Kapitel 9 Die Geldpolitik eine Zusammenfassung. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 1

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Transkript:

Kapitel 9 Die Geldpolitik eine Zusammenfassung Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 1

Die Geldpolitik eine Zusammenfassung 9.1 Die optimale Inflationsrate 9.2 Moderne Konzepte der Geldpolitik 9.3 Geldpolitik in der Praxis Die Strategie der EZB Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 2

9.1 Die optimale Inflationsrate Tabelle 26 1 Inflation in den OECD Staaten, 1981 2005 Tabelle 26 1 zeigt, dass die Inflation in den reichen Ländern seit den 80er Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Haben die Zentralbanken damit ihr Ziel erreicht? Oder sollten sie eine Inflationsrate von 0% anstreben? Die Antwort hängt von Kosten und Nutzen der Inflation ab. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 3

Die Kosten der Inflation Schuhsohleneffekte: Mittelfristig lässt eine höhere Inflationsrate den Nominalzins und damit die Opportunitätskosten der Geldhaltung steigen. Dies hat zur Folge, dass die Wirtschaftssubjekte ihre Geldhaltung einschränken. Sie gehen häufiger zur Bank ihre Schuhsohlen werden stärker abgenutzt. Bei niedrigerer Inflation könnte man auf solche Bankbesuche verzichten und stattdessen produktivere Dinge tun, etwa mehr arbeiten oder auch mehr Freizeit genießen. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 4

Die Kosten der Inflation Steuerverzerrungen: Beispiel 1: Die Steuern auf Kapitalgewinne werden auf die Nominalzinsen erhoben. Weil der Nominalzins mit der Inflation ansteigt, ist die Steuer umso höher, je höher die Inflation ist. Beispiel 2: Verschiedene Einkommensstufen werden mit unterschiedlichen Grenzsteuersätzen besteuert. Die Einkommensstufen werden aber nicht automatisch an die Inflation angepasst. Mit steigendem Nominaleinkommen rutschen die Steuerpflichtigen somit zwangsläufig in höhere Steuerstufen, selbst wenn ihr reales Einkommen konstant bleibt (schleichende Steuerprogression). Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 5

Die Kosten der Inflation Geldillusion: Die dritte Art von Kosten der Inflation ergibt sich aus der Tatsache, dass den Wirtschaftssubjekten bei der Unterscheidung zwischen nominalen und realen Veränderungen offenbar systematische Fehler unterlaufen. Eine Vielzahl von Rechnungen, die bei Preisstabilität ganz einfach wären, werden komplizierter, sobald es Inflation gibt. Dies legt nahe, dass Inflation zu falschen Entscheidungen von Haushalten und Unternehmen führen kann. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 6

Fokus: Geldillusion Ausgangssituation: Adam, Ben und Carl haben jeder eine Erbschaft von 200.000 gemacht. Alle drei haben diese zum Kauf eines Hauses verwendet, welches sie ein Jahr nach dem Kauf wieder verkaufen. Die wirtschaftliche Lage war jedoch in jedem Fall ganz unterschiedlich: In der Zeit, als Adam sein Haus besaß, kam es zu einer Deflation von 25% die Preise aller Güter und Dienstleistungen gingen um 25% zurück. Ein Jahr nach dem Erwerb des Hauses verkauft Adam das Haus für 154.000 (um 23% weniger, als er es gekauft hat). In der Zeit, in der Ben das Haus besaß, gab es weder Inflation noch Deflation die Preise aller Güter und Dienstleistungen veränderten sich während dieses Jahres nicht signifikant. Ein Jahr nach dem Erwerb des Hauses verkaufte Ben das Haus für 198.000 (um 1% weniger, als er es gekauft hatte). Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 7

Fokus: Geldillusion Während der Zeit, in der Carl das Haus besaß, gab es eine Inflation in Höhe von 25% die Preise aller Güter und Dienstleistungen stiegen während des Jahres um 25%. Ein Jahr nach dem Erwerb des Hauses verkaufte Carl das Haus für 246.000 (das sind 23% mehr als der Preis, zu dem er es gekauft hat). Ergebnis einer wissenschaftlichen Befragung, bei der die drei Personen nach dem Erfolg der Haustransaktion angeordnet werden sollten: Rang Adam (%) Ben (%) Carl (%) 1. 37 15 48 2. 10 74 16 3. 53 11 36 Quelle: O. Blanchard/ G. Illing Makroökonomie ; S. 773 Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 8

Die Kosten der Inflation Die Volatilität der Inflation: Diese Kosten der Inflation ergeben sich aus der Tatsache, dass eine höhere Inflation im Normalfall auch mit höherer Volatilität der Inflation einhergeht. Höhere Volatilität bedeutet wiederum, dass Finanzanlagen, wie etwa Wertpapiere mit fest vereinbarten Nominalzahlungen, in der Zukunft riskanter werden. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 9

Die Vorteile der Inflation Seigniorage (die Einnahmen aus Geldschöpfung) stellt eine Alternative zur öffentlichen Kreditaufnahme oder zur Besteuerung dar. Volkswirtschaften, die relativ hohe durchschnittliche Inflationsraten aufweisen, besitzen einen größeren Spielraum für geldpolitische Maßnahmen zur Rezessionsbekämpfung, weil der Realzinssatz negative Werte annehmen kann. Bei positiven Inflationsraten sind Reallohnsenkungen leichter durchzusetzen als bei Preisstabilität. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 10

Die optimale Inflationsrate: Die aktuelle Diskussion Die Befürworter einer positiven Inflationsrate heben hervor, dass die Vorteile einer Inflationsrate von 0% im Vergleich zu einer Rate von 4% sehr gering sind. Viele Kosten der Inflation könnten durch Indexierung des Steuersystems und die Ausgabe indexierter Wertpapiere vermieden werden. Umgekehrt so argumentieren sie sind die Kosten eines weiteren Rückgangs der Inflation auf 0% sehr hoch: Zumindest für gewisse Zeit müsse dies mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit erkauft werden. Bei einer durchschnittlichen Rate von 0% bestehe zudem die Gefahr, dass Stabilisierungspolitik an Grenzen stößt, weil der Nominalzins nicht unter die Schranke von Null sinken kann. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 11

Die optimale Inflationsrate: Die aktuelle Diskussion Diejenigen, die eine Inflation von 0% anstreben, stellen hingegen die Tatsache in den Vordergrund, dass sich ein solches Ziel sehr deutlich von allen anderen Zielen unterscheidet: Es bedeutet absolute Preisstabilität. Das Wissen, dass das Preisniveau in 10 oder 20 Jahren mehr oder weniger dasselbe wie heute sein wird, vereinfache viele Entscheidungen; es vermindere die Gefahr der Geldillusion. Derzeit scheinen die meisten Zentralbanker eine geringe aber positive Inflationsrate anzustreben, das heißt, Inflationsraten um 2%. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 12

9.2 Moderne Konzepte der Geldpolitik Bis in die 1990er Jahre hinein stand das Geldmengenwachstum im Zentrum der Geldpolitik, angefangen von der Festlegung eines Ziels für die Wachstumsrate der Geldmenge bis hin zur Frage, wie das Geldmengenwachstum auf kurzfristige Schwankungen der Produktion reagieren sollte. Im vergangenen Jahrzehnt haben sich jedoch ganz neue Konzepte der Geldpolitik durchgesetzt. Immer mehr Zentralbanken verfolgen nun ein explizites Inflationsziel; die Zentralbanken konzentrieren sich auf die Zinssteuerung, die Wachstumsrate der Geldmenge spielt nur mehr eine untergeordnete Rolle. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 13

Ziel für das Geldmengenwachstum und Bandbreiten Wahl einer optimalen Inflationsrate bestimmt die Wachstumsrate der Geldmenge für die mittlere Frist: g* m = π* + g y Bekanntgabe eines Wertes oder einer Bandbreite für das Geldmengenwachstum an die Öffentlichkeit als Zwischenziel zur Verdeutlichung der angestrebten Inflationsrate Kurzfristige Abweichungen der Geldmengenwachstumsrate von der Zielvorgabe zur Stabilisierung der Wirtschaft möglich Auf diese Weise haben bisher viele Notenbanken Geldpolitik betrieben (z.b. die Deutsche Bundesbank) Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 14

Geldmengenwachstum und Inflation: Eine andere Sichtweise Die Orientierung der Geldpolitik am Wachstum der Geldmenge basiert auf der Annahme, dass zwischen Inflation und Geldmengenwachstum auf mittlere Frist ein enger Zusammenhang besteht. In der Realität ist dieser Zusammenhang aber keineswegs besonders eng. Die Beziehung gilt zwar prinzipiell, ist aber nicht so eng, dass die Zentralbank durch die Festlegung auf eine bestimmte Wachstumsrate der Geldmenge die von ihr angestrebte Inflationsrate auch punktgenau erreichen kann. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 15

Das Wachstum von M1 und die Inflation M1 Wachstum und Inflation: Gleitende Durchschnitte über 8 Quartale, 1983 2007 Es besteht kein enger Zusammenhang zwischen dem Wachstum von M1 und der Inflation, nicht einmal in der mittleren Frist. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 16

Von M1 zu M2, M3 und anderen Geldmengenaggregaten Der Zusammenhang zwischen M1 Wachstum und Inflation ist deshalb nicht enger, da die Geldnachfrage nicht stabil ist. Zahlreiche Finanzanlagen sind sehr liquide, was sie als Alternativen zur Geldhaltung attraktiv macht. Diese Anlagen sind jedoch nicht in M1 enthalten. Wenn Individuen ihre Geldhaltung reduzieren und stattdessen verstärkt andere liquide Vermögensanlagen halten, impliziert dies einen Rückgang der Geldnachfrage. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 17

Von M1 zu M2, M3 und anderen Geldmengenaggregaten Die Verschiebungen zwischen Geld und anderen liquiden Vermögensanlagen haben die Zentralbanken dazu veranlasst, Maßzahlen zu konstruieren, die nicht nur Geld, sondern auch andere liquide Vermögenstitel beinhalten. Diese Maßzahlen werden als Geldmengenaggregate bezeichnet. Sie haben die Namen M2, M3 usw. Im Euroraum umfasst M2 neben M1 (Bargeld und Sichteinlagen) auch Termineinlagen sowie Spareinlagen. Die von der EZB favorisierte Abgrenzung M3 schließt neben M2 auch noch Geldmarktfondsanteile, Geldmarktpapiere und Repogeschäfte ein. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 18

Von M1 zu M2, M3 und anderen Geldmengenaggregaten Geldmengenaggregate im Euro Währungsgebiet, Juni 2011, Mrd. M3 9651,5 M2 8488,1 M1 4705,7 Bargeldumlauf fällige täglich Einlagen Einlagen mit vereinbarter Laufzeit von bis zu zwei Jahren Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist von bis zu 3 Monaten Quelle: Monatsbericht der EZB, September 2011, Tabelle 2.3, S. S12 und S13 Repogeschäfte Geldmarktfondsanteile Schuldverschreibungen mit einer Laufzeit von bis zu 2 Jahren 815,4 3890,3 1844,6 1937,8 441,2 550,6 171,6 Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 19

Von M1 zu M2, M3 und anderen Geldmengenaggregaten 1) Stand am Ende des letzten Monats für den Daten vorliegen. Differenzen in den Summen ergeben sich aufgrund von Rundungen. Quelle: EZB Monatsbericht 09/2011, S. 30 Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 20

Von M1 zu M2, M3 und anderen Geldmengenaggregaten Die Zentralbank könnte M3 als Geldmengenaggregat zur Lösung des Problems verwenden. M3 müsste stabiler als M1 sein, wenn ein Großteil der Nachfrageverschiebungen zwischen M1 und anderen Anlagen, die in M3 enthalten sind, stattfindet. Dies trifft zu. Allerdings ist die Beziehung zwischen dem Wachstum von M3 und der Inflationsrate auch nicht perfekt. kann die Notenbank das Geldmengenaggregat M3 schlechter kontrollieren als M1. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 21

Das Wachstum von M3 und die Inflation M3 Wachstum und Inflation, gleitende Durchschnitte über 8 Quartale, 1983 2007 Der Zusammenhang zwischen dem Wachstum von M3 und der Inflation ist enger als der Zusammenhang zwischen dem Wachstum von M1 und der Inflation; er ist aber immer noch nicht sehr eng. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 22

Das Wachstum von M3 Tatsächliche Wachstumsrate in Deutschland und Zielkorridor für das M3 Wachstum der Bundesbank 1996 1998. Das tatsächliche Wachstum von M3 lag oft außerhalb des von der Deutschen Bundesbank angekündigten Zielkorridors. Sondereffekt! Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 23

Das Wachstum von M3 Tatsächliche Wachstumsrate im Euroraum und Referenzwert der EZB für das M3 Wachstum 2000 2005. Das tatsächliche Wachstum von M3 lag meist über dem Referenzwert der EZB. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 24

Zinssteuerung vs. Geldmengensteuerung Bei Finanzmarktschocks kann eine Zinssteuerung die Produktion stabilisieren, während eine Geldmengensteuerung zu starken Produktionsschwankungen führen würde. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 25

Zinssteuerung vs. Geldmengensteuerung Schwankungen der Geldnachfrage verschieben die LM Kurve bei konstantem Geldangebot nach links oben und rechts unten. Das führt zu starken Schwankungen des Zinssatzes und der Produktion. Poole (1970): Schwankungen vermeidbar, wenn die Notenbank den Zinssatz statt der Geldmenge fixiert (Zinssteuerung). Bei Ungleichgewichten passt sich die Geldmenge an, nicht der Zinssatz, so dass die LM Kurve sich immer wieder in die Ausgangslage zurück verschiebt. Beispiel: EZB und Subprime Krise. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 26

Inflationsziele und Zinsregeln In vielen Ländern haben die Zentralbanken das Erreichen einer niedrigen Inflationsrate als ihr wichtigstes (und manchmal auch ihr einziges) Ziel definiert, sowohl in der kurzen als auch in der mittleren Frist. Dies ist als Inflationsziel bekannt. Mittelfristige Orientierung an Inflationsziel: Verbesserung gegenüber dem Versuch, eine konstante Wachstumsrate der Geldmenge einzuhalten, da Erreichung einer bestimmten Inflationsrate vorrangiges Ziel der Geldpolitik. In der kurzen Frist ermöglicht ein solches Inflationsziel, mit Hilfe der Geldpolitik die Produktion um ihr natürliches Niveau herum zu stabilisieren. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 27

Die Taylor Regel John Taylor argumentierte, dass die Zentralbank die Wahl des Zinssatzes und nicht die Wachstumsrate der nominalen Geldmenge in den Mittelpunkt stellen sollte, weil es der Zinssatz ist, der die Ausgaben direkt beeinflusst. i t = i + a ( π π ) b( u u ) t t n Wenn die Inflationsrate gleich dem Inflationsziel und die Arbeitslosenquote gleich der natürlichen Arbeitslosenquote ist, sollte die Zentralbank den Zinssatz i t gleich dem u t = u n Zinsziel i* setzen. π t = π* Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 28

Die Taylor Regel i t = i + a ( π π ) b( u u ) t t n Der Koeffizient a spiegelt wider, wie stark die Zentralbank auf die Entwicklung der Inflation reagiert. Je größer a ist, desto stärker lässt die Zentralbank den Zinssatz als Reaktion auf Inflation ansteigen, umso stärker wird das Wachstum der Volkswirtschaft damit abgebremst, umso schneller kehrt die Inflation zum Inflationsziel zurück. Der Koeffizient b spiegelt wider, wie stark die Zentralbank auf Entwicklungen der realen Wirtschaft reagiert. Je größer b, desto mehr ist die Zentralbank bereit, vom Inflationsziel abzuweichen, um die Arbeitslosenquote möglichst nahe der natürlichen Arbeitslosenquote zu halten. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 29

Die Taylor Regel i t = i + a ( π π ) b( u u ) t t n Die Bedingung a>1 wird auch als Taylor Prinzip bezeichnet. Die entscheidende Größe für die Ausgaben ist schließlich der Real und nicht der Nominalzins. Bei steigender Inflation muss die Zentralbank den Realzins erhöhen, um Nachfrage und Wachstum zu dämpfen. Das setzt aber voraus, dass der Nominalzins stärker steigt als die Inflation. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 30

Die Taylor Regel i t = i + a ( π π ) b( u u ) t t n Eine zentrale Einsicht der Taylor Regel liegt darin, dass die Zentralbank nicht nur die aktuelle Inflationsrate berücksichtigen sollte, sondern auch die aktuelle Arbeitslosenquote bzw. Abweichungen des Wachstums von der natürlichen Rate. Die Taylor Regel beschreibt recht gut das Verhalten der Fed sowie der Bundesbank über den Zeitraum der letzten 15 bis 20 Jahre, obwohl beide Zentralbanken sicherlich nicht bewusst der Taylor Regel gefolgt sind. Weiterentwicklung der Regel: Soll der Nominalzinssatz auch auf die erwartete Inflation reagieren? Sollen die Notenbanken sich streng an eine explizite Regel halten oder eher informell nutzen und die Freiheit haben, von der Regel abzuweichen? (Debatte über Rules vs. Discretion ) Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 31

9.3 Geldpolitik in der Praxis die Strategie der EZB Die geldpolitische Zielsetzung der EZB ist im Maastrichter Vertrag geregelt. Dieser verpflichtet die EZB auf das vorrangige Ziel, die Preisstabilität zu gewährleisten. Weitere Ziele darf die EZB nur verfolgen, wenn diese die Preisstabilität nicht beeinträchtigen. Diese untergeordneten Zielsetzungen formuliert der Maastrichter Vertrag vage als die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 32

Der Aufbau der EZB Die Europäische Zentralbank in Frankfurt bildet zusammen mit den nationalen Zentralbanken der 12 Mitgliedsländer des Euroraumes das so genannte Eurosystem. Zentrales Beschlussorgan der EZB ist der EZB Rat, der in der Regel zweimal im Monat tagt. In diesem Gremium treffen sich: Das Direktorium der EZB, das aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten sowie (vier) weiteren Mitgliedern besteht. Die Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedsländer. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 33

Der Aufbau der EZB Die EZB ist eine der unabhängigsten Notenbanken der Welt. Damit dies sichergestellt werden kann, gilt: Andere Organe der EU dürfen der EZB keine Weisungen erteilen. Die EZB darf keinem anderen staatlichen Organ Kredite zur Finanzierung von Defiziten gewähren. Mitglieder des Direktoriums werden für 8 Jahre nominiert, die Präsidenten der nationalen Notenbanken für mindestens 5 Jahre, wobei keine Verlängerungsmöglichkeiten zur Sicherstellung der persönlichen Unabhängigkeit vorgesehen sind. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 34

Der Aufbau der EZB Beschlussfassungen im EZB Rat erfordern die einfache Mehrheit. De facto wurden die Entscheidungen aber bisher immer einstimmig getroffen. Ausnahme: Dezember 2007. Jedes Mitglied im Rat hat eine Stimme. Verfahren bei einer Erweiterung des Euroraums: nicht mehr als 15 nationale Notenbankpräsidenten stimmberechtigt Rotation des Stimmrechts Vertreter von Ländern mit stärkerer Wirtschaftskraft und größerem Finanzsektor erhalten häufigeres Stimmrecht Anwendung, sobald mindestens 19 Länder dem Eurosystem beigetreten sind Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 35

Die geldpolitische Strategie der EZB Preisstabilität ist dann erreicht, wenn "der harmonisierte und über die Mitgliedsländer der Währungsunion aggregierte Verbraucherpreisindex (HVPI) mittelfristig einen jährlichen Anstieg von weniger als 2%, aber nahe 2% aufweist". Zur Erreichung des Ziels: Zwei Säulen Konzept wirtschaftliche Analyse zur Feststellung kurz bis mittelfristiger Risiken für die Preisstabilität (mittelfristige Inflationsprognose) monetäre Analyse zur Beurteilung mittel bis langfristiger Inflationstrends (Geldmengenentwicklung, früher Referenzwert für das Wachstum von M3 [4,5%]) Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 36

Das geldpolitische Instrumentarium der EZB Die Geldpolitik der EZB verwendet die Zinssteuerung als wesentliches Instrument zur Liquiditätsversorgung der Geschäftsbanken. Die EZB bestimmt über Offenmarktgeschäfte und ständige Fazilitäten den Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Zentralbankgeld verschaffen können. Damit steuert sie weitgehend den Tagesgeldzins im Interbankenmarkt und so indirekt das gesamte Zinsniveau. Die EZB beeinflusst auf diese Weise unmittelbar die wirtschaftliche Aktivität über den Zinskanal. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 37

Offenmarktgeschäfte Die EZB führt wöchentlich Offenmarktgeschäfte durch. Im Rahmen von Tendergeschäften versteigert sie Liquidität an die Geschäftsbanken. Die EZB nutzt zur Versteigerung zwei verschiedene Auktionsverfahren: Bei einem Mengentender legt sie den Zinssatz (den so genannten Hauptrefinanzierungssatz) vorab fest; die Geschäftsbanken geben die zu diesem Zins von ihnen gewünschte Liquiditätsnachfrage an. Zuteilungsquoten stellen sicher, dass bei einer Überbietung nicht mehr Liquidität bereitgestellt wird als von der Zentralbank gewünscht. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 38

Offenmarktgeschäfte Bei einem Zinstender geben die Banken in ihren Geboten sowohl Zinssatz als auch nachgefragte Menge an. Die EZB legt einen Mindestbietungssatz fest, unter dem sie keine Liquidität bereitstellt. Nach Eingang der Gebote bestimmt die EZB den marginalen Zinssatz, zu dem sie Liquidität bereitstellt. Die Zuteilung auf die einzelnen Bieter erfolgt dabei nach dem so genannten amerikanischen Verfahren: Alle Banken, die einen höheren Zins geboten haben, erhalten eine volle Zuteilung. Alle Banken, die den marginalen Zins bieten, werden mit einer bestimmten Zuteilungsquote bedient. Alle anderen gehen leer aus; sie müssen sich Liquidität auf dem Tagesgeldmarkt verschaffen. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 39

Offenmarktgeschäfte 7 Zinspolitik der EZB, Januar 1999 Oktober 2011 6 5 4 Der Zins am Tagesgeldmarkt bewegt sich im Zinskorridor zwischen Spitzenrefinanzierungssatz und Einlagesatz. 3 2 1 0 01/01/99 01/01/01 01/01/03 01/01/05 01/01/07 01/01/09 01/01/11 EONIA Spitzenrefinanzierungsfazilität Einlagefazilität Hauptrefinanzierungszinssatz Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 40

Die Strategie der EZB Zwischenbilanz: 01.01.1999: EZB nimmt ihre Arbeit auf kein "Track Record" aus der Vergangenheit musste rasch Glaubwürdigkeit aufbauen bisher recht erfolgreiche Politik: Inflation sowie Inflationserwartungen sind im Euroraum niedrig geblieben, wenn auch größer als der angestrebte Wert von nahe 2%, aber unter 2% Kritiker: zu starke Ausrichtung am Ziel der Preisstabilität vs. Leitzins geringer als Taylor Zins. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 41

Die EZB Bilanz im Laufe der Krise Quelle: http://www.nzz.ch, Die Krise hat der EZB große Risiken beschert, 6.10.2009 Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 42

Die EZB Bilanz im Laufe der Krise Enorme Verlängerung der Bilanz Entwicklung hin zu längerfristigen Refinanzierungsgeschäften Banken nehmen in großem Maße die Einlagefazilität in Anspruch Für die Zukunft besteht die Herausforderung darin, die enorme Liquidität wieder abzuschöpfen. Ein Auslaufen der einjährigen Refinanzierungsgeschäfte ist bereits beschlossen. Anhebungen des HRFS sind in den nächsten Monaten zunächst nicht zu erwarten. Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 43

Staatsanleihenkäufe der EZB 25 Staatsanleihenkäufe der EZB in Mrd. 180 20 160 140 15 120 10 5 0 17.05.2010 06.09.2010 27.12.2010 18.04.2011 08.08.2011-5 kumuliert (rhs) Käufe (saldiert) 100 80 60 40 20 0 Prof. Dr. Ansgar Belke Makroökonomik II Wintersemester 2011/12 Folie 44