Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Ulrich Kelber am Deutschen Verbrauchertag zum Thema Gleiches Recht für alle: Die Sharing Economy muss sich an Standards halten am 29. Juni 2015 in Berlin Es gilt das gesprochene Wort! Sehr geehrter Herr Müller, sehr geehrte Herr Siebenkotten, verehrte Abgeordnete, meine sehr geehrten Damen und Herren, wer heute sein Hab und Gut mit anderen Menschen teilen möchte, der kann das mit einem Klick tun: Kleider, Bücher, Autos, Wohnungen können genauso gut von Menschen geteilt werden, die sich zuvor nie begegnet sind. Sie können das tun, das was man früher nur in der Nachbarschaft gemacht hat. Das Internet bringt sie zusammen. Das ist die großartige, die faszinierende Seite des Netzes. Aber wenn sich die Share Economy nur darauf beschränken würde, nämlich die Nachbarschaftshilfe zu digitalisieren, dann wäre das für diesen 5. Verbrauchertag wohl kein Thema. Es geht natürlich um weit mehr, denn es sind inzwischen Internetgiganten, die die Share Economy erobert haben: Die weltgrößte Hotelkette hat heute keine eigenen Betten mehr, das größte Taxiunternehmen hat keine Taxen und im größten Kaufhaus sind keine Waren. AirBnB, Uber und Ebay zeigen, dass man heute nichts mehr selbst besitzen muss, um das große Geschäft zu machen. Die Marktführer zeigen, wie die Geschäftsmodelle revolutioniert werden: Es reicht aus, Menschen miteinander zu vernetzen.
1 Wir sollten genau hinschauen, was sie mit den Datenmengen machen, die sie ansammeln. Vielleicht werden wir eines Tages auch über Marktmachtübertragungen sprechen müssen. die Share economy hat enorme Vorteile - für die Umwelt, aber auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher: was Menschen gemeinsam oder aus zweiter Hand nutzen, muss nicht extra hergestellt werden Teilen schont die Ressourcen die Share Economy ist günstig wer teilt, spart Geld. Und es ist oft viel persönlicher, im Urlaub bei Einheimischen unterzukommen statt im Hotelzimmer. Die Share Economy stellt neue Kontakte her. Wer teilt, lernt Menschen kennen. aber ja wir müssen auch über Risiken, Gefahren sprechen. Denn so günstig und so erfolgreich können manche neuen Geschäftsmodelle nur deswegen sein, weil sie Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte nicht ganz so ernst nehmen, weil sie Vorschriften umgehen und sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Die Fragen, die Sie, meine Damen und Herren, auf jedem der vier Verbrauchertage diskutiert haben, stellen sich auch hier wieder neu: Wie können die Belange der Verbraucherinnen und Verbraucher geschützt werden? Wie stellen wir sicher dass Gewinne nicht zu Lasten der Verbraucher oder auch der Arbeitnehmer gemacht werden? Wann ist der Punkt erreicht, an dem der Staat eingreifen muss? Aber auch: Wie fördern wir Innovation und Wettbewerb? Wir wollen ja keine Schutzzäunchen um bestehende Dienstleistungen errichten. in Deutschland haben wir die Kehrseite der billigen und persönlichen Angebote prominent besprochen, als Uber auf den Plan trat. Die privaten Fahrer haben ohne jede Vorbereitung losgelegt. Sie mussten für Versicherungen, Benzin und Steuern aufkommen, 50 Euro Lohn für einen ganzen Tag oder eine ganz Nacht
2 am Steuer waren da keine Seltenheit. Das ist Selbstausbeutung. Es geht aber auch zu Lasten der Verbraucherinnen und Verbraucher, etwa im Fall von Unfällen, wenn Fahrer keinen ausreichenden Versicherungsschutz bieten können. Und darf es hier ein Rosinenpicken geben? Wie sieht es aber auch mit dem Verbraucherschutz aus, wenn die Nachfrage groß ist und die Preise in die Höhe getrieben werden. Muss es nicht auch den Anbieter geben, der auch die wenig attraktive Fahrt für einen Dialyse-Patienten übernimmt? Und auch die Share Economy auf dem Wohnungsmarkt wirft Probleme auf: In Berlin sollen über 6000 Wohnungen in beliebten Innenstadtlagen nur noch Urlaubern zur Verfügung stehen. Die tageweise Vergabe an Touristen mag sehr viel lukrativer sein. Aber das ist auch ein Grund für die enormen Preisanstiege in den Ballungsgebieten, gegen die wir jetzt mit der Mietpreisbremse vorgehen. Und ich denke auch an das Beispiel einer Frau, deren Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt wurde, und die sie dann kurz darauf im Netz als Ferienwohnung angeboten sah. Hinzu kommt, dass die Anbieter genauso professionell wie Hotels agieren aber für ihre Gewerbe kaum Steuern zahlen: Die Stadt New York hat etwa ermittelt, dass 72 Prozent der AirBnB-Angebote dort illegal sind. die digitale Wirtschaft ist ein Wachstumsmarkt. Die Bundesregierung tut viel dafür, neue Ideen und Geschäftsmodelle zu fördern. Für start-ups stehen Kredite in Höhe von 500 Mio. Euro zur Verfügung. Aber Unterstützung verdienen nur Angebote, die tatsächlich innovativ sind. Angebote, die auf Kosten von Sicherheit, Verbraucherrechten oder fairer Bezahlung gehen, sind in Wahrheit nicht fortschrittlich. Rechtsbruch ist keine innovative Geschäftsidee. Recht und Gesetz sind keine altmodische Förmelei; sie sind Garanten der Gerechtigkeit. Das gilt auch für die digitale Welt! Zwar treten sich in der Share Economy meist nicht Verbraucher und Unternehmen im klassischen Sinn gegenüber, sondern oft zwei Privatpersonen, das zwischengeschaltete Unternehmen stellt den Kontakt her. Aber die Vermittler
3 dürfen nicht so tun, als hätten sie mit den Geschäften deswegen nichts zu tun. Wer durch die Vermittlung von Geschäften Gewinne einfährt, trägt auch eine Mit- Verantwortung dafür, wie dieses Geld verdient wird. Reicht es etwa aus, darauf hinzuweisen, dass die Untervermietung genehmigt werden muss? Und welche Versicherungen abgeschlossen werden können? Das müssen wir uns fragen. Das gilt vor allem, wenn die Plattformen den Anbietern so viele Vorschriften machen wie manche das tun. Da geht es zum Beispiel darum, wie das Angebot auszusehen hat bis hin zu bestimmten Verhaltensregeln, die eingehalten werden müssen. Das sind Kriterien, die wir aus dem Gesetz über die Scheinselbständigkeit kennen. Und das ist auch genau der Grund, aus dem ein kalifornisches Gericht eine Frau, die auf einer Plattform Angebote machte, als Arbeitnehmerin einstufte. für die Politik ergeben sich drei Aufgaben: Wir müssen den Markt beobachten, um zügig auf die neuen Entwicklungen reagieren zu können. Wir sollten die neuen Angebote zum Anlass nehmen, kritisch zu prüfen, ob wir all die Gesetze und Verordnungen wirklich brauchen, die bislang das Ganze regulieren. Wir brauchen hier Platz für Innovation und Wettbewerb. Aber wir müssen umgekehrt durchsetzen, dass Vorschriften, die gut und richtig und wichtig sind, durch die neuen Geschäftsmodelle nicht unterlaufen werden. Die Sharing Economy muss sich an Standards halten. Für die erste Aufgabe die Beobachtung haben wir unter anderem die Marktwächter eingerichtet. Die Share-Economy verändert mit großem Tempo ganze Wirtschaftszweige grundlegend. Da ist es nicht einfach, den Überblick zu behalten. Die Marktwächter, die die Verbraucherzentralen installiert haben, sollen die Märkte aus Verbrauchersicht analysieren, so dass wir von Fehlentwicklungen schnell erfahren. Sie informieren die Verbraucher zuverlässig, wo Gefahren oder Nachteile drohen.
4 Auch an der zweiten Aufgabe arbeiten wir bereits: Wegen der neuen Internetdienste denken wir darüber nach, ob wir in der analogen Welt nicht zu viele Regeln haben. Müssen Taxifahrer im Zeitalter der Navigationsgeräte tatsächlich noch Straßen für eine Prüfung auswendig lernen? Es ist richtig, dass wir jetzt über die Ortskundeprüfung diskutieren. Ähnliches gilt auch für andere Regelungen wie die Rückfahrpflicht von Taxen. Wenn ein Rockfestival auf dem Land stattfindet, sollten dort nicht nur drei Taxen stehen dürfen. Beim dritten Punkt der Rechtsdurchsetzung gilt: Unsere Behörden und Gerichte achten genau darauf, dass Rechtsbruch sich nicht auszahlt und keine Schule machen kann. Das Beispiel Uber macht nämlich auch deutlich: Die Share Economy kann sich auch dann weiter entwickeln, wenn wir an unseren Standards festhalten. Bei UberX, der Neuauflage der Mitfahrplattform, sind die Fahrer versichert und ausreichend auf den Job vorbereitet. Das ist ein großer Gewinn für diese Menschen und für ihre Fahrgäste, und das zeigt: Die Branche ist anpassungsfähig. wir wollen neuen Angeboten auch die Chance geben, sich anzupassen. Das ist schwierig, solange noch nicht feststeht, wie sich ein Markt entwickelt. Wenn wir neue Gesetze schaffen, dann tun wir das mit Rücksicht auf diese Unsicherheit sehr zurückhaltend. Dafür steht das neue Kleinanlegerschutzgesetz. Auch im Finanzwesen entwickelt sich ja gerade eine Share Economy. Ich spreche vom Crowdsourcing. Bis vor kurzem gab es hier einen neuen Markt ohne jede Regulierung. Die Gesetze zum Kreditwesen und zur Vermögensanlage waren noch auf Angebote aus der analogen Welt zugeschnitten. Das haben wir mit dem Kleinanlegerschutzgesetz zwar geändert und damit eine Lücke geschlossen. Wir sind der Meinung: Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben nicht weniger Schutz verdient, nur weil ihr Gegenüber keine große Bank ist, sondern Finanzprodukte im Netz anbietet. Der Fall Prokon hat uns ja gezeigt, dass auch ein
5 Privatunternehmer mit einer geschickten Marketingkampagne, die an Gefühle appellierte, enorme Summen eintreiben kann. Aber da es das Phänomen Crowdsourcing in Deutschland überhaupt erst seit zwei oder drei Jahren gibt, haben wir einen Weg gefunden, es nicht mit zu vielen Vorschriften erdrücken. Ich meine, das ist der richtige Weg. Wir wollen keine unnötige Bürokratie, die das Entstehen neuer Geschäftsmodelle behindert. Aber wir werden auch in Zukunft die sozialen Standards und Verbraucherrechte durchsetzen, um die wir lange gerungen haben. Bewusst kalkulierten Rechtsbruch werden wir nicht dulden. Regulierung das ist ein verpönter Begriff. Das klingt schon im Titel von Herrn Professor Haucap an. Da ist der Begriff Regulierung schon als Reibungspunkt angelegt. Ich meine: Nicht die Angst vor Neuem sollte eine Regelung bestimmen, sondern der Wunsch aus technischem Fortschritt auch gesellschaftlichen Fortschritt zu machen. viele Menschen hielten das Internet noch vor 20 Jahren für einen Ort, an dem sie endlich frei leben könnten, und das bedeutete: frei von Konventionen, von staatlicher Einmischung und ökonomischen Zwängen. Heute wissen wir: Das war eine schöne Illusion. Heute geht es nicht nur um big data, sondern vor allem um big money. Statt Vielfalt haben sich quasi Monopole gebildet. Statt unkontrollierter Freiheit droht die digitale Überwachung. Und die neue Flexibilität beim Arbeiten stellt soziale Erfolge in Frage, für die Arbeitnehmer lange gekämpft haben. Der Verzicht auf jede Regulierung war der falsche Weg. Daraus sollten wir lernen und heute auf die Stärke des Rechts setzen, sonst wird das Recht des Stärkeren herrschen. Recht ist keine Gefahr für die Freiheit. Sie macht Freiheit erst möglich.
6 Wir sind an Recht gebunden, um frei zu sein das hat Cicero schon vor 2000 Jahren erkannt und das bleibt auch im digitalen Zeitalter richtig.