Nur die EZB kann jetzt in der Eurokrise wirklich handeln



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Transkript:

Berlin, 28.09.2011 Nur die EZB kann jetzt in der Eurokrise wirklich handeln Daniela Schwarzer Kurzfristig müssen unbedingt die Finanzmärkte beruhigt werden, dann kann mittelfristig auch die Debatte über eine politische Union Früchte tragen, sagt Daniela Schwarzer. Die Brücke dorthin sollte die Europäische Zentralbank bauen. In der Debatte um die Zukunft der Eurozone liegen die großen Optionen auf dem Tisch: Fiskalunion, Eurobonds, europäische Wirtschaftsregierung oder gleich alles zusammen mit deutlich verbesserter demokratischer Legitimation. So richtig es ist, dass die Währungsunion dauerhaft nur überleben kann, wenn sie durch eine politische Union komplettiert wird, so wenig kann die derzeitige Debatte konkret zur Lösung der aktuellen Krise beitragen. Und die Zeit rennt. Die unmittelbar wichtigste Aufgabe ist die Beruhigung der Finanzmärkte neben der Bewältigung der dringendsten Probleme in der Peripherie der Eurozone. Hier müssen Schulden tragfähig gemacht und Wachstum ermöglicht werden. Schritte in Richtung einer politischen Union sehen viele Marktteilnehmer als richtige Zukunftsperspektive. Aber auch sie wissen, wie groß die Hürden auf dem Weg dorthin sind: eine maßgebliche Reform der EU-Verträge im Konventverfahren, eine Änderung des Grundgesetzes der Bundesrepublik, die Durchführung von Referenden in vielen Mitgliedstaaten. In der jetzigen Situation reicht es nicht, ein Fernziel zu definieren, auf das die Regierungen bei hohem Wellengang und dichtem Nebel mit schwankendem politischen Willen zusteuern. Es muss eine tragfähige Brücke gebaut werden, die den langen Weg dorthin gangbar macht. Geschieht das nicht, wird jede noch so gute Lösung unmöglich gemacht, denn die Marktteilnehmer müssen in diesem Fall davon ausgehen, dass sich eine schlechte Option realisiert. Und je mehr sie erwarten, dass Risiken eintreten, desto wahrscheinlicher wird genau dies. Es braucht rasch Klarheit, auch wenn diese negative Nachrichten beinhaltet Eine Brückenlösung, die das Zeug hat, die Märkte zu beruhigen, muss drei Mindestkriterien erfüllen. Sie müsste erstens möglichst rasch weitgehende Klarheit und Berechenbarkeit schaffen. Auch wenn im Zukunftsszenario negative Nachrichten verborgen sind, wie etwa ein Schuldenschnitt für Griechenland, ist es besser, Klarheit zu schaffen, mit der die Anleger konstruktiv umgehen können. Sie muss zweitens in raschen Schritten implementiert werden. Der Eurozonen-Gipfel vom 21. Juli 2011 hat erneut gezeigt, dass im Ansatz gute Lösungen in ihrer Signalwirkung an die Märkte verpuffen, wenn die Umsetzung in quälenden Schritten vor sich geht. Und sie muss drittens die Märkte durch manifestierten Handlungswillen überraschen. Viele Investoren hoffen geradezu auf eine Demonstration politischer Handlungsfähigkeit und sind (noch) bereit, den positiven Effekt einer Überraschungsaktion weiterzutragen, so dass es (noch) eine reelle Chance gibt, dass sich negativen Markttrends vor einem kompletten Meltdown umdrehen. Der einzige in der Eurozone kurzfristig wirklich handlungsfähige Akteur ist die Europäische Zentralbank (EZB). Sie müsste daher zum Kern einer beherzten Strategie werden, unter anderem um mit dem Problem Griechenland umzugehen. Konkret könnte sie die Ansteckungseffekte eines notwendigen Schuldenschnitts abfedern, in dem sie massiv Liquidität bereitstellt und gleichzeitig weiter in den Bondmärkten interveniert, während die Regierungen die Banken rekapitalisieren. Temporär würde sie damit weiterhin zwei Funktionen jenseits ihres eigenen Mandats übernehmen: 1

Qua Drohung, aus den verstärkten Bondkäufen wieder auszusteigen, könnte sie weiterhin erheblichen Druck auf die Sorgenstaaten ausüben und somit die Rolle des Oberkoordinators für Haushaltspolitik einnehmen. Zum zweiten würde sie implizit das Risiko übernehmen, dass die Langzeitlösung einer Fiskalunion scheitert, denn am Ende stünde die Frage, ob die EZB die Anleihen in ihrem Portfolio in Eurobonds umtauschen kann, oder gar einen Schuldenschnitt realisiert. Der Krise könnte so zumindest temporär Einhalt geboten werden Alternativ könnte die EZB dem EFSF eine Kreditlinie eröffnen, mit der dieser quasi als Bank ein deutlich höheres Kreditvergabevolumen hätte. Dies könnte den Märkten glaubwürdig signalisieren, dass auch Italien und Spanien im Ernstfall gestützt würden und sich eine Spekulation gegen beide aus diesem Grund nicht lohnt. Institutionell wäre diese Lösung mit Blick auf die Unabhängigkeit der EZB sauberer als weitere massive Bondaufkaufprogramme. Die Garantiesumme der Anteilseigener am EFSF würde sich derweil nicht erhöhen, das Risiko des Kreditausfalls indes schon. Die Regierungen wären in keinem der beiden Szenarien aus der Pflicht. Sie müssten ihrerseits dafür sorgen, dass eine schnell wirkkräftige Lösung für die notwendige Rekapitalisierung der Banken und eine europaweit wirksame Einlagengarantie geschaffen wird. Dies ist nicht nur mit Blick auf Griechenland, sondern auch angesichts der Situation der französischen Banken eine dringende Aufgabe. Ist dies geschehen, sind die Grundvoraussetzungen dafür geschaffen, der Krise zumindest temporär Einhalt zu gebieten. Diese Maßnahmen würden Ansteckungsgefahren möglichst minimieren und gleichzeitig die politischen Langfristoptionen voran bringen. Die Zeit dafür ist nicht mehr üppig gemessen. Bereits im zweiten Halbjahr 2011 dürfte in der Eurozone ein deutlicher wirtschaftlicher Abschwung einsetzen, der die Regierungen weiter unter Druck bringt und die Haushaltszahlen wieder einmal durcheinander werfen könnte. Um übertriebene Marktsituationen gerade auch gegenüber Frankreich, dem zweiten großen AAA- Garanten im EFSF zu verhindern, ist jetzt und nicht übermorgen eine beherzte Lösung gefragt. Berlin, 04.08.2011 Eurokrise: Der Preis des Zauderns Daniela Schwarzer Die Finanzmärkte treiben die Regierungen der Eurozone weiter vor sich her. Kurzfristig kann jetzt nur die EZB handeln, sagt Daniela Schwarzer, mittelfristig wären Eurobonds sinnvoll. Zwei Wochen nach dem Verschuldungskrisengipfel vom 21. Juli 2011 ist nicht etwa Ruhe an den Märkten eingekehrt. Im Gegenteil: Nun sind auch Italien und Spanien im Visier der Anleger und könnten wie zuvor Griechenland, Portugal und Irland an den Rand der Zahlungsunfähigkeit getrieben werden. Die Risikoaufschläge auf die Staatsanleihen der beiden großen südeuropäischen Staaten haben das Niveau der drei bisherigen Kreditempfänger zu dem Zeitpunkt erreicht, als diese sich hilfesuchend an den Internationalen Währungsfonds und die EU wenden mussten, um eine Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Ein Zinssatz von rund sieben Prozent auf zehnjährige Anleihen gilt als Schmerzgrenze, ab der sich die Staaten nicht mehr an den Märkten finanzieren können. Die Renditen auf italienische und spanische Anleihen haben sich diesem Wert gefährlich weit 2

angenähert. Sie sind ein Indikator für die Zinsen, die Regierungen bei der Emission neuer Anleihen bieten müssten. Derart hohe Refinanzierungskosten würden die Verschuldungsprobleme Italiens und Spaniens verschärfen. Die Verschuldungskrise in der Eurozone hat also eine neue Brisanz erreicht, auf die die Politik nicht vorbereitet ist. Die Maßnahmen des Sondergipfels vom 21. Juli waren aus Sicht der Märkte kaum mehr als Wasser auf den heißen Stein. Sie haben dieses Mal nur nicht schneller reagiert, weil die Zitterpartie über die haushaltspolitischen Beschlüsse in den USA die Aufmerksamkeit in den vergangenen 14 Tagen auf sich gezogen hatte. Denn auch jenseits des Atlantiks war ein finanzpolitisches Erdbeben für einige Tage nicht völlig ausgeschlossen gewesen. Auch wurde erst im Nachgang zum Gipfel klar, dass sich die Ratifizierung der Beschlüsse zur Reform des Stabilisierungsmechanismus EFSF hinziehen würde, denn die nationalen Parlamente bleiben in der Sommerpause. Eine sich selbst erfüllende Finanzkrise Seit Beginn der Verschuldungskrise Ende 2009 treiben die Märkte die europäische Politik vor sich her. Die Entwicklungen im Falle der drei bisherigen Kreditnehmer haben alle Charakteristika einer so genannten sich selbst erfüllenden Finanzkrise. Die Marktteilnehmer handeln entsprechend ihrer Risiko-/Gewinnerwartungen. Sehen sie das Risiko einer Verschärfung der Verschuldungskrise, ziehen sie sich aus bestimmten Anleihen zurück und treiben damit den Zins für den entsprechenden Kreditnehmer nach oben. Spekulative Bewegungen an den Märkten für Credit Default Swaps verschärfen die Situation. So bestätigt sich die Erwartung der Marktteilnehmer, und die Regierung des betroffenen Landes muss mit erhöhten Finanzierungskosten bis hin zu tatsächlichen Refinanzierungsschwierigkeiten rechnen obwohl sich an den Fundamentaldaten wenig oder nichts geändert hat. Um die Märkte in so einer Situation zu beruhigen oder besser noch: die Eskalation von vornherein zu verhindern hilft nur klotzen, nicht kleckern. Nur eine umfassende Garantie für die Verschuldung möglicherweise betroffener Mitgliedstaaten kann diesen Mechanismus durchbrechen. Für den jetzt beschlossenen Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM würde das ein effektives Kreditvergabevolumen von weit mehr als den 500 Milliarden Euro bedeuten Schätzungen zu Folge müsste es verdoppelt bis vervierfacht werden, um marktgetriebene Finanzkrisen zu verhindern. Die existierenden sowie geplanten europäischen Rettungsmechanismen sind von ihren Volumina nicht darauf ausgerichtet, dass auch Italien und Spanien kreditbedürftig werden könnten. Der Wunsch war Vater des Gedankens, den Rettungsschirm für die Eurozone nur auf die kleineren Staaten an der Peripherie der Währungsunion auszurichten. Dass die Finanzmärkte die Verschuldungskrise in der Eurozone so weit voran treiben konnten, hat die Regierungen nun in eine prekäre Situation gebracht. Ein so viel größerer Rettungsfonds ist heute nicht mehr nur politisch eine kaum vorstellbare Option. Er ist unter den derzeitigen Marktbedingungen auch aus ökonomischer Sicht kaum noch machbar. Wechselt etwa Spanien die Seite und wird im EFSF vom Kreditgeber zum Kreditnehmer, vergrößert das die relative Garantielast der anderen Geber erheblich. Zwei Optionen für die Zukunft Von den großen Gebern könnten dann bald nur noch Deutschland und Frankreich übrig bleiben. Dies würde für Frankreich, das aufgrund der Lage seiner öffentlichen Finanzen und eines Reformrückstands ohnehin auf der Watchlist der Ratingagenturen steht, eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit bedeuten und damit einen Sprung in den Finanzierungskosten. Durch individuelle Länderbeiträge wird sich das Volumen der jetzigen und des künftigen Rettungsmechanismus daher kaum aufstocken lassen. 3

Eskaliert die Krise weiter, bleiben zwei Optionen: Kurzfristig könnte die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Wertpapierkaufprogramm neu starten, um die Anleihen der Wackelkandidaten zu stützen. Da sie die einzige schnell handlungsfähige Institution in der Eurozone ist, wird dieses Szenario immer wahrscheinlicher, auch wenn sich für die EZB daraus mittel- und langfristige Probleme ergeben hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und angesichts der Kreditausfallrisiken, die sie sich einkauft. Aber in Abwägung der Alternativen, nämlich ein immer näher rückendes Auseinanderbrechen der Eurozone, spricht eine Kosten-/Nutzenanalyse für diese Option. Denn die Politik hat es über das vergangene Jahr versäumt, einer Eskalation der Krise vorzubeugen und die Eurozone mit wirksamen Krisenmanagementmechanismen auszustatten. Mittelfristig besteht die Option, gemeinschaftlich garantierte Eurobonds einzuführen, also gemeinsame Staatsanleihen der Mitglieder der Eurozone. Das käme einem Quantensprung an Integration gleich. Als Maßnahme zur Vervollständigung der Eurozone ist dies konzeptionell sinnvoll so lange nur ein Sockel an Verschuldung für jeden Mitgliedstaat in Form von Eurobonds begeben werden kann, und sofern die Staaten sich an eine strikte Konditionalität halten müssen, um überhaupt von diesem Instrument profitieren zu können. Ein ernsthaftes Problem ist indes, wenn ein derart weitreichender Schritt, so richtig er sein mag, im Zuge des Krisenmanagements über Nacht eingeführt wird. Die Front der Eurogegner wird dadurch härter, insbesondere in den Geberländern wird gegen den Euro und die Südeuropäer polarisiert werden. Im Kampf um die Interpretation der Ereignisse werden die Europagegner an Boden gewinnen, und es wird in den Hintergrund treten, dass die unzureichende Politik des vergangenen Jahres auch aus Sicht der Märkte den Boden für die Eskalation der Krise bereitet hat und nicht die an sich überaus erfolgreiche Einheitswährung und die europäische Integration insgesamt. Eurokrise: Das vergeudete Jahr Daniela Schwarzer Die Akteure der Eurozone müssen jetzt eine Schuldenrestrukturierung für Griechenland zu einer gangbaren Alternative machen, sagt Daniela Schwarzer. Schon heute erschüttert das Ausmaß der Frustration in den Geber- und Nehmerländern die Grundfesten der Währungsunion. Im Mai 2010 konnte die Europäische Union sich damit brüsten, dass sie binnen Wochen in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein 110 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für Griechenland auf den Weg gebracht und kurz darauf einen 750 Milliarden Euro- Rettungsschirm für weitere potenzielle Wackelkandidaten verabschiedet hatte. Ein Akt europäischer Solidarität, eine Demonstration politischer Handlungsbereitschaft, eine Kampfansage an diejenigen, die auf den Zerfall des Euro spekulierten. Ein gutes Jahr später bebt nicht nur in Griechenland die Straße unter den Protesten gegen die Auflagen, die die Kreditgeber mit den Finanzspritzen verbunden haben. Auch in Lissabon regt sich Widerstand, mehr noch in Spanien, das noch keine Hilfe beantragen musste, aber mit einem großangelegte Reformprogramm gegen den Vertrauensverlust der Märkte kämpft. In Frankreich fordert die rechtsradikale Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen den Austritt aus dem Euro, und rund ein Fünftel der Franzosen würde sie wählen, dürften sie jetzt an die Urnen treten. In Deutschland ist die Skepsis gegenüber der Währungsunion gewachsen, im politischen Berlin wie 4

am bayerischen Stammtisch, und längst singt nicht mehr nur die Bild -Zeitung einen Abgesang auf die Gemeinschaftswährung. Im Frühsommer 2011 wie im Frühling 2010 steht die Europäische Währungsunion an einem Scheideweg. Die Option ist erneut, Athen entweder mit Krediten und Garantien zu helfen, oder das Land binnen Wochenfrist bankrottgehen zu lassen. Dies würde Mitte Juli passieren, wenn die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF die nächste 12- Milliarden-Euro-Kredittranche nicht ausbezahlt, weil die Sanierungs- und Reformerfolge Athens nicht weit genug gehen. Dies ist nicht auszuschließen, denn unter Interimschef John Lipsky hat der IWF eine sichtlich härtere Linie eingeschlagen. Am Montag überraschte er die Eurozonen- Finanzminister, indem er obendrein eine Auszahlung davon abhängig machte, dass die Europäer ein weiteres Hilfspaket schnüren, das das Land über 2013 hinaus über Wasser hält. Die Anzeichen verdichten sich: Griechenland ist nicht illiquide, sondern insolvent Binnen Jahresfrist haben sich die Anzeichen weiter verdichtet, dass Griechenland insolvent, und nicht illiquide ist. Ist dies so, sind Kredite herausgeworfenes Geld, denn sie erhöhen den öffentlichen Schuldenberg, der im Zweifel nicht bedient werden kann. Schon im Frühjahr 2010 bestand die Vermutung, dass Griechenland zahlungsunfähig sein könnte. Und trotzdem waren Finanzhilfen zu dem Zeitpunkt gerechtfertigt, weil sie den Regierungen Zeit kauften, sich auf das schwierige Szenario einer Schuldenrestrukturierung vorzubereiten. Das war teure Zeit, die nicht genutzt wurde. Natürlich hat die Europäische Union in den vergangenen Monaten einiges erreicht. So sind zum Beispiel die Reformen der Governance Mechanismen der Eurozone vorangekommen und die Europäische Finanzaufsicht hat ihre Arbeit aufgenommen. Verpasst wurde indes, das Hilfspaket für Griechenland mit einer EU-unterfütterten Wachstumsstrategie so zu begleiten, dass Griechenland tatsächlich aus dem Schuldenberg herauswachsen würde oder eben die Europäische Währungsunion darauf vorzubereiten, dass ein Staatsbankrott ein verkraftbares und dadurch glaubwürdiges Szenario wird. Für letzteres wäre unter anderem ein Maßnahmenpaket nötig gewesen, das die Auswirkungen einer Schuldenrestrukturierung im europäischen Bankensektor begrenzt. Denkbar wären verschiedene Ansätze, etwa eine Rekapitalisierung einzelner Institute, der Aufbau eines europäischen Bankenauffangfonds oder eine Begrenzung der Verflechtungen im Bankensektor, beispielsweise durch eine Deckelung der Beteiligung an anderen Finanzinstituten. Jede Lösung mag Nachteile haben die Kosten des Abwartens sind im Zweifel jedoch noch höher. Denn heute ist eine Schuldenrestrukturierung mit geordneter Gläubigerbeteiligung kein absehbares Szenario für Griechenland. Wie hoch die Risiken derselben eingeschätzt werden, zeigen unter anderem die vehemente Ablehnung der EZB und die kritische Haltung des IWF. Ungeordneter Bankrott versus weitere Kredite aus Steuergeldern? Damit bleiben zwei Optionen übrig: Erstens ein ungeordneter Bankrott, der keineswegs auszuschließen ist, wenn Griechenland die politischen Auflagen nicht erfüllt. Denn immer deutlicher setzen die Geber ihre Konditionen, und immer schwieriger wird es, weitere Hilfspakete durch die nationalen Parlamente zu bekommen. Als Konsequenz eines Bankrotts wäre mit Instabilitäten im Bankensektor zu rechnen, die im Zweifel die Staatshaushalte durch Stützungsnotwendigkeiten teuer zu stehen kommen würden, sowie mit Ansteckungseffekten auf andere Staaten. Tritt letzteres ein, könnte die EU vor eine heute noch politisch negierte Option gestellt werden: den Zusammenhalt des Euro zu riskieren oder weitreichende Integrationsschritt wie die Einführung von Eurobonds zu beschließen, dies aber nicht sinnvoll vorbereitet, sondern im Zweifel übereilt. Die zweite Option wäre eine Fortsetzung der Geschichte, wie wir sie nunmehr gut kennen: weitere Kredite aus Steuergeldern gegen weitere Auflagen ein Weg, der die Frustration sowohl in den 5

Geber- als auch den Nehmerländern weiter steigern dürfte. Die politische Polarisierung in der Eurozone hat schon jetzt ein ungeheures Ausmaß erreicht, eine weitere Eskalation erschüttert die Währungsunion in ihren Grundfesten und macht es zunehmend unwahrscheinlich, dass auf Seiten der Geberländer keine weiteren Länder wie bereits die Slowakei aus dem Hilfspaket ausscheren. Bisher scheint es, als würde der Weg weiterer Kredite eingeschlagen. Mehr noch als vor einem Jahr gilt es, die so gewonnene Zeit politisch zu nutzen, um eine Schuldenrestrukturierung dann zur gangbaren Alternative zu machen. Dies dürfte nicht nur nötig sein, um das Schuldenproblem Griechenlands zu lösen, sondern ist nach wie vor eine entscheidende Komponente für das Funktionieren der Währungsunion, in der der Marktmechanismus neben dem politischen Regelwerk ein entscheidender Faktor zur Kontrolle unverantwortlicher Haushaltspolitik sein sollte. Berlin, 22.06.2011 Die Reform der Eurozone gestalten 18. Februar 2011 Von Daniela Schwarzer Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat tiefe Spuren in der Europäischen Union hinterlassen. Rezessionen, steigende Arbeitslosigkeit und Zusammenbrüche von Kreditinstituten forderten und fordern die Regierungen heraus. Die größtenteils marktgetriebene Verschuldungskrise des letzten Jahres, die uns fast den Euro gekostet hätte, hat grundsätzliche Fragen zum Funktionieren der Währungsunion auf die politische Agenda gebracht. Parallel zur Verabschiedung des Hilfspakets für Griechenland und zum Eurorettungsschirm wurde daher im Frühjahr 2010 ein breiter Reformprozess angestoßen. Am 24. und 25. März 2011 nun werden sich alle Augen (insbesondere die der Finanzmarktakteure) auf Brüssel richten. Beim ihrem Frühjahrsgipfel werden die Staats- und Regierungschefs Entscheidungen fällen, die die zukünftige Gestalt der Währungsunion entscheidend prägen. Im Vordergrund steht dabei die Gestaltung des Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM), also die Schaffung eines permanenten Rettungsfonds und eines geordneten Umschuldungsverfahrens. Diese Verhandlungen sind politisch eng verknüpft mit der künftigen Ausgestaltung der haushaltsund wirtschaftspolitischen Koordinierung über die seit September 2010 in einem entsprechenden Gesetzgebungsverfahren gerungen wird. An der Diskussion um die Schlussfolgerungen aus der Krise fällt eines besonders auf: Vorschläge aus der Wissenschaft, wie die Eurozone auf eine solidere Basis gestellt werden kann, und der politische Handlungswille der Regierungen fallen zunehmend auseinander. Immer mehr Beobachter sprechen sich für weitreichende Integrationsschritte aus. Von Politischer Union und Fiskalischem Förderalismus als unausweichlicher Konsequenz der Währungsintegration ist in Expertendiskussionen mit zunehmender Leichtigkeit die Rede. Während dessen beäugen viele Regierungsvertreter argwöhnisch die Reformvorschläge und verwerfen viele davon, etwa weil sie Souveränitätseinschränkungen implizieren oder ein höheres Maß an innergemeinschaftlicher 6

Solidarität und Risikoteilung bedeuten. In dem Maße, in dem der durch die Krise ausgelöste Schock in der öffentlichen Wahrnehmung verblasst, sinkt die politische Bereitschaft, in Reaktion auf die Krise die Währungsunion politisch zu stärken und die Mitgliedstaaten auf eine bessere Zusammenarbeit zu verpflichten. Und trotzdem: die Krise hat die Eurozone bereits jetzt maßgeblich verändert und in den kommenden Monaten werden weitere wichtige Reformentscheidungen getroffen. So hat sich in den letzten Monaten (endlich) die Einsicht verfestigt, dass die Eurozone einen besonderen Koordinierungsbedarf hat, der deutlich über den der EU mit ihren 27 Mitgliedern hinausgeht. Wenn Mitgliedstaaten ihre Währung vergemeinschaften, kann dies nur funktionieren, wenn die Märkte grenzüberschreitend besser funktionieren und im Falle der Finanzmärkte gemeinsam und besser überwacht werden. Auch muss ein verlässliches Maß an Kontrolle und Abstimmung der Haushaltspolitiken gewährleistet werden. Hinzu kommt: Da zwischen den Euro- Staaten der Wechselkurs als Anpassungsmechanismus weggefallen ist, sind andere Maßnahmen nötig, um Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit auszugleichen. Viel spricht dafür, die nationalen Wirtschafts-, Struktur-, Steuerpolitiken besser aufeinander abzustimmen. Dies können die Finanzminister allein nicht leisten. Die Eurogruppe braucht politische Verstärkung durch die 17 Chefs in Form eines Eurozonen-Gipfels. In diesem Frühjahr wird mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus die Grundlage dafür geschaffen, dass die Eurozonenstaaten Verschuldungskrisen innerhalb der Währungsunion nach Auslaufen des aktuellen Krisenmechanismus im Jahr 2013 weiterhin eingedämmt werden können. Deutschland selbst hat überdies einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit für die Eurozonenländer vorgeschlagen. An dessen Form und Inhalt ist Kritik berechtigt, doch die grundlegende Einsicht, dass innerhalb der Eurozone stärker politisch zusammen gearbeitet werden muss, ist richtig. Auch wenn kein Quantensprung an Integration zu erwarten ist die Eurozone wird als Kern in der 27er EU enger zusammen wachsen. Im Bereich der haushaltspolitischen Überwachung wird eine Weiterentwicklung des bisherigen Ansatzes geben: der regel- und sanktionsbasierte Stabilitäts- und Wachstumspakt wird gehärtet konkrete Vorschläge dafür hat die Europäische Kommission im vergangenen September auf den Tisch gelegt (siehe das entsprechende Gesetzespaket). Unwahrscheinlich ist, dass es zu einem wirklichen Automatismus in der Anwendung des Paktes kommt die Finanz- und Wirtschaftsminister werden aller Voraussicht nach das letzte Wort behalten. Und bei der Anwendung des Pakts in der Vergangenheit haben wir gesehen, dass die Bereitschaft der Finanzminister zur Kritik unter Freunden nicht besonders ausgeprägt war. Insgesamt liegt viel der politischen und öffentlichen Aufmerksamkeit auf der Reform des Pakts. Dabei wird vergessen, dass dieses Regelwerk auch bei Umsetzung der momentan diskutierten Reformen nur (mit etwas Glück) einen einzigen der derzeitigen Krisenfälle in der Eurozone hätte verhindern könne: Griechenland. Irland oder Spanien wären trotzdem in die Krise geraten, denn dort ist die Ursache für die haushaltspolitische Misere nicht etwa unverantwortliche Fiskalpolitik, sondern die sich über Jahre schlecht entwickelnde Wettbewerbsfähigkeit und die Probleme im Bankensektor. Für diese Mißstände können striktere Regeln für die haushaltspolitische Überwachung der Mitgliedstaaten logischer Weise keine Lösung sein. Aus diesem Grunde steht auch die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit auf der europäischen Reformagenda. Zwei der europäischen Gesetzesvorhaben, die sich momentan im Beratungsprozess befinden, befassen sich mit Mechanismen zur Überwachung und Kontrolle der makroökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone. Der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission könnte sowohl die Defizit- als auch die Überschussländer verpflichten, einen Beitrag zum Abbau der Ungleichgewichte zu leisten. Aber im Zuge der Verhandlungen scheint sich die Aufmerksamkeit doch vor allem auf die Defizitländer zu konzentrieren. Dazu hat auch der deutsch- 7

französische Vorschlag eines sogenannten Pakts für Wettbewerbsfähigkeit beigetragen, der die Mitglieder richtiger Weise zu mehr wirtschaftspolitischer Koordinierung verpflichten soll. Inhaltlich setzt der bisherige Vorschlag allerdings vor allem deutsche Maßstäbe. Dies wirft die Frage auf, wie gut eine wirtschaftspolitische Germanisierung der Eurozone ökonomisch wie politisch funktionieren kann. Beim vergangenen EU-Gipfel am 4. Februar 2011 lehnten einige EU-Partner den Vorschlag jedenfalls vehement ab. Zwei wichtige Fragen stehen dennoch nach wie vor im Raum: Kann erstens die ökonomische Divergenz in der Eurozone allein dadurch behoben werden, dass die Defizitländer ihre Politik neu ausrichten? Griechenland, das im Jahr 2010 in eine Wachstum-Schulden-Falle fiel, scheint zu illustrieren, dass dies nicht der Fall ist. Zweitens ist die Frage berechtigt, wie der Pakt für Wettbewerbsfähigkeit mit dem parallel entwickelten Mechanismus zur wirtschaftspolitischen Koordinierung verknüpft werden soll. Eine rein intergouvernementale Zusammenarbeit unter Ausgrenzung der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments ist jedenfalls keine zukunftsträchtige Lösung. Grundsätzlich drängt sich in der entscheidenden Phase des Reformprozesses, die die Eurozone gerade durchläuft, die Frage auf, ob die Staats- und Regierungschefs die eigentlichen Probleme der Eurozone überhaupt angehen. So ist es fraglich, ob mit den bald entschiedenen Maßnahmen zur wirtschaftspolitischen Koordinierung tatsächlich die Ungleichgewichte abgebaut werden können. Zu wenig Aufmerksamkeit wird derzeit auch dem Bankensektor gewidmet. Die Stresstests des letzten Sommers wurden scharf dafür kritisiert, dass sie eher der Vertuschung als der Identifikation von Risiken dienen, weil sie viel zu milde angelegt waren. Der Rekapitalisierungsbedarf im Bankensektor dürfte sehr viel höher liegen, als derzeit politisch eingestanden wird. Das bedeutet, dass eine weitere Welle von finanzieller Belastung auf die öffentlichen Haushalte zuläuft und dass der Prozess der Rekapitalisierung und Umstrukturierung politisch entschieden begleitet werden muss. Unter dem Druck der nächsten Runde der Krise dürfte sich die Europäische Agenda also erneut stark verändern. 8