AG 3 Rechtsnorm und Rechtspraxis in der Arbeit der Fachstellen mit Stellungnahmen von Dr. Manfred Hammel. Fall Christine



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Transkript:

AG 3 Rechtsnorm und Rechtspraxis in der Arbeit der Fachstellen mit Stellungnahmen von Dr. Manfred Hammel Fall Christine Christine ist psychisch krank und fortlaufend in ärztlicher Behandlung. Sie bezieht Arbeitslosengeld II und bewohnt eine 1-Zimmer-Wohnung mit 28 qm ( Warmmiete EUR 300,-). C. nahm an einer nach 16 e SGB II geförderten Maßnahme teil, brach diese jedoch ohne Angabe von Gründen ab. Nachdem C. in der Folgezeit weder den von der ARGE formulierten Meldeaufforderungen entsprach noch sich auf Arbeitsangebote hin bewarb, stellte die ARGE die Gewährung von Geldleistungen nach den 19 ff. SGB II ein. C. wurden lediglich noch Lebensmittelgutscheine bewilligt. Da ihr zur Finanzierung der Unterkunft keine fortlaufenden Mittel zur Verfügung standen und sämtliche Rücklagen zur Zahlung einer Geldstrafe zur Abwendung einer Inhaftierung aufgelöst wurden, erhielt C. von ihrem Vermieter die Kündigung ihrer Wohnung wegen Zahlungsverzug. Der von C. über einen Fachdienst der Wohnungsnotfallhilfe bei der ARGE gemäß 22 Abs. 5 SGB II eingereichte Antrag auf eine Mietschuldenübernahme wurde mit der Begründung abgelehnt, eine solche Leistung sei nicht gerechtfertigt, da die Entstehung dieser Verbindlichkeiten auf das Verhalten von C. zurückführbar sei. Die von C. nach 67 SGB XII in Anspruch genommene persönliche Unterstützung würde keine andere Entscheidung gestatten. Fall Christine Lösung Dass die Entstehung von Mietschulden darauf beruht, dass von der ARGE wegen Sanktionen nach 31 Abs. 1 / Abs. 2 SGB II auch keine Leistungen für Unterkunft und Heizung gewährt worden waren, schließt eine Übernahme der Mietschulden nach 22 Abs. 5 SGB II nicht von vornherein in jeder Beziehung aus. Es bedarf insofern einer einzelfallbezogenen Abwägung, wobei die zu erwartenden Folgekosten für die Beseitigung der Obdachlosigkeit und die desintegrierenden Wirkungen dieser Lebenslage für eine weiterhin anzustrebende Arbeitsmarktintegration ebenfalls sachgerecht zu berücksichtigen sind. Im Rahmen einer solchen Abwägung spricht zwar gegen eine Mietschuldenübernahme, dass C. zahlreiche Pflichtenverstöße begangen hat und insofern für Integrationsmaßnahmen praktisch nicht zur Verfügung stand. Demgegenüber ist aber zu beachten, dass der Eintritt von Obdachlosigkeit die offensichtlich bereits eingeschränkte Integrationsfähigkeit von C. noch weiter negativ beeinflussen wird. Schließlich ist C. bereit, Hilfen nach 67 SGB XII in Anspruch zu nehmen. Es finden hier regelmäßig Besprechungen und Hausbesuche statt, wo die gesamte Situation von C. eingehend erörtert und die Entwicklung von Lösungen versucht wird. Dies gestattet eine positive Prognose. Fall Gudrun Gudrun ist eine alleinerziehende Mutter von sechs minderjährigen Kindern. Die Familie lebt von Arbeitslosengeld II. Wegen von G. fortgesetzt begangener Straftaten verfügte das Amtsgericht einen über zehnmonatigen Freiheitsentzug. Die Kinder wurden über das Jugendamt Pflegefamilien zugewiesen, G. das elterliche Sorgerecht aber nicht entzogen. Die ARGE lehnt die Erbringung weiterer Leistungen auch für Unterkunft und Heizung ( 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) - an G. unter Verweis auf 7 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB II sowie die gesonderte Unterbringung der Kinder ab. Noch vor der ersten fehlenden Monatsmiete in Höhe von EUR 900,- (warm) nahm G. mit dem zuständigen Sozialhilfeträger Kontakt auf. Dieses Sozialamt lehnt die Bewilligung von Leistungen nach 34 SGB XII ab:

Hilfen nach dieser Bestimmung würden nur bei einem nicht länger als sechs Monate andauernden Freiheitsentzug erbracht. Aufgrund der Dauer der von G. zu verbüßenden Freiheitsstrafe und der Tatsache, dass die Familie auch mittelfristig ohnehin nicht mehr zusammenkommen würde, sei hier eine Leistungsgewährung nicht vertretbar. G. hätte nach der Haftentlassung die Möglichkeit, sich frei eine neue Unterkunft zu suchen. Die Kinder wären im Übrigen stets gut versorgt. Fall Gudrun Lösung Auf der Grundlage des 34 Abs. 1 SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt in Sonderfällen) können in einem Fall, wo rechtzeitig vor dem Fälligwerden von Kosten der Unterkunft und Heizung der zuständige Sozialhilfeträger informiert wird, Hilfen nicht erbracht werden. G. machte ausdrücklich keine Schulden im Sinne des 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, nämlich rückständige Mieten, geltend, sondern einen in der Zukunft liegenden, ungedeckten Bedarf an Unterkunftskosten. Solange G. während ihrer Haft nicht mindestens 15 Stunden wöchentlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist, darf die ARGE keine Leistungen nach den 19 ff. SGB II erbringen ( 7 Abs. 4 Satz 3 Ziff. 2 SGB II). Als Anspruchsgrundlage können in dieser Situation einzig die 67 ff. SGB XII in Verbindung mit der DVO zu 69 SGB XII in Betracht kommen. G. lebt in besonderen Lebensverhältnissen i. S. d. 1 Abs. 2 Satz 1 DVO, da ihr bei einem Verlust ihrer angemessenen Wohnung Wohnungslosigkeit droht ( 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i. V. m. 4 Abs. 1 DVO Erhaltung der Wohnung). G. lebt auch in sozialen Schwierigkeiten i. S. d. 1 Abs. 3 DVO, da kaum davon auszugehend ist, dass sich für G. und ihre Kinder nach der Haftentlassung vollkommen problemlos eine neue Unterkunft erschließen lässt, zumal G. das Sorgerecht für die Kinder nicht entzogen wurde. Fall Gudrun II Abwandlung Nr. 1: Hat der Sozialhilfeträger im Fall der inhaftierten Gudrun eine Zuständigkeit zur Leistungserbringung nach den 67 ff. SGB XII, wenn G. keine über zehnmonatige Strafhaft, sondern lediglich eine sechsmonatige Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen müsste? Abwandlung Nr. 2: Wie wären die Dinge zu beurteilen, wenn die sechs von Arbeitslosengeld II lebenden Kinder von Gudrun bereits volljährig sind und während der über zehnmonatigen Strafhaft der Mutter weiterhin in der bisherigen Wohnung bleiben wollen? Fall Gudrun Abwandlung Lösung 1) Sozialgericht Bremen, Beschluss vom 26. 6. 2009: Eine Ersatzfreiheitsstrafe, die nach 43 StGB an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe tritt, ist keine Freiheitsentziehung im Sinne des 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. 10. 2009 und LSG Niedersachsen- Bremen, Urteil vom 17. 06. 2010: Mit der Verhängung einer Geldstrafe nach Tagessätzen ist zugleich die Ersatzfreiheitsstrafe richterlich verfügt, was für die Anwendbarkeit des 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II ausreicht. 2) LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. 11. 2009: Wird ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft inhaftiert, besteht ein Anspruch auf die Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für die Rest- Bedarfsgemeinschaft nur anteilig. - Während einer Strafhaft besteht regelmäßig keine Leistungsberechtigung gemäß dem SGB II ( 7 Abs. 4 Sätze 1/2 SGB II). Der auf inhaftierte Personen entfallende Anteil an Kosten der Unterkunft und Heizung wird deshalb vom SGB II-

Träger bis zur Haftentlassung nicht mehr übernommen. Die Restfamilie kann aber bei der ARGE bei einer überschaubaren Dauer des Freiheitsentzugs mit Hinweis auf 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II um die übergangsweise Finanzierung der gesamten Unterkunftskosten nachsuchen. Fall Antonia Antonia ist inhaftiert und hat Aussicht, nach sechs Monaten auf Bewährung entlassen zu werden. Sie stellt beim zuständigen Sozialhilfeträger unter Verweis auf die von der Rechtsprechung in entsprechenden Fällen bejahte Heranziehbarkeit der 67 ff. SGB XII einen Leistungsantrag auf Weiterfinanzierung der von ihr bislang bewohnten Unterkunft. Das Sozialamt lehnte diesen Antrag mit der nun folgenden Begründung ab: Sie gehören für die Dauer der Inhaftierung grundsätzlich zum leistungsberechtigten Personenkreis. Ihr Bedarf an Wohnen ist für die Dauer des Freiheitsentzugs durch die JVA sichergestellt. Darüber hinaus sind keine weiteren Leistungen gerechtfertigt. Eine Straffälligkeit als solche führt nach Haftende nicht unweigerlich zu einer Bejahung besonderer sozialer Schwierigkeiten ( 67 ff. SGB XII). Sie können als Einzelperson nicht glaubhaft machen, dass Ihnen nach der Verbüßung der Freiheitsstrafe z. B. die ungewohnte eigenverantwortliche Lebensführung tiefgreifende Probleme bereiten würde oder dass die Art des Vergehens zu einer dauerhaften gesellschaftlichen Ächtung mit entsprechenden Folgen führen würde. Derartige Probleme sind in Ihrem Fall auch nicht ersichtlich. Die Schwierigkeiten, bei bestehenden Mietschulden neuen Wohnraum anzumieten, sind Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art Fall Antonia Lösung: 1) 67 Satz 1 SGB XII erfasst Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind. 2) Derartige besondere Lebensverhältnisse bestehen gemäß 1 Abs. 2 Satz 1 DVO zu 69 SGB XII auch bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden. 3) Entsprechendes ist bei der Entlassung aus der Haft der Fall: Nach dem Ende des Freiheitsentzugs droht, wenn die Rückkehr in die bisherige Wohnung unmöglich ist, Obdachlosigkeit. Dies konfrontiert auch Einzelpersonen mit besonderen Lebensverhältnissen im Sinne des 1 Abs. 2 DVO zu 69 SGB XII. 4) Hilfen nach den 67 ff. SGB XII können auch vorbeugend (vgl. 15 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) erbracht werden, denn 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII umfasst alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden ( ), insbesondere ( ) Maßnahmen bei der Erhaltung ( ) einer Wohnung (vgl. 4 Abs. 2 DVO zu 69 SGB XII). 5) Feststehen hat stets aber die Erhaltungswürdigkeit einer Wohnung (z. B. kein unangemessen hohe Kosten verursachender Wohnraum) wie auch die Erhaltungsfähigkeit einer Unterkunft (es darf insbesondere vom Vermieter noch keine Zwangsräumung veranlasst worden sein). Fall Ellen Ellen lebt von Arbeitslosengeld II, ist psychisch krank und begeht immer wieder Straftaten. Da es nicht gelang, das Gericht von der Schuldunfähigkeit von E. zu überzeugen, wurde E. zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Unmittelbar nach dem Beginn dieses Freiheitsentzugs reichte die gesetzliche Betreuerin von E. beim zuständigen Sozialhilfeträger einen Antrag auf Übernahme der Kosten der Unterkunft ein. - Dieses Sozialamt lehnte mit Verweis auf die Länge der Haft die Bewilligung von Leistungen nach den 67 ff. SGB XII ab. Überdies sprach der Vermieter von E.

während dieses Verwaltungsverfahrens wegen Zahlungsverzugs die Kündigung der bisherigen Wohnung von E. aus. E. begehrte nunmehr die Übernahme der von ihrem ehemaligen Wohnungsgeber bezifferten Mietschulden: Solche Verbindlichkeiten stünden einer problemlosen Neuanmietung einer Unterkunft entgegen. Nach erfolgter Zwangsräumung der bisherigen Wohnung wurde krankheitsbedingt der Vollzug der E. auferlegten Freiheitsstrafe unterbrochen. Wegen des Fehlens von eigenem Wohnraum hatte E. in die kommunale Notunterkunft eingewiesen zu werden. Der Sozialhilfeträger verfügte dennoch weiterhin: Das Ziel des 67 SGB XII besteht in der Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und nicht in der Schuldentilgung. Fall Ellen Lösung: LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10.03.2010: Die Übernahme der Mietschulden hat keinen Einfluss auf das bereits beendete Mietvertragsverhältnis. ( ) Anders als bei innegehaltener Wohnung und kurzer Haftdauer ist derzeit nicht feststellbar, ob eine besondere soziale Schwierigkeit unmittelbar droht, und ob die verlangten Hilfen zu deren Überwindung erforderlich sind. Zur Unterstützung der Selbsthilfe gehört zunächst, auf Leistungen anderer Stellen, die geeignet sind, hinzuwirken ( 2 Abs. 1 Satz 4 DVO zu 69 SGB XII): Die Klägerin ist erwerbsfähig im Sine von 8 Abs. 1 SGB II. Für den Fall der Entlassung aus der Haft wird bei Hilfebedürftigkeit ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehen. In diesem Rahmen können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist ( 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II). Sollte die Klägerin ohne eine Schuldenübernahme keine Wohnung erhalten können, wäre wegen des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe ( 2 Abs. 1 SGB XII) ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vorrangig. Der Anspruch gegenüber der Sozialhilfe erschöpft sich deshalb auf Beratung und persönlicher Unterstützung bei der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II ( 3 DVO zu 69 SGB XII). Fall Nadine N. übt manchmal mehrere sog. Minijobs nebeneinander (meistens in der Gastronomie) aus, um keine Sozialleistungen beantragen zu müssen und damit als Ausländerin ihr Recht auf Aufenthalt im Inland erhalten zu können. Das von N. auf diese Weise monatlich erzielte Nettoeinkommen in Höhe von ca. EUR 650,- reicht aber in keiner Weise zur vollen Deckung sämtlicher fortlaufender Kosten aus. - Wegen hoher Stromschulden verfügte der Energieversorger E. die Einstellung der Energieversorgung zur von N. allein bewohnten 1-Zimmer-Wohnung. Der Sozialhilfeträger ist zwar bereit, N. eine durch die Frauenberatung e. V. nach den 67 ff. SGB XII ausgeübte Beratung und persönliche Unterstützung zu finanzieren, verwehrt aber wegen der zweifelsohne bestehenden Erwerbsfähigkeit von N. die Bewilligung einer Stromschuldenübernahme. Das Job Center lehnt ebenfalls eine Leistungsgewährung ab, gerade weil für N. als allein lebende Person eine Stromsperre keine Notlage entstehen ließe, die mit einem Verlust der Wohnung gleichzusetzen sei. Fall Nadine Lösung 1) Nadine ist geringfügig beschäftigt, steht aber nicht im Bezug von Leistungen nach den 19 ff. SGB II. 2) N. kann um eine Schuldenübernahme nicht unter Verweis auf 22 Abs. 5 SGB II nachsuchen, denn sie erhält aktuell keine Leistungen gemäß 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

3) Ausländer/innen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, haben keinen Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe. N. ist aber im Inland als Arbeitnehmerin beschäftigt. 4) Bei N. handelt es sich allerdings um eine bedürftige Person, die zweifellos als erwerbsfähig im Sinne des 8 SGB II aufzufassen ist, d. h. es greift die aus 21 Satz 1 SGB XII hervorgehende Ausschlussnorm. 5) Es gelangt hier 21 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit 34 SGB XII zur Anwendung, da N. nicht hilfebedürftig i. S. d. 9 SGB II ist und bei einer drohenden Liefersperre eine vergleichbare Notlage i. S. d. 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII entsteht.