Ihre Gesprächspartner: Dr. Johann Kalliauer Dr. Fritz Bauer Präsident der Arbeiterkammer Oberösterreich AK-Abteilung Bildung Jugendliche ohne Ausbildung Pressekonferenz Dienstag, 16. Juni 2009 Arbeiterkammer Linz
2 Jugendliche ohne Berufsausbildung: Auf der Suche nach den Ursachen für Bildungsarmut Geringes Einkommen, hohes Arbeitslosigkeitsrisiko, generelle Unzufriedenheit mit dem Job: Jugendliche ohne abgeschlossene Berufsausbildung haben im Leben schlechte Karten. Um das Phänomen Bildungsarmut bekämpfen zu können, müssen zuerst die Ursachen bekannt sein. Die Arbeiterkammer Oberösterreich hat deshalb das Institut für Erwachsenenbildung und Bildungsforschung (IBE) an der Uni Linz mit einer Studie beauftragt. Ergebnis: Muttersprache, Wohnort und die Frage, ob jemand seinen Wunschberuf erlernen kann, üben zwar erheblichen Einfluss auf die Bildungslaufbahn aus, entscheidend ist aber der Bildungsgrad der Eltern. Als Jugendliche ohne Berufsausbildung gelten in der Studie Personen im Alter zwischen 15 und 24 Jahren, die als abgeschlossene Ausbildung höchstens einen Pflichtschulabschluss haben und sich in keiner weiterführenden Ausbildung befinden. In der Untersuchung wurden zu Vergleichszwecken insgesamt 13.826 Jugendliche mit allen möglichen Bildungsabschlüssen mit oder ohne Beschäftigung befragt. Der Rücklauf lag bei 10 Prozent. Die Zielgruppe der Unausgebildeten wurde mit 384 Personen in der Gesamtstichprobe bewusst überrepräsentiert, um auch für diese Gruppe einigermaßen gesicherte Ergebnisse erzielen zu können. Soziodemografische Merkmale, Meinungen und Haltungen der 384 Unausgebildeten wurden denen der 959 Bildungsnahen gegenübergestellt, um Zusammenhänge mit dem Bildungsverhalten bestimmen zu können. Es zeigt sich, dass vier Merkmale in einem starken Zusammenhang stehen mit dem Risiko, letztlich ohne Berufsausbildung zu bleiben: die fehlende Möglichkeit, den Wunschberuf zu erlernen (3-faches Risiko) die Muttersprache (nicht deutsch bedeutet ein 2,3-faches Risiko) der Bildungsgrad der Eltern (niedrig bedeutet ein 2-faches Risiko) Wohnort (städtisch bedeutet ein 1,7-faches Risiko)
3 Bildungsarmut ist erblich Erwartungsgemäß sind Jugendliche mit Migrationshintergrund weitaus häufiger in der Gruppe der Unausgebildeten zu finden als Jugendliche ohne Migrationshintergrund (55 Prozent gegenüber 24 Prozent). Dennoch ist Bildungsarmut kein spezielles Ausländerthema. Isoliert betrachtet führt mangelndes Sprachverständnis zwar mit großer Wahrscheinlichkeit zu Bildungsarmut. Das Sprachverständnis wird aber vom Bildungsstand der Eltern vorgeprägt. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang auch die Größe des Wohnorts. Unabhängig davon, ob ein Migrationshintergrund vorhanden ist oder nicht, steigt mit der Wohnortgröße das Risiko, aus dem Bildungssystem zu fallen. So sind in Gemeinden mit mehr als 30.000 Einwohnern/-innen 40 Prozent der Jugendlichen ohne Berufsausbildung, in Gemeinden mit bis zu maximal 3000 Einwohnern/-innen aber nur 23 Prozent. Migrationshintergrund nicht ausschlaggebend Die Annahme, dass der erhöhte Anteil an Unausgebildeten in den Ballungsräumen auf den höheren Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund zurückzuführen ist, kann jedoch nicht bestätigt werden. Denn es befinden sich in den Städten zwar etwa dreimal so viele Jugendliche mit Migrationshintergrund wie auf dem Land, aber nur doppelt so viele unausgebildete Jugendliche mit Migrationshintergrund. Lehrstellenmangel wichtiger Faktor Einen besonders hohen Einfluss auf das Risiko, unausgebildet zu bleiben, hat auch die fehlende Möglichkeit, den Wunschberuf zu erlernen. Dieser Faktor erhöht das Risiko um das Dreifache. Als Grund dafür geben die Betroffenen am häufigsten Lehrstellenmangel an. Davon sind Jugendliche mit Migrationshintergrund und Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsniveau ganz besonders betroffen.
4 An Motivation mangelt es nicht Die Studie zeigt aber auch ganz klar, dass es den unausgebildeten Jugendlichen nicht an Motivation mangelt. Mehr als die Hälfte der Befragten plant einen formellen Bildungsabschluss. Zudem räumt die Untersuchung mit dem weit verbreiteten Vorurteil der angeblichen Bildungsunwilligkeit von Migrantinnen und Migranten auf. Stattdessen zeigt sich auch hier sehr klar, dass Bildungsarmut ein zentrales Thema unserer Gesellschaft ist. Der höchste Anteil an Jugendlichen, die einen formellen Abschluss planen findet sich bei Unausgebildeten mit Migrationshintergrund (74 Prozent), der geringste Anteil bei Unausgebildeten aus dem städtischen Raum mit deutscher Muttersprache (38 Prozent)! AK bietet effektive Hilfeleistung Die Studie bestätigt übrigens auch die Bedeutung der Arbeiterkammer in Bildungsfragen. Gleich nach den Qualifizierungsmaßnahmen des Arbeitsmarktservice (AMS) werden die Beratungen durch die AK als effektivste Hilfeleistung empfunden. Schlussfolgerungen und Forderungen: Laut der letzten Volkszählung haben alarmierende 17,4 Prozent der 20- bis 24-Jährigen in Österreich keine abgeschlossene Berufsausbildung. Nach Ansicht der Arbeiterkammer braucht es daher ein Bündel von Maßnahmen: Bildungspolitik für die Zukunft Kindergarten-Pflicht und Gratis-Kindergarten sind wichtige und richtige Schritte, um ungleiche Startchancen zu mildern und die sprachliche und soziale Entwicklung bestmöglich zu fördern. Damit der Kindergarten zum Bildungsgarten wird, braucht es zudem einen modernen Bildungsrahmen, bestens ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen sowie kleinere Gruppen. Spielerisch zu lernen, fällt Kindern im Vorschulalter besonders leicht und macht ihnen Spaß. Die frühe Selektion der Schülerinnen und Schüler nach vier Jahren Volksschule vererbt Bildungsarmut. Eine Verlängerung der gemein-
5 samen Schule bis 15 mit verstärkter Individualisierung des Unterrichts, mehr Ressourcen und Förderung aller Begabungen schafft mehr Chancen für alle Kinder. So bekommen mehr Kinder die Voraussetzungen für einen guten Einstieg in einen Lehrberuf oder eine schulische Berufsausbildung. Gebührenfreie Ganztagsschulen müssen zumindest als Option in ausreichendem Ausmaß zur Verfügung stehen. Sie verbessern die Lernchancen nochmals. Akademische Ausbildung für alle Pädagogen/-innen. Sofortmaßnahmen im Schulwesen Breiteste Förderung der Leselust, frühzeitige Maßnahmen zum Abbau von Prüfungsängsten Zielgruppengerechter Ausbau von schulischer Förderung, etwa spezieller Deutsch- und zusätzlicher Muttersprachenunterricht. Je besser die Muttersprache beherrscht wird, desto leichter wird eine andere Sprache erlernt. Mehr Berufsorientierung und Unterstützung bei der Berufswahl in der Schule. Unterstützung der Eltern Beratungs- und Informationsangebote für Eltern Die erwähnten präventiven Maßnahmen im Bildungssystem sind notwendig, um für die spätere Berufsausbildung bessere Voraussetzungen zu schaffen. In der Berufsausbildung ist es am wichtigsten, dass die Jugendlichen auf ausreichende und passende Angebote treffen. Dies war in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall, vielfach mussten Ersatzmaßnahmen anstelle eines ausreichenden Angebots der Betriebe und der Schule treten. Die Krise lässt für den Herbst einige Probleme erwarten.
6 Sofortmaßnahme Jugend-Ausbildungsgesellschaft Die Arbeiterkammer hat deshalb die Gründung einer Jugend-Ausbildungsgesellschaft vorgeschlagen, um alle Maßnahmen für Jugendliche ohne Ausbildung zu bündeln, auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Mit der Jugend-Ausbildungsgesellschaft könnte auch ein neues Lehrausbildungsmodell umgesetzt werden: Zu Beginn würden die überbetrieblichen und schulischen Ausbildungsteile durchgeführt werden. Die notwendigen Praxisteile könnten im letzten Drittel der Ausbildung in Zusammenarbeit mit Praxisbetrieben erfolgen. Mit den vorhandenen Ausbildungsressourcen in Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen sowie Lehrwerkstätten könnte 500 Jugendlichen rasch und dezentral eine echte Berufsausbildung angeboten werden. Die AK würde dafür sofort 500.000 Euro zur Verfügung stellen. Dennoch wurde der Vorschlag vom Land Oberösterreich und von den Sozialpartnern bisher nicht aufgegriffen.