Michael Kiebler. Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien

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Transkript:

Michael Kiebler Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien Welche Rolle spielt das RNA-bindende Protein Staufen2 an der lernenden Synapse?

Welche Rolle spielt das RNA-bindende Protein Staufen2 an der lernenden Synapse? Michael Kiebler, Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien, Spitalgasse 4, 1090 Wien, Österreich. E-mail: michael.kiebler@meduniwien.ac.at 1. Zusammenfassung Lernen und die Speicherung von Gedächtnis findet an den Kontaktstellen zwischen Nervenzellen statt. Allerdings sind die zellulären und molekularen Mechanismen, die zum Erlernen führen, noch weitgehend unbekannt. Es deuten mittlerweile immer mehr Hinweise darauf hin, dass an einer solchen zu verschaltenden Synapse als Antwort auf einen Reiz bestimmte Einweiße neu hergestellt werden. Die an der Synapse erfolgenden molekularen Veränderungen sind dabei essentiell für die Ausbildung von Lernen und Gedächtnis. Neuere Daten sprechen in diesem Zusammenhang für eine lokale Neusynthese einzelner Eiweiße an der Synapse. Dazu müssen Boten-RNAs (mrnas) zunächst vom Zellkörper in die Dendriten der empfangenden Seite der Synapsen transportiert werden. Bei diesem Gütertransport in Neuronen (FAZ vom 26.2.2003) spielt das RNA-bindende Protein Staufen2 eine wichtige Rolle. Im Folgenden sollen kurz die wichtigsten Ergebnisse exemplarisch zusammengefasst werden. 2. Einleitung Bei der Speicherung von Informationen im Gehirn spielen Synapsen die Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen eine entscheidende Rolle. So kann man beim Lernen eine langfristige Veränderung von elektrischen Signalen an der betroffenen Synapse beobachten. Lange dachte man, diese Synapsen seien wenn sie erst einmal verknüpft sind fest miteinander verdrahtet. Doch dieses eher starre Bild gehört der Vergangenheit an. Synapsen sind sehr dynamische Strukturen, die auch im erwachsenen Menschen jederzeit neu geknüpft aber auch wieder gelöst werden können. Dabei verändern sich einzelne Kontaktstellen nicht nur in ihrer Form, sondern auch in ihrer Molekülzusammensetzung sowie in ihrer Funktion. Mittlerweile kann man einer einzelnen Synapse beim Lernen zusehen! Um jederzeit einzelne Synapsen umbauen zu können, bedarf es jeder Menge Baumaterial: neu hergestellte Eiweiße (Proteine). Ein Teil dieser Proteine wird im weit entfernten Zellkörper der Nervenzelle gebildet. Es gibt mittlerweile jedoch eine Reihe begründeter Hinweise darauf, dass bei diesem Prozess u.a. auch neue Proteine direkt an der Synapse hergestellt werden. Dazu bedarf es eines speziellen Transportsystems, das die Blaupausen (Boten-Ribonukleinsäuren bzw. RNAs) für die herzustellenden Proteine an die Synapse transportiert und dort ablagert. Diese werden aber von den örtlichen Proteinfabriken, den Ribosomen, nicht sofort in Eiweiße überschrieben. Erst wenn an einer bestimmten Synapse molekulare Prozesse in Gang gesetzt werden, die zu einem Lernvorgang führen, werden diese Blaupausen in die entsprechenden Proteine umgeschrieben. Dies ist besonders einleuchtend, wenn man assoziatives Gedächtnis (zum Beispiel das Kodieren eines Gesichtes oder Namens mit einer Telefonnummer) verstehen möchte. Nur wenn die beiden höchst unterschiedlichen Signale miteinander verknüpft werden sollen,

erfolgt ein Umbau an den Kontaktstellen der miteinander kommunizierenden Nervenzellen, analog dem Lochbrennen auf einer Speicher-CD. Dabei werden auch zahlreiche wichtige Moleküle aktiviert, die dafür sorgen, dass sich die Synapse in ihrer Form und Dynamik verändert. Trotz der Bedeutung dieser Mechanismen für Lernvorgänge sind die verantwortlichen Moleküle größtenteils unbekannt. Meine Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit 1997 mit dem Transport spezifischer Boten- RNAs in die Ausläufer von ausgewachsenen Nervenzellen, auch Dendriten genannt. Spezielle Einweiß- Taxis, wie das Hirn-spezifische RNA-Bindeprotein Staufen2, spielen dabei eine wichtige Rolle. Diese erkennen bestimmte Adressaufkleber in der Botenribonukleinsäure und sorgen dafür, daß sie in der Nervenzelle an der richtigen Stelle, nämlich den Synapsen, abgeliefert werden. 3. Meilensteine der eigenen Forschung Unser langfristiges Ziel war und ist es nach wie vor, erste Moleküle zu identifizieren, die für die Speicherung von Informationen im Gehirn von zentraler Bedeutung sind. Dies ist uns mit der Entdeckung einer Reihe von RNA-Bindeproteinen wie Staufen2, Barentsz und Pumilio2 gelungen, die bei der Lokalisierung von Botenribonukleinsäuren an die Synapse eine wichtige Rolle spielen. Diese Moleküle dienen uns nun als so genannte molekulare Marker, um den zugrunde liegenden Mechanismus besser verstehen zu können. Mit der großzügigen Hilfe der Schram-Stiftung haben wir in den vergangenen Jahren zwei spannende Projekte bearbeitet. Zum einen sollten die Eiweißtaxis (Transportpartikel) aus dem Rattenhirn isoliert werden, die die Boten-RNAs vom Zellkörper einer Nervenzelle an die Synapse transportieren (Projekt 1). Zum anderen galt es, die Funktion des Hirn-spezifischen Staufen2 Proteins in der lebenden Zelle genauer zu untersuchen (Projekt 2). Projekt 1: Ein wichtiges Ergebnis der vergangenen Jahre war die Erkenntnis, dass RNAs, die vom Zellkörper an die Synapse transportiert werden, in Protein:RNA Partikel verpackt werden und mittels molekularer Motorproteine entlang von Eisenbahngleisen den Mikrotubuli an ihren Zielort gelangen (Köhrmann et al., 1999). Das Sichtbarmachen solcher einzelner Eiweißtaxis gelang mittels hochauflösender Fluoreszenz-Mikroskopie in lebenden Nervenzellen. Diese bewegten sich aus dem Zellkörper in die Dendriten bis hin zu den manchmal weit entfernten Synapsen. Nun stellte sich uns im Folgenden die große Herausforderung, diese molekulare Maschinen zu isolieren und deren molekulare Zusammensetzung, also die Bausteine der Eiweißtaxis, im Detail zu bestimmen. Dazu haben wir ein aufwendiges, mehrstufiges biochemisches Protokoll entwickelt, um diese Transportpartikel, die Staufen2 und Boten-RNAs enthalten, anzureichern. In Zusammenarbeit mit Prof. Giulio Superti-Furga (Zentrum für molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien) gelang es uns nun vor kurzem, die molekulare Zusammensetzung zu bestimmen. Interessanterweise haben wir dabei fast ausschließlich RNA-bindende Proteine (ca 60 Proteine) identifiziert. Einige der identifizierten Proteine waren bereits mit RNA Transport in Verbindung gebracht worden; andere jedoch traten jedoch zum ersten Mal in diesem Kontext auf. Besonders hervorzuheben ist hier eine

spezielle Familie an RNA-Bindeproteinen, die RNA-abhängigen Helikasen. Es wurde unter anderem vorgeschlagen, dass diese Protein:RNA Partikel sich dynamisch in ihrer Zusammensetzung verändern bzw. die darin enthaltenden RNAs in ihrer Faltung kritisch beeinflussen können! Eine andere Vermutung legt eine Regulation der Translation, also der Übersetzung der Botenribonukleinsäure in Eiweiße, nahe. Diese Funktionen werden zurzeit intensiv in meinem Labor untersucht. Ein weiteres Ziel, das wir im letzten Jahr intensiv verfolgt haben, ist die molekulare Identifizierung der in diesen Teilchen gebundenen RNAs. Nach der Isolierung dieser RNAs aus den biochemisch angereicherten Teilchen werden diese mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert und mit einem neuartigen Verfahren (Mikroarrays der Firma Affymetrix) molekular identifiziert. Diese aufwendigen Experimente werden in Zusammenarbeit mit einem Experten, Dr. Martin Bilban an der Medizinischen Universität Wien durchgeführt. Erste Ergebnisse sind sehr viel versprechend und zeigen, dass bestimmte RNAs stark angereichert sind, die für in Nervenzellen und oft an der Synapse wichtige Proteine kodieren. Sollte dies erfolgreich sein, wären wir in der Lage, die weltweit ersten biologisch relevanten Botennukleinsäuren, die durch Staufen2 erkannt werden, in der Hand zu halten. In der Fruchtfliege Drosophila war dies der Durchbruch mit der Identifizierung der drei mrnas bicoid, oskar und prospero! Hierbei erhoffen wir uns insbesondere nicht nur die lang ersehnten Boten-RNAs zu identifizieren, die mittels Staufen2 an die Synapsen reifer Nervenzellen transportiert werden, sondern auch Vertreter der erst kürzlich entdeckten Klasse der mikrornas. Dabei handelt es sich um kleine RNA-Schnipsel, die spezifisch an bestimmte Boten-RNAs binden und deren Translation in vivo hemmen können (Schratt et al., 2006). Projekt 2: Ziel war es, erste funktionelle Hinweise auf die biologische Rolle von Staufen2 in intakten Nervenzellen zu erhalten. Hierbei hat meine Arbeitsgruppe im Jahre 2006 bereits einen entscheidenden Durchbruch erzielt. Dazu haben wir uns eines weiteren Kniffs bedient, für den es vor kurzem den Nobelpreis an Craig und Mello gab: die RNA Interferenz. Mein Labor war eines der ersten, das RNA Interferenz in primären Nervenzellen etabliert hat. Diese Technik erlaubt es, gezielt ein bestimmtes Protein auszuschalten und daraus resultierende Defizite in den Nervenzellen zu dokumentieren. Bei einem Fehlen von Staufen2 kommt es in Nervenzellen zu einem Verlust an Synapsen (Abbildung 1, aus Götze et al., 2006)! Dabei ist offensichtlich sowohl die Funktion wie auch die Struktur der Dornenfortsätze (dendritic spines), also der empfangenden Seite erregender Synapsen, verändert.

Abbildung 1: Neuronen ohne das RNA-Bindeprotein Staufen2 (unterste Bildreihe: +si2-2) haben signifikant weniger Synapsen ( dendritic spines, markiert mit Pfeilspitzen in den Kontrollbildern; Pfeile zeigen lange Fortsätze, auch Filopodien genannt) im Vergleich zu normalen Nervenzellen (oberste zwei Bildreihen: EYFP bzw. +sirfp). Das für diese Strukturen wichtige Aktin-Zytoskelett ist grundlegend gestört. Wenn man insbesondere die längste Staufen2 Isoform wieder in diese Zellen einbringt, verschwindet der beobachtete Effekt und die Dornenfortsätze sind wieder normal ausgebildet. Interessanterweise ist die Lokalisierung der für β-aktin kodierenden Boten-RNA in den Staufen2-defizienten Nervenzellen ebenfalls deutlich beeinflusst. Dies ist ein erster wichtiger Hinweis darauf, dass Staufen2 möglicherweise diese Boten-RNA an die Synapse transportiert. In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Stefan Böhm an der Medizinischen Universität Wien gelang uns zudem der (elektrophysiologische) Nachweis, dass die Synapsen der Staufen2-defizienten Nervenzellen in ihrer Funktion beeinträchtigt sind. Zusammenfassend legen diese Daten nahe, dass Staufen2 möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Bildung von Synapsen im zentralen Nervensystem spielt. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre eine mögliche Beteiligung von Staufen2 beim Speichern von Information an der lernenden Synapse durchaus wahrscheinlich. Diese spannende Hypothese gilt es nun in der Folgezeit näher zu testen. 4. Fazit Es ist noch ein sehr weiter und steiniger Weg, bis wir verstehen werden, welche Moleküle für die Speicherung von Informationen im Gehirn und damit für assoziatives Lernen von zentraler Bedeutung sind. Dennoch sind wir diesem ehrgeizigen Ziel ein großes Stück näher gekommen. Wir kennen nun neben Staufen2 mehrere Moleküle wie die weiteren RNA- Bindeproteine Pumilio2, Barentsz, Zipcode Bindeproteine, die dabei eine wichtige Rolle spielen. Zudem hat die Identifizierung weiterer wichtiger Proteine wie die RNA Helikasen einen essentiellen Beitrag dazu geliefert, die molekulare Maschine für den Transport und die anschließende Translation an der Synapse zu verstehen. Unser langfristiges Ziel wird es nun

sein, zu verstehen, wie das sehr dynamische Ensemble dieser Proteine dazu führt, dass einzelne Synapsen in ihrer Struktur und Funktion verändert werden und zur Speicherung von Information führen. Die Finanzierung über die Schram-Stiftung hat mir in vielerlei Hinsicht sehr viel bedeutet. Zum einen hat mir die sehr unbürokratische und flexible Verwaltung der Gelder von Seiten der Stiftung oft geholfen, meine Forschung an besonders kritischen Momenten voranzubringen. Sowohl für Sachmittel wie auch für dringende Reparaturen von Hochleistungs-Mikroskopen war die Schram-Stiftung ein Segen und oft die einzige Rettung. Zum anderen hat es mich in Kontakt mit Herrn Schram und damit mit dem Stifterverband der deutschen Wissenschaft gebracht. Hier durfte ich mehrfach auf Tagungen und bei persönlichen Treffen für Grundlagenforschung werben und sehr interessante Menschen treffen. Dies hat mir immer große Freude bereitet. Lieber Herr Schram, herzlichen Dank für Ihr Engagement und Ihre Unterstützung, ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig Freude schenken, wenn wir uns immer wieder mal über Hirnforschung im Allgemeinen und Lernen und Gedächtnis im Speziellen miteinander unterhalten haben! Literaturangaben: Goetze B, Tuebing F, Xie Y, Dorostkar MM, Thomas S, Pehl U, Boehm S, Macchi P, and Kiebler MA: The brain specific double-stranded RNA binding protein Staufen2 is required for dendritic spine morphogenesis. The Journal of Cell Biology 172, 221-231 Köhrmann M, Luo M, Kaether C, DesGroseillers L, Dotti CG and Kiebler MA (1999) Microtubule-dependent recruitment of Staufen-GFP into large RNA-containing granules and subsequent dendritic transport in living hippocampal neurons. Mol. Biol. Cell 10, 2945-2953. Schratt G, Tuebing F, Nigh EA, Kane C, Sabatini MW, Kiebler MA and Greenberg ME. 2005. A brain-specific microrna regulates dendritic spine development. Nature 439, 283-289 (article).