mich-haltung, sie braucht alle Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne bekunden wir als Demokraten in Deutschland und in i unsere Verantwortung.



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Transkript:

Memorandum Bürgerverantwortung Wege aus der Krise Präambel Die Finanzkrise von 2008, deren Ende und Folgen noch nicht abschließend abzusehen sind, hat die Verwundbarkeit unseres gesamten wirtschaftlichen und politischen Systems offen gelegt. Nicht nur r die Politik, die Gesellschaft als Ganze steht in der Verantwortung, Wege aus der Krise zu finden. Die Demokratie verträgt keine Ohne-mich mich-haltung, sie braucht alle Bürgerinnen und Bürger. In diesem Sinne bekunden wir als Demokraten in Deutschland und in i Europa E unsere Verantwortung. Die Finanzkrise wurde zum sichtbaren Zeichen unserer gegenseitigen Abhängigkeit in- i nerhalb unserer Gesellschaften und weltweit. Sie hat gezeigt, wie anfällig und bedroht b unser politisches und unser wirtschaftliches System, einschließlich des EURO, E sind. Wir konnten erkennen, welche verheerenden Folgen von tief gehenden Krisen und von einem drohenden Zusammenbruch der Märkte global für alle, aber insbesondere für die Ärme- ren und nicht zuletzt für Umwelt und Demokratie auf der ganzen g Welt ausgehen. Regiee- rungen und Parlamente allein schaffen noch keinen Ausweg aus der Krise. Der liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung. Dies umso mehr, als die Krise über die wirtschaftt- liche und politische Dimension hinaus die geistige Grundlage betrifft, aus der heraus wir alle leben, arbeiten und konsumieren. Hier sind angesichts von Klimawandel und knap- pen Ressourcen tief greifende Änderungen Ä unausweichlich. Nicht nur als Produzenten, auch als Konsumenten und Bürgerinnen und Bürger sind wir im Alltag gehalten, unserer Verantwortung gerecht zu werden. Die Finanzkrise hat gezeigt, wie unerlässlich die Existenz der Europäischen Union ist: Die bestehenden gemeinsamen institutionellen Strukturen Europas haben verhindert, dass die Länder wie in der r Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts in Protektionismus, währungspolitische Manipulation zulasten der Nachbarstaaten und schließlich in bewusst geschürten Nationalismus verfallen. 1

Die Europäische Union und insbesondere ihre gemeinsame g einsame Währung geben den Staaten Europas den notwendigen Zusammenhalt sowie ein hinreichendes Gewicht in der Welt- politik. Die Festigung dieser Strukturen auch im Sinne einer Ordnung der Finanzmärkte, und der Fortgang des Integrationsprozesses bei gegenseitiger Akzeptanz regionaler Besonder- heiten und unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips sind daher Basis B zu ergreifender Maßnahmen. Auf der Grundlage der Allgemeinen Menschen-,, Bürger-,, Wirtschafts- und Sozialrechte, im wohlverstandenen langfristigen Interesse aller, um Freiheit zu sichern und um Ungerech- tigkeiten Grenzen zu setzen, ist es deshalb wichtig, Wege in die Zukunft gemeinsam zu finden und zu gehen. Wir wollen mit diesem Memorandum, zu dessen Thesen wir uns gemeinsam bekennen, nen, aus unserer Verantwortung als Bürgerinnen und Bürger dazu beitragen. Für Deutschland, für Europa und für die Welt. Der nachfolgende Text ist in einer Folge von Diskussionen entstanden. Nicht jeder Unter- zeichner stimmt mit jedem Satz des Memorandums überein. Alle halten es jedoch j für wichtig, einen gemeinsamen Aufruf zur Bürgerverantwortung tung in der Krise vorzulegen, der von Personen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen schaftlichen Gruppen getragen wird. 2

1. Kapitel: Ursachen der Krise These 1: Leichtfertige Wohlstandssuggestionen, n, Anstieg privater wie öffentlicher Verschuldung und zu kurzfristige Entscheidungen in der Politik; zunehmende Diskrepanzen zwischen Arm und Reich mit der Folge erheblicher Kapitalströme, die nach profitablen Anlagen su- s chen, so dass die Finanzmärkte den Entsche E ntscheidungsspielraum der Politik erheblich ein- schränken; neue systemische und risikoreiche r Dynamiken im Finanzsektor ohne Ge- schäftsethiken und Selbstbeschränkungen; gefährliche Unübersichtlichkeiten der Infor- mation und der uneingeschränkte Glaube an den Wet ettbewerb auch außerhalb der Wirt- schaft: dies sind wichtige Faktoren, die in die Krise geführt haben. Zu den allgemeinen Ursachen der Krise gehört eine Entwicklung, die von Colin Crouch als Postdemokratie beschrieben wurde: Darin bestehen demokratische Institutionen zwar fort, die Macht- und Entscheidungszentren sind aber in die Hände ökonomischer Eliten verlagert. Dies geht einher mit einer weit reichenden Selbstaufgabe in der Politik. Sie ist nicht länger Willens oder in der Lage, im Rahmen demokratischer Meinungsbildungsprozesse gesellschaftliche Ziele zu bestimmen, also ihrer ureigenen Bestimmung nachzukommen. Im Einzelnen verweist der Versuch, die vielschichtigen Ursachen der Finanzkrise einzugrenzen, letztlich auf drei Dimensionen, die in gleichem Maße relevant sind: Die politische, die wirtschaftliche und die kulturelle. So haben sich die Geschehnisse der Finanzkrise in einem allgemeinen geistigen Klima ereignet, in dem die Priorität des individuellen Vorteils, der radikale Vorrang von Markt und Wettbewerb vor politischen Vereinbarungen und die Unterwerfung der Menschen unter ein anonym gewordenes Wirtschaftsgeschehen immer mehr zur kulturellen Hegemonie gelangt waren. Hinzu trat eine immer größer werdende Diskrepanz in den Einkommens- und Besitzverhältnissen, welche riesige Vermögen entstehen ließ, die die Finanzmärkte aufblähten und immer mehr in spekulative Verwendungen flossen, anstatt die produzierende Wirtschaft zu finanzieren. 3

Neben verschiedenen technischen Ursachen und Versäumnissen der Geldpolitik, besonders in den USA, lag der tiefere Keim der Krise demnach in einem grundlegenden Wandel des unternehmerischen Fremd- und Selbstbildes, in der sich durchsetzenden Ansicht eines den Wohlstand scheinbar nur hemmenden staatlichen Regulierungskorsetts sowie in der zunehmenden Kapitalmarktorientierung des Wirtschaftssystems insgesamt. Der Interessen getriebene Prozess starker Deregulierung argumentativ gestützt auf die Erwartung, durch eine stark expandierende Finanzwirtschaft nachhaltigen Wohlstand zu generieren war ebenfalls Teil der grundlegenden Ursachen der Finanzkrise. Der Druck auf die Regierungen, überall in der Welt zu deregulieren, verbunden mit einem letztlich wohlfahrtsmindernden Deregulierungswettlauf, war auch Ausfluss einer Globalisierung, die Märkte international öffnete, ohne Regeln zu globalisieren. Damit einher ging ein neues Unternehmensidealbild der Global Player, der nirgends beheimatet ist, primär nach Größe und Höchstrendite strebt und sich allein seinen Aktionären verantwortlich fühlt. Dieses Verständnis und die damit verbundene Verpflichtung zur ständigen Steigerung des Aktienwertes führten einerseits zu Vorstellungen über Eigenkapitalrenditen, die nur durch das Eingehen hoher Risiken oder die relative Absenkung des Eigenkapitals kurzfristig erzielt werden konnten, und zwangen andererseits zur permanenten Expansion. Dies ebnete in der Bankwirtschaft den Weg für Kurzfristorientierung, überzogene Risikoneigung und Wachstumsgenerierung jenseits der eigentlichen volkswirtschaftlichen Funktion von Banken, nämlich der Intermediation zwischen Sparern und Kreditnehmern. Neben dieser grundsätzlichen Perspektive sind technische Aspekte zu nennen, die als Auslöser und Beschleuniger der Krise gewirkt haben. Zentrales Thema hier ist Leverage : Die Revision des Glass-Steagall-Acts im Jahre 1999 hat zunächst bei amerikanischen Investment- Banken zu einer Expansion der Bilanzsummen geführt, die mit immer höheren Verschuldungsgraden einherging. Die Banken außerhalb der USA folgten dieser Entwicklung in kurzem Abstand. 4

Gleichzeitig wurde Leverage auch außerhalb des regulierten Bankensektors durch Innovationen im Bereich der Verbriefungen (z. B. CDOs, SIVs) immer prominenter, blieb aber in weiten Teilen unreguliert oder missverstanden Investoren wurden zu selbstzufrieden und Regulatoren überfordert. Banken verbrieften Forderungen nach dem Modell originate to distribute ; die darin liegende inhärente Informationsasymmetrie führte zu erheblichen Fehlanreizen und damit zu einer laxen Kreditvergabe an bonitätsschwache Kunden. Entsprechende institutionelle Nachfrage auf den stark wachsenden Kreditmärkten wirkte auch hier weiter verstärkend. Deswegen ist die Ursache nicht allein bei den Anbietern von verbrieften Forderungen in den USA zu suchen. Eine Bedeutung hat ebenfalls die Nachfrageseite: Aufgrund seiner hohen Exportüberschüsse war Deutschland ein großer Nachfrager nach Kapitalanlageprodukten. Stochastische Modelle vergangenheitsorientierter, quantitativmathematischer Risikokontrollverfahren gaukelten eine Sicherheit vor, die es so nie gab. Rating-Agenturen haben diesen Eindruck der Scheinsicherheit durch entsprechende Bewertungen verstärkt. Die beschriebene Scheinsicherheit verweist auf ein allgemeineres Problem aktuellen Wirtschaftens: Immer mehr Menschen haben Zugang zu Informationen, aber sie durchschauen deren Qualität nicht mehr. Dennoch werden ihnen täglich Entscheidungen hierzu abverlangt z. B. bei der Auswahl von Investmentfonds. Vielen gilt daher ein komplexes, auf mathematischen Modellen abgestütztes Finanzprodukt als Garant für Informationsqualität und richtiges, wertsteigerndes Handeln. Inwieweit dieses Finanzprodukt oder seine Algorithmen aber nachhaltig im Sinne eines verantwortlichen Wirtschaftens sind, bleibt ungefragt. Der Differenzierungsgrad zwischen was wäre wenn und was wirklich ist läuft Gefahr, verloren zu gehen. Eine statistische Hochrechnung etwa könnte berechnen, wie viele Anleger ihre Konten bei einer Bank auflösen, um ihre Ersparnisse in Sicherheit zu bringen. Werden die Ergebnisse dieser Hochrechnung in Echtzeit als Realität wahrgenommen, verschärft sich das Dilemma eines jeden Beobachters, potentielle Verluste hinnehmen zu müssen, wenn er nicht umgehend handelt. Überwachende Computerprogramme mit vorher festgelegten Aufträgen ersetzten dabei sogar die situative Entscheidung. Dies allein könnte dazu beitragen, auch das solideste Bankhaus zusammenbrechen zu lassen. Dabei wird nicht hinterfragt, aus 5

welchen Gründen und wer sein Konto auflöst. Die Tatsache allein verschärft das Dilemma und hat jüngst einen Automatismus und Dominoeffekt ausgelöst, mit den bekannten Folgen für die Kapitalmärkte. Das Krisenverhalten, das aus der Perspektive eines einzelnen auf der Basis der ihm vorliegenden Informationen vernünftig ist, führt zu einem Gau, wenn sich die Mehrheit zeitgleich genauso verhält. Als eine weitere wichtige Krisen-Ursache kann der Boom von leistungs-, erfolgs- und gewinnorientierten Vergütungsbestandteilen des Managements gelten. Diese Boni haben in den letzten zehn Jahren im Bank-Bereich zum Teil schwindelerregende Höhen erreicht und damit sowohl die Risikobereitschaft der Banker als auch ihr reines Kurzfrist-Denken erheblich befördert. Allein in Großbritannien verdienten Banker im Jahr 2008 zwölf Milliarden Pfund mehr als 1998. Auch dies hat die Dynamik der Finanzmarktkrise mit ausgelöst und infolge der Macht der Finanzmärkte zur Kurzfristigkeit von Unternehmensentscheidungen beigetragen. Hinzu traten strukturelle Probleme, die jedoch bereits früher in Erscheinung getreten waren: So hat schon in der Enron-Krise 2001 das Versagen der Wirtschaftsprüfer und der Rating- Agenturen sowie die Auslagerung von Risiken in unbeaufsichtigte Zweckgesellschaften eine Rolle gespielt. Die Gefahr, die von Hedgefonds ausging, war bereits 1998 in der LTCM-Krise sichtbar. Schließlich liegen Ursachen der Krise auch darin, dass aus vorangegangenen Krisen nicht ausreichend gelernt wurde. Unabhängig davon, wo die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise im Einzelnen verortet werden, besteht in einer Frage Konsens: Wir brauchen einen zukunftsfähigen Entwicklungspfad, der nicht nur die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft sichert, sondern auch gesellschaftlichen Bedürfnissen nach sozialem Zusammenhalt und einer intakten Umwelt Geltung verschafft und die weltweiten Interdependenzen nicht aus den Augen verliert. 6

2. Kapitel: Folgen der Krise These 2: Die Folgen der Fehlentwicklungen auf den Finanzmärkten und der Schwäche der Politik sind erheblich, insbesondere durch die d zusätzliche gravierende Verschuldung der Haus- halte. Wir müssen sie gemeinsam verantwortlich tragen und gerecht überwinden. Weitee- ren Fehlentwicklungen vorzubeugen, künftige Herausforderungen nachhaltig anzugehen und zugleich flexibel auf unerwartete Entwicklungen reagieren zu können, sind Grundvo- raussetzungen dafür, dass soziale Marktwirtschaft funktioniert. Das Vertrauen der Men- schen in die Demokratie lässt sich nur bewahren bzw. stärken, wenn Verantwortungsträ- ger in Wirtschaft und Politik kritische Stimmen men frühzeitig ernst nehmen, die Kraft zum Eingeständnis von Fehlern haben und bereit sind, frühere Entscheidungen zu korrigieren. Die Krise an den Bank- und Finanzmärkten war begleitet von einem starken Einbruch der globalen gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Das schwache außenwirtschaftliche Umfeld sowie die stark gedämpfte Investitionsneigung führten in Deutschland zu einem scharfen Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion. Dabei hat sich der deutsche Arbeitsmarkt auch dank verschiedener arbeitsmarktpolitischer Instrumente erfreulicherweise als sehr robust erwiesen; so kam es nicht zu einer breitflächigen Entlassung von Arbeitskräften. Gleichwohl müssen wir die Folgen der Krise für die Gesellschaft auch in einem zu erhoffenden weiteren Aufschwung im Blick behalten. Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte hat über die letzten Dekaden Dimensionen angenommen, die eine ernsthafte Einschränkung staatlicher Handlungsspielräume befürchten lassen. Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat diese Entwicklung zusätzlich verschärft. Laut dem letzten Global Financial Stability Report des IWF nähert sich der Verschuldungsgrad der G7-Staaten (Bruttoverschuldung / BIP) einem 60-Jahres-Hoch. Welche fiskalischen Lasten der Gesellschaft durch die Stützung von Teilen der Finanzwirtschaft letztlich entstehen werden, ist momentan nicht abschließend einzuschätzen. Ungeachtet dessen sind primär zwei Schlüsse zu ziehen: 7

(1) Die zur Rettung von Teilen der Bankwirtschaft und zur Stabilisierung der Konjunktur notwendigen staatlichen Ausgaben führen zu politisch unerwünschten Umverteilungseffekten; schlagwortartig ausgedrückt: Verluste werden sozialisiert, während Gewinne privatisiert wurden und auch zukünftig werden. Die Ungerechtigkeit, die hier durch das Auseinanderklaffen von Entscheidungen und Haftung entstanden ist und die sich z. B. in der Unterfinanzierung der kommunalen Haushalte schmerzlich bemerkbar macht, muss um des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Glaubwürdigkeit der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft willen durch verursacheradäquate Beiträge des Finanzsektors wenigstens teilweise kompensiert werden. (2) Aufgrund des starken Wachstums der globalen Finanzmärkte seit der letzten originären Finanzkrise Russland/LTCM im Jahr 1998 und der erreichten Größenordnungen einzelner Banken haben die möglichen Probleme bereits heute Dimensionen erreicht, die einzelne Staaten an den Rand ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit bringen bzw. überfordern. Die Staaten sehen sich infolgedessen unter einem außergewöhnlichen Druck zu sparen, der den sozialen Zusammenhalt zu zerreißen droht. Für mögliche zukünftige Finanzkrisen ist von einer weiteren Potenzierung des Unterstützungsbedarfs auszugehen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass eine Antwort gefunden werden muss, die eine ähnliche Entwicklung in Zukunft und eine Gefährdung durch den Finanzsektor unterbindet. Zu den Folgerungen, die wir aus der Krise ziehen müssen, gehört auch, für die Zukunft Unwägbarkeiten einzukalkulieren, zu flexiblem Handeln bereit zu sein und insbesondere kritische Stimmen und frühzeitige Warner vor Fehlentwicklungen nicht als Störenfriede, sondern als wichtige Hinweisgeber auf mögliche Missstände zu betrachten. Insbesondere Wirtschaft und Politik, die Verantwortlichen auf allen Ebenen, sollten sich nicht scheuen, Fehlentscheidungen auch einzugestehen. Die Komplexität der Probleme, die globale Vernetzung aller Lebensbereiche sowie neue Erkenntnisse aus Technik und Wissenschaft verlangen permanentes Lernen und die ständige Kraft zur Korrektur von früheren Entscheidungen. Das gilt 8

für Organisationen gleichermaßen wie für die einzelnen Menschen. Glaubwürdigkeit und Vertrauen können so in Offenheit und selbstkritischem Verhalten eine neue Basis finden. 9

3. Kapitel: Rückschlüsse für die Nachhaltigkeit des Finanzsektors These 3: Für die Stabilität des Finanzsektors und der Wirtschaft brauchen wir politische Reguli R gulie- rungen - möglichst, aber nicht immer notwendig global abgestimmt. Um den unerlässli- chen Beitrag der Unternehmen zur notwendigen nachhaltigen Entwicklung zu sichern, sind darüber hinaus transparente und effektive Selbstregulierungen unerlässlich, u die das jeweilige Kerngeschäft betreffen und nicht beliebig sein dürfen. Die Beschäftigten und ihre Interessenvertretung spielen dabei eine wichtige Rolle. Unabdingbar sind neue Indi- katoren für Wohlstand und ein nachhaltiges Wachstum. a) Politische Regulierungen Nachhaltigkeit anstelle von kurzfristigen Vorteilen so lautet die vorrangige Devise. Es darf sich allem voran für die Akteure in der Finanzwelt - in Zukunft nicht mehr lohnen, Risiken mit Blick auf kurzfristige Gewinne einzugehen, ohne dafür ausreichende Kapitalvorsorge und Transparenz zu schaffen. Ein Teil der Antwort muss daher in deutlich verstärkter und sehr stringenter Regulierung liegen. Das Maßnahmenpaket, das der Baseler Ausschuss Mitte 2009 und teilweise darüber hinausgehend der EU-Ministerrat beschlossen haben, ist grundsätzlich wegweisend. Wichtig ist letztlich, dass globale Lösungen gefunden werden, um Regulierungsarbitrage zu vermeiden, wie wir sie beispielsweise von steuerlichen off-shore Standorten kennen. Die als Basel III bezeichneten Vorschläge zur Anpassung der Kapital- und Liquiditätsgrundsätze können hier nur ein Eckpfeiler sein. Sollte eine ausreichend weitgehende globale oder zumindest EU-weite Lösung sich jedoch nicht materialisieren, wird vermutlich dennoch ein unilaterales Vorgehen einzelner Regierungen notwendig werden. 10

Hier sind neben der von der EU geplanten Transaktionssteuer weitere Regulierungsschritte denkbar, wie ein Verbot des Eigenhandels für Banken, die Einführung von Testamenten für Banken, um eine geordnete Abwicklung sicherzustellen, ein generelles Verbot ungedeckter Leerverkäufe, eine Überführung des Kreditderivatemarktes auf eine Börse oder auch eine Limitierung oder gar ein Verbot vollkommen automatisierten Computerhandels (so genanntes algorithmic trading ). Die wiederholt von Spitzenvertretern der Investmentbanken beschriebenen Gefahren verstärkter Regulierung im Kern Wohlfahrtsverluste aufgrund suboptimaler Allokation vorhandenen Kapitals halten wir für nachgeordnet. Der aus einem De-Risking der Finanzwelt resultierende Vertrauenszuwachs in nachhaltig funktionsfähige, transparente Kapitalund Kreditmärkte wird die Nachteile geringfügig gesteigerter Kapitalkosten deutlich übersteigen. Bezüglich der angestrebten global einheitlichen Regulierung der Bankindustrie stellt sich jedoch die Frage nach der geschäftsmodellspezifischen Angemessenheit und Zweckmäßigkeit: Änderungen im Bereich der Bankenregulierung und -aufsicht müssen zuallererst risikoadäquat ausgestaltet sein, d. h., der Grad der Regulierung muss dem Risikogehalt des Geschäftsmodells sowie der systemischen Relevanz also möglichen negativen externen Effekten auf andere Marktteilnehmer folgen. International tätige Investmentbanken sowie Geschäftsbanken mit ausgeprägtem Kapitalmarktgeschäft bedürfen einer schärferen Regulierung etwa in Form vorzuhaltenden Eigenkapitals als regional tätige Institute, die einlagenbasiertes Kreditgeschäft betreiben. Eine Anpassung der Regulierung an das vorliegende Geschäftsmodell ist also zwingend; dies auch deshalb, weil die Kreditversorgung der deutschen Unternehmen weder eingeschränkt noch unnötig verteuert werden darf. In Deutschland haben sich die zusätzlichen freiwilligen Einlagensicherungssysteme sowie die Systeme der Institutssicherung der Sparkassen-Finanzgruppe und des genossenschaftlich organisierten Bankensektors als Mechanismen zum besonderen Schutz der Verbraucher bzw. Einleger und damit der Finanzmarktstabilität bewährt. Dieses hohe Maß an 11

Einlegerschutz in Deutschland und die dadurch bewirkte Stabilität müssen aufrechterhalten werden. Schließlich sind wir uns dessen bewusst, dass mikroökonomische Regulierungsmaßnahmen nicht genügen werden, um die erneute Finanzierung von Spekulationsblasen zu verhindern. Der neue Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB) muss eine entscheidende Rolle spielen, um makroökonomische Fehlentwicklungen wie ein exzessives Anwachsen der Verschuldung und Preisblasen auf den Immobilienmärkten abzuwenden. b) Verantwortlichkeit und Selbstregulierungen der Finanzwirtschaft Ein Grunddilemma jeglicher Regulierung wird auch die beste Abstimmung zwischen den internationalen Regulatoren nicht ausräumen können: Staatliche Regulierung kann der Innovationskraft und -geschwindigkeit der globalen (Finanz-)Wirtschaft nur mit Mühe folgen. Neben der verstärkten externen Regulierung der Finanzwirtschaft braucht es folglich auch eine Selbstregulierung der Unternehmen und Verbände. Letztlich muss ein Umdenken der handelnden Personen dahingehend stattfinden, dass das Prinzip der Legalität nicht ausreicht, sondern das der Nachhaltigkeit entscheiden muss: Nicht jedes Geschäft, das legal und (kurzfristig) profitabel ist, ist nachhaltig sinnvoll und/oder moralisch akzeptabel. Angesichts der globalen Interdependenz aller Entscheidungen und ihrer Folgen müssen wir uns als Bürger immer auch über die gesellschaftlichen Sektoren hinweg über die Gemeinwohlverträglichkeit verständigen. Es gibt ermutigende Beispiele für Verhaltensänderungen, die nicht nur auf gesetzlichem Weg, sondern auch durch Selbstregulierung im Sinne bürgerschaftlicher Verantwortung bewirkt werden: Der britische Übernahmekodex, der durch eine Organisation der Banken selbst überwacht wird (das Takeover Panel), oder der deutsche Corporate Governance Codex, 12

der zahlreiche Änderungen in der Führungskultur deutscher Aktiengesellschaften auf freiwilliger Basis durchgesetzt hat ( comply or explain ). Ein weiteres Beispiel für sinnvolle Selbstregulierungen sind Initiativen vieler Länder zur Corporate Social Responsibility ( CSR ). Zuletzt hat das CSR-Forum der Bundesregierung in einem umfassenden Multi-Stakeholder-Prozess Vorschläge zu einer Nationalen CSR-Strategie vorgelegt und insbesondere ein Leitbild verantwortlicher Unternehmensführung, den Ausbau freiwilliger Standards in Unternehmen und Wertschöpfungsketten sowie die Vorbildrolle der öffentlichen Unternehmen gefordert. Dabei wurde auch auf die unerlässliche Partizipation der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretung hingewiesen, um Nachhaltigkeit grundlegend in der Unternehmenskultur zu verankern. Alle neuen Regeln und Maßnahmen werden aber oberflächlich bleiben, würde die Krise nicht zu einer grundlegenden Besinnung, zu einem Wandel im Denken und in den Geschäftsmodellen führen. An die Stelle der in der Vergangenheit vielfach praktizierten Orientierung am kurzfristigen Erfolg müssen die Prinzipien Nachhaltigkeit und Langfristorientierung sowie gesellschaftliche Verantwortung treten: Nicht jedes Geschäft, das legal und (kurzfristig) profitabel ist, ist nachhaltig sinnvoll oder auch moralisch oder gesellschaftlich verantwortungsvoll. Ihre volkswirtschaftliche Existenzberechtigung haben Banken primär, weil sie als Mittler im Geld- und Einkommenskreislauf auftreten. Somit liegt ihre Hauptaufgabe darin, einerseits eine stabile Unternehmensfinanzierung auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sicherzustellen und andererseits allen Schichten der Bevölkerung den Zugang zu Finanzdienstleistungen sowie Möglichkeiten verlässlicher Ersparnisbildung zu gewährleisten. Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung müssen zunächst das Kerngeschäft umfassen und verlangen zudem nach einem Engagement in kulturellen, ökologischen, sozialen oder sportlichen Projekten, um dadurch einen Beitrag zur positiven Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft zu leisten. Langfristorientierung geht zusätzlich damit einher, die Kenntnisse in wirtschaftlichen und finanziellen Fragestellungen besonders der Jugend und somit der 13

nächsten Generation, die unsere Gesellschaft prägen wird, zu erweitern. Gerade die Finanzkrise hat gezeigt, wie gewünscht und wichtig Financial Education für weite Teile der Bevölkerung ist. Zur gesellschaftlichen Verantwortung gehört es ebenso, im Inland Steuern zu zahlen. Im Gefolge der Krise kam es auch zu einer breiten politischen Diskussion über die Angemessenheit von Manager-Boni und auch zu ersten gesetzliche Regulierungen wie dem Vorstandsvergütungsgesetz vom Sommer 2009. Auch wenn im Mittelpunkt künftiger Reformen und Regulierungen vor allem die Tantiemen der Investment-Banker stehen müssen, gibt es doch einige Grundsätze, die universal für die variable Vergütung von Managern Gültigkeit haben sollten: So muss die Vergütung von Vorständen und Top-Managern künftig in einem angemessenen Verhältnis zu deren Leistungen stehen. Landes- und branchenübliche Vergleichswerte sollten dabei nicht oder nur marginal überschritten werden. Der Bemessungszeitraum für erbrachte Leistungen sollte nicht zu kurzfristig angelegt sein. Volkswagen z.b. hat für seinen Long Term Incentive einen Bemessungszeitraum von vier Jahren zugrunde gelegt. Auch gewährte Aktienoptionen sollten frühestens nach vier Jahren ausgeübt werden dürfen. Die Parameter für die Bemessung von Erfolg und Leistung sollten auch Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen, also etwa Umweltschutz, Beschäftigungssicherung sowie soziales Engagement an den Standorten eines Unternehmens. Viele deutsche Unternehmen arbeiten bereits an der Einführung von Vergütungssystemen, die versuchen, die langfristige Unternehmensentwicklung sowie die soziale und ökologische Nachhaltigkeit mit den Zielen Rendite und Aktienkurs in ein ausbalanciertes Verhältnis zu bringen. Sicherzustellen, dass diese Systeme tatsächlich überall und wirksam implementiert werden, ist Aufgabe von Politik Wirtschaft, Gewerkschaften und nicht zuletzt wachsamer NGO s, der Verbraucher und der Öffentlichkeit. 14

4. Kapitel: Gemeinwohl fördernde Nachhaltigkeit durch globale antagonistische sche KoopK operation von Politik, Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften und organisierter Zivil- gesellschaft schaft These 4: Globale Nachhaltigkeit verlangt Anstöße durch neue Akteure und Prozesse einer e Good Global Governance: eine antagonistische Kooperation zwischen Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und organisierter Zivilgesellschaft. Dabei müssen die Herausforderungen der Zukunft gemeistert und nachhaltige Perspektiven für alle Gruppen der globalen Be-B völkerung aufgezeigt werden. en. Die Finanzkrise darf den Blick für andere globale Herausforderungen wie die weltweite Armut, Ressourcenknappheit, Klimawandel und demografische Entwicklung nicht verstellen. Wie wirken wir der weltweiten Armut und der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich entgegen? Wie halten wir unsere Gesellschaft aktiv zusammen gegen deren Auseinanderfallen in bildungsferne Schichten, Migranten und andere Gruppen? Wie müssen sich unser Berufsleben bzw. unsere Arbeitsbiographien, unsere Familien und unsere Gesellschaft strukturell und kulturell so verändern, dass wir der demografischen Entwicklung, nicht nur in Deutschland, und überhaupt einem gelingenden Leben gerecht werden, in dem die persönlichen Beziehungen nicht vor die Hunde gehen? Wie gedeiht unsere Wirtschaft in einer immer mehr auf Wissen und Informationen beruhenden Gesellschaft, wenn der Zugang zu Wissen bildungsabhängig wird und zugleich der Schutz von digital erfasstem Wissen immer schwieriger möglich ist? Wie sorgen wir für öffentliche Investitionen in Zukunftsfelder in Bildung? Wie sorgen wir für Generationengerechtigkeit, also dafür, dass unsere Kinder und Enkel nicht eine übermäßige Staatsverschuldung vorfinden, zu einer Zeit, in der sie auch für mehr ältere Menschen aufkommen sollen? Wie sorgen wir dafür, dass der Staat über die Mittel verfügt, die er braucht, um weiter gestaltungsfähig zu bleiben auch und gerade zur Krisenbekämpfung? Lösungen dieser Probleme sind drängend und können nur durch langfristig angelegte Konzepte bewältigt werden. Wirtschaft und Politik müssen umfassend nachhaltig handeln, die Menschen offen auch über notwendige grundsätzliche oft zunächst als Ein- 15

schränkungen empfundene Änderungen in der Lebensgestaltung aufklären, mit eigenem guten Beispiel vorangehen und Perspektiven für qualitatives Wachstum und eine gelingende Zukunft aufzeigen. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung in den Schwellenländern befreit Hunderte von Millionen von Menschen aus den Fesseln der Armut. Gleichzeitig werden die ökologischen Grenzen genauso drängend erfahrbar wie die Tatsache, dass materieller Wohlstand kein ewiges Privileg einer globalen Minderheit ist. Damit Klimawandel und Ressourcenkonflikte nicht unkontrollierbar werden, ist der rasche Umstieg auf Erneuerbare Energien, Energie- und Rohstoffeffizienz sowie nachwachsende Rohstoffe erforderlich. Nur so können wir unseren Verbrauch endlicher Ressourcen und unsere Emissionen von Treibhausgasen auf ein Maß reduzieren, das unserem Anteil an der Weltbevölkerung und den Grenzen unseres Planeten entspricht. Der Umbau unseres Produktions- und Konsummodells auf globale Nachhaltigkeit wird kein schmerzfreier Prozess, aber er birgt große Chancen für neue Investitionen und Arbeitsplätze. Das gilt besonders für ein Land der Ingenieure wie Deutschland. Allerdings besteht auch die Gefahr, den kommenden Strukturwandel nicht mutig genug einzuleiten und damit im Vergleich zu anderen Ländern zu verschlafen. Mittelfristig bietet dieser Aufbruch die Chance, ein stärkeres Wachstum des Bruttoinlandsprodukts mit der raschen Schrumpfung unseres Naturverbrauchs zu verbinden. Regelungen zur Vermeidung möglicher zukünftiger Finanzkrisen müssen also einhergehen mit einem allgemein verantwortlichen Umgang mit den Herausforderungen der Zukunft. Dazu benötigen wir neue Indikatoren des Wohlstands. a) Notwendigkeit neuer Wohlstandsindikatoren Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist zwar ein nützlicher monetärer Indikator, taugt aber nicht als ganzheitlicher Maßstab für Wohlergehen. Daher muss das BIP durch weitere quantitative und qualitative Indikatoren ergänzt werden, z.b. höhere Lebenszufrie- 16

denheit, Ausschöpfung der Bildungspotentiale, bessere Gesundheit und höhere Chancen für mehr und bessere Arbeitsplätze berücksichtigt. Von grundlegender Bedeutung ist eine Verständigung über Formen und Indikatoren eines von uns zukünftig gewollten und verantworteten Wachstums. Jede Wachstumsdiskussion, die uns aus der Krise herausführen soll, ist dabei zugleich eine Wertediskussion um Güter, Umwelt, Gesundheit und Zeit. Indikatoren und Statistiken konfrontieren uns mit der Frage, wie wir Wohlstand zutreffend berechnen können, um es mit wirtschafts-, umwelt- oder sozialpolitischen Maßnahmen auf den Pfad des Gemeinwohls zu lenken. Quantitative BIP- Berechnungen führen zu verzerrten Ergebnissen, da sie ausschließlich die Erstellung von Waren und Dienstleistungen einer Volkswirtschaft erfassen, deren Schädigung aber unberücksichtigt lassen. Jede von Mensch oder Natur herbeigeführte Naturkatastrophe, die in ihrer zerstörerischen Kraft Güter vernichtet, fördert mit ihrer Wiederherstellung somit das Wachstum. Die Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz und Amartya Sen haben sich mit der Messung der ökonomischen Leistung und des sozialen Fortschritts kritisch auseinandergesetzt. Sie kommen mit weiteren Ökonomen zu dem Ergebnis, dass die Nachhaltigkeit von Wachstum, sowie Bildung, Gesundheit und Lebensqualität in aktuellen Wohlstandsrechnungen vernachlässigt werden. Auch die OECD, der WWF, der Club of Rome sowie die Europäische Kommission hinterfragen inzwischen ihre Wachstumskennziffern. Mit den Initiativen Beyond GDP und Global Project on Measuring the Progress of Societies ist es nun ihr Bestreben, nicht nur das BIP um soziale und ökologische Indikatoren zu erweitern, sondern auch das Messsystem von Wohlstand neu zu definieren. Um der zeitgerechteren und genaueren Information willen ist zugleich ein Statistik- und Informationssystem erforderlich, das sowohl wirtschaftliche Aktivitäten berücksichtigt, als auch das Wohlergehen der Bevölkerung in Bezug auf Nachhaltigkeit festhält und den Zustand der Natur erfasst. Der Maßstab Bruttoinlandsprodukt, darüber herrscht Einigkeit, ist angesichts dieser Defizite für zukunftsweisende wirtschafts-, umwelt- oder sozialpolitische 17

Entscheidungen ungeeignet. Die Qualität von Informationen sowie der Zeitpunkt ihrer Verfügbarkeit sind wichtige Determinanten für nachhaltige Entwicklung. Dabei ist unbestritten, dass Wachstum durch materiellen Fortschritt gesteigert wird, dass heute aber andere Dimensionen von Fortschritt, insbesondere umweltbezogene und soziale Indikatoren einzubeziehen sind. Umstritten ist jedoch, wie sich diese neuen Dimensionen von Fortschritt definieren, messen und beurteilen lassen. Darüber müssen wir eine öffentliche Diskussion führen. b) Die Rollen von Politik, Wirtschaftsunternehmen, Gewerkschaften und organisierter Zivilgesellschaft Wenn man die Analyse teilt, dass wir es mit einer mehrdimensionalen Krise zu tun haben, mit einer ökonomischen Krise des Finanzmarktkapitalismus, mit einer kulturellen Krise der Verabsolutierung von Konkurrenz und uneingeschränkten Partikularinteressen und mit einer politischen Krise der Demokratie, dann verbietet es sich, auf dem falschen Pfad nur die Seite zu wechseln und weiter in die falsche Richtung zu marschieren. Die Wiedergewinnung des Primates demokratisch legitimierter Politik ist Voraussetzung für einen anderen Entwicklungspfad. Dabei ist Demokratie nicht nur ein normatives Gebot. Sie führt vielmehr durch die Übereinstimmung von Entscheidungs-, Betroffenheits- und Finanzierungskollektiv zu besseren sowie stärker legitimierten Ergebnissen. Keine Gesellschaft entscheidet sich in einem demokratischen Prozess für einen Weg, der sie in wenige Gewinner und eine steigende Zahl von Verlierern teilt und die Zuordnung zu einer dieser Gruppen den Zufällen des Lebens und den Zwängen des Marktes überlässt. Die Revitalisierung der Demokratie in Reichweite und Tiefe muss daher eine Lehre aus den Ursachen der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise sein. Reichweite in dem Sinne, dass sie sich nicht auf Wahlen und Gesetzgebung beschränkt. Sie sollte alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, der Privatwirtschaft und des Arbeitslebens umfassen. Tiefe in dem Sinne, dass nicht nur überall Arenen der Mitbestimmung zugelassen werden. Es geht auch darum, eine 18

Mitbestimmungskultur zu fördern und Mitspracherechte im Betrieb und auf Unternehmensebene zu erweitern. Dann schließen sich Demokratie und Privateigentum nicht aus, sondern können sich, wenn Beteiligungs- und Mitsprache- sowie Schutz- und Verweigerungsrechte auf Seiten der Belegschaften gewährleistet sind, ergänzen. Mitbestimmung ist ein wesentliches Element unserer demokratischen und sozialen Wirtschaftsordnung. Da der unternehmerische Erfolg im globalen Wettbewerb mehr denn je auf dem Ideenreichtum und den Erfahrungen der Beschäftigten beruht, bleibt Mitbestimmung eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Unternehmenspolitik. Selbstbewusste und mitdenkende Beschäftigte wollen ernst genommen werden und mitbestimmen. Doch Mitbestimmung ist nicht nur eine unverzichtbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg. Mitbestimmung in der Arbeitswelt erhöht die Bereitschaft, sich an Problemlösungen zu beteiligen und Verantwortung in der Demokratie zu übernehmen. Während der Krise hat sich die Mitbestimmung einmal mehr als Standortvorteil in Deutschland bewährt. Gerade die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise hat verdeutlicht, dass sich Unternehmenspolitik nicht einseitig an der Förderung von Gewinnzielen ausrichten darf. Die Mitbestimmung sorgt dafür, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in betriebliche und unternehmerische Entscheidungsprozesse einbezogen sind. Da die Mitbestimmung zu mehr Engagement, Motivation, Selbstverantwortung und Kreativität der Belegschaft führt, bleibt sie ein entscheidender Faktor, um die Stärken des deutschen Wirtschaftssystems zu erhalten und weiter zu entwickeln. Mitbestimmung ist somit ein modernes Konzept für Unternehmen, die ihre Zukunftsfähigkeit gemeinsam mit ihren Beschäftigten sichern wollen. Im deutschen Aktienrecht muss deutlicher herausgestellt werden, dass bei einer nachhaltigen Unternehmensführung soziale Verantwortung kein geringeres Gewicht besitzt als Renditeerwägungen. Unbeschränkte private (privatwirtschaftliche) Macht ist wie unbeschränkte staatliche Macht ein Zeichen vordemokratischer Verhältnisse. Daraus folgern wir: Die Herausforderungen der Zukunft müssen Politik, Wirtschaftsunternehmen und Zivilgesellschaft, allen voran die Ge- 19

werkschaften, in antagonistischer Kooperation gemeinsam angehen. Dabei geht es um ein neues Verhältnis von Regulierung, Selbstregulierung und Transparenz in bürgerschaftlicher Verantwortung und das Aufzeigen von Perspektiven und Partizipationsmöglichkeiten für alle Gruppen der Bevölkerung. Die organisierte Zivilgesellschaft ihrerseits muss für Transparenz in den Entscheidungen und für innovative wie nachhaltige Initiativen sorgen. Sie kann unabhängig von einzelnen Machtinteressen für politische Ziele mobilisieren und dafür partei- und grenzüberschreitende Koalitionen initiieren. Indem sie an nationale Grenzen und Legislaturperioden nicht gebunden ist, kann sie mächtigen partikularistischen Lobbygruppen aufklärend entgegentreten, eigene Vorschläge propagieren und für gemeinwohlorientierte Perspektiven und öffentliche Debatten sorgen. Sie kann Vertrauen schaffen, indem sie Selbstregulierungszusagen des Privatsektors ebenso wie Regulierungen der Politik kompetent beobachtet, überwacht und gegen Übertretungen öffentlich mobilisiert. Dies setzt den selbstkritischen Umgang mit der eigenen Rolle und Legitimation sowie die Bereitschaft, weitere Teile der Bevölkerung einzubeziehen, voraus. Zwischen den verschiedenen Akteuren, aber auch innerhalb der einzelnen Sektoren müssen wir nach dem Prinzip der Transparenz und der verlässlichen Partnerschaft handeln. Die aus der sozialen Marktwirtschaft vertraute antagonistische Kooperation ist keine überholte, sondern eine überaus zukunftsträchtige Idee, die ihre vertrauensbildende Kraft gerade in der Krise offenbart hat. Dieses Vertrauen ist kostbar und braucht gesetzliche Unterstützung ebenso wie bewusste und überzeugte Pflege. 20