Fragen zur Inklusion 1. Ist aus Sicht der Stadt Bielefeld die UN-Behindertenkonvention zur Inklusion ein Grundrecht, das nach der Ratifizierung durch die Bundesregierung geltendes Bundesrecht ist und daher insgesamt dem Länderrecht übergeordnet ist oder darf es unbeachtet bleiben, da es noch nicht in die Schulgesetzgebung eingeflossen ist und dies auch möglicherweise in nächster Zeit (Zeitkorridor 5 Jahre) nicht wird? Die UN-BRK hat Menschenrechtsstatus. Die Ratifizierung durch die Bundesrepublik Deutschland führt nicht automatisch dazu, dass föderale Zuständigkeiten der Länder außer Kraft gesetzt werden. Allerdings sind die Länder vom Bund vor der Ratifizierung beteiligt worden und somit sind auch die Länder verpflichtet, die UN-BRK umzusetzen bzw. ihre Landesgesetze auf Kompatibilität zu überprüfen. Das Land NRW hat dazu einen Aktionsplan noch für 2011 angekündigt. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist als gesamtgesellschaftliches komplexes Vorhaben längerfristig und schrittweise angelegt. Subjektive Rechtsansprüche werden erst durch gesetzgeberische Umsetzungsakte begründet. Bis dahin gelten die bisherigen gesetzlichen Grundlagen, wonach die zuständige Schulaufsichtsbehörde in jedem Einzelfall über den sonderpädagogischen Förderbedarf, die Förderschwerpunkte sowie den Förderort entscheidet. 2. Wie viele Kinder im Grundschulalter mit Förderbedarf werden zurzeit insgesamt an Bielefelder Schulen unterrichtet? Es ist zu differenzieren zwischen den Grundschulen und den 7 städt. und den 8 nicht-städtischen Förderschulen sowie in diesen Grundund Förderschulen zwischen 714 Bielefelder Kindern und 418 auswärtigen Kindern. 3. Ist der Stadt Bielefeld der Inhalt der Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage Nr. 33 der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen, benannt als Drucksache 14/9132 (im Netz über landtag.nrw nachzulesen), die sich ausführlich mit der Situation und Zukunft der sonderpädagogischen Förderung an Schulen in NRW befasst, bekannt? Ja. Verwaltungshandeln stützt sich aber auf Rechtsvorschriften, nicht auf politische Erklärungen. 4. Ist der Stadt Bielefeld bekannt, dass aus dieser Antwort hervorgeht, dass in Bielefeld jahresdurchschnittlich 1.100 Kinder mit Förderbedarf im Grundschulalter unterrichtet werden? 1
Diese Zahlen sind selbstverständlicher Bestandteil der Schulentwicklungsplanung in Bielefeld, die Zahlen von IT.NRW berücksichtigt, deren sich auch das MSW bedient. Auch bei dieser Zahl ist zu differenzieren zwischen Schülern/innen aus Bielefeld und auswärtigen Schülern, insbesondere in nicht-städt. Schulen, für die die Stadt Bielefeld bei Umsetzung der Inklusion unter dem wichtigen Aspekt der Wohnortnähe nicht zuständig ist. 5. Kann man von einem 2/3 Teil, also ca. 700 Kindern mit Förderbedarf, die mit Einführung der UN-Konvention zur Inklusion an allgemeinbildenden Grundschulen zu unterrichten sind ausgehen oder werden es eher mehr oder weniger sein? Mit der Zahl 700 ist von der Stadt Bielefeld kürzlich die Zahl behinderter Bielefelder Schüler/innen in städt. und nicht-städt. Förderschulen im Schuljahr 2009/10 beziffert worden. Sie ist nicht als Quote zu verstehen, in welchem Umfang nach Meinung der Stadt Bielefeld behinderte Schüler/innen in allgemeinen Schulen inklusierbar sein werden. Für die Umsetzung der Inklusion in Bielefelder Grundschulen sind für die Stadt Bielefeld nur Bielefelder Schülerinnen und Schüler von Relevanz. Alle anderen fallen in die Zuständigkeit ihrer Heimatgemeinden (Grundsatz der Wohnortnähe). Je nach Förderschwerpunkt wird die Inklusion behinderter Kinder leichter oder schwieriger möglich sein. Für die Grundschul-SEP sollte von vielen Kindern ausgegangen werden, um planerisch auf der sicheren Seite zu sein. Das sind im Schuljahr 2010/11 maximal 543 Bielefelder Kinder unterschiedlicher Förderbedarfe. Diese Momentaufnahme dient zur planerischen Orientierung über Quantitäten. 6. Ist der Stadt Bielefeld bekannt, dass in der Antwort auf die Anfrage Nr. 33 die durchschnittliche Größe von Grundschulklassen an allgemeinen Schulen in denen Schüler-/innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet werden, mit 23,3 Kindern beziffert wird? Der sog. Gemeinsame Unterricht behinderter und nicht-behinderter Kinder in Grundschulen ( 20 Abs. 7 SchulG) ist (noch) nicht das Ziel der Inklusion, kann aber als ein Weg dorthin betrachtet werden. Das in Bielefeld zwischen Grundschulen, Schulaufsicht und Schulträger abgestimmte GU-Konzept geht von max. 25 Kindern in GU-Klassen aus, davon ca. 5 (± 1) mit sonderpädagogischem Förderbedarf. 7. Ist der Stadt Bielefeld die derzeitige durchschnittliche Größe von Schulklassen an den hier in Rede stehenden 47 allgemeinen und öffentlichen Grundschulen bekannt und 2
kann sie diese unter Berücksichtigung der derzeitigen Situation, dass 11506 Kinder in 497 Klassenverbänden beschult werden, beziffern? Ja, 23,2. Die Basiszahlen werden in den jährlich veröffentlichen Klassenbesetzungsübersichten der städt. Grundschulen benannt. 8. Kann die Stadt Bielefeld angeben, wie viele reine Klassenräume (ohne Einrechnung von Mehrzweck- oder sonstiger Hilfsräumen) nach Schließung von fünf zur Zeit in Rede stehenden Bielefelder Grundschulen noch an den verbleibenden 42 Schulen zur Verfügung stehen? Aufgrund des ergebnisoffenen Grundschulmoratoriums stehen derzeit keine konkreten Grundschulen zur Schließung an. Sollten Grundschulen geschlossen werden, kann der wegfallende bzw. verbleibende Bestand von Klassenräumen jederzeit konkret beziffert werden (siehe dazu auch die von der Stadt Bielefeld jährlich erstellten Klassenbesetzungsübersichten, die für allgemeinbildende Schulen auch ein Raumkataster enthalten). 9. Ist der Stadt Bielefeld bekannt, dass aus der Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage Nr. 33 hervorgeht, dass für inklusive Beschulung nicht nur Barrierefreiheit in den Köpfen der Handelnden, sondern auch an den schulischen Baukörpern zwingend gefordert wird? Selbstverständlich ist die bauliche Barrierefreiheit zu beachten. Sie ist allerdings nach Einschätzung von Behindertenorganisationen im Vergleich zur nötigen Überwindung der Barrieren in den Köpfen und zur Schaffung der pädagogischen Voraussetzungen in den Schulen das ungleich kleinere Problem. 10. Ist der Stadt Bielefeld bekannt, dass aus der Antwort der Landesregierung auf die große Anfrage Nr. 33 hervorgeht, dass die Kommunen zur Herstellung von Barrierefreiheit an ihren Schulen Landesfördermittel aus dem Konjunkturpaket II offeriert und zur Abrufung bereit gestellt wurden? Das mag in der Antwort zur großen Anfrage so formuliert sein, war zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verwendung der Mittel des Konjunkturpakets 2 in Bielefeld Mitte 2009 aber als schwerpunktmäßiger Verwendungszweck irrelevant, weil der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für den Schulbereich besitzt. In Anbetracht der lan- 3
ge Zeit unsicheren Grundgesetzänderung sind KP-2-Mittel deshalb nur für Maßnahmen in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingesetzt worden. Deshalb wurden KP-2-Mittel für Schulen in Bielefeld vor allem für energetische Sanierungen eingeplant. Erst nach Grundgesetzänderung wurde der Verwendungszweck im Schulbereich erweitert, dazu gehört u.a. die Herstellung von Barrierefreiheit, allerdings stets im Zusammenhang mit Schulsanierung. 11. Sind durch die Stadt Bielefeld zur Herstellung von Barrierefreiheit an ihren Schulen Landesfördermittel aus dem Konjunkturpaket II angefordert und verwandt worden? Nicht explizit, siehe zu 10. 12. Sind also alle 47 öffentlichen und allgemein bildenden Grundschulen barrierefrei, d.h. können sie ebenerdig, ohne Treppenaufgänge betreten und auch durch Notzugänge verlassen werden? Sind deren Toilettenanlagen barrierefrei erreichbar? Nein. Eine möglichst umfassende Barrierefreiheit wird wichtiges Ziel im Rahmen der langfristig zu sehenden Realisierung der Inklusion sein. 13. Wenn nein, wie viele dieser Schulen (ohne Namen) haben hier noch Ausbaubedarfe? An allen Schulen werden bauliche Maßnahmen erforderlich sein, je nachdem, welche individuellen Bedarfe die Schülerschaft hat. Allerdings dürfte aus Sicht der Eltern behinderter Kinder eine möglichst zügige Umsetzung der Inklusion der Vorzug zu geben sein. Ein Abwarten, bis zunächst überall barrierefrei umgebaut ist, entspricht nach Aussage des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung weder dem Wunsch der Eltern behinderter Kinder noch der Intention der UN-BRK. 14. Wenn es hier noch Ausbaubedarfe gibt und hierzu Landesfördermittel aus dem Konjunkturpaket II nicht beantragt wurden, stellt sich die Frage mit welchen finanziellen Mitteln die Stadt Bielefeld an diesen verbleibenden Schulen Barrierefreiheit herstellen will? Die Kosten der erforderlichen Maßnahmen wurden bisher nicht flächendeckend kalkuliert. Das ist auch derzeit nicht zweckmäßig, weil bei der Umsetzung der Inklusion schrittweise vorgegangen werden muss. Sobald in konkreten Schulen Bedarfe erkannt werden, werden Maßnahmen geplant und Kosten ermittelt. Die Finanzierung wird unter Berücksichtigung der zurzeit noch ungeklärten Kostenverteilung 4
zwischen Bund, Ländern und Schulträgern zu klären sein. Der Städtetag geht aktuell von voll auskömmlicher Finanzierung aus (Konexitätsgrundsatz). 15. Wenn auf Grund fehlender Haushaltmittel an einzelnen Grundschulen keine Barrierefreiheit hergestellt werden kann, wird es dann in Bielefeld Schulen 1.Klasse geben, in denen Schüler mit einer Klassenfrequenz von ca. 23 Kindern und aber auch Schulen 2.Klasse geben, die mit Klassenfrequenzen im Höchstwert von 30 Kindern unterrichtet werden? Die Inklusion führt nicht zu Schulen 1. und 2. Klasse. Unterschiedliche Klassenfrequenzwerte im Rahmen des rechtlich zulässigen sind keine qualitative Klassifizierung von Schulen. Aus rechtlichen Gründen besteht bekanntlich Handlungsbedarf, wenn die Klassenbildung im Bereich eines Schulträgers deutlich von den landesrechtlichen Vorgaben abweicht, wie das in Bielefeld derzeit der Fall ist. 16. Es stehen derzeit öffentliche und allgemein bildende Grundschulen im Fokus der Grundschuldiskussion, an denen zumindest zum Teil schon jetzt Barrierefreiheit besteht und die zudem bereits eine langjährige Erfahrung in einem der inklusiven Beschulung ähnlichen, integrativen Unterricht hat. Eine Umsetzung der UN-Konvention zur Inklusion wäre hier seitens des Baukörpers kostenneutral. Das pädagogische Personal könnte die gewonnen Erfahrungen unmittelbar einbringen. Wie erklärt die Stadt Bielefeld diese Vernachlässigung pädagogischer und haushaltspolitischer Aspekte, zudem bei der Schließung einer dieser Grundschulen erhebliche Schülerbeförderungskosten entstehen und Landesfördermittel in sechsstelliger Höhe bei Entfall der Zweckbestimmung Schule zurück gezahlt werden müssen. Bielefeld, 03.03.2011 Die Inklusion ist perspektivisch grundsätzlich Aufgabe aller Schulen, und zwar - wichtig!- jeweils in Wohnortnähe der Schüler/innen! In den bisherigen Überlegungen standen solche für konkret betroffene Schüler/innen wohnortnahen Schulstandorte, in denen heute schon inklusionsähnliche pädagogische Konzepte umgesetzt werden, nicht zur Debatte. Im Übrigen setzt die Umsetzung der Inklusion die jeweils bestehenden schulrechtlichen Vorschriften zur Mindestgröße von Schulen und Klassen nicht außer Kraft. beantwortet 09.03.2011 Stadt Bielefeld Der Oberbürgermeister Amt für Schule Georg Müller 5