Strasmann s Anatomie und Physiologie, mit ausgewählten Kapiteln Pathologie Steuerung und Kontrolle Anatomie, Physiologie und etwas Pathologie von Gleichgewicht und Bewegung Bewegungs- Steuerung PD Dr. med. Thomas J. Strasmann
Einführung Drei Schritte zur Bewegung 1. Analyse: Wie steht der Körper im Raum? 2. Planung: Welche Bewegung ist geeignet? 3. Durchfûhrung: Welche Muskeln wie benutzen? Typische Einteilung der Sensoren in der Anatomie und Physiologie Extero-Sensoren... empfangen Reize von ausserhalb des Körpers. Eine äussere Welt wird abgebildet. Proprio-Sensoren... empfangen Reize von innerhalb des Körpers. Zustände des Körpers im Raum werden abgebildet. Entero-Sensoren... empfangen Reize aus den inneren Organen. Das innere Milieu wird abgebildet. Quellen der Propriozeption Hautrezeptoren Gelenkrezeptoren Muskelrezeptoren Gleichgewichtsorgan Auge Seite 2 Wie steht oder bewegt sich der Körper im Raum? Diese erste Frage muss das Gehirn zunächst beantworten. Dazu greift es auf die Propriozeptoren zurück, die in der Haut, in Gelenknähe und in Muskeln verteilt sind. Zudem liefern Gleichgewichtsorgan und Sehsinn zusätzliche Infos.
Mechanosensoren der Haut Bezeichnung Adäquater Reiz Sinnes-Qualität Merkelsche Tastscheibe stetige Eindrucktiefe Hautverformung Meissnersches Körperchen schnelle Hautverformung Eindruckgeschwindigkeit Ruffinisches Körperchen Hautdehnung Dehnung Pacinisches Körperchen Vater-Pacinisches Körperchen sehr schnelle Hautverformung ultraschnelle Hautverformung Berührung Vibration Vater-Pacini sches Körperchen (an der Zwischenknochenmembran, in der Physiologie und in der Anatomie) Seite 3...sind vielfältig. Sie nehmen verschiedene Arten der Hautverformung wahr. Die Millimeter-grossen Vater-Pacini schen Körperchen sind besonders in Knochennähe zu finden. Mechanorezeption bremst die Schmerzwahrnehmung. Sehr vielfältig und zumeist unbewusst ist die Haarinnervation.
Gelenkrezeptoren Gelenkrezeptoren um das Hüft-, Ellenbogen- und Kniegelenk eines Laborbeuteltieres gelb: Ruffini sche Körperchen, rot und blau: Lamellenkörperchen Ruffini sches Körperchen Seite 4 sind Mittelstellungs- oder Endstellungs-Rezeptoren. Das Ruffini sche Körperchen zb. ist ein Mittelstellungs-Dehnungs-Sensor. Unterschiedliche Gelenke zeigen unterschiedlich verteilte Rezeptoren. Sie vermitteln die Wahrnehmung der Gelenkstellung und der Gelenkbewegung.
Muskelrezeptoren Golgi-Sehnen-Organ Muskelspindel Muskelspindel Seite 5 sind Golgi-Sehnen-Organ und Muskelspindel. Das Golgi-Sehen-Organ misst die Zugkraft an der Sehne. Die aktiv vom Nervensystem steuerbare Muskelspindel meldet die Muskellänge an das Kleinhirn, das aus dieser Nachricht die Gelenkstellung errechnet. Reflexe verschalten beide.
Reflex-Verschaltungen im Rückenmark Muskel-Dehnungs-Reflex: Sowohl die Arbeitsmuskulatur als auch die Muskelspindel wird gedehnt. Das führt über Ia-Fasern zu seiner sekundären Anspannung der Arbeitsmuskeln. Theoretisch: Wenn nur die Arbeitsmuskulatur über die Alpha- Motoneurone angesprochen würden, würde dies über Golgi- Sehnen-Organe zu einer reflektorischen Entspannung der Muskelspindel führen: Diese könnten dann nicht mehr die Muskel-Länge messen. Seite 6 Normale Muskel-Innervation: Vom Gehirn kommt immer der Befehl für die Arbeitsmuskulatur als auch über einen eigenen Weg ein Impuls zu den Muskelspindeln. Ist der Zug an der Sehne zu stark, kommt es durch die Golgi- Sehnen-Organe reflektorisch zur Muskel-Erschlaffung. führen dazu, dass ein isolierter Zug an der Sehne zu einem Zucken des zugehörigen Muskels führt (Muskel-Dehnungs-Reflex). Das Gehirn steuert die Arbeitsmuskulatur auf einem anderen Weg als die Muskelfasern in der Muskelspindel. In der 3. Vorlesung kommen wir hierher zurück
Kabel-Führung afferente Bahnen aus der Körper-Peripherie (ohne Kleinhirn-Afferenzen) Tractus spino-bulbaris (Teil der Hinterstang-Bahn) Tastkörperchen der Haut Mechanosensoren um Gelenke (bewusst) Mechanosensoren der Muskulatur (bewusst) Tractus spino-thalamicus Schmerz-Sensoren diffuse Mechanosensation aus den Organen ( alt ) Haarfollikel-Sensoren beim Menschen ( alt ) Wenn wir uns gestossen haben, dämpft Reiben an der Stelle den Schmerz. Wenn die neuen Mechanosensoren nichts melden, können die alten Haarsensoren einem die Haare zu Berge stehen lassen Seite 7 Alle Nachrichtenkabel betreten das Rückenmark über die Hinterwurzel des Spinalnerven. Moderne Kabel leiten die Impulse schnell (im Tractus spinobulbaris), phylogenetisch alte Kabel langsam und multi-neuronal (Tractus spinothalamicus). Das Kleinhirn hat eigene Kabel-Führungen.
Integration Seite 8 der sensorischen Information ist eine Leistung von Relais-Stationen, zb. im Bulbus, der durch Nucleus cuneatus und Nucleus gracilis gebildet wird. Sinnvoll zusammentreffende Nachrichten werden hier bevorzugt bei der Weiterleitung zum Thalamus, dem Tor zum Bewusstsein.
Der Thalamus Seite 9 ist der Ausgang des letzten Abschnitts der Hinterstangbahn. Was im Thalamus schaltet, kann bewusst werden. Die Kabel zur Hirnrinde (Capsula interna genannt) haben eine Schlaganfall-gefährdete arterielle Versorgung. Die Hinterstrangbahn endet im Gyrus postcentralis (= primär sensorisches Rindenfeld), der streng somatotop aufgebaut ist.
Der Homunculus Seite 10 ist ein Bild dieser Somatotopie. Höhere, sekundäre Rindenfelder führen die beiden Körperbild-Hälften zusammen. Auch die primär motorische Rinde des Gyrus praecentralis ist somatotop. Tertiäre Rindenfelder der Sensorik bewerten oder interpretieren das Körperbild.
Kreuzungen sind ein Problem aus: Shinbrot and Young Why decussate? Topological constraints on 3D-Wiring The Anatomical record 291 (2008) 1278-1292 Seite 11 Für den wachsenden Körper scheint es am wenigsten Störungen zu geben, wenn die Verkabelung quasi über Kopf und über Kreuz ist. Eine lesenswerte Studie hierzu ist von Shinbrot und Young 2008: http:///downloads/why_decussate_2008.pdf
Alle Afferenzen kreuzen Seite 12 einige sogar zwei-mal. Eine Besonderheit unter den Afferenzen stellen die Schmerz-Afferenzen dar: Sie sind auch efferent. Diese lokale Heilungsfördernde Wirkung der Schmerzfasern kann aber auch wieder zu vermehrter Nociceptor-Reizung führen. Allgemein bremst die Hinterstangbahn die Vorderseitenstrangbahn, besonders die Nociception.
Bewegungs-Vorschläge Drei Schritte zur Bewegung 1. Analyse: Wie steht der Körper im Raum? 2. Planung: Welche Bewegung ist geeignet? 3. Durchfûhrung: Welche Muskeln wie benutzen? Seite 13 werden von den sekundären motorischen Rindenfeldern entworfen und an tiefere Hirnzentren zur Prüfung weitergegeben, an die Basalganglien: Thalamus ( das Tor zum Bewusstsein ), Putamen und Globus pallidum, und schliesslich an den erstaunlich grossen Nucleus caudatus.
Überschiessende Bewegungen zu bremsen Chorea Seite 14 ist eine wesentliche Funktion dieser Zentren: Fehlt das Stopp-Signal, können kleine Bewegung- Schnipsel plötzlich sichtbar werden. Weitere Aufgabe ist das Verknüpfen und Glätten erlernter Bewegungs-Segmente. Dieser Job der Basalganglien benötigt für einen Durchlauf etwa 300 ms.
Wesentlich für Bewegung ist auch das Kleinhirn Seite 15 das 3 Aufgaben hat: (a) Rechts-Links-Gleichgewicht (b) Muskel-Koordination (c) Muskeltonus Finger-Nase-Test Neurologen-Gruss Händedruck, Vergleich re/li
Das Kleinhirn ist Teil eines zweiten Regelkreises. Seite 16 Auch dieser benötigt etwa 300 ms für einen Durchlauf. Das Kleinhirn vergleicht besonders Rechts und Links. Es stellt die noch tiefer gelegenen Zentren auf eine mögliche Bewegung ein. Ausserdem erhält es Nachrichten aus dem Gleichgewichtsorgan, dem Vestibular-Organ.
Das Vestibularorgan Seite 17 enthält je Seite 5 Sensoren: 3 Bogengänge (die auf Kopf-Drehungen reagieren) und 2 als Makula bezeichnete, auf das Schwerefeld der Erde reagierende Organe. Passen rechtes und linkes Labyrinth in ihren Meldungen nicht zusammen, reagiert die Formatio reticularis heftig.
Die Formatio reticularis ist quasi eine Art gepunktet: Formatio reticularis Seite 18. Schnecken-Mama in uns: Schlecken, Lecken, Saugen vermittelt sie. Aber auch Raumorientierung und Aufmerksamkeit, Erbrechen und (notfalls) Bewusstseinsverlust. Sie ist eine basale Steuerzentrale des Körpers und arbeitet eng mit dem Hypothalamus zusammen.
Ein Problem Seite 19 stellt die Durchblutung des Hirnstammes dar: Oft ist im Alter die Arteria basilaris nur gerade ausreichend für die Kleinhirndurchblutung. Schwindel ist oft eine Folge. Schonendes Bewegungstraining kann das Herz stärken.
Sind die Basalganglien und das Kleinhirn Quellen der Propriozeption Hautrezeptoren Gelenkrezeptoren Muskelrezeptoren Gleichgewichtsorgan Auge Seite 20. fertig mit ihren Berechnungen, kann die Bewegung durchgeführt werden. Eine Kontrolle erfolgt ausser über die Proprioceptoren auch über das Auge und natürlich auch über andere Menschen um uns her
Gleichgewicht ist also eine komplexe Leistung des Gehirns. Thalamus, Hirnrinde zum Bewusstsein Formatio reticularis (vitale Reflexe), Hypothalamus (vegetative Steuerung) wieder Kleinhirn zur weiteren Berechnung der Bewegung Auge, Sehfeld Kleinhirn: Gleichgewicht Bogengänge, Maculae Sensoren der Haut, besonders der Füsse Sensoren der Halsmuskulatur Seite 21 Hauptrechner ist das Kleinhirn, das Cerebellum, das aus vielen Sinnesgebieten Nachrichten erhält. Im Alter gehen zwar Sensoren zb in den Füssen verloren, aber es ist sicher hilfreich, mit Bewegung in der Gruppe das Gleichgewicht auch im Alter zu erhalten und zu trainieren.
Die wichtigste motorische Bahn Drei Schritte zur Bewegung 1. Analyse: Wie steht der Körper im Raum? 2. Planung: Welche Bewegung ist geeignet? 3. Durchfûhrung: Welche Muskeln wie benutzen? Seite 22 beim Menschen und den Primaten ist die Pyramidenbahn. Sie ist 2- neuronal, sehr schnell und für die Feinmotorik unverzichtbar. Ist diese Bahn ausgefallen, sind wir Menschen gelähmt: Zunächst schlaff
Eine schlaffe Lähmung Aussprossungs- Versuche eines Axons 1 Axon 2 motorisches Neuron 3 degeneriertes Axon 4 motorische Endplatte 5 Gliazelle 6 Makrophage 7 Ersatzzelle der Gliazelle 8 Muskelfaser 9 Fibroblasten bilden eine Kapsel R Ranvier scher Schnürring grün ein bindegewebiges Hindernis Seite 23 kann Folge einer realen Nervenzerstörung eines peripheren Nerven sein. Nun erhalten die Muskeln kein Signal mehr vom Rückenmark und sie atrophieren: Skelettmuskeln brauchen das ständige Signal der motorischen Vorderhorn-Zellen, der α-motoneurone.
Mit Reflexprüfungen Seite 24 kann man die peripheren Kabel überprüfen. Auch die Verschaltung im Rückenmark und Seiten-Unterschiede können dabei beurteilt werden. Bei einer peripheren Nervenschädigung sollten diese Reflexe ausfallen.
Auch die Höhe einer Schädigung Das Babinski-Zeichen ist ein pathologischer Reflex, der auf einen Ausfall der Pyramidenbahn hinweist. Seite 25 kann mittels Reflexprüfung gefunden werden. Das Rückenmark ist ja quasi zu kurz. Deshalb ziehen, je weiter wir nach unten (= nach caudal) kommen, die Spinalnerven-Wurzeln (Radix) immer länger im Wirbelkanal entlang, bis sie endlich auf ihr Zwischen-Wirbel-Loch treffen.
Einschub 1: Bei der Innervation Seite 26 unterscheidet man segmental oder radikulär und peripher : Die Axone der Spinalnerven-Wurzeln vermischen sich und bilden bei den Armen und Beinen neue Nerven mit Eigennamen. In der Haut bleiben allerdings die Kabel aus einem Spinalnerven nahe beieinander, auch wenn sie über verschiedene Nerven dorthin gelangt sind: segmentale Dermatome.
Einschub 2: Gefässe des Gehirns Thomas Willis (1621-1675) Seite 27 Das Endhirn wird vollständig aus einem Kreisverkehr, dem Circulus arteriosus Willisii, versorgt. Drei Endarterien versorgen jeweils typische Felder des Cortex. Da keine Verbindungen miteinander bestehen, kommt es bei arteriellem Verschluss zum vollständigen Ausfall des nun nicht mehr versorgten Gebietes: Schlaganfall oder Apoplexie ist die Folge.
Bei einer Pyramidenbahn-Schädigung Der Wernike-Mann, das typische Lähmungsbild nach Schlaganfall der Capsula inerna auf der linken Hirnseite. Das Babinski-Zeichen ist ein pathologischer Reflex, der auf einen Ausfall der Pyramidenbahn hinweist. Seite 28 ist der Kranke zwar zunächst schlaff gelähmt, aber nach einer Weile entwickelt sich meistens dann doch eine Spastik: Jetzt erwacht die sogenannte Extra-Pyramidale Motorik und versucht, die Bewegung quasi auf eigene Faust zu verwirklichen. In der Regel verstrickt sie sich dabei in zahlreichen Reflexen, ohne dass dabei eine sinnvolle Bewegung erfolgt.
Auch bei der unbehandelten MS, Mikroskopie der Myelinscheiden-Bildung: Das Axon A3 wird von den Fortsaätzen A2 und B2 der Gliazelle umhüllt: Die Myelinscheide A4 isoliert, schützt und ernährt das Axon. Seite 29 der Multiplen Sklerose, kommt es zu pathologischen Reflexen, zu Lähmungen und (am Anfang ganz typischen) Missempfundungen. Die unbehandelte MS führt zur Zerstörung der Kabel-Isolation, zur Zerstörung der Myelinscheide, was schliesslich auch zur Zerstörung der Kabel, der Axone, führt. Die Ursache der MS ist auch heute noch unklar.
Prozesse im Rückenmark haben typische Ausfälle zur Folge: Seite 30
Eine Querschnitts-Lähmung Seite 31 kann vorübergehend auftreten: Dann ist das Rückenmark vielleicht nur geschwollen und erholt sich innert Tagen. Eine dauerhafte Querschnittslähmung führt zur ungenügenden Blasen- und Enddarm-Motorik. Heute können wir nur erst bei Versuchstieren eine Querschnittslähmung heilen.
Beim Morbus Parkinson Seite 32 handelt sich um eine Störung der extrapyramidalen Motorik: In den Basalganglien kommt es durch Verlust bestimmter, Pigment-haltiger Zellen zum Überwiegen der Hemmung der Bewegung. Am Ende der Krankheit steht oft der Tod durch Verschlucken von Nahrungsbrei und Pneumonie.
Auch die sogenannten Hirnnerven Seite 33 sind in die Pyramidenbahn eingebunden. Verwirrenderweise kreuzen nicht alle zuführenden Kabel des Tractus cortico-nuclearis vollständig. So erhält zb der Gesichts-Teil des Nervus facialis auch Kabel aus derselben Hirnseite: Zur neurologischen Untersuchung gehört auch das Stirnrunzeln.
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