Diagnostik und Verlauf

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Transkript:

SCHAAF, H. und G. HESSE: Diagnostik und Verlauf einer Schwindel erkrankung im Kindesalter pädiat. prax. 79, 421 429 (2012) Hans Marseille Verlag GmbH München Diagnostik und Verlauf einer Schwindelerkrankung im Kindesalter H. SCHAAF und G. HESSE Gleichgewichtsambulanz der Tinnitus-Klinik Dr. Hesse (Chefarzt: Prof. Dr. G. HESSE), Stadtkrankenhaus Bad Arolsen Einleitung Seit einigen Wochen zunehmende Schwindelbeschwerden eines 12-jährigen Mädchens hatten dazu geführt, dass es zunehmend Zeit in der Schule versäumte, nicht mehr an ihrem Sport (Handball) teilnehmen durfte und eine sich verstärkende Gangstörung aufwies. Die besorgten Eltern ließen daraufhin die privatversicherte Patientin in eine Kinderklinik aufnehmen, in der die nahezu komplette allgemeinmedizinische und kardiologische apparative Diagnostik einsetzte. Diese blieb ebenso wie konsiliarisch angeforderte HNO-ärztliche Untersuchungen ohne fassbares Ergebnis. Da die Mutter des Kindes an multipler Sklerose erkrankt war, führte die Sorge auf eine ähnliche Entwicklung beim Kind dazu, dass die Patientin auch zweimal lumbalpunktiert und einer Kernspinuntersuchung zugeführt wurde, ohne dass sich ein pathologisches Substrat finden ließ. Daraufhin wurde bei weiter zunehmendem Schwindel des Kindes eine dissoziative Bewegungsstörung in Betracht gezogen. Anhaltspunkte für eine derart psychogene Mitbeteiligung gaben die an multipler Sklerose erkrankte Mutter und der schon einmal wegen einer depressiven Episode stationär behandelte, aktuell auch ängstlich und depressiv wirkende Vater. Beide Eltern fürchteten ohne etwas ändern zu können dass sie dem Kind»wenig zu Hause zur Verfügung gestanden haben«und waren schuldhaft besorgt, eher wenig zur Stützung des Kindes beigetragen zu haben. Patientenbericht und Untersuchung Auf dringenden Wunsch der besorgten Eltern wurde das 12-jährige Mädchen in unserer Spezialambulanz vorgestellt. Schwindel benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS) psychogene Verstärkung Der mit angereiste besorgte Vater bat vor der Untersuchung des Kindes»unter vier Augen«, das Thema»Psyche«nicht anzusprechen, damit das Kind dadurch nicht noch negativer beeinflusst 421

würde. In dem dann von uns»dennoch«erbetenen Vieraugengespräch mit der Patientin ließ sich erfragen, dass dem ersten Schwindelereignis ein Sturz auf den Hinterkopf beim Handball vorangegangen war. Dies war nicht deutlich mit den Eltern kommuniziert worden, da die Patientin nicht ohne Grund fürchtete, dass»ihr«sport, der von den Eltern mit Sorge beobachtet wurde, verboten werden könnte. So hatten die Eltern als eine der ersten Reaktionen auf den Schwindel bestimmt, dass die Patientin erst dann wieder zum Handball gehen dürfe, wenn sie mindestens eine Woche schwindelfrei sei. Gleichzeitig wurden schlechtere Leistungen in der Schule damit entschuldigt, dass das Mädchen nun unter Schwindel leide, sich also nicht mehr so konzentrieren könne und sich mehr schonen als aktivieren müsse (Abb. 1). In den klinischen Untersuchungen fand sich bei der bei uns obligaten Lagerungsuntersuchung zur rechten Seite (Kopf 45 seitwärts) nach einer kurzen Latenz von Sekunden und gleichzeitig zum Drehschwindel ein rotierender Nystagmus mit schneller Phase zum unten liegenden Ohr und vertikaler Komponente nach oben, der im Zeitraum von etwa 30 Sekunden zu- und wieder abnahm. In Ergänzung der schon vorliegenden und mitgebrachten Befunde führten wir bei dem Mädchen, das der erwähnten diagnostischen Strapazen überdrüssig war, relativ wenig belastende Untersuchungen im Drehstuhl (Abb. 2 und 3) sowie auf der Posturographieplattform (Abb. 4 und 5) durch und leiteten zervikal und okulär vestibulär evozierte Potenziale zur Überprüfung der Sakkulus und der Utrikulusfunktion durch (Abb. 6 und 7) (1, 2). Auch diese zeigten weitestgehend Normwerte. Dem Vater konnte erklärt werden, dass seine Tochter nach dem Aufprall auf den Hinterkopf zumindest keine anhaltende Störung des Gleichgewichtsorgans zu befürchten habe. Abb. 1 Ablauf einer schwindelverstärkenden Kommunikations störung zwischen betroffenem Kind und besorgten Eltern Ein Kind mit Schwindel Ein Krankenhausaufenthalt mit einer Psychoabschlussdiagnose Ein zunehmender Schwindel beim Kind Ein Schwindelkind mit sich ausweitendem Schwindelverhalten Besorgte und bemühte Eltern mit eigenen potenziell schwindelverursachenden Erkrankungen Besorgte schuldbeladene Eltern, die körperliche Aktivierung verbieten und nachlassende Schulleistung entschuldigen Zunehmend schuldbeladene Eltern mit ungünstigen Verhaltensweisen 422

In der klinischen Beobachtung waren die teilweise bizarren Geh- und Stehbewegungen auffällig, die mit offenen und geschlossenen Augen abrufbar waren und vom äußeren Anschein her auch an einer Ausdruckskrankheit im Sinne der unterstellten dissoziativen Störung denken lassen konnten. Bei unauffälliger Posturographie sowie bei einem (zunächst ohne den Vater) anspruchsvollen Ballspiel des Untersuchers mit dem Kind, stellte sich eine ausreichende Funktionsfähigkeit in der Koordination heraus, die die Erwartungen des Untersuchers und auch des im Anschluss mit einbezogenen Vaters übertrafen. Diagnose Durch die Lagerungsprobe konnte ein Lagerungsschwindel des rechten, hinteren Bogengangs dia - gnos ti ziert werden (Abb. 8). Die Diagnosesicherung erfolgte durch Lagerung mit Beobachtung der Augenbewegungen. Das im Laufe der Zeit zunehmende Schwindel - gefühl konnte am ehesten durch das begleitende Vermeidungsverhalten erklärt werden. Die zunehmend bizarren Geh- und Stehbewegungen, die nur bei einem funktionierenden Gleichgewichtssystem möglich waren, erinnerten sehr an die operante Konditionierung der SKINNER-Tauben. Therapie Nach der Diagnostik galt es, das Einverständnis des Kindes für die notwendigen Lagerungsmanöver zu erwirken. Aufgeklärt werden musste zuvor, dass bei der Lagerung erneut Schwindelsensationen auftreten werden. Hilfreich war dabei die berechtigte Sicherheit des Therapeuten, dass diese nur kurz, maximal 30 Sekunden, die gemeinsam abgezählt werden konnten, andauern und dann zu einer verminderten Schwindelbelastung führen. Wir haben dazu das Manöver nach EPLEY (3) eingesetzt (Abb. 9 13). Dieses Manöver bezeichnet eine Bewegungsabfolge, in der der hintere Bogengang entsprechend seiner räumlichen Ausrichtung d u r c h - b e w e g t wird, ohne dass es wesentlich auf die Geschwindigkeit ankommt. Dies beinhaltet eine Reihe aufeinander abgestimmter Kopfbewegungsmanöver mit jeweils 90 Bewegung. Um dabei auch den Nystagmus beobachten zu können, wird der oder die Betroffene gebeten, die Augen offen zu halten. Ein Lagerungsnystagmus tritt in der 2. und 3. Kopfposition auf. Dabei schlagen die Nystagmen in d i e Richtung der Kopfbewegung, in der sich die Otolithen vom hinteren Bogengang zum Utrikulus hin bewegen. Ebenso wichtig war die adäquate A u f k l ä r u n g und E n t l a s t u n g des mitgereisten Vaters. Nachdem seine große und schuldhaft verarbeitete Befürchtung, er und seine Frau könnten wesentlich für den Schwindel der Tochter verantwortlich sein, besprochen werden konnte, war es möglich, die Lagerungsmanöver mit ihm gemeinsam durchzuführen und so zu vermitteln, das diese auch zu Hause weitergeführt werden könnten, sollte ein durchaus mögliches Rezidiv auftreten. Besprochen werden konnten danach auch die ungünstigen Verhaltensweisen bisher und hilfreichere aktivierende Formen bis hin zur Wiederaufnahme des vom Kind ersehnten Handballtrainings. Dabei konnte mit dem Mädchen vereinbart werden, dass es auch wichtig sei, dem Vater zu zeigen, dass sie d a f ü r wieder gerade gehen könne. Im anschließenden spielhaften Ballwerfen konnten wir auch miteinander erleben, dass das Koordinationsvermögen ausreicht, um wieder zum Training, aber auch in die Schule gehen zu können. Bei der Wiedervorstellung am nächsten Tag zeigte sich eine minimale Restsymptomatik. Diese konnte nun gut gelernt durch das Kind schon weitestgehend selber beherrscht werden. Diskussion Der gutartige Lagerungsschwindel Schwindelerkrankungen treten bei Kindern seltener auf als bei Erwachsenen. Mit Migräne assoziierte Störungen stehen im Vordergrund (4). Beachtet werden müssen auch psychogene Schwindelerkrankungen, ohne dass deren Prävalenz bei Kindern speziell erfasst wäre (4). Der gutartige Lagerungsschwindel (BPPV) bei Kindern ist spontan seltener als bei 423

Erwachsenen, weil die Otokonienablösung erst mit zunehmendem Lebensalter zunimmt (5). Häufiger finden sich auch im Kindesalter symptomatische Verläufe nach Schädeltraumata oder peripher-vestibulären Erkrankungen. Am häufigsten ist der hintere Bogengang (etwa 90%) betroffen. Der BPPV des horizontalen Bogengangs ist viel seltener (bei rascher Kopfdrehung zur Seite in Rückenlage streng horizontaler Nystagmus). Die Therapie des BPPV erfolgt physikalisch durch Anwendung spezifischer Befreiungsmanöver in Analogie zur Erkrankung bei Erwachsenen (6). Abb. 2 und 3 Bei der Drehstuhluntersuchung zeigten sich weitestgehend symmetrische Reiz antworten als Hinweis auf suffiziente Reaktionen der simultan geprüften lateralen Bogengänge, Utrikulusanteile und zentraler Verarbeitung Abb. 2 Sinus Pendeltest 1 40 Horizontal 30 20 10 0 10 20 30 40 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 80% 60% 40% 20% 20% 40% 60% 80% 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Geschw. L: 38,9 /s Nullpunkt: 0,6 /s (2%) Links Verstärkung R L100,8% Geschw. R: 37,7 /s Zeitkonstante: 13,2 sec sensitiver K: 13,7 /s/ /s 2 424

Abb. 3 Trapez CCW»Start«CCW»Stop«CW»Stop«CCW CCW CW Entwicklung eines reaktiv-psychogenen Schwindels beim sog. benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPLS) Bei Patienten mit wiederholten Schwindelanfällen stellen sich oft Angst und Unsicherheit ein umso eher, je weniger fassbar die Genese ist und je weniger Bewäl - tigungsmöglichkeiten erlebbar werden (7, 8). Dysfunktionale Gedanken und Gefühle führen zu ungünstigen Verhaltensweisen, von denen die Vermeidung von eigentlich möglichen Aktivitäten die Problematik vergrößert (9). Über die reinen Anfälle hinaus kann sich im Verlauf ein»ständiges«unsicherheits- und Schwindelgefühl in Form eines meist reaktiven»psychogenen Schwindels«bemerkbar machen. In der Regel sind es die beim organisch bedingten Schwindel erlebten vegetativen Begleitreaktionen und oft heftige Angstgefühle, die als Modell der nachfolgenden Symptombildung dienen. Kinder mit ihren für die Erwachsenen nicht immer erschließbaren Phantasiewelten und eigenen Ängsten sind bei schwer verstehbaren Erkrankungen sicher noch mehr gefährdet als Erwachsene. Ein wesentlicher Grund ist darüber hinaus, dass Kinder noch schlechter als Erwachsene über ihre Körpergefühle berichten und 425

4 5 Abb. 4 und 5 Unauffällige Posturographie auf Schaumstoffunterlage; mit offenen Augen (Abb. 4), mit geschlossenen Augen (Abb. 5) Abb. 6 Normalbefund bei einer cvemp (Ableitung am Halsmuskel). Es zeigt sich ein Potenzialmuster (rechts) mit Antworten nach etwa 13 ms und 23 ms. Rechte Seite: oben, linke Seite: unten Abb. 7 Normalbefund bei einer ovemp (Ableitung an den unteren Augenmuskeln). Es zeigt sich beidseits Potenzialmuster (rechts) mit Antworten nach etwa 10 ms und 15 ms. Rechte Seite: oben, linke Seite: unten 100 V 50 V 100 R 100 R 100 L 100 L db nhl 10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 ms db nhl 10 0 10 20 30 40 50 60 70 80 ms 426

Abb. 8 Otokonien im posterioren Bogengang als Auslöser für einen benignen paroxysmalen Lagerungs schwindel nicht die verschiedenen Qualitäten des Unwohlseins etwa von dem einer Benommenheit oder dem Gefühl des»schwarzwerdens«vor den Augen unterscheiden können. Bei unserer Patientin kam noch eine deutliche Kommunikationsstörung zwischen ihr und den Eltern hinzu, die lange die Verkennung der an sich behebbaren organischen Ursache erschwert hat (Abb. 1). Untersucher sind daher in starkem Maß auf die Angaben der Bezugspersonen angewiesen (10). Verlieren diese auch noch ihre (scheinbare) Sicherheit, hat dies zumindest Einfluss auf die Verarbeitung der Kinder. Die bei unserer Patientin sich zunehmend ausprägenden Bewegungsmuster waren am ehesten durch das sicherlich unbewusste Verstärkungsverhalten der besorgt beobachtenden Eltern erklärbar, die in ihrer Not den scheinbaren Schwindelbewegungen mehr als den natürlichen Gleichgewichtsfähigkeiten Beachtung schenkten. Aufrechterhaltend kamen dann noch das Verbot des aktivierenden und geliebten Ballspiels, die»schonung«zu Hause und die Akzeptanz der schlechter werdenden schulischen Leistungen hinzu. Fazit für die Praxis Auch beim Schwindel im Kindesalter ist das Häufige häufig. Deswegen sind»dran denken«und eine obligatorische diagnostische Lagerung beim Schwindel hilfreich. Manifestiert sich ein scheinbar unbegreiflicher Schwindel mit Wiederholungscharakter, so können sich zusätz - liche Schwindelphänomene entwickeln, die durch dysfunktionale Verhaltensweisen und Vermeidung verstärkt werden. Heutzutage stehen neben den nur noch als orientierend anzusehenden kalorischen Spülungen auch Möglichkeiten zur Überprüfung der Otolithenfunktionen zur Verfügung, die in der Hand des Fachkundigen auch adäquat zur Diagnosefindung beitragen können. 427

Abb. 9 13 EPLEY-Manöver zur Behandlung von BPLS (sog. benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel) des rechten hinteren Bogengangs 428

Zusammenfassung Im Kindesalter finden sich Schwindel und Gleichgewichtsstörungen als Leitsymptome seltener als bei Erwachsenen und können eine besondere diagnostische Herausforderung bedeuten. Geschildert wird der Krankheitsverlauf eines 12-jäh rigen Mädchens, das scheinbar ohne organisch fassbare Genese eine zunehmende Schwindelerkrankung entwickelte. Zielführend waren eine gezielte Anamnese und eine Untersuchung der Augenfolgebewegungen, speziell der Lagerungsuntersuchung. 6. Fife TD, et al. Practice parameter: therapies for benign paroxysmal positional vertigo (an evidencebased review): report of the Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology. Neurology 2008; 70: 2067 2074. 7. Eckhardt-Henn A, et al. Somatoforme Schwindelsyndrome. Nervenarzt 2009; 80: 909 917. 8. Schaaf H. Psychogener Schwindel in der HNO-Heilkunde. HNO 2001; 49: 307 315. 9. Yardley L, Beech S, Weinman CJ. Influence of beliefs about the consequences of dizziness on handicap in people with dizziness, and the effect of therapy on beliefs. J Psychosom Res 2001; 50: 1 6. 10. Weschke B. Kleine Kinder, große Probleme. Schwindel bei Kindern und Jugendlichen. In: Schaaf H, Hesse G, Nelting M: Schwindel psychosomatisch gesehen. München: Profil; 1999. S. 70 73. SCHAAF, H. and G. HESSE: Diagnosis and progress of a vertigo syndrome in childhood S u m m a r y : Vertigo and vestibular disorders are rare symptoms with children compared to adults. Diagnostic evaluation is a challenging task. We report the case of a 12 year old girl that developed a vestibular disorder, apparently without any detectible somatic cause. Thorough anamnesis with analysis of eyes movements and special positional tests led to the diagnosis of a BPPV. Dr. H. SCHAAF Gleichgewichtsambulanz Tinnitus-Klinik Dr. Hesse Große Allee 50 34454 Bad Arolsen hschaaf@tinnitus-klinik.net K e y w o r d s : Vertigo BPPV childhood psychogenic amplification Literatur 1. Helling K, Clarke AH. Otolithenfunktion: Vernach - lässigtes Element in Praxis und Klinik. In: Biesinger E, Iro H, Hrsg. HNO Praxis heute, Bd. 27. Schwindel. Berlin-Heidelberg: Springer; 2007. S. 23 35. 2. Walther LE, Hörmann K, Pfaar L. Die Ableitung zervikaler und okulärer vestibulär evozierter myogener Potenziale. Teil 1: Anatomie, Physiologie, Methodik und Normalbefunde. HNO 2010; 58: 1031 1045. 3. Epley JM. The canalith repositioning procedure: for treatment of benign paroxysmal positional vertigo. Otolaryngology, Head Neck Surgery 1992; 107: 399 404. 4. Jahn K. Kindliche Schwindelformen. Klinik, Verlauf, Therapie. Nervenarzt 2009; 80: 900 908. 5. Bachor E, Wright CG, Karmody CS. The incidence and distribution of cupular deposits in the pediatric vestibular labyrinth. Laryngoscope 2002; 112: 147 151. 429