Grußwort Empfang zum Nationalfeiertag der Republik Türkei Donnerstag, 29. Oktober 2015, 18.30 Uhr Hotel Bredeney, Essen - Es gilt das gesprochene Wort! - Verehrter Herr Generalkonsul Basa! Meine sehr geehrten Damen und Herren! I. Heute sind alle Nationen der Erde fast Verwandte geworden oder bemühen sich, es noch zu werden. Infolgedessen muss der Mensch nicht nur an die Existenz und das Glück derjenigen Nation denken, der er angehört, sondern auch an das Vorhandensein und Wohlbefinden aller Nationen der Welt. Mit diesen Worten begrüße ich Sie herzlich zum Empfang anlässlich des heutigen 92. Jahrestages der Gründung der Republik Türkei. Das soeben verwandte Zitat stammt nicht aus einer aktuellen politischen Rede, auch wenn dies mehr als naheliegend und wünschenswert erscheint. Nein, es stammt von Mustafa Kemal Atatürk dem Vater der Türken, der die moderne Türkei begründete, sein Land einte, es radikal modernisierte und entschieden nach Westen ausrichtete. Damit hat er die Grundlage dafür geschaffen, dass sich die Türkei zu einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Größe in der Region und der Welt entwickeln konnte. Ich wieder hole es gerne: Der Mensch muss nicht nur an die Existenz und das Glück derjenigen Nation denken, der er angehört, sondern auch an das Vorhandensein und Wohlbefinden aller Nationen der Welt. Als ich diese Botschaft Atatürks zum ersten Mal las, hat mich diese sehr berührt aber ebenso sehr nachdenklich gestimmt. Denn zum einen ist Atatürks mutige und vorausschauende Forderung aus den 1920er Jahren gerade jetzt, mit Blick auf die großen politischen Herausforderungen in der Welt, höchst aktuell.
2 Aber zum anderen stammt sie aus einer Zeit, als noch nicht abzusehen war, dass bereits wenige Jahre später die Welt durch aufflammenden Nationalismus, durch Faschismus und Extremismus vollständig aus den Fugen geraten sollte. Für mich ist das Zitat Atatürks daher sowohl als Aufforderung aber eben auch als Mahnung zu verstehen, uns für Frieden und Freiheit, für Völkerverständigung und für das internationale Miteinander gegen alle Konflikte und Bedrohungen in der Welt einzusetzen. II. Ich denke, auch Sie werden meinen Eindruck teilen, dass der heutige Nationalfeiertag der Türkei in eine Zeit fällt, die uns politisch vor allem sorgenvoll stimmt, und in der es sich nicht so unbeschwert wie sonst oft üblich feiern lässt. Dennoch ist es natürlich wichtig und richtig, an einzigartige historische Ereignisse, wie die Proklamation der Republik Türkei durch Atatürk vor nunmehr 92 Jahren, feierlich zu erinnern und diese große Leistung Atatürks zu würdigen. Denn der Blick auf die eigene Geschichte schärft immer auch den Blick auf gegenwärtige und ebenso auf vor uns liegende Herausforderungen. Daher freue ich mich, dass wir heute gemeinsam auf Einladung von Herrn Generalkonsul Basa hier in Essen zum Empfang anlässlich des Nationalfeiertags der Republik Türkei zusammengekommen sind. III. Verehrter Herr Generalkonsul, ich danke Ihnen für Ihre Einladung und die Möglichkeit, in diesem besonderen Rahmen ein Grußwort an Ihre Gäste zu richten. Mit großer Ehre überbringe ich Ihnen und den hier versammelten Angehörigen der türkischen Gemeinde im Ruhrgebiet die herzlichen Grüße und Glückwünsche des Landtags Nordrhein-Westfalen zum Nationalfeiertag. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage: Die Zusammenarbeit mit Ihnen, Herr Generalkonsul, habe ich schon während Ihrer Amtszeit in Köln als sehr angenehm und vertrauensvoll empfunden. Daher habe ich mich umso mehr gefreut, als mich die Nachricht von Ihrem erneuten Amtsantritt in NRW, und diesmal in Essen, erreichte. Und deshalb bin ich heute Abend auch sehr gerne zum Empfang gekommen für den Landtag im Amt der Präsidentin, als Vorsitzende der Parlamentariergruppe NRW-Türkei und persönlich als Kind des Ruhrgebiets, aus der Nachbarstadt, meiner Heimat Bochum. 2
3 IV. Ich gebe zu: Als ich vor nunmehr fünf Jahren, damals noch in dem Amt der 1. Vizepräsidentin, den Vorsitz der Parlamentariergruppe NRW-Türkei im Landtag übernommen habe, hatte ich wenig Fachwissen über die Geschichte und die doch sehr komplexen, politischen Zusammenhänge in der Türkei. Auch heute noch, nach inzwischen vielen Gesprächen, Begegnungen, und Informationsreisen möchte ich mir nicht anmaßen, das politische, gesellschaftliche und kulturelle Gefüge in der Türkei umfassend bis ins Detail zu verstehen. Jedoch ist der Blick auf die wichtigsten politischen Konfliktlinien in der Türkei inzwischen durchaus geschärft, und meine persönlichen, freundschaftlichen Verbindungen zur Türkei sind spürbar gewachsen. In diesen Tagen und Wochen steht die Türkei gleich aus mehrfacher Hinsicht im Fokus der europäischen und internationalen Aufmerksamkeit. Anlässlich der unmittelbar bevorstehenden, erneuten Wahlen zur Großen Nationalversammlung der Türkei stellt sich die Frage, ob es diesmal gelingen wird, eine tragfähige und dauerhafte Regierung zu bilden. Als außenstehende Beobachterin und im überparteilichen Amt der Landtagspräsidentin habe ich es stets vermieden, den türkischen Wahlkampf zu kommentieren. So werde ich es auch heute Abend halten. Davon unabhängig wünsche ich der Türkei, dass es gelingt, nach den Wahlen zu politischer Stabilität und damit auch zu einer neuen Grundlage für ein friedliches Miteinander im eigenen Land zurückzukehren. Diesen Wunsch habe ich ebenso vor zwei Wochen in meinen Kondolenzworten nach den schrecklichen Terroranschlägen von Ankara zum Ausdruck gebracht, die uns zutiefst schockiert und nachdenklich gestimmt haben. Lassen Sie mich heute Abend betonen: Frieden und Stabilität in der Türkei sind nicht nur wünschenswert, sondern unbedingt erforderlich. Denn sie sind zugleich wichtige Bestandteile des dringend benötigten Friedens und der Stabilität in der gesamten Region. Und sie sind für die europäische und die internationale Gemeinschaft ebenso wichtig, wenn es darum geht, gemeinsam politische Lösungswege für die großen Herausforderungen dieser Zeit zu finden. V. Damit meine ich natürlich an allererster Stelle die Flüchtlingsfrage, die uns derzeit alle besonders bewegt und beschäftigt, und bei der die Türkei eine bedeutende Funktion übernimmt. 3
4 Wie groß das türkische Engagement in der Flüchtlingshilfe ist, das konnte ich bereits im vergangenen Jahr bei Gesprächen in Ankara unter anderem mit staatlichen Stellen und dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erfahren. Für die bereits erbrachten, enormen finanziellen und humanitären Leistungen müssen wir der Türkei ohne Frage zu Dank verpflichtet sein. An dieser Stelle möchte ich jetzt allerdings nicht weiter über die bereits getroffenen und die noch notwendigen Vereinbarungen zwischen unseren Staaten zur weiteren Versorgung und Aufnahme der tausenden, flüchtenden Menschen reden. Vielmehr möchte ich unsere Blicke für einen Moment auf das deutsch-türkische Miteinander in Nordrhein-Westfalen und besonders auf unser kulturell vielfältiges Zusammenleben hier im Ruhrgebiet richten. Fast eine Million Menschen mit türkischen Wurzeln leben heute in Nordrhein- Westfalen, so viele wie in keinem anderen deutschen Bundesland. Mit Blick auf die zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte wissen wir gemeinsam am besten, wie Integration gelingen kann, aber ebenso wie sie misslingen kann. Bereits übermorgen bin ich erneut in Essen, dann im Grillo-Theater, zu Gast. Beim Literatürk-Festival werden die Geschichten von türkischen Gastarbeiterfamilien szenisch aufbereitet, die in der Nachkriegszeit zu uns ins Ruhrgebiet gekommen sind. Die Gründe, warum Menschen damals aus der Türkei nach Nordrhein-Westfalen kamen, sind natürlich vollkommen andere als die Gründe, warum sich Menschen heute auf den mühsamen und oft lebensbedrohlichen Weg nach Europa machen. Doch die fortwährenden Aufgaben der Integration, damals wie heute, bleiben unabhängig von den Anlässen für Einwanderung bestehen: Es geht langfristig darum, dass nicht ein Nebeneinander sondern ein Miteinander der Kulturen entsteht. Es geht darum, kulturelle Vielfalt auf dem Boden gemeinsam akzeptierter Werte in unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft zu fördern. Es geht darum, den zu uns kommenden Menschen durch Bildung und Ausbildung gesellschaftliche Teilhabe mit allen Rechten und ebenso allen Pflichten zu ermöglichen. Im geschichtlichen Rückblick hat es lange ich möchte sagen: viel zu lange gedauert, bis auch politisch über Parteigrenzen hinweg erkannt und akzeptiert wurde: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Die Erfahrungen zur Integration positive wie auch negative sind gerade jetzt unser wertvollstes Wissen, wenn es darum geht, auch den nun zu uns flüchtenden Menschen eine Chance zu bieten, langfristig Teil dieser Gesellschaft zu werden. 4
5 Unsere heutige Zusammenkunft zum Nationalfeiertag der Republik Türkei möchte ich daher zum Anlass nehmen, Sie als Angehörige der türkischen Gemeinde herzlich einzuladen: Lassen Sie uns noch viel stärker einen gemeinsamen Austausch führen, wie wir ganz konkret Hilfestellungen für die nun zu uns kommenden Menschen leisten können. Lassen sie uns gemeinsam überlegen, wie wir Integration vor Ort gestalten können, und wie wir die gegenseitige Verständigung fördern können. Und lassen Sie uns gemeinsam deutlich machen, dass die Vielfalt der Kulturen, wie wir sie hier in NRW täglich erleben und erfahren, keine Bedrohung sondern eine Stärke dieser, unserer Gesellschaft ist. VI. Dieses Engagement ist auch erforderlich, um immer wieder das unmissverständliche Zeichen zu setzen: Fremdenhass, Gewalt und politischer Extremismus haben bei uns keinen Platz! Wer versucht, mit dumpfen Parolen Nationalitäten, Kulturen oder Religionen gegeneinander auszuspielen und aufzuhetzen, der hat jegliches Verständnis verwirkt. Ich wiederhole noch einmal Teile des Zitats vom Anfang: Heute sind alle Nationen der Erde fast Verwandte geworden oder bemühen sich, es noch zu werden. Was Atatürk, der Gründer der Republik Türkei, vor über 90 Jahren erklärte, ist weiterhin hochaktuell, aber leider in vielen politischen Fragen noch immer mehr ein Wunsch als Realität. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir gemeinsam im Austausch bleiben und im Großen wie im Kleinen die Verständigung zwischen den Staaten, zwischen den Kulturen und Religionen weiter voranbringen. VII. Verehrter Herr Generalkonsul! In diesem Sinne freue ich mich sehr auf unsere weitere Zusammenarbeit in Nordrhein-Westfalen und mögliche, gemeinsame Projekte. Bereits in der kommenden Woche werden wir unsere persönlichen Gespräche fortsetzen können. Dann sind Sie gemeinsam mit Ihren neuen Amtskolleginnen aus Düsseldorf und Münster sowie ihrem Amtskollegen aus Köln im Landtag Nordrhein- Westfalen zu Gast. 5
6 Ich bin überzeugt davon, dass wir auch zukünftig enge Kontakte pflegen werden. Die Türen des Landtags stehen Ihnen und allen, die sich für das deutsch-türkische Miteinander in NRW einsetzen, jederzeit offen. Und nun freue ich mich auf einen feierlichen Abend im Zeichen freundschaftlicher Begegnungen. Herzlichen Dank und erneut meine herzlichen Glückwünsche zum 92. Nationalfeiertag der Republik Türkei! *** 6