Deutschlands OP-Statistik ist mangelhaft!

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BAO Ausgabe 32 April 2014 www.operieren.de Mitteilungen des Bundesverbandes Ambulantes Operieren BAO e. V. Vergleich von OECD-Daten durch die IAAS: Deutschlands OP-Statistik ist mangelhaft! Die Erfassung der ambulanten und stationären Operationsfälle in Krankenhäusern und Tageskliniken ist dringend zu verbessern. Von Prof. Jost Brökelmann Zusammenfassung: Die International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) hat erneut einen internationalen Vergleich ambulant und stationär durchgeführter Operationen veröffentlicht. Methodik: Basis für den Vergleich waren die Kriterien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), also OP-Fälle und Einteilung derselben in stationäre Fälle, Tagesfälle und ambulante OP-Fälle. Die KBV stellte die nötigen Daten für 37 Vergleichsoperationen zur Verfügung. Ergebnisse: Bislang fehlten bei den OECD-Daten alle ambulanten Operationen aus dem vertragsärztlichen und privatärztlichen Bereich. Dadurch war es etwa möglich, dass die große Mehrheit aller Kataraktoperationen aus Deutschland in der OECD-Statistik nicht erschien. Nach Berücksichtigung der neuen Daten für den EBM-Abrechnungsbereich fällt Deutschland durch eine hohe Rate von Operationen bezogen auf 100.000 Einwohner und besonders niedrige Raten ambulanter Operationen auf. Schlussfolgerungen: Die niedrige Rate ambulanter Operationen ist wahrscheinlich durch eine im internationalen Vergleich beschämend niedrige Vergütung verursacht. Eine Reform der Vergütung des Ambulanten Operierens ist dringend erforderlich. Außerdem sollte in Deutschland eine gesetzliche Grundlage für eine nationale Operationsstatistik nach internationalem Standard geschaffen werden. Einleitung Die Basisdaten der deutschen Operationsstatistiken stammen aus Abrechnungsdaten, so zum Beispiel die DRG- [1, 2] und K2-Statistik [3]. Es werden also keine Daten aus einer eigens geführten Operationsstatistik herangezogen, wie es früher bei den sogenannten OP-Büchern der einzelnen Krankenhäuser der Fall war; letztere dienten der Qualität der Versorgung. Bei der Nutzung von Abrechnungsdaten handelt es sich also um eine Sekundärnutzung vorhandener Daten, die eine besonders sorgfältige Evaluierung erfordern. In Deutschland werden alle stationär durchgeführten Operationen unabhängig vom Versichertenstatus der Patienten nach DRG abgerechnet [4]. Aus diesen Abrechnungsdaten wurden bislang für die Darstellung der Operationshäufigkeit Inhalt BAO Präsidium Vergleich von OECD-Daten: Deutschlands OP-Statistik ist mangelhaft! 1 BAO Positionen Bundeskongress Chirurgie: Bleibt das Patientenwohl auf der Strecke? 7 DGUV und PKV: Verlässliche Partner für das Ambulante Operieren? 10 BAO Recht Höchstrichterliche Bestätigung für Politik gegen freiberufliche Ärzte 12 BAO Qualität Patientensicherheit: Anästhesie als unliebsamer Kostenfaktor 14 Ambulante Kinderchirurgie: Beste Versorgung für kleine Patienten 16 BAO Partner Krankentagegeldversicherung für Ärzte und Zahnärzte 18 BAO Regional AOP-Kurse für MFA: Sonderkonditionen für BAO-Mitglieder 19 Fortsetzung auf Seite 2

BAO Präsidium die Zahl der operativen Prozeduren veröffentlicht [5]. Nach den deutschen Kodierrichtlinien sind für die Abbildung komplexer Eingriffe und Teilmaßnahmen alle signifikanten operativen Eingriffe und medizinische Prozeduren, die vom Zeitpunkt der Aufnahme bis zur Entlassung erfolgen und im amtlichen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) abbildbar sind, von den Krankenhäusern zu verschlüsseln. Da jedoch im Durchschnitt rund zwei operative Prozeduren pro Patient, sprich pro Fall, nachgewiesen werden, liegt die Zahl der operierten Fälle etwa um die Hälfte niedriger als die veröffentlichte Zahl der Operationen. Auf diese Tatsache wurde mehrfach hingewiesen [6,7]. Ambulant nach 115b SGB V abgerechnete Operationen werden in der K2-Statistik nicht nach Prozeduren, sondern nach Fällen, also behandelten Patienten, abgerechnet. Die K2-Statistik liefert demnach schon fallbezogene Daten. Für eine bundesweite Gesamtstatistik fehlen insbesondere alle Operationsdaten aus dem vertragsärztlichen Bereich (EBM der KBV), alle Daten aus der Gesetzlichen Unfallversicherung sowie alle Daten von privatärztlich abgerechneten ambulanten Operationen. Außerdem fehlen bevölkerungsbezogene Daten, unter anderem die Zahl der Eingriffe pro 100.000 Einwohner, die für eine solide Gesundheitsplanung unerlässlich sind, sowie die Angaben zur Häufigkeit der einzelnen Operationsarten, das heißt, wie viele der Operationen ambulant und wie viele stationär durchgeführt wurden. Es gibt allerdings zwei Fortschritte aus dem vergangenen Jahr zu vermelden: 1. Im Jahre 2013 gab es erstmals seit 2004 mit Hilfe der IAAS fallbezogene Daten von der KBV für 37 ambulante Operationen [8]. Dies sind die 37 Operationen des IAAS- Korbs (basket) ambulanter Operationen, der alle zwei Jahre von der IAAS zusammen gestellt wird. 2. Für vollstationär durchgeführte Operationen werden im Rahmen der OECD-Daten für Deutschland erstmalig seit 2011 rückwirkend bis 2005 nicht mehr maßnahmen-, sondern fallbezogene Informationen veröffentlicht [9]. Mit den jetzt von der KBV zur Verfügung gestellten Daten konnte Deutschland wieder am internationalen Vergleich der 37 Standard-Operationen der IAAS teilnehmen. Tabelle 1: Zahl der OP-Fälle in verschiedenen chirurgischen Einheiten, Deutschland 2011 Stationäre OP-Fälle Die meisten Krankenhäuser, sog. DRG-Krankenhäuser (Quelle: OECD-Statistik) 6.962.712 1 Krankenhäuser der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) keine Statistik verfügbar k. A. Summe der stationären OP-Fälle 6.962.712 Ambulante OP-Fälle Ambulante Operationen am Krankenhaus (Quelle: K2-Statistik) 1.864.222 Ambulante OP-Fälle (Quelle: EBM-Statistik) 3.921.978 Ambulante Operationen von Privatpatienten Schätzung aufgrund des 10 %-Bevölkerungsanteils Privatversicherter keine Statistik verfügbar 578.620 Kosmetische Chirurgie (laut Angaben der DGPRÄC 2012) 138.500 Ambulante OP-Fälle aufgrund von Privatverträgen mit Krankenkassen (IV-Verträge u. a.) Keine Statistik verfügbar k. A. Ambulante OP-Fälle der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) keine Statistik verfügbar k. A. Summe der OP-Fälle in Krankenhäusern und Tageskliniken 6.493.320 Summe aller OP-Fälle (ambulant und stationär) 13.456.032 Prozentsatz Ambulantes Operieren < 50 % 1 Statistisches Bundesamt, Schreiben vom 28.03.2013 2 BAO Depesche Ausgabe 32 April 2014

BAO Präsidium Methodik Es wurden folgende OECD-Definitionen [10] benutzt: 1. OP-Fall. Nur ein Prozeduren-Code pro Prozeduren- Kategorie pro Fall. 2. Stationäre Fälle. Formal im Krankenhaus aufgenommen, dort wenigstens eine Nacht verbracht. 3. Tagesfälle. Formal im Krankenhaus aufgenommen, am selben Tag entlassen. 4. Ambulante OP-Fälle. Nicht in einem Krankenhaus aufgenommen. Operationen werden außerhalb eines Krankenhauses in einer Tagesklinik oder einer Notfall- Ambulanz des ambulanten Sektors durchgeführt. Die fallbezogene Zahl der stationären operativen Eingriffe für das Jahr 2011 wurde aus der DRG-Statistik entnommen [11], die Zahl der ambulanten Operationen am Krankenhaus aus der K2-Statistik [3]. Die fallbezogenen Daten zu 37 ambulanten Operationen aus dem vertragsärztlichen Bereich (EBM) hat die IAAS von der KBV auf Anforderung erhalten. Ebenso erhielt der BAO die Gesamtzahl der ambulanten Operationen nach EBM von der KBV. Die Operationszahlen aus privatärztlicher Behandlung wurden auf Basis eines zehnprozentigen Anteils der Privatversicherten an der Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Die Zahlen für kosmetische Operationen stammen aus einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) [12]. Keine Operationszahlen erhielten wir von der Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und zu Selektivverträgen zwischen Vertragsärzten und Krankenkassen. Ergebnisse Zahl der Operationen in Deutschland: In Tabelle 1 ist die Zahl der Operationsfälle in Deutschland aus verschiedenen Statistiken zusammen gestellt. Die durchschnittliche Rate von ambulanten Operationsfällen ist mit 50 Prozent auffallend niedrig im Vergleich zu anderen Industriestaaten, in denen diese Raten 80 bis 93 Prozent erreichen [13]. Operationszahlen im internationalen Vergleich: Sechs europäische Länder erfüllten die Kriterien der OECD nach fallbezogenen Daten und konnten somit miteinander verglichen werden [8]: Tabelle 2 zeigt die Häufigkeit ambulanter Operationen pro 100.000 Einwohner, Tabelle 3 die Impressum BAO Depesche Organ des Bundesverbandes Ambulantes Operieren (BAO) Herausgeber und verantwortlich für den Inhalt Bundesverband Ambulantes Operieren (BAO) e. V. Sterntorbrücke 1, 53111 Bonn Tel.: 0228 692423, Fax: 0228 631715 baobonn@t-online.de www.operieren.de Verlag, Anzeigen und Vertrieb VMK Verlag für Medizinkommunikation GmbH Deichstraße 6, 25335 Elmshorn info@vmk-online.de, www.vmk-online.de Redaktionsleitung Antje Thiel Tel.: 04121 7007676, Fax: 04121 7007677 antje.thiel@vmk-online.de Anzeigenleitung Kirstin Reese Tel.: 040 97078360, Fax: 040 97078361 kirstin.reese@vmk-online.de Schriftleitung Dr. Jörg Hennefründ, Oldenburg (BAO-Pressereferent) Grafik und Layout Stefan Behrendt, bbpm Mediendesign Schaapkamp 9 a, 22927 Großhansdorf Tel.: 04102 2177223, Fax / UMS: 0322 24130986 stefan.behrendt@bbpm.de, www.bbpm.de Druck Strube Druck & Medien OHG Stimmerswiesen 3, 34587 Felsberg Tel.: 05662 94 87-0, Fax: 05662 9487-288 info@ploch-strube.de, www.ploch-strube.de Haftung Verlag, Herausgeber und Redaktion können trotz sorgfältiger Prüfung keine Haftung für die Richtigkeit der Veröffentlichung übernehmen. Mit Namen gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Der Leser und Anwender ist verpflichtet, insbesondere Dosierungsangaben und Applikationsformen im Einzelfall selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Urheberrechte Alle in dieser Depesche erscheinenden Beiträge sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form vervielfältigt werden. Druckauflage und Erscheinungsweise 1.500 Exemplare, erscheint dreimal pro Jahr. www.operieren.de 3

BAO Präsidium Häufigkeit ambulanter Operationen im Vergleich zu stationärer Versorgung. Deutschland hat eine hohe Operationshäufigkeit pro Einwohner (orange markiert in Tabelle 2) und eine auffallend niedrige Rate an ambulant durchgeführten Operationsfällen (orange markiert in Tabelle 3). abgerechneten Kataraktfälle sind in den 78 Prozent noch nicht enthalten. Die Fehlerquote dürfte deshalb eher um 86 Prozent liegen. Konsequenzen aus der vorliegenden OP-Statistik: Diskussion Datenerfassung: Die veröffentlichte Statistik der IAAS zeigt, dass bei Zugrundelegung der OECD-Kriterien die untersuchten Gesundheitssysteme gut miteinander verglichen werden können. Die Ergebnisse laden zu Diskussionen innerhalb der nationalen Gesundheitssysteme ein und werden letztendlich zu Verbesserungen führen. Bei den Angaben aus Deutschland führte das Fehlen der vertragsärztlichen Operationsfälle nach EBM dazu, dass etwa bei den Kataraktfällen im Jahre 2011 nur 137.052 Fälle der OECD gemeldet und die 625.922 Fälle aus dem vertragsund belegärztlichen Bereich nicht berücksichtigt wurden. Damit fehlten bei den OECD-Zahlen für Deutschland 78 Prozent aller Kataraktfälle und mehr, denn alle privatärztlich 1. 2. 3. 4. 5. In Zukunft sollten für internationale Studien nur noch fallbezogene Statistiken nach OECD-Kriterien erstellt werden. Die KBV sollte fallbezogene Daten für alle nach EBM abgerechneten Operationsarten veröffentlichen und an die OECD weiterleiten. Die PKV sollte ebenfalls eine fallbezogene Statistik über ambulante Operationen einschließlich der kosmetischen Operationen erstellen und veröffentlichen. Auch die Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) sollte Statistiken veröffentlichen, sofern die Operationen nicht bei der Krankenhausstatistik berücksichtigt werden. Die Krankenkassen sollten eine OP-Statistik der Operationen und Prozeduren veröffentlichen, die unter anderem im Rahmen von Selektivverträgen erfolgten. Tabelle 2: Häufigkeit verschiedener Operationen im internationalen Vergleich England Finnland Deutschland Schottland Schweden Dänemark Bevölkerung in Millionen 53,01 5,43 82,03 5,25 9,51 5,57 Katarakt-Operation 636 789 930 661 824 813 Tonsillektomie 86 168 201 32 81 88 Nasenplastik 3 42 312 2 40 46 Chirurgische Zahnentfernung 207 39 137 95 58 43 Ausschabung der Gebärmutter 100 45 148 115 190 161 Knie-Arthroskopie 18 42 476 k. A. 62 41 Arthroskopische Meniskus-Operation 196 223 364 k. A. 140 173 Metallentfernung Knochen 65 90 270 54 206 259 Karpaltunnelsyndrom 98 136 242 94 36 69 Brustknoten 41 64 119 28 75 99 Dupuytren-Operation 19 27 163 23 2 0,6 Cholezystektomie laparoskopisch 125 127 k. A. 88 114 92 Leistenbruch 140 205 260 115 172 157 Koloskopie mit oder ohne Biopsie 595 35 422 k. A. 668 1604 Kolonpolypentfernung 209 1 147 k. A. 87 113 Varizen-Operation 25 79 238 36 94 185 Auswahl: Mindestens 97.000 Operationen pro Jahr in Deutschland. Häufigkeit bezogen auf 100.000 Einwohner nach den neuen Kriterien der OECD orangefarben = häufigste Operation 4 BAO Depesche Ausgabe 32 April 2014

BAO Präsidium 6. 7. In Deutschland sollte eine gesetzliche Grundlage für eine bundesweite Operationsstatistik nach internationalem Standard geschaffen werden. Um in den Abrechnungsdaten den Fallbezug herstellen zu können, sollte von den Operateuren die Hauptprozedur der jeweiligen Operationsart benannt werden, wie es bis 2004 üblich war. BAO-Ehrenpräsident Sterntorbrücke 1, 53111 Bonn Tel.: 0228 692423 Fax: 0228 631715 jost@broekelmann.org Prof. Jost Brökelmann Fragen zur Häufigkeit der Operationen in Deutschland: Das Bundesgesundheitsministerium lässt zurzeit überprüfen, ob und aus welchen Gründen in Deutschland zu viel operiert wird. Für diese Prüfung dürften die jetzt vorgelegten Daten von Bedeutung sein. Zur Frage der niedrigen Raten ambulant durchgeführter Operationen: Der Hauptgrund für die niedrige Rate ambulanter Operationen in Deutschland ist aus Sicht der Operateure und Anästhesisten die zu niedrige Vergütung ambulanter Operationen und Anästhesien: Ambulante Operationen werden nämlich in Deutschland so niedrig vergütet wie in keinem anderen verglichenen Land, das heißt nur zu durchschnittlich 25 Prozent der DRG-Vergütung [14, 15]. Dieses gilt sowohl für das Krankenhaus als auch für spezialisierte Arztpraxen (Praxis-, Tageskliniken, MVZ, AOZ, etc.). Im Gegensatz zu Deutschland gewähren viele andere Länder eine gleich hohe Vergütung der Operationsleistung unabhängig davon, ob die Operation nun ambulant oder stationär durchgeführt wird. Falls aus medizinischen Gründen eine stationäre Versorgung notwendig ist, werden die Kosten für die Betreuung im Krankenhaus zusätzlich vergütet. Die Folgen dieser schlechten Vergütung sind in Deutschland: Tabelle 3: Rate ambulanter Operationen im internationalen Vergleich England Finnland Deutschland Schottland Schweden Dänemark Bevölkerung in Millionen 53,01 5,43 82,03 5,25 9,51 5,57 Katarakt-Operation 98 % 99 % 80 % 96 % 98 % 99 % Tonsillektomie 38 % 70 % 4 % 29 % 41 % 37 % Nasenplastik 31 % 65 % 25 % 32 % 62 % 68 % Chirurgische Zahnentfernung 95 % 90 % 65 % 97 % 95 % 95 % Ausschabung der Gebärmutter 88 % 69 % 53 % 91 % 75 % 95 % Knie-Arthroskopie 83 % 83 % 24 % k. A. 86 % 95 % Arthroskopische Meniskus-Operation 84 % 94 % 51 % k. A. 96 % 97 % Metallentfernung Knochen 64 % 74 % 34 % 74 % 75 % 90 % Karpaltunnelsyndrom 96 % 93 % 74 % 98 % 93 % 95 % Brustknoten 60 % 36 % 7 % 33 % 44 % 53 % Dupuytren-Operation 82 % 90 % 76 % 77 % 71 % 89 % Cholezystektomie laparoskopisch 32 % 28 % k. A. 20 % 22 % 63 % Leistenbruch 66 % 63 % 14 % 63 % 74 % 82 % Koloskopie mit oder ohne Biopsie 94 % 19 % 0,3 % k. A. 86 % 96 % Kolonpolypentfernung 95 % 12 % 0,2 % k. A. 89 % 98 % Varizen-Operation 79 % 85 % 52 % 69 % 94 % 99 % Prozentsatz der ambulant durchgeführten Operationen; von der jeweiligen Operationsart müssen mindestens 97.000 Operationen pro Jahr in Deutschland stattgefunden haben orangefarben = niedrigste Rate ambulanter Operationen www.operieren.de 5

BAO Präsidium»» Im Krankenhaus werden Operationen aus wirtschaftlichen Gründen eher stationär durchgeführt, da dann bis zu viermal höhere Einkünfte erzielt werden. Niedergelassene Ärzte lassen ebenfalls aus wirtschaftlichen Erwägungen viele unzureichend vergütete Operationen im Krankenhaus operieren. Dadurch kann das Krankenhaus zwar mehr operieren, jedoch erfolgt dies hauptsächlich stationär. Dies führt in einen Teufelskreis steigender Zahlen stationär durchgeführter Operationen. Auslöser dieser teuren Entwicklung ist die zu niedrige Vergütung des Ambulanten Operierens. Literatur 1. Statistisches Bundesamt (Destatis): Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik). Operationen und Prozeduren der vollstationären Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern ausführliche Darstellung, 25. 10. 2011. http://tinyurl.com/pmgbccq 2. Operationen und Prozeduren der vollstationären Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern. Gliederungsmerkmale: Jahre, Behandlungsort, Alter, Geschlecht. http://tinyurl.com/peqj7u3 3. Ambulante Operationen im Krankenhaus bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, Leistungsfälle (Anzahl). Gliederungsmerkmale: Jahre, Geschlecht, Kassenart, Versichertengruppe. http://tinyurl.com/pjczdkh Ausblick Nur wirtschaftlich berechnete Gebühren, die die entstandenen Kosten in effizient operierenden Einheiten decken, können gewährleisten, dass es zu einem fairen Wettbewerb um Qualität und Effizienz der Betreuung zwischen den verschiedenen Operationseinheiten kommen kann. Die wirtschaftlichen Berechnungen der Gebührenordnung müssten durch ein unabhängiges Institut erarbeitet und jährlich angepasst werden. Ob die Vergütungen in Form von ambulanten DRG, wie international üblich und auch im SGB V vorgesehen, oder als Einzelleistungsvergütung nach GOÄ berechnet werden, sollte ebenfalls durch unabhängige Expertise geklärt werden. Über mögliche Konstruktionsfehler der DRG hat kürzlich Simon berichtet [16]. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik), Fachserie 12, Reihe 6.4. http://tinyurl.com/qcupwdz Zahl der Operationen in Krankenhäusern auf Rekordhoch. Dtsch Arztebl 24.10. 2013. http://tinyurl.com/mdc4jo6 Brökelmann J: Zahl der Operations-Fälle 2006 es fehlen exakte Daten. Bundesweite Statistik von Operationen und Prozeduren wünschenswert. ambulant operieren 2008; 3: 141 5. http://tinyurl.com/nwerup5 Brökelmann J: Deutschland fehlt eine Operationsstatistik nach internationalem Standard. Bislang gibt es nur Statistiken einzelner Institutionen im Rahmen der jeweiligen Abrechnungssystematik das ist eindeutig zu wenig. BAO Depesche 2011; 22. April: 10 1. http://tinyurl.com/olnjwqb Brökelmann J, Toftgaard C: Survey on incidence of surgical procedures and percentage of ambulatory surgery in 6 European countries. ambulatory surgery 2013; 19. 4: 116 20. http://tinyurl.com/qhghsd7 OECD. Health Care Utilisation: Surgical procedures (shortlist). http://stats.oecd.org Statistics Health Health Care Utilisation Surgical procedures (Shortlist) www.vmk-online.de 10. OECD. Health Care Utilisation: Surgical procedures (shortlist). http://tinyurl.com/q9zf8rl 11. Statistisches Bundesamt. Zahl der Fälle mit Operationen nach Kapitel 5, OPS. Fachserie 12, Reihe 6.4, Tab. 1.1 BAO Depesche Online-Archiv und Aktuelles aus dem Verlag ChirurgenMagazin VMK Verlag für Medizinkommunikation GmbH 12. DGPRÄC. Schönheit ist nicht alles! DGPRÄC veröffentlicht Statistik zu ästhetischen Operationen. Pressemitteilung vom 11. 06.13. http://tinyurl.com/pj5u7u8 13. Toftgaard C: Day Surgery Activities 2009. International Survey on Ambulatory Surgery conducted 2011. ambulatory surgery 2012; 17.3: 53 63. http://tinyurl.com/pssosmy 14. Lemos P: Financing Day Surgery An International Perspective. ambulatory surgery 2012; 18,2: 29 38. http://tinyurl.com/px4xmoh 15. Vescia F: Vergütung ambulant und stationär durchgeführter Operationen in Bayern. Angleichung an die Fallpauschalen der DRG erstrebenswert. ambulant operieren 2008; 4: 184 6. http://tinyurl.com/nenrxcp 16. Simon M: Das Deutsche DRG-System Grundsätzliche Konstruktionsfehler. Dtsch Arztebl 2013; 110 (39): A 1782 6. http://tinyurl.com/qh97qhm 6 BAO Depesche Ausgabe 32 April 2014

BAO Positionen Bundeskongress Chirurgie: Bleibt das Patientenwohl auf der Strecke? Patienten stehen nicht mehr im Mittelpunkt des Gesundheitswesens, und auch die ärztliche Kunst gerät zunehmend ins Hintertreffen. Von Antje Thiel Vom 21. bis 23. Februar fand in Nürnberg der Bundeskongress Chirurgie 2014 statt, der jährlich gemeinsam vom Berufsverband Niedergelassener Chirurgen (BNC), dem Bundesverband Ambulantes Operieren (BAO) und dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen (BDC) ausgerichtet wird. Medizinjournalistin und Redakteurin der BAO Depesche Deichstraße 6, 25335 Elmshorn Tel.: 04121 7007676 Fax: 04121 7007677 antje.thiel@vmk-online.de Antje Thiel Seit 1992 nur noch Kostendämpfungsgesetze Bei der Eröffnungssitzung zog BNC-Präsident Dr. Dieter Haack, der seine berufliche und berufspolitische Laufbahn Ende 2014 beenden wird, eine Bilanz aus 30 Jahren chirurgischer Arbeit: Als ich vor 30 Jahren in die Praxis meines Vaters einstieg, war die Welt für uns Ärzte noch in Ordnung. Es gab keine Budgets, und jede Leistung wurde einzeln vergütet. Haus- und Fachärzte: Weiter gespaltene Lager BAO-Präsident Dr. Axel Neumann bemängelte am Koalitionsvertrag vor allem, dass er die Spaltung und Zwietracht zwischen Haus- und Fachärzten eher weiter schüren als beenden werde: Die hausarztzentrierte Versorgung wird weiter gefördert, Fachärzte wiederum werden mit Terminvorgaben gegängelt. Mit dem Antritt von CSU-Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer 1992 habe sich die Situation Schritt für Schritt verschlechtert: Ein Kostendämpfungsgesetz jagte das andere, immer mehr Abrechnungsziffern wurden in Pauschalen versenkt, kritisierte Haack. Im Verlauf der vergangenen Jahre habe er zunehmende staatliche Einflussnahme und Zentralisierung sowie eine gleichzeitige Entmachtung der ärztlichen Selbstverwaltung beobachten müssen. Hinzu kommt die fortlaufende Diffamierung der Ärzteschaft. Diffamierung bedeutet laut Wikipedia das Streuen von Gerüchten und Hetzen gegen den politischen Gegner mit dem Ziel, ihn zu ruinieren und genau das ist es, was die Kassen und die Politik mit uns niedergelassenen Fachärzten im Sinn haben!, warnte Haack. Der aktuelle Koalitionsvertrag mache wenig Hoffnung, dass sich Ärzte künftig wieder auf ihre eigentliche Arbeit und das Patientenwohl konzentrieren können: Im Koalitionsvertrag ist in Bezug auf das Gesundheitswesen ständig von Qualität die Rede, doch der Politik geht es um einen formalisierten Qualitätsbegriff, der keinen Raum für Empathie lässt. Gleichzeitig warb Neumann um Solidarität mit dem Marburger Bund, der sich in einer aktuellen Kampagne gegen ein gesetzlich verankertes Streikverbot und für die Gewerkschaftsfreiheit einsetzt: Der aktuelle Angriff auf die Tarifhoheit ist gefährlich und betrifft unsere Kollegen in den Kliniken, die später einmal unsere Praxen übernehmen sollen. Neumann kritisierte darüber hinaus, dass der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) weiterhin das Ambulante Operieren nicht adäquat abbildet: Mittlerweile wird sogar schon öffentlich zugegeben, dass die Einsparungen, die durch die Verlagerung von Eingriffen vom stationären in den ambulanten Sektor erzielt werden können, nicht bei uns landen, sondern bei den Kostenträgern. Das alles stimmt einen sehr bedenklich. Das Heilen von Menschen ist keine Industrie Auch BDC-Präsident Prof. Hans-Peter Bruch warnte vor unguten Entwicklungen im Medizinbetrieb: Das Heilen eines Menschen ist kein Werkstück und keine Industrie, auch wenn uns etliche Institutionen dies glauben machen www.operieren.de 7

BAO Positionen wollen. Zu diesen Institutionen zählten zum Beispiel die Krankenkassen, wie Bruch mit Blick auf den umstrittenen AOK-Krankenhausreport erklärte: Da nutzt eine Kasse mit einem vertrauenerweckenden Lebensbaum im Logo alte Daten und rechnet sie hoch, um zu skandalisieren und Ärzten Behandlungsfehler vorzuwerfen. Mit diesem Vorgehen werde die AOK ihrem eigenen Qualitätsanspruch nicht gerecht, denn offenkundig wisse sie gar nichts über ihre Versicherten. Zudem suggerieren die Mengenvorwürfe gegenüber den Ärzten, es gehe uns nur um Geschäftemacherei dabei war es nicht wir, sondern die Politik, die den Wettbewerbsgedanken in den Medizinbetrieb gebracht hat. Der Politik warf Bruch Untätigkeit wider besseres Wissen vor: Das System verharrt in einem Zustand, den Psychiater als Locked-in-Syndrom kennen. Ökonomisierung bedroht die Heilkunst Nachdenkliche Töne schlug auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) Prof. Joachim Jähne an, der sich auf die Suche nach der Bedeutung des Begriffs der ärztlichen Kunst machte: Die Arzt-Patientenbeziehung steht im Mittelpunkt der Heilkunst. Aber Verwissenschaftlichung, Technisierung und Ökonomisierung der Medizin münden in ein objektivierendes Handeln. Diese Objektivierung könne der Besonderheit der Arzt-Patientenbeziehung nicht vollständig gerecht werden: Wir Ärzte sind keine Wissenschaftler. Wir benutzen Wissenschaft, doch diese hilft uns im klinischen Alltag nicht immer weiter. Jähne warnte: Wir Ärzte selbst stellen unsere ärztliche Kunst infrage und tragen ebenfalls zur Ökonomisierung und Objektivierung bei, wenn wir nach Regeln, Standards und Zertifikaten rufen, mit denen wir uns von Wettbewerbern abgrenzen wollen und Abweichungen von der definierten Norm kritisieren. Wer sich als Arzt nur noch auf objektiv messbare Werte stütze, der verlasse die subjektive Wahrnehmung und damit auch den Pfad der ärztlichen Heilkunst. Zukunft der chirurgischen Grundversorgung In der chirurgischen Grund- und Regelversorgung gibt es angesichts des demographischen Wandels und steigender Morbidität in Deutschland weiterhin einen großen Bedarf für ein patientenzentriertes Verständnis der ärztlichen Heilkunst. Doch die Kostenunterdeckung in der GKV-Vergütung, die Zersplitterung in immer mehr verschiedene Facharzt- Eröffneten den Bundeskongress Chirurgie 2014: DGCH-Präsident Prof. Joachim Jähne, BAO-Präsident Dr. Axel Neumann, BNC-Präsident Dr. Dieter Haack und BDC-Präsident Prof. Hans- Peter Bruch am 21. Februar 2014 bezeichnungen und der Wettbewerb anderer Fach- und Berufsgruppen um originär chirurgische Tätigkeiten lassen die Zukunft des chirurgischen Generalisten eher fraglich erscheinen, wie Kongressleiter Dr. Stephan Dittrich zum Auftakt des Politischen Vormittags am 22. Februar 2014 erklärte. Profil als Grundversorger schärfen Immerhin waren sich die Podiumsgäste darin einig, dass niedergelassene Chirurgen zu den fachärztlichen Grundversorgern zählen. Dieses Profil sollten sie noch weiter schärfen, riet Dr. Andreas Köhler, der beim Bundeskongress seinen letzten öffentlichen Auftritt vor seinem Rücktritt als KBV-Vorstandsvorsitzender hatte: In den vergangenen Jahren wurden niedergelassene Chirurgen hauptsächlich als ambulant operierendes Fach wahrgenommen. Doch den Großteil ihres Umsatzes erwirtschaften die meisten mit konservativen Leistungen. Aus diesem Grund müssten im Zuge der Honorarverhandlungen Zuschläge für die Grundversorgung in Form von Pauschalen für die fachärztliche Grundversorgung (PFG) ausgebaut werden, forderte Köhler. Nur wenn Chirurgen operieren, dann sind sie fallbezogen auch spezialfachärztliche Versorger. Diese Unterscheidung muss sich auch im EBM abbilden. Gefahr durch die nächste Novelle der WBO? Den Schilderungen eines positiven Zukunftsszenarios für niedergelassene Chirurgen widersprach der niedergelassene Chirurg Dr. Christoph Schüürmann aus Bad Homburg: Thiel 8 BAO Depesche Ausgabe 32 April 2014

BAO Positionen Thiel Thiel Sein Engagement der vergangenen Jahre wurde mit viel Applaus und einer BNC-Ehrenmitgliedschaft gewürdigt: Der scheidende KBV-Chef Dr. Andreas Köhler Kritisierten den Beschluss der DGCH-Weiterbildungskommission zur Abschaffung des Facharztes für Allgemeinchirurgie: der niedergelassene Chirurg Dr. Christoph Schüürmann und BÄK-Vorstandsmitglied Dr. Ellen Lundershausen Es könnte künftig schwierig werden, ein Profil als Grundversorger überhaupt weiter aufrechtzuerhalten, wenn mit der nächsten Novelle der Weiterbildungsordnung (WBO) der Facharzt für Allgemeinchirurgie abgeschafft werden soll. Eine solche Abschaffung sei nämlich jüngst von der Weiterbildungskommission der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) beschlossen worden. Wenn es aber nur noch Fachärzte für Viszeralchirurgie und Fachärzte für Orthopädie/Unfallchirurgie geben sollte, hätte dies dramatische Konsequenzen für die Versorgung und für die Nachfolge in chirurgischen Praxen: Wer als Facharzt für Allgemeinchirurgie dann seine Praxis verkaufen will, muss eigentlich zwei Fachärzte als Nachfolger einbringen, damit das bisherige Leistungsspektrum aufrechterhalten werden kann, warnte Schüürmann. Neben Spezialisten braucht man Generalisten! Köhler stimmte ihm zu und kritisierte die drohende Entwicklung, die in der Vergangenheit schon bei Internisten und Nervenärzten zu Fehlentwicklungen geführt habe: Für die chirurgische Grundversorgung ist der Allgemeinchirurg unverzichtbar! Und auch Dr. Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Landesärztekammer Thüringen und Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer (BÄK), mahnte: Je weiter die Spezialisierung auf der einen Seite fortschreitet, umso mehr braucht man auf der anderen Seite den Generalisten. Sie appellierte an die chirurgischen Fachgesellschaften und Berufsverbände, sich in den Diskussionsprozess einzubringen, damit dieser Beschluss nicht vom Deutschen Ärztetag ratifiziert wird. Aus der kritisierten Sitzung der DGCH-Weiterbildungskommission berichtete BDC-Präsident Prof. Hans-Peter Bruch: Man habe zusammen mit dem einstimmigen Votum für eine weitere Spaltung des Fachebiets auch beschlossen, einen gemeinsamen Common Trunk für alle chirurgischen Fächer zu verabschieden, um genau diesen Anforderungen gerecht zu werden: Wie die Umsetzung auch im Sinne der niedergelassenen Chirurgen funktionieren kann, ist mir noch unklar aber ich bin zuversichtlich, sagte Bruch. KBV-Chef Köhler zeigte sich allerdings skeptisch: Es ist doch illusionär zu glauben, dass die Viszeralchirurgen als kleine Entität sich gegenüber der großen Gruppe der Orthopäden und Unfallchirurgen werden durchsetzen können. Diese Regelung wäre suizidal für die Chirurgen! Nicht kompatibel mit dem Vertragsarztrecht Und auch Schüürmann blieb bei seiner kritischen Haltung: Als der Deutsche Ärztetag seinerzeit den Facharzt für Chirurgie, den Schwerpunkt Unfallchirurgie und den Facharzt für Orthopädie abgeschafft hat, war vielen von uns nicht klar, was das letztlich bedeutet. Wir haben dann den Facharzt für Allgemeinchirurgie mit ein paar unfallchirurgischen Weiterbildungsinhalten, den Facharzt für Viszeralchirurgie und den Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie bekommen. Das hat uns dann aber ganz brutal erwischt, weil es gar nicht kompatibel mit dem Vertragsarztrecht war. Jetzt soll mit der Abschaffung des Facharztes für Allgemeinchirurgie scheinbar noch eins draufgesetzt werden. Wir lehnen diese geplante Änderung vollständig ab, erklärte Schüürmann im Namen der niedergelassenen Chirurgen. www.operieren.de 9