Landesmindestlohnregelungen: Vom Wegbereiter zum Auslaufmodell? Regelung, Implementation und Kontrolle von Landesmindestlöhnen und Vergabepraxis im Vergleich Till Kathmann & Irene Dingeldey IAW-Colloquium am 13.10.2015
Aufbau des Vortrags 1. Einleitung 2. Kontext Einführung Mindestlöhne 3. Forschungsdesign 4. Positionen zur Einführung 5. Implementation 6. Kontrolle & Evaluation 7. Branchenstudien 8. Fazit
Einleitung Relevanz: Einführung von Mindestlöhnen zentrale Arbeitsmarktreform hochumstritten Als Mittel zur Minimierung des Niedriglohnsektors gedacht Forschungslücke: Einerseits Landesmindestlöhne bislang wenig erforscht, andererseits Beschäftigungswirkungen im Fokus, weniger: Implementation/prozessuale Aspekte, Kontrolle
Einleitung Forschungsfragen: 1. Welche Ziele wurden von zentralen Akteuren bei der Einführung der Landesmindestlohnregelungen verfolgt? 2. Welche Gemeinsamkeiten/Unterschiede gibt es hinsichtlich Ausgestaltung/Umsetzung? 3. Wie wird die Gestaltung einzelner Aspekte der Landesmindestlohnregelungen von verschiedenen Akteuren eingeschätzt?
Kontext Unterschiedliche Mindestlohnregelungen in Deutschland Allgemeinverbindlich erklärte Branchenmindestlöhne auf Grundlage des TVG (in Kraft seit 1949, Veränderung 1969) Allgemeinverbindlich erklärte Branchenmindestlöhne auf Grundlage von AEntG (in Kraft seit 1996, Neufassung 2009) Vergabespezifische Mindestlöhne auf Grundlage von Tariftreueund Vergabegesetzen (seit 2008) Landesmindestlöhne (seit 2012) Allgemeiner Mindestlohn (seit 2015)
Branchenmindestlöhne AEntG Branche Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst Bauhauptgewerbe (ohne Dachdeckerhandwerk und Gerüstbaugewerbe) Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlenbergwerken Berufliche Aus- und Weiterbildungsdienstleistungen nach dem Zweiten oder Dritten Buch Sozialgesetzbuch Dachdeckerhandwerk Fleischwirtschaft Friseurhandwerk Gebäudereinigung Geld- und Wertdienste Gerüstbauerhandwerk Land- und Forstwirtschaft sowie Gartenbau Maler- und Lackiererhandwerk Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk Textil- und Bekleidungsindustrie Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft Anmerkungen: gesonderte Regelungen für Zeit-/Leiharbeit (AVE über AÜG) und Pflegebranche Quelle: WSI Tarifarchiv 2015
Branchenmindestlöhne TVG Elektrohandwerk Schornsteinfegerhandwerk Quelle: WSI Tarifarchiv 2015 Branche Bedeutung Allgemeinverbindlichkeitserklärung nimmt ab Rückgang allgemeinverbindlich erklärter Ursprungstarifverträge von 4,5% (1995) auf 0,7% (2015) Grund: Arbeitgeberseite nutzt Vetofunktion aus; bis 2015 oft 50% der Repräsentation der Verbände nicht erfüllt Weiterentwicklung AVE unklar
Tariftreue-Regelungen und vergabespezifische Mindestlöhne in Deutschland Quelle: WSI Tarifarchiv/Hans-Böckler-Stiftung, Stand: Januar 2015
Design unserer Untersuchung Erhebungsmethoden: 21 Experteninterviews mit Vergabeverwaltung Falls vorhanden: Kontrollorgan Kommissionsmitglieder (Arbeitgeber/Arbeitnehmervertreter/innen) Arbeitgeber Literatur- & Dokumentenanalyse Fallauswahl: Bundesländer: HB, SH, B & BB, Branchen: Sozialwirtschaft & Gebäudereinigung Erhebungszeitraum: 12/2014 bis 03/2015 Auswertungsverfahren: Methode der Kernsatzfindung
Positionierung der Akteure zur Einführung der Landesmindestlöhne Positive Wahrnehmung durch Arbeitnehmerseite, aber kein Mittel, Niedriglohn zu bekämpfen Arbeitgeberseite: Skepsis/Ablehnung, aber auf Unternehmensebene auch Zustimmung Generell: Landesmindestlohn als politisches Projekt Landesmindestlohn erweitert Geltungsbereich des Mindestlohns im Vergaberecht; schöpft Gestaltungsspielraum der Länder aus
Begründungen und Höhe des Landesmindestlohns in den untersuchten Bundesländern Bundesland Regierungskoalition und Zeitpunkt der Einführung Begründungen Höhe Festsetzung durch Rechtsverordnung Anpassungsrhythmus Berlin Bremen Rot/Schwarz: 1.1.2014 Rot/Grün 1.9.2012 Druck hin zur Einführung des Mindestlohns auf Bundesebene, Herstellung sozialer Gerechtigkeit, Bedingung für gute Arbeit herstellen Auffangen sinkender Reallöhne, Herstellung sozialer Gerechtigkeit, Entlastung öffentlicher Kassen, Vermeidung von Lohndumping, Interessensausgleich zwischen Tarifpartnern des Senats 8,50 Alle zwei Jahre des Senats nach (nicht bindender) Empfehlung der Mindestlohnkommission Beginn: 8,50 Erhöhung: 1. Oktober 2014: 8,80 Anfangs alle zwei Jahre, gegenwärtig: jährlich Schles- wig- Holstein Rot/Grün/SSW: 28.12.2013 Eindämmung Niedriglöhne, Entlastung öffentlicher Kassen, Signal an Bundesebene des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie 9,18 Alle zwei Jahre Quelle: Eigene Darstellung
Umsetzung Landesmindestlöhne Nach Bundesland unterschiedlich: Kommissionsmodell in HB und BB Mitbestimmung Tarifparteien dementsprechend unterschiedlich Anpassungsrhythmus unterschiedlich Unterschiedliche Höhe SH am höchsten (9,18 )
Kontrolle Kontrolle ähnelt der des vergabespezifischen Mindestlohns Institutionell verschieden: zentral (Kommissionsmodell HB, B) vs. dezentral (Vergabestellen SH, BB), Zusammenarbeit mit dem Zoll Gemeinsamkeit: Sehr geringe Kontrolldichte öffentlicher Aufträge (< 5%)
Kontrolle & Evaluation Kontrollen beziehen sich auf Schwerpunktbereiche Stichprobenkontrolle Bsp. Bremen: Bausektor bei insg. ca. 25% der überprüften Unternehmen Verstöße entdeckt Sanktionen in allen Ländern ähnlich Kaum Evaluationen außer BB/HB Kontrolle Achillessehne der Umsetzung vom Mindestlohn
Branchenstudien Gebäudereinigung: Größtes Handwerk, ca. 850.000 AN, hoher Niedriglohnanteil, Branchenmindestlohn Sozialwirtschaft: ca. 930.000 AN, Öffentliche Träger öffentliche Zuwendungen Landesmindestlohnrelevant Einkommensstruktur Branchenmindestlohn Pflege
Branchenstudien Gebäudereinigung: regional verschiedene Auswirkung, Überlagerung von Mindestlöhnen Probleme: Publizitätswirkung, Verwaltungsaufwand Überraschend Zustimmung Mindestlohn: Entschärfung Wettbewerb Bestätigung der geringen Kontrollen, hier: Zoll relevant
Branchenstudien Sozialwirtschaft: in Teilbereichen Konzentrationsprozess auf Anbieterseite (Bsp. Essensausgabe) Mindestlohn stärkt Verhandlungsbasis mit Kostenträgern insgesamt jedoch geringe Relevanz Auch hier Zustimmung, ethisch motiviert Wenig Kontrollen bestätigt
Positionen zu Landesmindestlöhne nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns Vorreiterrolle aufrechterhalten in Brandenburg; (Kommissionsvorschlag Anhebung auf 9 ) Aussetzen in Schleswig-Holstein/Bremen (jeweils über 8,50 ) und Berlin Abschaffung nach Anhebung auf 8,67 zum 1.10.15 in Hamburg intendiert Landesregierungen greifen nun z.t. Kommissionsentscheidungen vor
Fazit: Landesmindestlohn als politisches Projekt : Ausschöpfen der Lohnsetzungskompetenz der Landesregierungen mit Blick auf Einführung des gesetzlichen Mindestlohns als Sicherung des fairen Wettbewerbs auch von vielen Arbeitgebern anerkannt; von Arbeitgeberverbänden dagegen als Eingriff in Tarifautonomie gesehen
Fazit: kein direkter Zusammenhang zwischen Höhe des Landesmindestlohns und Verfahren der Lohnsetzung (Beteiligung der Tarifpartner oder nicht) geringe Kontrolldichte als Problem Tendenziell zentralisierte Kontrollen besser als dezentralisierte bislang wenig Evaluation
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Publikation: Till Kathmann/Irene Dingeldey (2016): Landesmindestlohnregelungen: Vom Wegbereiter zum Auslaufmodell? Regelung, Implementation und Kontrolle von Landesmindestlöhnen und Vergabepraxis im Vergleich. Reihe Arbeit und Wirtschaft in Bremen. Arbeitnehmerkammer/Institut Arbeit und Wirtschaft: Bremen.