Die triadische Beobachtungssituation in der Früherfassung von spracherwerbsauffälligen Kindern

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Transkript:

Die triadische Beobachtungssituation in der Früherfassung von spracherwerbsauffälligen Kindern Barbara Zollinger Zentrum für kleine Kinder GmbH Pionierstrasse 10 CH-8400 Winterthur Tel. +41 52 213 68 16 Fax +41 52 213 68 47 zentrum@kinder.ch www.kinder.ch

Ausgangslage Bis 2010 Abklärung und Therapie im Frühbereich Logopädie finanziert über Invalidenversicherung 2010 Wechsel vom Versicherten- zum Versorgungsprinzip im Kt. Zürich >>> zwei Abklärungsstellen am Kinderspital Zürich und an der Kinderklinik Winterthur entscheiden über Therapiebedarf und finanzierung >>> hochschwelliges Angebot! 2013 Einrichtung einer Beratungsstunde (vom Kanton finanziert) >>> niederschwelliges Angebot: Eltern können sich direkt in einer Praxis für eine Beratung melden

Beratungsstunde Ziel Indikation einer logopädische Abklärung Fragestellung Wie können Schutz- und Risikofaktoren für die Ausbildung einer Spracherwerbsstörung innerhalb einer Stunde erfasst werden?

Entwicklung der triadischen Beobachtungssituation 1. Auf der Basis theoretischer Konzepte und klinischer Erfahrungen bezüglich der Trennungssituation im Zusammenhang mit frühen Spracherwerbsstörungen 2. Auf der Basis des Lausanner Spiel zu Dritt (Lausanne Trilogue Play LTP) von Fivaz-Depeursinge und Corboz (1999)

1. Die Bedeutung der Sprache für die Mutter-Kind-Beziehung Mütterliche Feinfühligkeit Verstehen und Verstanden werden ohne Worte >>> SICH BINDEN Loslösung, Nein als UR-TEIL >>> SICH TRENNEN Entdeckung der Sprache >>> SICH über Sprache FINDEN

Nicht oder unverständlich sprechen als Ausdruck einer Bindungslosigkeit (soziale Vernachlässigung, Autismus): ich habe keine Sprache, weil ich keine Bindung habe symbiotischen Bindung: ich brauche keine Sprache weil ich nicht getrennt bin ambivalenten Bindung: ich darf nicht sprechen, weil ich dich sonst nicht mehr brauche/ ich spreche in einer Weise, dass nur du mich verstehst weil ich mich nicht trennen kann/ weil ich mich nicht trennen darf

2. Das Lausanner Spiel zu Dritt (LTP) Setting: halbstandardisierte Situation mit 4 Konfigurationen 1. Mutter in Aktion mit dem Kind 2. Vater in Aktion mit dem Kind 3. Mutter und Vater gemeinsam in Aktion mit dem Kind 4. Mutter und Vater in Aktion, mit dem Kind als Zuschauer Dauer: insgesamt 10-15 Minuten Fivaz-Depeursinge, E., Corboz-Warnery, A. (1999), The Primary Triangle. New York

Triadische Beobachtungssituation: Setting Einstiegsgespräch Mutter Therapeutin (10 min) Wie verhält sich das Kind? Spiel Mutter Kind (10 min) Wie fühlt sich die Therapeutin? Spiel Therapeutin Kind (10 min) Wie verhält sich die Mutter? Schlussgespräch Mutter Therapeutin (20 min) Wie verhält sich das Kind?

Einstieggespräch auf der Basis anamnestischer Kenntnisse >>> Entwicklung eines Anmelde- und Anamnesebogens Mit Fragen zur Familie (FA) zur Geschichte und aktuellen Situation des Kindes (PA)

Entwicklung eines Instrumentes zur Analyse der triadischen Beobachtungssituationen (TRI) Erprobung des Settings Herbst 11 mit 6 Familien >>> Evaluation der Videoaufnahmen >>> Liste mit Beobachtungsitems Erprobung von Setting und TRI bis Jan-Juli 12 mit 16 Familien >>> inhaltliche Überarbeitung und Kürzung der Items Bewertung der Items aus Anamnesebogen und TRI im Herbst 13 >>> Schutz- und Risikofaktoren

Anamnestische Daten und TRI-Items mit Schutzfaktor Ich bin/wir sind: noch wenig besorgt (1 oder 2) Wie ging es Ihnen nach der Geburt: ausgezeichnet (1 oder 2) Wie ging es dem Baby nach der Geburt: ausgezeichnet (1 oder 2) Wie hat das Kind geschlafen: ausgezeichnet (1 oder 2) Das Kind spielt allein/selbständig: oft (1 oder 2) M kann Stärken von K benennen K kann sich während Gespräch M-TH mit Gegenstand beschäftigen K zeigt referentiellen Blickkontakt TH wird durch Blick/Lächeln einbezogen K nimmt Vorschläge der TH auf M wirkt interessiert /aufmerksam M benennt positive Aspekte der Spielsituationen K führt Spiel während Schlussgespräch M-TH alleine weiter

Anamnestische Daten und TRI-Items mit Risikofaktor Ich bin/ wir sind: äusserst besorgt (9 oder 10) Wie haben Sie die Geburt erlebt: schwierig (9 oder 10) Wie gestaltete sich das Füttern: schwierig (9 oder 10) Das Kind interessiert sich für Bilderbücher: nicht (9 oder 10) Das Kind kann sich von den Eltern trennen: nicht möglich (9 oder 10) M spricht abwertend von K M wirkt angespannt/ unsicher K wirkt unsicher/traurig, ernst/ blödelt TH muss bei Spiel M-K unterstützend eingreifen K verharrt bei Interaktion TH-K bei M K weicht direktem Blick aus M wehrt Einschätzung der TH ab ( ja, aber... ) K verhindert Schlussgespräch M-TH

Evaluation TRI: geplantes Vorgehen 2014 Durchführung von 40-60 Beratungen mit Evaluation TRI Anfang 2015 schriftliche Befragung der Eltern über weiteren Verlauf - Abklärung ja oder nein? - Diagnose? - Therapie? Hohe Übereinstimmung TRI-Diagnose Kinderklinik >>> 2015 Studie zu Reliabilität und Validität des TRI

Es gibt noch viele andere (Möglichkeiten), aber die Schönheit der Forschung bringt es mit sich, dass man nicht weiss, was als nächstes kommt. (Stern 2008, 178). Stern, D. (2008), Clinical Relevance of Infancy: A Progress Report. In: Infant Mental Health Journal 3: 177-188

Literaturhinweis Zollinger, B., Triadische Beziehungen und Spracherwerbsstörungen: ein neues Konzept für die Früherfassung. Erscheint im Frühjahr 2014 in: Zollinger, B. (Hrsg.), Frühe Spracherwerbsstörungen. Kleine Kinder verstehen und ihre Eltern begleiten. Haupt: Bern, Stuttgart, Wien