Bindungen stärken bei kindlichem Stress und in Risikokonstellation Regensburger Fachtagung - Frühe Hilfen 16.-17. April 2015 Prof. Dr. Éva Hédervári-Heller Fachhochschule Potsdam und Internationale Psychoanalytische Universität Berlin
Gliederung 1) Grundlagen der Bindungstheorie 2) Resilienz 3) Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit 4) Fazit Éva Hédervári-Heller
John Bowlby (1907-1990) Mary Ainsworth (1913-1999)
Karin und Klaus Grossmann Bindungen das Gefüge psychischer Sicherheit (2012)
1. Grundlagen der Bindungstheorie Eine gesunde frühkindliche Entwicklung und eine emotional sichere Bindung legen die Grundsteine für die spätere Entwicklung.
1. Grundlagen der Bindungstheorie Bindung ist ein "gefühlsmäßiges Band
1. Grundlagen der Bindungstheorie Wunsch des Kindes nach beständigen und liebevollen Beziehungen Erwartungen des Säuglings über die Erreichbarkeit, Verfügbarkeit und Vorhersagbarkeit der Bindungsperson Fähigkeiten des Neugeborenen zu kommunizieren, zu interagieren und Bindungen aufzubauen
1. Grundlagen der Bindungstheorie Das Bindungsverhaltenssystem (Bowlby 1975) - sichert das Überleben - hat eine genetische Grundlage und sichert das Herstellen und Aufrechterhalten von Nähe und Kontakt zu einem oder mehreren Erwachsenen Bindungsverhalten Suche nach Sicherheit und Schutz
1. Grundlagen der Bindungstheorie Bindungsverhalten wird aktiviert durch: - innere Belastung (z.b. Hunger, Müdigkeit) - äußeren Streß (z.b. fremde Umgebung, fremde Person, kurze Trennung von der Bindungsperson)
1. Grundlagen der Bindungstheorie Balance zwischen Bindung und Exploration Erkundungsverhalten Bindungsverhalten (in der stressfreien Situation) (in der Stresssituation) Bindungsverhalten Erkundungsverhalten
1. Grundlagen der Bindungstheorie Funktion der Bindungsperson (Ainsworth et al. 1978) Regulierung des emotionalen Sicherheitsgefühls des Kindes eine sichere Basis zur Erkundung der physischen und sozialen Umgebung
1. Grundlagen der Bindungstheorie Pflegeverhalten der Bindungsperson Signale des Kindes feinfühlig beantworten Pflegeverhalten der Bindungsperson und Bindungsverhalten des Kindes als komplementäres Verhaltenssystem
1. Grundlagen der Bindungstheorie Organisation von Bindungsbeziehungen Unabhängigkeit Hierarchie Qualität
1. Grundlagen der Bindungstheorie Qualität der Bindung B sicher A unsicher vermeidend C unsicher ambivalent D unsicher desorganisiert / desorientiert
1. Grundlagen der Bindungstheorie Organisiertes Bindungsmuster Sichere Bindung (B) Sich der Unterstützung der Bindungsperson sicher zu sein, sich trösten zu lassen, die Bindungsperson als eine sichere Basis zu nutzen Selbstwirksamkeit, d. h. effektiv Einfluss auf das soziale Umfeld nehmen Schutzfaktor für die spätere Entwicklung Unsichere Bindung (A = vermeidend und C = ambivalent) Fehlendes Vertrauen in die Verfügbarkeit der Bindungsperson Starke emotionale Belastung und Mangel an Selbstwirksamkeit Risikofaktor für die spätere Entwicklung
1. Grundlagen der Bindungstheorie Nicht organisiertes Bindungsmuster und Bindungsstörung Desorganisierte Bindung (D) keine ausreichende Strategie, die Bindungsperson als eine sichere Basis zu nutzen besondere Gefährdung für eine gesunde psychische Entwicklung hohe Wahrscheinlichkeit für Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsstörungen Bindungsstörung (Klassifizierbar 9. Lebensmonat 5. Lebensjahr) Pathologische Form der Bindungsorganisation Eindeutige Beeinträchtigung der sozialemotionalen Entwicklung
1. Grundlagen der Bindungstheorie Parallelität von kindlichen Bindungsmustern und Bindungsrepräsentationen der Bezugspersonen Bindungsmuster Bindungsrepräsentation des Kleinkindes der Bindungsperson B sicher F sicher, autonom A unsicher vermeidend D unsicher-distanziert C unsicher-ambivalent E unsicher-verwickelt D desorientiert/desorganisiert U unverarbeiteter Bindungsstatus
1. Grundlagen der Bindungstheorie Generationsübergreifende Perspektive Die Bindungsqualität des Kleinkindes steht im engen Zusammenhang mit den Bindungsrepräsentanzen seiner primären Bindungsperson Intergenerationale Transmission von Bindungserfahrungen: Bindungsstrukturen werden mit großer Wahrscheinlichkeit (um die 70%) von Generation auf Generation weitergegeben Die Weitergabe von Bindungsmustern als Teil des Sozialisationsprozesses
2. Resilienz Mit Resilienz wird die psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen gegenüber biologischen und psychosozialen Risikofaktoren beschrieben. (Wustmann 2004)
2. Resilienz Kriterien von Resilienz: 1) Bedrohung der kindlichen Entwicklung / Risikofaktoren 2) erfolgreiche Bewältigung der widrigen Lebensumständen / Schutzfaktoren
2. Resilienz Zentrale Präventions- und Interventionsziele 1) Risikominderung 2) Kompetenzsteigerung Von der Defizitorientierung zur Ressourcenorientierung.
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit Anwendung der Bindungstheorie in der klinischen Praxis: 1) Der Kreis der Sicherheit (Powell et al. 2015) 2) Eltern-Säugling/Kleinkind-Beratung und Psychotherapie (Papousek et al. 2004, Hédervári-Heller 2011) Frühprävention und Frühintervention bei Risiken: STEEP Schritte hin zu gelingender und Freude bereitender Elternschaft (Erickson/Egeland 2014, Suess/Hammer 2010) Prävention in der pädagogischen Arbeit: Das Berliner Eingewöhnungsmodell (Laewen/Andres/Hédervári-Heller 2011)
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit Der Kreis der Sicherheit (Powell/Cooper/Hoffmann/Marvin 2015) Grundsätze, Ziele: früh zu intervenieren um spätere Probleme zu verhindern / Verbesserung der Eltern-Kind Bindung sich mit dem mentalen Zustand und dem Abwehrmechanismen der Eltern zu befassen die Strategien und Interaktionsmuster der Eltern zu reflektieren
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit Eltern-Säugling/Kleinkind-Beratung und Psychotherapie Videodemonstration Angst der Mutter über das Klammerverhalten des Kindes Wunsch des Kindes nach Nähe und Kontakt
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit Videodemonstration eine Wochen später gewonnene Autonomie und Sicherheit
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit STEEP TM Schritte hin zu gelingender und Freude bereitender Elternschaft Frühintervention für hoch belastete Familien mit Risiken basiert auf der Bindungstheorie: Erkenntnisse aus der Bindungsforschung wurden in praktisches Handeln umgesetzt ziel: Förderung einer positiven Eltern-Kind- Bindungsbeziehung dient der Resilienzförderung und der Verhinderung von Kindesmisshandlung und Vernachlässigung Éva Hédervári-Heller
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit STEEP TM Schritte hin zu gelingender und Freude bereitender Elternschaft Videointeraktionstraining Seeing is Believing setzt auf verschiedenen Ebenen an: (1) Verhaltensebene (2) Repräsentationsebene (3) soziale Unterstützung Éva Hédervári-Heller
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit Das Berliner Eingewöhnungsmodell (Laewen, Andres, Hédervári-Heller 2011) sanfte, am Grundbedürfnis des Kindes nach Bindung orientierte Eingewöhnung Funktion der pädagogischen Fachkraft als sichere Basis BezugserzieherIn als Bindungsperson Éva Hédervári-Heller
3. Prävention und Intervention zur Stärkung der Bindungssicherheit Videodemonstration (4 Min.) Auf die Bindungstheorie basierende Eingewöhnung Éva Hédervári-Heller
Fazit Sichere Bindungserfahrung fördert die psychische Gesundheit und das emotionale Sicherheitsgefühl Vertrauensvolle und wertschätzende Bindungserfahrung stärkt: - das Selbstwertgefühl - die Fähigkeit zur Stressbewältigung und - führt zur höheren Resilienz / Widerstandsfähigkeit Veränderungen in den Lebensumständen können zu Veränderungen in den unterschiedlichen Bindungsmustern führen
Fazit Bindungstheoretisch geleitete Prävention- und Interventionsmaßnahmen unterstützen die Entstehung von Bindungssicherheit Frühe Einflüsse werden als eingefahrene Wege und nicht als Prägung verstanden (Bowlby 1988, Grossman/Grossmann 2002) Bindungssicherheit ist kein Determinismus im Sinne einer Prägung, sondern ein Fundament und Vorläufer erfolgreicher späteren Anpassung (Zimmermann, Spangler, Schieche, Becker-Scholl 2011)
Vielen dank für Ihre Aufmerksamkeit!