Konsum von Benzodiazepinen Ein Leitfaden für Pflegekräfte Was sind Benzodiazepine? Was ist das Problem bei Benzodiazepinen? Wann ist man abhängig? Welche Alternativen gibt es? Was kann ich tun, wenn der Betroffene sein Verhalten nicht ändern will? Wo gibt es Hilfe? Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Vorstand: Prim. Univ.-Prof. Dr. Friedrich M. Wurst
Was sind Benzodiazepine? Benzodiazepine (BZD) werden oft bei Schlafstörungen, Angstzuständen, Unruhe oder Schmerzen vom Arzt verordnet. Allerdings sollten diese Medikamente nicht länger als zwei bis vier Wochen eingenommen werden, da es sonst zu Abhängigkeit und anderen Nebenwirkungen kommen kann. Die am häufigsten verschriebenen Medikamente sind u.a.: Handelsnamen: Anxiolit, Halcion, Ivadal, Lexotanil, Psychopax, Praxiten, Rohypnol, Somnubene, Tavor, Temesta, Zoldem, Zopiclon, Xanor etc. Die Handelsnamen unterscheiden sich zwischen Österreich und Deutschland. Sie können auch im Beipackzettel nachlesen, um welchen Wirkstoff es sich handelt: Wirkstoffe: Alprazolam, Bromazepam, Diazepam, Flunitrazepam, Lorazepam, Oxazepam, Triazolam, Zolpidem, Zopiclon etc. Die meisten BZD-Wirkstoffnamen enden mit zepam oder zolam. Zolpidem und Zopiclon sind chemisch gesehen keine Benzodiazepine, wirken aber wie diese und sind deshalb hier mit aufgeführt. Wenn Sie sich unsicher sind, fragen Sie am besten den behandelnden Arzt. Schauen Sie in die Pflegedokumentation: Welche PatientInnen bekommen BZD? Wie lange nehmen sie BZD? Gibt es Nebenwirkungen?
Was ist das Problem bei Benzodiazepinen? Bei Benzodiazepinen kann es schnell zu Abhängigkeit und anderen Nebenwirkungen kommen. Welche pflegerischen Herausforderungen hat die Einnahme von BZD zur Folge? Stürze mit der Folge von Frakturen Schlafstörungen Müdigkeit am Tag Depressionen Angst Gedächtnisprobleme Atem- und Kreislaufdepression Missempfindungen (Kribbeln, Juckreiz etc.) Reaktionsverlangsamung körperliche Verlangsamung Benommenheit Schwitzen, Unwohlsein Selbstvernachlässigung Schluckstörungen Obstipation eingeschränkte Kritikfähigkeit BZD werden anfangs gegen Schlafstörungen, Depressionen oder Angst verschrieben, haben aber gerade nach längerer Einnahme diese Symptome (neben vielen weiteren Nebenwirkungen) aufgrund der Toleranzentwicklung zur Folge!
Besondere Probleme beim BZD Konsum im Alter: Sensibilität gegenüber BZD erhöht Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (und auch Alkohol) Bei lang wirksamen BZD (z.b. Diazepam) kommt es zu einer Kumulation des Wirkstoffes, je nach Medikament und Halbwertszeit (z.b. bis zu 200h) im Körper. Somit sind die BZD je nach Einnahmedauer und Frequenz noch viele Tage im Körper wirksam. Was ist das Problem der BZD bei älteren Menschen? Gerade ältere Menschen bekommen sehr oft Benzodiazepine verordnet, da sie an Schlafstörungen, Angst, Unruhe oder Schmerzen leiden. Besonders häufig ist die sogenannte Niedrig-Dosis-Abhängigkeit. Dabei wird oft über Jahre ein Benzodiazepin in niedriger Dosierung eingenommen. Achtung: gefährliche Entzugssymptome! Wenn der Betroffene z.b. durch akute Pflegebedürftigkeit od. durch einen Krankenhausaufenthalt von der BZD Versorgung abgeschnitten ist, kann es zu Entzugserscheinungen kommen: Schwitzen, Zittern, Übelkeit, Schlafstörungen, Angst, Unruhe, Halluzinationen, Wahn, Epileptische Anfälle, Delir, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen Treten bei BewohnerInnen/PatientInnen Entzugserscheinungen auf, soll sofort ein Arzt zugezogen werden. BZD sollen nur vom Arzt reduziert bzw. ausgeschlichen werden!
Wann ist man abhängig? Wenn PatientInnen oder BewohnerInnen über längere Zeit Benzodiazepine nehmen, sollten Sie auf jeden Fall mit dem Arzt darüber sprechen. Wenn jemand Benzodiazepine einnimmt und eine der folgenden Fragen mit Ja beantwortet, kann dies ein Hinweis auf einen schädlichen Gebrauch oder eine Abhängigkeit sein (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen): Beunruhigt Sie die Vorstellung, mehrere Tage oder Wochen auf Ihr Medikament zu verzichten? Haben Sie sich zur Sicherheit einen Vorrat dieses Medikaments angelegt? Haben Sie über die Zeit der Einnahme hinweg die Dosis gesteigert, da die Wirkung des Medikaments nachließ und die ursprünglichen Beschwerden trotz der Einnahme des Medikaments wiederkamen? Verbergen Sie vor anderen, dass Sie diese Medikamente einnehmen, bzw. wie häufig und in welcher Dosis Sie dieses Medikament einnehmen? Warum wird man von Benzodiazepinen so schnell abhängig? Beendet man die Einnahme der Benzodiazepine, treten Symptome wie Unruhe oder Schlaflosigkeit oft verstärkt wieder auf. Dies sind jedoch meist Entzugssymptome, die innerhalb weniger Tage abklingen. Man glaubt also fälschlicherweise, dass die Symptome der ursprünglichen Erkrankung noch da sind, obwohl es sich bereits um Entzugssymptome handelt.
Welche Alternativen gibt es? Besprechen Sie Alternativen mit dem behandelnden Hausarzt oder Psychiater. Es gibt meistens nichtabhängig machende Medikamente als Alternative. Bedenken Sie auch dass Benzodiazepine Symptome meist nur überdecken, die Ursache bleibt unbehandelt. Wichtig: Benzodiazepine dürfen auf keinen Fall schlagartig und ohne Arzt abgesetzt werden es kann zu schweren Entzugserscheinungen und gesundheitlichen Problemen führen. Wichtig: Geben Sie die Einnahme von Benzodiazepinen vor jeder Operation unbedingt an. Alternativen ohne Medikamente: Kontaktaufnahme mit professioneller Hilfe (z.b. Psychologe, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychotherapeuten) Schlafstörungen: Einschlafrituale einüben, körperliche und geistige Aktivität am Tag, Mittagsschlaf weglassen, immer zur selben Zeit aufstehen, berücksichtigen, dass alte Menschen nicht mehr so viel Schlaf brauchen Angst, Nervosität und Unruhe: Entspannungsübungen (Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson, Autogenes Training), Genusstraining (z.b. Musik, Essen etc.), soziale Aktivierung, kreative Angebote Schmerzen: leichte körperliche Aktivität, Entspannungsübungen, positiv vom Schmerz ablenken (Gespräche, Unternehmungen), Gruppenangebote
Was kann ich tun, wenn der Betroffene sein Verhalten nicht ändern will? Motivierende Gesprächsführung (Miller Rollnick, 2004)... fördert die Selbstwirksamkeit, den Glauben, sich verändern zu können. Der Patient ist für die Entscheidung zur Veränderung und Umsetzung verantwortlich. Der Glaube des Therapeuten an die Fähigkeit der Person, sich zu verändern wird zu einer Selffulfilling Prophecy. Ambivalenz gehört zur Verhaltensänderung und wird akzeptiert. Der Patient bestimmt die Geschwindigkeit, der Berater behält das definierte Ziel im Auge und führt das Gespräch im Zweifel immer darauf zurück. Beispielhafte offene Fragen zur Bewusstmachung und Änderung: Was gefällt Ihnen an der Einnahme der BZD? Welche möglichen Langzeitauswirkungen der Einnahme von BZD besorgen Sie am meisten? Was sind für Sie die wichtigsten Gründe, mit der Einnahme von BZD aufzuhören? Was beunruhigt Sie an der gegenwärtigen Situation? Was könnten Sie oder andere an Ihrem BZD-Konsum Besorgnis erregend finden? Was glauben Sie wird geschehen, wenn Sie nichts verändern?
Stages of change (Maurischat, 2001) 1. Phase: Sorglosigkeit Fehlende oder eingeschränkte Problembewusstheit Interventionsziel: Erzeugen kognitiver Dissonanz, Bewusstwerden eines Problems Vorgehen: Wirkungen und Nebenwirkungen von BZD aufzeigen und wertfrei mit aktueller Situation verknüpfen. 2. Phase: Bewusstwerdung Stadium der Nachdenklichkeit Interventionsziel: Förderung der Änderungsbereitschaft Vorgehen: Probleme der Abhängigkeit/ des schädlichen Gebrauchs von BZD dem Patienten verdeutlichen, ermutigen. 3. Phase: Bereitstellung und Klarheit Interventionsziel: Konkrete Hilfevermittlung Vorgehen: Plan gemeinsam mit dem Betroffenen ausarbeiten. Einbindung in das Suchthilfesystem. Konkrete Termine und Vorgehensweisen absprechen. 4. Phase: Handlung und Bewegung Ziel: Verbesserung der Abstinenzbefähigung Vorgehen: Entwöhnung, Analyse der Rückfallrisiken etc. 5. Phase: Aufrechterhalten und Stabilisierung Regelmäßige Gespräche und Nachfragen über den Status, wie es ohne abhängig machendes Medikament geht. Fazit: PatientInnen und BewohnerInnen sollen für die negativen Folgen der BZD Einnahme durch Information und Ansprechen des Themas sensibilisiert werden. Die Reduzierung der BZD sollte immer in Begleitung eines Arztes erfolgen
Wo gibt es Hilfe? Ambulante Einrichtungen Salzburg Sozialmedizinischer Dienst Fanny-von-Lehnert-Straße 1 5020 Salzburg Tel. +43 (0) 662 8042 3599 Fax +43 (0) 662 8042 3884 www.salzburg.av.at/20304 Ambulanz der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Christian Doppler Klinik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Ignaz-Harrer-Straße 79 5020 Salzburg Tel. +43 (0) 662 4483 4663 www.salk.at/6888.htm Berchtesgadener Land/ Traunstein Caritas-Fachambulanz Wittelsbacher Straße 10b 83435 Bad Reichenhall Tel. +49 (0) 8651 9585 0 Fax +49 (0) 8651 9585 11 www.caritas-fachambulanz-bgl.de Caritas-Fachambulanz Herzog-Wilhelm-Straße 20 83278 Traunstein Tel. +49 (0) 861 98877 41 Fax +49 (0) 861 98877 40 www.caritas-traunstein.de
Wo gibt es Hilfe? Stationäre Einrichtungen Salzburg Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Christian Doppler Klinik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Ignaz-Harrer-Straße 79 5020 Salzburg Tel. +43 (0) 662 4483 4663 www.salk.at/6888.htm Salzburger Landesverband für Psychohygiene www.lph-sucht.at Sonderkrankenhaus-Weizensteinerstrasse Weizensteinerstrasse 11 5020 Salzburg Tel. +43 (0) 662 824203 Fax +43 (0) 662 824203 20 Sonderkrankenhaus-Ignaz-Harrer-Straße Ignaz-Harrer-Straße 90 5020 Salzburg Tel. +43 (0) 662 43145013 Fax +43 (0) 662 4314508
Wo gibt es Hilfe? Spezifische Therapieangebote für ältere Menschen Österreich Anton-Proksch-Institut Radetzkystraße 31 1030 Wien Tel. +43 (0) 1880 10888 www.antonprokschinstitut.at Deutschland Fachklinik Fredeburg Zu den drei Buchen 1 57932 Schmallenberg Tel. +49(0)2974/72-0 Fax +49(0)2974/72-3706 www.fachklinik-fredeburg.de Fachklinik Annabrunn St.-Anna-Straße 22 84570 Polling Tel. +49 (0) 86 31 / 38 83-0 Fax +49 (0) 86 31 / 38 83-19 www.annabrunn.de Fachklinik Gut Zissendorf Gut Zissendorf Postfach 1343 53733 Hennef (Sieg) Tel. +49 (0) 2242 8859 Fax +49 (0) 2242 84398 www.zissendorf.de AHG Klinik Wigbertshöhe Am Hainberg 10-12 36251 Bad Hersfeld Tel. +49 (0) 66 21 / 1 85-0 Fax +49 (0) 66 21 / 1 85-85 www.ahg.de
Broschüren Zurück ins Leben Hilfe bei Sucht im Alter, Handbuch für Angehörige und Mitarbeiter in der stationären und ambulanten Pflege Caritas- Fachambulanz Bad Reichenhall, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Salzburg, 2012 Download unter www.salk.at/6888.htm AHG Klinik Wigbertshöhe (Hrsg.): Alter und Sucht. Materialien zum Thema. Band 1. Bad Hersfeld, 2009. www.ahg.de/ahg/standorte/wigbertshoehe/service/ Veroeffentlichungen/Schriftenreihen/index.html DHS (Hrsg.): Substanzbezogene Störungen im Alter. Informationen und Praxishilfen. Hamm, 2006. www.unabhaengig-im-alter.de/index.php?id=27 Landratsamt Ostalbkreis; Diakonie Ostalbkreis: Sucht im Alter. Informationen für Angehörige und Pflegekräfte. Aalen, 2010. www.ostalbkreis.de/sixcms/media.php/26/sucht-im-alter.pdf
Literatur Kutschke, Andreas: Sucht Alter Pflege. Praxishandbuch für die Pflege suchtkranker alter Menschen, Hogrefe & Huber, Göttingen, 2012 Royal College of Psychiatrists. Our Invisible Addicts. First Report of the Older Persons Substance Misuse Working Group of the Royal College of Psychiatrists, 2011 www.rcpsych.ac.uk/press/podcasts/ourinvisibleaddicts.aspx (Datum des Zugriffs 6.4.12) Vintage Project: Good health into older age, 2009 www.epicentro.iss.it/vintage/ (Datum des Zugriffs 6.4.12) Wolter, Dirk: Sucht im Alter Altern und Sucht. Grundlagen, Klinik, Verlauf und Therapie. Kohlhammer, Stuttgart, 2010
Autoren Mag. Monika Dreher Klinische und Gesundheitspsychologin Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Christian-Doppler-Klinik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg Mag. Isabella Kunz Klinische und Gesundheitspsychologin Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Christian-Doppler-Klinik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg Andreas Kutschke Pflegewissenschaftler Städtische Seniorenheime, Krefeld Verena Schmidt Diplom Sozialpädagogin (FH) Caritaszentrum, Bad Reichenhall Siegfried Lang Sonderschulrektor i.r. Caritaszentrum, Bad Reichenhall Rainer Hoffmann Geschäftsführer Caritaszentrum, Bad Reichenhall Dr. Rüdiger Holzbach Chefarzt der Abteilung Suchtmedizin LWL-Kliniken Warstein und Lippstadt Univ. Prof. Dr. Friedrich M. Wurst Vorstand Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II, Christian-Doppler-Klinik, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburg