Rede von Herrn Oberbürgermeister Jürgen Roters anlässlich der Gedenkfeier zur Reichspogromnacht am 9. November 2012 - Es gilt das gesprochene Wort - Sehr geehrter Herr Gemeinderabbiner Engelmayer, sehr geehrte Frau Farkas, sehr geehrter Herr Prof. Wilhelm, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Blick zurück auf die Ereignisse vom 9. / 10. November 1938 als einen Einschnitt in der deutschen Geschichte, dem unermessliches Leid folgte, ist seit vielen Jahren Anlass des Gedenkens und der Mahnung geworden. Wir erinnern uns an die Menschen, die durch ein brutales und rassistisches Regime verfolgt und ermordet wurden. Und wir mahnen an diesem Gedenktag zur politischen und gesellschaftlichen Verantwortung: der Verantwortung, jeglichen Anfängen von Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen entgegenzutreten und Toleranz zu stärken. Der Pogrom vom 9. / 10. November 1938 war eine von NS-Staat und NSDAP in ganz Deutschland inszenierte Aktion, die von Parteiorganen und Behörden in wenigen Stunden organisiert und in Gang gesetzt wurde. Auch in Köln erhielt die Gestapostelle im EL-DE-Haus Anweisungen, wie diese antijüdischen Aktionen aussehen sollten. Auch in Köln wurden diese Anweisungen ohne offenkundige Bedenken und Hemmungen in die Tat umgesetzt, mit Hilfe eines Teils der Bevölkerung und ohne Widerstand von Seiten der Bürgerinnen und Bürger der Stadt. Nur in einzelnen Fällen fanden Menschen den Mut, ihren jüdischen Nachbarn und Bekannten zu helfen, sie zu verstecken, sie vor Übergriffen zu schützen oder auch den Angreifern entgegenzutreten. Ich muss betonen: Es waren nur wenige. Der Pogrom 1938 bildete einen deutlichen Einschnitt in der deutschen Geschichte. Dieser Tag zeigte die systematische, gewalttätige Aggression des Regimes und seiner Anhänger gegen die jüdische Bevölkerung. Und er zeigte dies vor allen Augen. 1
Der Pogrom war die endgültige Absage des nationalsozialistischen Regimes an Humanität und Recht. Von dieser Absage war in den folgenden Jahren in Deutschland letztlich jeder Einzelne ob jüdisch oder nicht jüdisch betroffen. Der Novemberpogrom war daher ein Wendepunkt für die gesamte Gesellschaft, der überleitete in die völlige Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung und in ihre Ghettoisierung sowie schließlich in Deportation und systematische Ermordung. Als dieser Einschnitt ist er der deutschen Gesellschaft auch nach 74 Jahren noch sehr präsent. Der Pogrom ist unvergesslich und diese Erinnerung an ein vergangenes Geschehen muss, um sinnvoll zu sein, zu einer intensiven Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Problemen unserer eigenen Zeit führen. Die Erinnerung sollte sensibilisieren für Diskriminierung in unserem eigenen Umfeld, für Anzeichen von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Gedenken muss also in ein Engagement für Gegenwart und Zukunft münden, meine Damen und Herren. Und ich meine, dass wir in Köln auf einem guten Weg sind, diesem Anspruch zu folgen. Es gibt eine ganze Reihe von Einrichtungen und Initiativen in unserer Stadt, die sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und mit der Geschichte der Juden in Köln befassen. Und es gibt zahlreiche Initiativen, die darauf ausgerichtet sind, Toleranz und Demokratie zu stärken. Ich möchte als Erstes auf das wohl bekannteste Projekt im Bereich deutscher Erinnerungskultur verweisen, das Projekt Stolpersteine. Dieses Projekt nahm in Köln seinen Anfang und ist uns inzwischen seit über 10 Jahren bekannt. Es begegnet uns auf den Kölner Straßen an vielen Orten und ruft auf sehr eindrückliche Weise die Zeit des Nationalsozialismus in Erinnerung. Mehr als 1700 Stolpersteine liegen inzwischen bereits in Köln die meisten erinnern an jüdische Opfer des NS-Regimes. Die weiterhin große Bereitschaft der Kölner Bürgerinnen und Bürger, das Projekt zu finanzieren, zeigt, wie positiv die Stolpersteine in Köln aufgenommen werden. Sie werden von vielen als Möglichkeit gesehen, einen persönlichen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu leisten. Insbesondere bei Jugendlichen fin- 2
den die Gedenksteine mit ihrem Bezug zu jeweils einer Person und ihrer Geschichte großes Interesse. Ich möchte auch auf das Einladungsprogramm der Stadt Köln hinweisen. Seit mehr als 25 Jahren lädt die Stadt jüdische ehemalige Kölnerinnen und Kölner zu einem Besuch in Köln ein. Viele sind bisher dieser Einladung gefolgt und haben ihre ehemalige Heimatstadt neu kennenlernen und neue Kontakte zu ihr knüpfen können. Im Laufe der letzten Jahre wurden die Besuchergruppen kleiner, da es nicht mehr viele ehemalige Kölnerinnen und Kölner sind, die der Einladung folgen können. Es hat sich im Übrigen gezeigt, dass viele Kinder, Enkel und sogar Urenkel von Emigrierten nach Köln kommen, um die Heimatstadt ihrer Familie kennenzulernen. Das NS-Dokumentationszentrum konnte in den letzten Jahren ein großes Interesse bei diesen Familien feststellen. Es bemüht sich, die Besucherinnen und Besucher mit der Stadt bekannt zu machen und ihnen Informationen zur Kölner Geschichte ihrer Familien zu geben. Unser Anliegen ist es also auch, Kontakte zu den Nachkommen der aus Köln Vertriebenen aufzubauen und ihnen Köln nahezubringen. Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln hat dieses Jahr einen Stadtführer durch das jüdische Köln veröffentlicht, der uns anschaulich die lange jüdische Geschichte Kölns vor Augen führt. Er zeigt, wie vielfältig das jüdische Leben in Köln war und wie viele jüdische Männer und Frauen in Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft zur Entwicklung der Stadt beigetragen haben. Darüber hinaus macht er deutlich, wie Verfolgung und Entrechtung sich ausgewirkt haben. Zugleich gibt dieser Stadtführer einen Einblick in das heutige Leben der jüdischen Bevölkerung und stellt dar, wie viele Einrichtungen sich mit jüdischer Geschichte und Kultur befassen und wie viel aktives jüdisches Leben sich in Köln 74 Jahre nach dem Pogrom entwickelt hat. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang Folgendes feststellen, meine Damen und Herren. Die Beziehungen zwischen der Synagogen-Gemeinde und der Stadt Köln sind seit vielen Jahrzehnten ausgezeichnet. Sie basieren auf Respekt und auf einem gemeinsamen Bemühen um ein Klima von religiöser Toleranz in Köln. Die Stadt ist für die vielfältigen Angebote der Synagogen-Gemeinde im religiösen, sozialen und kulturel- 3
len Bereich und ihrem großem Engagement für die zahlreichen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion dankbar. Ich freue mich besonders, dass die Lauder-Morijah-Schule, die jüdische Grundschule, dieses Jahr ihr 10-jähriges Bestehen feiern konnte. Mit Freude habe ich auch zur Kenntnis genommen, dass die diesjährige feierliche Ordination der neuen Rabbiner in Köln stattgefunden hat. Meine Damen und Herren, die Stadt Köln betrachtet es als wesentliche Aufgabe, allen Gruppierungen ihrer Bevölkerung Respekt und Sicherheit zu garantieren. Dazu gehört auch, allen Gruppen die Ausübung ihrer religiösen Tradition sofern sie nicht allgemeinen Grundsätzen widerspricht zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang möchte ich die Hoffnung äußern, dass das im Augenblick heftig diskutierte Thema der Beschneidung aus religiösen Gründen für unsere jüdische wie islamische Bevölkerung auf politisch sensible Weise gelöst wird. Mir ist bewusst, dass sich unsere Gesellschaft dem Rechtsextremismus und der rechtsextremen Gewalt, die in Deutschland eine Realität geworden sind, stellen muss. Wir müssen feststellen, dass sich eine umfangreiche, erschreckend aggressionsbereite Szene entwickelt hat, die sich gerade an Jugendliche wendet, um Rassismus und Antisemitismus zu propagieren. Die Stadt Köln setzt sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus ein und fördert auf vielen Ebenen das Bewusstsein für kulturelle Vielfalt und die demokratische Gestaltung unserer Stadtgesellschaft. Die Informations- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus wurde im Jahre 2008 im NS-Dokumentationszentrum eingerichtet. Sie soll das Bewusstsein für Menschenrechte und Gewaltfreiheit fördern und rechtsextremen Denkmustern entgegenwirken; sie ist inzwischen weit über die Stadtgrenzen hinaus präsent. Zusammen mit der Landeszentrale für politische Bildung wird im Regierungsbezirk Köln darüber hinaus das Projekt Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus durchgeführt. In diesem 4
Projekt werden Kommunen, Einrichtungen und Initiativen in ihrem Bemühen unterstützt, vor Ort neonazistischen Gruppen und Strömungen entgegenzutreten. Um die Erziehung der Jugend zu Demokratie und Toleranz zu intensivieren, brauchen wir mehr Initiativen ähnlicher Art und ein Engagement von Städten und Gemeinden, von Verbänden, Vereinen und religiösen Gemeinschaften. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend auf eine Veranstaltung hinweisen, die heute Abend in Köln stattfinden wird. Die Initiative Arsch huh Zäng ussenander wird heute, 20 Jahre nach ihrem legendären Konzert, wieder gegen Neonazis, Rassismus und für Demokratie und eine solidarische Stadtgesellschaft demonstrieren eine Demonstration also, die mit unseren Anliegen übereinstimmt. Inwieweit uns die Realisierung unserer Ziele gelingt, inwieweit wir der jungen Generation die Notwendigkeit von Demokratie und Solidarität vermitteln können, wird letztlich über unsere Zukunft entscheiden. 5