ASSET LIABILITY MANAGEMENT IN FINANZDIENSTLEISTUNGS- UNTERNEHMEN MARTIN ELING THOMAS PARNITZKE WORKING PAPERS ON RISK MANAGEMENT AND INSURANCE NO. 6 EDITED BY HATO SCHMEISER CHAIR FOR RISK MANAGEMENT AND INSURANCE APRIL 2005
ASSET LIABILITY MANAGEMENT IN FINANZDIENSTLEISTUNGS- UNTERNEHMEN Martin Eling Thomas Parnitzke JEL Klassifikation: G21, G22 ABSTRACT Vor dem Hintergrund eines Wandels der Rahmenbedingungen im Finanzdienstleistungssektor gewinnt die systematische, ganzheitliche Steuerung der Aktiva und Passiva eines Unternehmens eine besondere Bedeutung. Diesem Zweck dient das sogenannte Asset Liability Management.Wir beschreiben die jeweiligen Besonderheiten im Asset Liability Management von Banken und Versicherungen und gehen dabei auf spezifische Risikoquellen sowie darauf aufbauende Zielsetzungen ein. Zuvor werden aber drei grundlegende Modellgruppen des Asset Liability Management vorgestellt, die wenngleich auch mit unterschiedlichen Nuancen sowohl bei Banken als auch bei Versicherungsunternehmen Anwendung finden. 1. MOTIVATION UND BEGRIFF DES ASSET LIABILITY MANAGEMENT In den vergangenen Jahren lässt sich im Finanzdienstleistungssektor ein dynamischer Wandel der Rahmenbedingungen beobachten. Zunächst bewirkt die Deregulierung der Finanzdienstleistungsmärkte eine Erhöhung des Wettbewerbsdrucks und damit eine verstärkt auf Profitabilität ausgerichtete Unternehmenspolitik. Dann führt eine zunehmende Volatilität der Wertpapierpreise bei einem sehr niedrigen Zinsniveau zu erheblichen Veränderungen der Kapitalmarktbedingungen. Schließlich erfordern veränderte aufsichtsrechtliche und gesetzliche Martin Eling und Thomas Parnitzke, Universität St. Gallen (Schweiz), Tel: +41 71 243 4093, Fax: +41 71 2434040, e-mail: martin.eling@unisg.ch, thomas.parnitzke@unisg.ch
2 Rahmenbedingungen die Etablierung eines integrierten Risikomanagement. Vor diesem Hintergrund gewinnt die systematische, ganzheitliche Steuerung der Assets (Aktiva) und Liabilites (Passiva) eines Unternehmens eine besondere Bedeutung. Diesem Zweck dient das sogenannte Asset Liability Management. Eine isolierte Betrachtung von Aktiva und Passiva erweist sich wie die Betrachtung einzelner Unternehmenssparten als suboptimal, denn sie vernachlässigt Diversifikationseffekte auf der Gesamtunternehmensebene. Demgegenüber steht der Begriff des Asset Liability Management für eine zielgerichtete Steuerung der Aktiva und Passiva, also eine simultane Abstimmung von Kapitalanlagen und Verbindlichkeiten, mit dem Ziel die Liquiditäts- und Bilanzstruktur des gesamten Unternehmens zu optimieren. Die Idee der Abstimmung von Assets und Liabilities ist jedoch nicht neu. Vielmehr wurden bereits in den 70er-Jahren Modelle zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken entwickelt. Das moderne Asset Liability Management beschränkt sich allerdings nicht auf Zinsänderungsrisiken, sondern dient dem Management verschiedener Risikoarten, wie Markt-, Liquiditäts- oder Kreditrisiken. Von daher stellt das Asset Liability Management einen zentralen Teil der Unternehmenssteuerung dar, der sowohl auf die Kontrolle der finanziellen Stabilität als auch auf die Profitabilität des Unternehmens abzielt. 1 Aufgrund der Stochastizität der Zahlungsströme hat das Asset Liability Management vor allem bei Finanzdienstleistungsunternehmen wie Banken und Versicherungen einen hohen Stellenwert. Dennoch sind Modelle zur Steuerung von Aktiva und Passiva auch für Industrieunternehmen interessant. Diese sind jedoch aufgrund eines höheren Anteils an (quasi) deterministischen Vermögenspositionen (beispielsweise bei den Sachanlagen) grundsätzlich nicht so komplex wie bei 1 Vgl. Albrecht (2003), S. 428.
3 Banken oder Versicherungen, bei denen unsichere Vermögenspositionen (beispielsweise bei den Finanzanlagen) im Vordergrund stehen. Dementsprechend beschreiben wir im Folgenden die jeweiligen Besonderheiten im Asset Liability Management von Banken und Versicherungen und gehen dabei auf spezifische Risikoquellen sowie darauf aufbauende Zielsetzungen ein. Zuvor wollen wir aber drei grundlegende Modellgruppen des Asset Liability Management vorstellen, die wenngleich auch mit unterschiedlichen Nuancen sowohl bei Banken als auch bei Versicherungsunternehmen Anwendung finden. 2. MODELLGRUPPEN DES ASSET LIABILITY MANAGEMENT Die Modelle des Asset Liability Management lassen sich in drei Gruppen einteilen, die sich hinsichtlich ihrer Zielgrößen sowie der Berücksichtigung von Unsicherheit unterscheiden: Erstens finden sich deterministische Immunisierungsansätze, die auf das Management von Liquiditäts- und Zinsänderungsrisiken abzielen. Zweitens werden Optimierungsmodelle zur Ermittlung einer effizienten Ertrags-Risiko-Struktur eingesetzt. Drittens erfolgt mit Hilfe der dynamischen Finanzanalyse eine mehrperiodige Untersuchung der Zahlungsfähigkeit unter Berücksichtigung stochastischer Einflussgrößen. Bei Immunisierungsstrategien handelt es sich um Planungstechniken zur Analyse und Beeinflussung von Liquiditäts- und Zinsänderungsrisiken. Die erstgenannte Risikoart ist Gegenstand des Cash-Flow-Matching, letztere hingegen des Duration-Matching. Das Cash-Flow-Matching basiert auf einer deterministischen A- nalyse der Zahlungsströme im Zeitablauf. Dazu werden zunächst die Cash-Flow- Profile von Vermögen und Verbindlichkeiten gegenübergestellt. Anschließend können durch das Matching (Abstimmung) der Rückflüsse aus dem Aktivvermögen mit den durch die Verbindlichkeiten induzierten Auszahlungen Liqui-
4 ditätsengpässe beseitigt werden. 2 Ziel des Duration-Matching ist die Immunisierung der Bilanz gegen Zinsänderungen. Dabei werden die mittleren Restbindungsdauern (Duration) von Verbindlichkeiten und korrespondierenden Kapitalanlagen exakt aufeinander abgestimmt. Durch diese vollständige Immunisierung wird jedoch auch das Chancenpotential, welches mit Zinsänderungen einhergeht, eliminiert. 3 Während die Immunisierungsstrategien als Planungstechniken insbesondere bei festverzinslichen Wertpapieren eingesetzt werden, sind sie für Anlagen und Verbindlichkeiten mit einer eher stochastischen Struktur (zum Beispiel Aktien oder Verbindlichkeiten aus dem Schadenversicherungsgeschäft) weniger geeignet. Stattdessen lassen sich hier klassische Techniken der Ertrags-Risiko-Optimierung (Markowitz-Ansatz) oder zahlreiche moderne Erweiterungen davon (zum Beispiel Leibowitz-Ansatz) einsetzen. Der Markowitz-Ansatz umfasst die klassische Portfoliooptimierung der Kapitalanlagen, bei der jedoch keine Verbindlichkeiten abgebildet werden. Demgegenüber berücksichtigt die Portfoliooptimierung nach Leibowitz die Verbindlichkeiten als eigene Anlageklasse. Insbesondere werden dadurch auch Korrelationen zwischen Aktiva und Passiva in die Berechnungen mit einbezogen. 4 Bei der dynamischen Finanzanalyse wird, im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Modellgruppen, eine mehrperiodige Planung auf Basis stochastischer Einflussfaktoren angestrebt. Für die Beurteilung der Finanzlage im Zeitablauf kommen vor allem Szenarioanalysen zum Einsatz. Dabei wird das Verhalten der momentanen Vermögens- und Verbindlichkeitsstruktur anhand unterschiedli- 2 3 4 Vgl. zum Konzept des Cash-Flow-Matching Jost (1994), S. 134-140. Dem kann jedoch durch eine teilweise Absicherung im Rahmen einer bedingten Immunisierung begegnet werden. Vgl. zum Duration-Matching zum Beispiel Elton/Gruber (1992). Vgl. Leibowitz/Henriksson (1988).
5 cher Zukunftsszenarien (Zins- und Aktienmarktentwicklung, ungewisse Verbindlichkeiten) prognostiziert. 5 Ein Spezialfall dieser Analyse ist die Verwendung von Shortfall-Szenarien (sogenanntes Stress Testing), bei der zum Beispiel die Ruinwahrscheinlichkeit in verschiedenen Situationen bestimmt wird. 6 3. BESONDERHEITEN DES ASSET LIABILITY MANAGEMENT BEI BANKEN UND VERSICHERUNGEN 3.1. ASSET LIABILITY MANAGEMENT BEI BANKEN Das Kerngeschäft vieler Banken besteht in der Finanzintermediation im Rahmen des Kredit- (Aktiva) und Einlagengeschäfts (Passiva). Die spezielle Marktleistung der Bank besteht dabei in der Verwirklichung von Volumen-, Fristen- und Risikotransformation. 7 Einsatzmöglichkeiten für das Asset Liability Management ergeben sich hier insbesondere für Risiken im Zusammenhang mit der Fristentransformation. Die jederzeitige Sicherstellung ausreichender Liquidität erscheint vor allem bezüglich der Gefahr eines möglichen Bankrun, dem schlagartigen Abzug von Einlagen, von besonderer Bedeutung. Insofern spielen Ansätze des Cash-Flow-Matching im Asset Liability Management von Banken eine wichtige Rolle. Das Matching wird allerdings durch die Berücksichtigung bestimmter Aktiva (Überziehungskredite) und Passiva (täglich verfügbare Sichteinlagen) erschwert. Diese werden kurzfristig vergeben beziehungsweise der Bank für kurze Zeit zur Verfügung gestellt, haben aber in der Realität einen eher mittel- bis langfristigen Charakter. Neue Absicherungsmöglichkeiten ergeben sich indes durch die Schaf- 5 6 7 Vgl. dazu Kaufmann/Gadmer/Klett (2001). Vgl. beispielsweise Schmeiser (2004). Vgl. dazu Fischer (2003), S. 388.
6 fung von Sekundärmärkten für bisher fixe Aktiva, wie beispielsweise die Verbriefung langfristiger, insbesondere auch ausfallbedrohter Kredite (sogenannte Asset-Backed-Securities). Einen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis einer Bank übt das Zinsänderungsrisiko aus. Durch ungenügende Abstimmung der Duration von Aktiva und Passiva, können erhöhte Refinanzierungskosten beziehungsweise wenig profitable Anlagemöglichkeiten das Unternehmen bedrohen. Aus diesem Grund haben bei Banken auch Ansätze des Duration-Matching einen hohen Stellenwert, wobei in den vergangenen Jahren insbesondere durch den Einsatz derivativer Instrumente eine Verfeinerung des Matching erreicht wurde. Jedoch bergen derivative Instrumente, aber auch die Vielzahl impliziter Produktoptionen neue Risiken und bewirken einen Anstieg der Komplexität im Asset Liability Management von Banken. 3.2. ASSET LIABILITY MANAGEMENT BEI VERSICHERUNGEN Während das Asset Liability Management bei Banken bereits häufig eingesetzt wird, hat es in der Versicherungswirtschaft erst in den letzten Jahren verstärkt Beachtung gefunden und befindet sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Beispielsweise beurteilten im Jahr 2001 noch 54% der deutschen Versicherungsunternehmen die aktuelle Umsetzung des Asset Liability Management als unbefriedigend und verwiesen auf unzureichende personelle Ressourcen, mangelhafte Tools und Know-how-Defizite. 8 Indes lassen sich die Asset Liability Management-Ansätze der Kreditwirtschaft nicht ohne weiteres auf die Versicherungswirtschaft übertragen, da anders als bei Banken im Versicherungsgeschäft die Risikofaktoren auf der Aktiv- (Kapitalanlageergebnis) und Passivseite (versi- 8 Vgl. DAV-Arbeitskreis ALM (2001), S. 494.
7 cherungstechnisches Ergebnis) nicht gleichartig sind. Demzufolge ist die Abstimmung von Aktiva und Passiva komplexer als bei Banken. 9 Hervorzuheben ist dabei auch eine hohe Spartenabhängigkeit des Asset Liability Management innerhalb der Versicherungsindustrie. Die versicherungstechnischen Verpflichtungen, aber auch die Struktur der Kapitalanlagen unterscheiden sich, je nachdem welche Sparte betrachtet wird, hinsichtlich ihrer Fristigkeit, dem Risikoumfang sowie den risikobeeinflussenden Faktoren. 10 Demnach erscheint eine Differenzierung des Asset Liability Management nach verschiedenen Unternehmenssparten sinnvoll. Insbesondere Lebensversicherer und Nichtlebensversicherer (zum Beispiel Schaden- und Unfallversicherer) praktizieren unterschiedliche Formen des Asset Liability Management. Das Lebensversicherungsgeschäft zeichnet sich vor allem durch seine Langfristigkeit aus. Der lange Planungshorizont, aber auch Zinsgarantien und weitere Produktoptionen stellen besondere Herausforderungen für das Asset Liability Management dar. Demgegenüber weisen Schadeneintritt und -höhe eine geringe Stochastizität auf. Im Lebensversicherungsgeschäft stehen daher weniger Liquiditätsrisiken, als vielmehr Marktpreisrisiken (insbesondere auch Zinsänderungsrisiken) im Zentrum der Betrachtung. Deshalb kommen vor allem Immunisierungs- und Optimierungsmodelle zum Einsatz. Im Gegensatz zur Lebensversicherung hat das Nicht-Lebensversicherungsgeschäft einen kurzfristigen Charakter. Es finden sich sehr volatile Schadenverteilungen, beispielsweise bedingt durch die Existenz von Großschäden, so dass die Cash-Flows der Passivseite wesentlich schwieriger zu prognostizieren sind. 11 9 10 11 Vgl. Jost (1994), S. 83. Vgl. Albrecht (2003), S. 433. Vgl. Kaufmann/Gadmer/Klett (2001), S. 214.
8 Folglich sind für Nicht-Lebensversicherer vor allem stochastischen Gesamtmodelle wie die dynamische Finanzanalyse, weniger hingegen zinsbezogene Immunisierungsmodelle, von Bedeutung. 4. AUSBLICK Unterdessen lässt sich in den kommenden Jahren sowohl im Banken- als auch im Versicherungsbereich ein weiterer Entwicklungsschub für das Asset Liability Management absehen. Hintergrund ist die Entwicklung neuer regulativer Rahmenbedingungen, die den Einsatz von Modellen zur ganzheitlichen Unternehmenssteuerung zunehmend erforderlich machen. Für den Bankenbereich ist an erster Stelle Basel II, also die Neugestaltung der Mindesteigenkapitalvorschriften, zu nennen. Analog dazu wird auch im Versicherungsbereich unter dem Stichwort Solvency II über eine fundamentale Reform der Mindesteigenkapitalvorschriften intensiv diskutiert. Gerade diese Entwicklungen fördern die derzeitige Diskussion zum Thema Asset Liability Management in der Wissenschaft und der Praxis. In der Wissenschaft ist demzufolge eine vermehrte Auseinandersetzung und Weiterentwicklung der Modelle des Asset Liability Management zu erwarten. In der Praxis zeichnet sich indes die zunehmende institutionelle Verankerung des Asset Liability Management im Risikocontrolling sämtlicher Finanzdienstleistungsunternehmen ab.
9 LITERATUR Albrecht, P. (2003): Asset Liability Management bei Versicherungen. In: Leser, Hartmut/Rudolf, Markus (Hrsg.): Handbuch Institutionelles Asset Management. Wiesbaden 2003, S. 427-446. DAV-Arbeitskreis ALM (2001): Einsatz von Asset Liability Management-Tools und Methoden bei deutschen Versicherungsgesellschaften. In: Versicherungswirtschaft, 57. Jg (2001), S. 493-496. Elton, E. J./Gruber, M. J. (1992): Optimal Investment Strategies With Investor Liabilities. In: Journal of Banking & Finance, Vol. 16 (1992), S. 869-890. Fischer, Th. R. (2003): Asset Liability Management bei Banken. In: Leser, Hartmut/Rudolf, Markus (Hrsg.): Handbuch Institutionelles Asset Management. Wiesbaden 2003, S. 387-401. Jost, Ch. (1994): Asset-Liability Management bei Versicherungen. Wiesbaden 1994. Kaufmann, R./Gadmer, A./Klett, R. (2001): Introduction to Dynamic Financial Analysis. In: ASTIN Bulletin, Vol. 31 (2001), S. 213-249. Leibowitz, M. L./Henriksson, R. D. (1988): Portfolio Optimization Within a Surplus Framework. In: Financial Analysts Journal, Vol. 44 (1988), S. 43-51. Schmeiser, H. (2004): New Risk-Based Capital Standards in the EU: A Proposal Based on Empirical Data. In: Risk Management & Insurance Review, Vol. 7 (2004), S. 41-52.