nav.uni-duisburg.de http://www.uni-duisburg-essen.de/ist ANZEIGE MMG-propeller - we are pushing maritime trading ahead perfection to the last gram MMG designs and builds fixed-pitch propellers of virtually unlimited dimensions for shipowners and shipyards on all continents - up to 140 tons and 11.3 m diameter. But what really carries weight is our maximum precision, our attention to detail and our unique know-how. With state-of-the-art technology and the world's largest furnace capacity we look forward to accepting your challenge, too. Mecklenburger Metallguss GmbH, www.mmgprop.de Universität Duisburg Essen 17

G roße Pötte auf kleiner Flamme Energieeinsparung durch Optimierung von Containerschiffspropellern Photodic Der wachsende Welthandel hat auf den Meeren eine Epoche der stählernen Riesen eingeläutet. Die größten heute geplanten Schiffe können bis zu 10.000 Standardcontainer transportieren. Eines von ihnen ist die E.R. Tianshan, die im April nächsten Jahres auf der koreanischen Hyundai-Werft vom Stapel laufen soll. Die Tianshan ist 335 m lang und 42,8 m breit. Der Motor ist mehr als 13 m hoch und 24,6 m breit. Die 2.146 t schwere Maschine verbraucht bei einer Leistung von 68,64 Megawatt pro Tag etwa 250 t Schweröl. Am Duisburger Institut für Schiffstechnik und Transportsysteme werden numerische Untersuchungen zur Unterstützung der Werften durchgeführt, um solche durstigen Riesen so energiesparend wie möglich entwerfen zu können. Wer den Kraftstoffverbrauch eines Schiffes senken will, muss seinen Energiebedarf verringern eine vermeintlich einfache Prämisse. Doch müssen dabei alle hydrodynamischen Eigenschaften des Schiffes berücksichtigt werden. Eine Optimierung des Schiffsrumpfes allein reicht nicht aus; das Schiff muss als System betrachtet werden, das aus Rumpf und Propeller besteht. In der Planungsphase werden die verschiedenen Entwürfe von Rumpf und Propeller numerisch 18 FORUM Forschung 2005/2006

EXPERTENWISSEN Den Maßstabseffekten auf der Spur Tabelle 1: Betriebsparameter der untersuchten Propellergeometrie. Zur Untersuchung der Maßstabseffekte wurde für eine Propellergeometrie die viskose Umströmung bei verschiedenen Reynoldszahlen berechnet (Tabelle 1). Der untersuchte Propeller ist ein Vierflügler, hat ein Flächenverhältnis (AE/A0) von 0,55 und ein mittleres Steigungsverhältnis (P/D) von 0,8. Das Naben-Durchmesserverhältnis (dh/d) beträgt 0,25. Beim dimensionslosen Radius 0,7 ist das Dickenverhältnis (t/c) gleich 0,03867. Das Verhältnis Profilsehne Durchmesser (c/d) beträgt 0,2948. Die Untersuchungen wurden für folgende Propellerdurchmesser durchgeführt: Modell: 0,25 m, Großausführung: 4, 6, 8, 10 und 12 m. Es wurden zwei Reynoldszahlen für den Modellmaßstab untersucht. Die erste Reynoldszahl ist gleich 4,83 x 10 4. Diese Reynoldszahl liegt nicht im turbulenten Bereich und ist eigentlich für einen Modellversuch unzulässig. Diese Zahl wurde trotzdem gewählt, um deutlich zu machen, welche gravierenden Fehler bei einem Versuch in diesem Rn-Bereich die Messergebnisse unbrauchbar machen können. Die zweite Reynoldszahl des Modells beträgt 3,33 x 10 5 und ist eine in Modellversuchen häufiger verwendete Rn. Der größte untersuchte Durchmesser beträgt 12 m, der kleinste 0,25 m. Dies entspricht einem Maßstabsfaktor (λ) von 48. Alle numerischen Berechnungen wurden für eine Fortschrittsziffer von J = 0,8 durchgeführt. Für die Umströmung von Großausführung und Modell wurde Frischwasser bei einer Temperatur von 25 C angenommen. Der berechnete Schubbelastungsgrad (C TH ) für die Großausführung bei Rn =1,11 x 10 8 betrug 0,0991. Die numerischen Untersuchungen wurden unter der Bedingung eines Freifahrtversuchs, das heißt bei paralleler Anströmung unternommen. Die Anzahl der Gitterpunkte ist circa 9 x 10 5. Abbildung 1 zeigt die Gitterlinien auf dem Flügel. Die Berechnungen wurden mit Hilfe des Verfahrens CFX-5.7 der Firma ANSYS durchgeführt. Aus der Erfahrung vorheriger Untersuchungen wurde in allen Berechnungen das SST-Turbulenzmodell eingesetzt. Die berechneten Stromlinien für die Reynoldszahl 1,24 x 10 7 sind in Abbildung 2 dargestellt. Abbildung 1: Rechengitter am Flügel. Abbildung 2: Verlauf der Stromlinien. Universität Duisburg Essen 19

auf ihre hydrodynamischen Eigenschaften hin untersucht. Die endgültigen Varianten werden zudem experimentell im Modellversuch erprobt. Die für den Modellmaßstab erzielten Ergebnisse lassen sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Großausführung umrechnen, da das Strömungsverhalten stark von den Abmessungen des umströmten Körpers abhängig ist. Dieses wird durch die Reynoldszahl beschrieben. Die nach dem Physiker Osborne Reynolds benannte Kennzahl stellt das Verhältnis von Trägheits- zu Zähigkeitskräften dar. Während sich die Reynoldszahl für ein Schiffsmodell im Bereich von 10 6 bewegt, beträgt sie für die Großausführung im Normalfall 10 9. Um dieses Problem annähernd zu lösen, werden Prognoseverfahren verwendet, die die Übertragung der Modellversuchsergebnisse auf die Großausführung ermöglichen. P roblemfaktor Maßstab Heutige Versuchsanlagen sind allerdings nicht für die gewaltigen Größen ausgelegt, welche entsprechende Modelle von topaktuellen Containerschiffen wie der Tianshan haben müssten. So erhöht sich in den Modellversuchen zwangsläufig der verwendete Maßstabsfaktor, was wiederum die Umrechnung der Modellmessergebnisse auf die Großausführung zusätzlich erschwert. Eine ungenaue Prognose für den Leistungsbedarf des Schiffes kann aber dazu führen, dass der Dieselmotor nicht im optimalen Bereich betrieben wird. Dies wirkt sich negativ auf die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projekts aus und führt zu unnötigen Umweltbelastungen. Die Schub- und Drehmomentenmessung von Schiffspropellern in den Schiffbauversuchsanstalten sind derart optimiert worden, dass Kosten und Zeitaufwand für die Untersuchung von Antriebseigenschaften deutlich gesenkt wurden. Fortschritte auf dem Gebiet der Messtechnik haben darüber hinaus zu einer hohen Genauigkeit und Zuverlässigkeit von Messdaten geführt. Dagegen bleibt die Umrechnung der Messergebnisse auf die Großausführung ein Problem, das bisher nur unzureichend behandelt wurde. Bei der Prognoseberechnung wird je eine Korrektur für den Schub- und für den Drehmomentenbeiwert nach dem International Towing Tank Conference (ITTC)-Verfahren von 1978 angewandt. In diese Korrekturen gehen die Reynoldszahl Rn, das Profildickenverhältnis t/c und das Steigungsverhältnis P/D ein. Doch damit ist das Höherer Wirkungsgrad Die mit Hilfe von CFD und ITTC-Verfahren berechneten Schub- und Drehmomentenbeiwerte sowie die Wirkungsgrade des Propellers sind in den Abbildungen 3 bis 5 enthalten. Sie zeigen eine starke Abhängigkeit von der Reynoldszahl. Während mit zunehmender Reynoldszahl der Drehmomentenbeiwert abnimmt, erhöht sich der Schubbeiwert des Propellers. Dies führt erwartungsgemäß zu einer Erhöhung des Wirkungsgrades des Propellers. Die Änderung im Reynoldszahl- Bereich von 4,83 x 10 4 bis 1,24 x 10 7 verdeutlicht diese Abhängigkeit. Die Daten in den Abbildungen, die auf Basis der Reynoldszahl 4,75 x 10 4 ermittelt wurden, sind mit P7 und die für die Reynoldszahl 3,33 x 10 5 mit P6 gekennzeichnet. Die Kurven KQ-CFD-P7 und KQ-ITTC-P7 zeigen die Änderung der Drehmomentenbeiwerte nach den CFD-Ergebnissen und nach dem ITTC-Verfahren. Beide Kurven verlaufen zwar parallel, aber mit einer großen Differenz beim Anfangswert. Das ITTC- Verfahren liefert eine Erhöhung des Drehmomentenbeiwertes bei Rn 1,24 x 10 7 und kaum eine Änderung bei Rn 2,78 x 10 7. Grund hierfür ist die zu niedrige Reynoldszahl des Modells. Zur Vermeidung des Einflusses einer zu niedrigen Reynoldszahl auf die für die Großausführung berechneten Beiwerte empfiehlt es sich, die Reynoldszahl in der ITTC-Formel nicht unter 1 x 10 5 einzusetzen. Werden die Rechenergebnisse für die Drehmomentenbeiwerte bei Rn 3,33 x 10 5 als Modelldaten zugrunde gelegt, dann ergibt sich ein geringerer Abstand zwischen den Ergebnissen der CFD-Untersuchungen und des ITTC-Verfahrens (siehe Kurven KQ-CFD- P6 und KQ-ITTC-P6, Abb. 3). Da die verwendeten Ergebnisse des Modells im Gültigkeitsbereich des ITTC-Verfahrens liegen, nehmen die berechneten Drehmomentenbeiwerte mit Zunahme der Reynoldszahl ab. Die mit Hilfe der CFD-Ergebnisse berechneten Unterschiede der Schubbeiwerte gegenüber den Resultaten des ITTC-Verfah- 20 FORUM Forschung 2005/2006