67 Retropupillare Irisklauenlinse bei Kapselsackverlust U. Baum, M. Blum Zusammenfassung Hintergrund: Retrospektiv werden die visuellen Ergebnisse und Operationsbesonderheiten verschiedener Ausgangssituationen nach Verlust des Kapselsackes bei Anwendung einer retroiridalen Irisklauenlinse als Hinterkammerlinse (Verisyse VRSA 54) ausgewertet. Material und Methode: Es wurden 20 Augen von 19 Patienten (Alter 18 bis 91 Jahre) nach der Methode von Mohr zwischen September 2006 und Januar 2009 operiert. Ergebnisse: Bei elf Augen lag eine Aphakie vor, in neun Fällen erfolgte ein Linsenaustausch. Fünf Augen waren vitrektomiert, fünf weitere Fälle erhielten die Pars-plana- Vitrektomie in Kombination mit der Operation. Die Linse konnte retropupillar bis auf eine Ausnahme in der 3-9-Uhr-Haptikposition fixiert werden. Schon am Entlassungstag befand sich der Visus im Mittel wieder auf dem präoperativen Niveau. Das sphärische Äquivalent betrug 0,8 ± 1,51 dpt, der Zielkorridor wird von zehn Augen erreicht. Der Astigmatismus von 2,0 ± 1,40 dpt wird stark von den oft anspruchsvollen Schnittverhältnissen beeinflusst. Bei insgesamt zehn Patienten traten postoperativ gut beherrschbare Komplikationen auf: Druckanstiege (n = 3), Hypotonie (n = 1), Glaskörperblutung (n = 3), IOL-Luxation, was einen zweiten Eingriff erforderte (n = 3). Schlussfolgerung: Die Indikationsstellung sollte wegen der vergleichsweise sicheren und schnellen Operationsmethode sowie der sehr guten visuellen Rehabilitation großzügig gestellt werden. Die Komplikationsmöglichkeiten werden stark von der Ausgangsituation beeinflusst. Schlüsselwörter: Irisklauenlinse, Aphakie, IOL-Austausch Summary Background: In a retrospective study, we report the surgical and visual results after implantation of a retropupillary fixated iris-claw-lens (Verisyse VRSA 54) without capsular support. Methods: 20 eyes of 19 patients aged 18 91 years had undergone an implantation as described by Mohr et al. 2002 between September 2006 and January 2009. Results: Underlying conditions were: aphakia (11 eyes), exchange of intraocular lenses (IOL) (9 eyes), prior vitrectomy (5 eyes), simultaneous IOL exchange and vitrectomy (5 eyes). In all eyes, both IOL haptics were enclavated safely in the 3-9-o clock-position, except one case where the haptics were fixated in the oblique meridian. Mean postoperativ refraction was 0.8 ± 1.51 D after 1 12 months. Half of the group (10 eyes) reached a refraction within ± 0.5 D. Astigmatism was 2.0 ± 1.40 D mainly due to preoperative conditions. Complications were noticed in 10 cases including intraocular hypertension (n = 3) or hypotension (n = 1), intraocular haemorrhage (n = 3) and iris-claw-lens luxation (n = 3). Conclusion: Implantation of a retropupillary fixated IOL is a safe, quick and predictable method resulting in good visual acuity. Complications are mainly depending on preoperative conditions. Key words: Iris claw lens, aphakia, IOL exchange
68 Aphakie-IOL/Endophthalmitis Hintergrund Nach Verlust des Kapselsackes durch Zonulainsuffizienz wie beim Marfan-Syndrom, bei einer Verletzung oder im Rahmen eines Linsenaustausches bzw. einer Linsenexplantation kann die Kunstlinse in der Vorderkammer oder in der Hinterkammer fixiert werden. Über die Vorteile der retropupillaren Fixation einer Irisklauenlinse gegenüber einer Vorderkammerlinse oder einer nahtfixierten Hinterkammerlinse wird zunehmend berichtet [2, 3, 5, 7]. Methodik In einer retrospektiven Untersuchung zwischen 2006 und Januar 2009 wurden die visuellen Ergebnisse und Operationsbesonderheiten bei der Anwendung einer Irisklauenlinse als Hinterkammerlinse (Verisyse VRSA 54) ausgewertet. Die einstückige Intraokularlinse (IOL) (Abb. 1) besteht aus PMMA und besitzt zwei klauenartige Haptiken mit einem Gesamtdurchmesser von 8,5 mm, in die das Irisstroma eingeklemmt werden kann. Der Durchmesser der Optik beträgt 5 mm und bestimmt somit den Tunnelquerschnitt des operativen Zugangs. Die Operationsmethode wurde von Mohr 2002 beschrieben [7]. Dank der Haptikabwinkelung von 5 kann der Pigmentabrieb verhindert werden, es ist keine Iridektomie zur Vermeidung eines Pupillarblockes notwendig. 8,5 x 5 mm Abb. 1: Irisklauenlinse (Verisyse, AMO) Ergebnisse Es wurden 20 Augen von 19 Patienten (Alter 18 bis 91 Jahre) am HELIOS Klinikum Erfurt GmbH operiert. Die Biometrie erfolgte mittels IOL-Master und SRK-2-Formel (A-Konstante von 116,8). Bei 19 Augen konnte die Linse retropupillar in der operationstechnisch besten Haptikposition bei 3-9-Uhr fixiert werden. Trotz Verwachsungen und Irisdefekte konnte in einem Fall durch eine Rotation der Linse eine stabile Fixation im schrägen Meridian erfolgen.
Baum, Blum: Retropupillare Irisklauenlinse bei Kapselsackverlust 69 Bei unterschiedlichen Ausgangssituationen und Voroperationen musste das operative Vorgehen individuell angepasst werden, elf Augen waren aphak, in sieben Fällen erfolgte ein Linsenaustausch wegen IOL-Luxation und zweimal wegen einer Schädigung der IOL. Fünf Augen waren schon vollständig vitrektomiert, fünf weitere Fälle erhielten die Pars-plana-Vitrektomie in Kombination mit dem Einsetzen der Irisklauenlinse. Schon am Entlassungstag befand sich der Visus im Mittel wieder auf dem präoperativen Niveau. Die unterschiedlichen Nachbeobachtungszeiten von einen bis zwölf Monaten erklären sich aus dem Zeitraum der Studie (Abb. 2). 60 % der Augen verzeichneten eine Visusgewinn, 20 % blieben unverändert und in 20 % war der Verlust einer Zeile festzustellen. Den Zielkorridor des sphärischen Äquivalents von ± 0,5 dpt erreichten 10/20 Augen, was mit den Ergebnissen von Mohr [7] vergleichbar ist. Das sphärische Äquivalent betrug 0,8 ± 1,51 dpt. Hier könnte eine Irisverziehung durch die Enklavation eine Rolle spielen. Der Astigmatismus wurde mit 2,0 ± 1,4 dpt gemessen, was sich aus den Ausgangssituationen mit schwierigen Schnittverhältnissen nach ICCE und mehreren Voroperationen erklärt. Bei neutraler Pupillenweite ist der Optikrand trotz leichter Dezentrierung nicht sichtbar. Die Fundusbeurteilung in Mydriasis ist unproblematisch. Bei insgesamt zehn Patienten traten postoperativ Komplikationen auf: Druckanstieg (n = 3), Hypotonie (n = 1), Glaskörperblutung (n = 3), IOL-Luxation, was einen zweiten Eingriff erforderte (n = 3). Die Ergebnisse werden stark von der Ausgangsituation und dem Umfang der Operation (Kombination mit Vitrektomie) beeinflusst. 1,2 1,0 0,8 postop. 0,6 0,4 0,2 0,0 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 1,2 Visus präop. Abb. 2: Postoperative Visusentwicklung, n = 20, Nachbeobachtungszeit 1 12 Monate
70 Aphakie-IOL/Endophthalmitis Diskussion Der Vorschlag einer retropupillaren Fixierung einer Irisklauenlinse wurde bereits 1980 von Amar gemacht. Bei dieser Technik wurde eine Linse mit konvex-planer Optik identisch der Vorderkammerimplantation, jedoch retropupillar eingesetzt [1]. Wegen des äußerst geringen Abstandes der Linse vom Pigmentepithel bestand die Gefahr der Abschilferung des Pigmentepithels mit einem möglichen chronischen Reizzustand. Zur Vermeidung eines Pupillarblockes musste eine Iridektomie angelegt werden. Der neue Linsentyp (Verisyse) mit einer 5 abgewinkelten Haptik hält einen Abstand von der Rückseite der Iris ein. Eine geringe Depigmentierung wurde nur im Bereich der Haptikinkarzerationen gesehen [7]. Es konnte keine Zunahme im zeitlichen Verlauf festgestellt werden. Da weder eine segmentale Irisatrophie noch eine Beeinflussung der Pupillarmotilität in der postoperativen Phase aufgefallen waren, kann daraus gefolgert werden, dass keine Auswirkungen auf die Blutzirkulation zu erwarten sind. Leckagen an den Inkarzerationsstellen waren fluoreszenzangiographisch nicht nachweisbar [7]. Die Vorteile der Irisklauenlinse liegen in ihrer guten Anpassung an die Physiologie der Vorderkammer, da Kammerwinkelstrukturen nicht berührt werden. Dadurch ist eine Anwendbarkeit dieser Linse sowohl bei primären Offenwinkelglaukomen als auch bei bestimmten Formen von Sekundärglaukomen gegeben. Gegenüber den skleranahtfixierten Hinterkammerlinsen zeichnet sich dieser Linsentyp durch die Vermeidung von intraoperativen Blutungen, die beim Nadeldurchstich durch den Ziliarkörper entstehen können, aus [9]. Die erhöhte Beweglichkeit der Linse gegenüber einer kapselsackfixierten Intraokularlinse hat Bedeutung für die Inzidenz eines Makulaödems und eines Endothelzellverlustes. Deshalb ist ihre Anwendung bei niedriger Endothelzellzahl oder drohender Hornhautdekompensation nicht empfehlenswert. Die Inzidenz eines zystoiden Ödems lag im Patientengut bei 4,8 % [7] und damit höher als bei der normalen Hinterkammerlinsenimplantation. Für die vergleichbare Implantation einer skleranahtfixierten Hinterkammerlinse wurde eine Häufigkeit zwischen 5,8 % und 33 % angegeben [6, 9]. Ihre gegenüber kammerwinkelgestützten Vorderkammerlinsen deutlich erhöhte Beweglichkeit, insbesondere bei vitrektomierten Augen, kann zu vermehrten Blendungsbeschwerden führen. Eine bereits vorgenommene Vitrektomie könnte diese Rate dahingehend positiv beeinflusst haben, dass eine Glaskörperinkarzeration weder im Bereich der Iris noch im Bereich des Sulcus ciliaris möglich ist [7]. Bei einer evtl. erneuten Pars-plana-Vitrektomie unter Verwendung einer Gasendotamponade führt diese Implantationstechnik nicht zu Komplikationen, wie wir an einigen Fällen bei der kombinierten Implantation nachweisen konnten. Da keine weitere Eintrittspforte (z. B. an den Durchstichstellen des Prolene-Fadens bei Skleranahtfixaton) gegeben ist, kann wahrscheinlich das Endophthalmitisrisiko gesenkt werden. Auch die erheblich kürzere Operationszeit gegenüber der Skleranahtfixierung kann letztlich als Vorteil gewertet werden. Unsere Ergebnisse bestätigen die Berichte in der Literatur, dass die postoperativen Probleme und Komplikationen eher mit den Vorerkrankungen und Ausgangssitua-
Baum, Blum: Retropupillare Irisklauenlinse bei Kapselsackverlust 71 tionen zusammenhängen und nicht kausal durch die retroiridal fixierten Irisklauenlinsen verursacht werden. Das zystoide Makulaödem wurde in 4,1 % der Patienten beobachtet [3, 4, 5, 11], wurde aber aufgrund des Umfangs unseres Kollektivs nicht ausgewertet. Die Implantation einer retroiridal fixierten Irisklauenlinse kann schnell und schonend in Retrobulbäranästhesie durchgeführt werden. Unter Antikoagulation ist bei unkomplizierter Ausgangssituation auch eine Tropfanästhesie mit intrakameraler Lidocaingabe angewendet werden. Mit der neu entwickelten Pinzette von Sekundo [10] gelingt dem erfahrenen Operateur die Zentrierung der IOL relativ einfach. Die Methode der Wahl zur Korrektur der Aphakie bei fehlendem Kapselsack ist inzwischen in unserem Haus die retroiridal implantierte Irisklauenlinse und kommt damit auch als Stand-by-IOL im Rahmen der Kataraktchirurgie infrage. Sowohl die Kombination mit einer Vitrektomie, wie in unserem Patientenkollektiv, als auch mit einer penetrierenden Keratoplastik ist möglich [8]. Am Ende der Vitrektomie kann gegebenenfalls auch eine Gastamponade angewendet werden. Der Patient muss dann allerdings konsequent die Lagerungsanweisungen einhalten, um einen Pupillarblock zu vermeiden. Schlussfolgerungen Die visuelle Rehabilitation ist sehr gut und die Kombination mit vitreoretinalen Eingriffen möglich. Die Indikationsstellung sollte wegen der vergleichsweise sicheren und schnellen Operationsmethode großzügig gestellt werden, wobei die Ausschlusskriterien wie ein zystoides Makulaödem, ein dekompensiertes Sekundärglaukom, Irispathologien und Pupillenweiten über 5 mm zu beachten sind. Literatur 1. Amar L: Posterior chamber iris claw lens. Am Intra Ocular Implant Soc J 1980;6:27 2. Billwitz S, Häberle H, Wirbelauer C et al.: Erfahrungen der retroiridalen Irisklauenlinsenimplantation (Verisyse) bei unterschiedlichen Indikationen. In: Tetz M, Auffarth GU, Pham DT (Hrsg.): 21. Kongress der DGII. Köln: Biermann Verlag 2007:343 347 3. Menezo JL, Martinez MC, Cisneros AL: Iris-fixated worst claw versus sulcus-fixated posterior chamber lenses in the absence of capsular support. J Cataract Refract Surg 1996;22(19):1476 1484 4. Mennel S, Sekundo W, Schmidt JC et al.: Retopupillare Fixation einer Irisklauenlinse bei Aphakie, ist die sklerafixierte Intraokularlinse noch state of the art? Spektrum der Augenheilkunde 2004;18:279 283 5. Mennel S, Hörle S, Schmidt JC et al.: Retopupillare Fixation einer Irisklauenlinse oder sklerafixierte Intraokularlinse? In: Tetz M, Auffarth GU, Pham DT (Hrsg.): 21. Kongress der DGII. Köln: Biermann Verlag 2007:339 342 6. Mittelviefhaus H: A modified technique of transscleral suture fixation of posterior chamber lenses. Ophthalmic Surg 1992;23:496 498 7. Mohr A, Hengerer F, Eckardt C: Retropupillare Fixation der Irisklauenlinse bei Aphakie. Ophthalmologe 2002;99:580 583
72 Aphakie-IOL/Endophthalmitis 8. Rüfer F, Saeger M, Nölle B, Roider J: Implantation of retropupillar iris claw lenses with and without combined penetrating keratoplasty. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2008;Sep:12 9. Uthoff D, Teichmann KD: Secondary implantation of scleral-fixated intraocular lenses. J Cataract Refract Surg 1998;24:945 950 10. Sekundo W: New forceps and spatula for easy retropupillary implantation of iris claw lenses in aphakia: Experience in 4 years of use. Ophthalmologe 2002;99(7):580 583 11. Wolter-Roessler M, Küchle M: Ergebnisse der Aphakiekorrektur durch retroiridal fixierte Kunstlinse. Klin Monatsbl Augenheilkd 2008;225:1041 1044