PALLIATIVE BETREUUNG AM LEBENSENDE INFORMATIONSBROSCHÜRE FÜR ANGEHÖRIGE
Alle Menschen kommen in ihrem Leben an einen Punkt, an dem sie mit Sterben und Tod konfrontiert werden. Entweder müssen wir uns mit dem bevorstehenden eigenen Tod oder mit dem Tod eines uns nahe stehenden Menschen auseinandersetzen. Ein Gefühl der Unsicherheit und Ohnmacht beschleicht uns, weil wir nicht recht wissen, was auf uns zukommt. Um die Ängste zu verringern, die aus dieser Unsicherheit heraus entstehen, beschreibt diese Broschüre typische Veränderungen während des Sterbeprozesses. Sie versucht, offene Fragen zu beantworten und soll dazu ermutigen, weitere Hilfe und Informationen in Anspruch zu nehmen. Das Betreuungsteam, bestehend aus Ärzten 1, Pflegenden, Therapeuten, etc. arbeitet nach einem bewährten Konzept, dem Liverpool Care Pathway (LCP) für Sterbende. Dieses Konzept wurde in England entwickelt und stellt die Lebensqualität am Ende des Lebens in den Mittelpunkt. Angesichts der existenziellen Themen Sterben und Tod wird auch im Spital und im Pflegeheim ein entsprechend würdiger Umgang mit Patienten und Angehörigen angestrebt. 1 Die Formulierungen beziehen sich auf beide Geschlechter.
Vor dem Tod eintretende Veränderungen Das Sterben verläuft bei jedem Menschen anders. In den meisten Fällen gibt es jedoch Zeichen oder Veränderungen, die erkennen lassen, dass der Sterbeprozess eingesetzt hat. Alle diese Anzeichen könnten auch in anderen Krankheitsphasen auftreten. Daher betreffen alle im Folgenden beschriebenen Vorgänge nur Personen, deren Krankheit schon so weit fortgeschritten ist, dass das Ende ihres Lebens absehbar ist. Es handelt sich um Veränderungen im körperlichen im psychischen und im sozialen Bereich 1. Veränderungen im körperlichen Bereich Reduziertes Bedürfnis nach Essen und Trinken Wenn jemand beginnt, Essen und Trinken zu verweigern, kann das für Angehörige schwer zu akzeptieren sein, selbst wenn uns bewusst ist, dass dieser Mensch bald sterben wird. Es kann sich dabei um ein körperliches Zeichen handeln, das zeigt, dass wahrscheinlich keine Besserung mehr zu erwarten ist. Vorher - wenn der Patient allmählich schwächer wird - kann es sein, dass das reduzierte Essen und Trinken anzeigt, dass ihm die Nahrungsaufnahme einfach zu anstrengend wird. Während dieser Zeit mag Hilfe bei der Nahrungsaufnahme angemessen sein. Es kommt jedoch die Zeit, wo Essen und Trinken von der sterbenden Person nicht mehr gewünscht wird und in dieser Situation auch nicht sinnvoll ist. Diese Verweigerung kann die Betreuenden verunsichern, da alle gut für den Kranken sorgen möchten und Nahrungsaufnahme oft mit Lebenserhaltung und Fürsorge gleichgesetzt wird.
Für die Lebensqualität der betroffenen Person mögen in dieser Situation jedoch andere Formen der Zuwendung vielleicht a- ber auch Ruhe zuträglicher sein. Veränderungen bei der Atmung Menschen, die unter einer erschwerten Atmung leiden, haben vielleicht Angst, in der Sterbephase ersticken zu müssen. Die Körperfunktionen sind jedoch gegen das Lebensende meist so reduziert, dass man nur noch ein Minimum an Sauerstoff benötigt. Die Betreuenden stellen sogar oft fest, dass dem Kranken in dieser Phase das Atmen leichter fällt als in der Zeit davor. Bestehende Atemschwierigkeiten werden gelegentlich noch durch Ängste verstärkt. Aber das Wissen, was geschieht, wenn jemand in Todesnähe ist, wirkt nicht nur beruhigend es kann sogar helfen, diese Probleme zu mildern, soweit sie durch Ängste verursacht oder verstärkt werden. Während der letzten Stunden des Lebens kann manchmal ein rasselndes Atemgeräusch auftreten. Dies wird durch Schleim verursacht, der nicht mehr selbständig abgehustet werden kann. Geeignete Medikamente können helfen, dass weniger Schleim produziert wird. Auch ein Umlagern des Patienten kann Erleichterung verschaffen. Wenn das Sterben kurz bevorsteht (innerhalb von wenigen Minuten oder Stunden), kann der Atemrhythmus nochmals wechseln. Es treten lange Pausen zwischen den Atemzügen auf, o- der die Atemhilfsmuskulatur (Bauch) übernimmt das Ein- und Ausatmen ersichtlich durch ausgeprägte Bauchbewegungen. Erscheint von aussen das Atmen anstrengend, so ist das für die Betreuenden meist schlimmer als für den Sterbenden selbst. Durch die Mundatmung werden Lippen und Mund ausgetrocknet. Erleichterung verschafft es dem Sterbenden, den Mund zu befeuchten und Lippenbalsam aufzutragen.
Andere körperliche Veränderungen Der Puls kann schwach und unregelmässig sein und die Haut kann vor dem Sterben kalt, blass und bläulich werden. 2. Veränderungen im psychischen Bereich Der Weg des Sterbens wird von jedem anders beschritten. Es ist ein Prozess, der individuell sehr unterschiedlich wahrgenommen und erlebt wird. So kommt es vor, dass die Angst vor der Ungewissheit, vor dem Nachher, oder das Zurücklassen der Liebsten grosse Unruhe auslösen. In solchen Momenten kann es helfen, wenn jemand beim Sterbenden ist und ihm das Gefühl gibt, nicht alleine, sondern begleitet zu sein. Hilfreich kann auch sein, wenn man dem sterbenden Menschen zu verstehen gibt, dass er sterben darf. Aus verschiedenen Gründen kann es vorkommen, dass sterbende Menschen verwirrt sind. Der Patient mag bezüglich Ortes, Zeit, Situation oder Person desorientiert sein. Das Denken kann verlangsamt, zerfahren oder erschwert sein, hinzu kommen vielleicht Gedächtnis- oder Aufmerksamkeitsstörungen. Es ist durchaus möglich, dass der Sterbende auch Tagträume hat und im Moment in einer Fantasiewelt lebt. Etwas vom Wichtigsten ist, den Sterbenden ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass er sich sicher und geborgen fühlen darf. Möglicherweise ist der Patient bewusstlos und scheint gar nicht mehr ansprechbar. In dieser Situation ist wichtig, trotzdem so mit ihm zu reden, als würde er alles verstehen. Die Erfahrung zeigt, dass manche Menschen, die aus dem Koma erwachten, alles mitbekommen haben. Das Pflegepersonal bietet gerne Unterstützung an und organisiert die notwendige Betreuung. Sehr wertvolle Dienste leisten auch dazu speziell ausgebildete freiwillige Helferinnen und Helfer.
3. Veränderungen im sozialen Bereich Der Rückzug vom Leben erfolgt meist nach und nach. Die sterbende Person verbringt die meiste Zeit mit Schlafen und fühlt sich oft auch noch schläfrig beim Erwachen. Sie wirkt häufig in sich gekehrt, strahlt eine innere Ruhe aus. Dieser Rückzug sollte nicht als abweisende Haltung gegenüber den Angehörigen oder als Ablehnung der Zuwendung verstanden werden. Der Sterbende kann in eine Bewusstlosigkeit fallen und in diesem Zustand für kürzere oder längere Zeit verbleiben (in extremen Fällen viele Tage). Auch wenn scheinbar keine Kommunikation mehr stattfindet, sollte man sich nicht entmutigen lassen. Das Zusammensein kann einen grossen Trost für alle Beteiligten bedeuten. Wenn man sich so um den sterbenden Menschen kümmert, gibt man ihm das Gefühl, dass sein Leben wertvoll war und dass er einen festen Platz in den Herzen der Hinterbliebenen haben wird. Die Situation der Angehörigen Das Sterben eines Angehörigen bedeutet eine sehr schwierige und traurige Zeit für alle Betroffenen. Das Loslassen oder der Verlust eines geliebten Menschen fordert uns existenziell. Oft fehlen uns die Worte. Schweigen kann in dieser Situation durchaus angemessen sein. Einerseits ist es gut zu verstehen, dass Angehörige rund um die Uhr am Sterbebett verweilen, und viele Bekannte und Freunde Abschied nehmen wollen. Die Erfahrung zeigt andererseits, dass Sterbende es gelegentlich zumindest zeitweise vorziehen, alleine zu sein. Ermöglichen Sie dem Sterbenden immer wieder auch Zeiten der Ruhe, des Alleinseins. Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn er gerade in dem Moment sterben sollte, wenn niemand am Bett ist. Wie der Sterbeprozess, so ist auch der eigentliche Sterbezeitpunkt sehr individuell. Oft stirbt der Betroffene ruhig und friedlich, ohne noch einmal erwacht zu sein.
Immer wieder stellt sich die Frage, ob auch Kinder ans Sterbebett kommen sollen. Besprechen Sie dies mit dem Betreuungsteam. Kinder bewältigen die Situation oft leichter als man es erwarten würde. Jugendliche dagegen werden oft schon wie Erwachsene behandelt und so überfordert. Sie bräuchten vielleicht mehr Unterstützung. Die Zeit der Begleitung kann für die Angehörigen eine grosse emotionale und psychische Belastung sein. Sorgen Sie dafür, dass Sie das Essen und Trinken, das Ausruhen und die Erholung nicht vergessen. Im Trauerprozess werden verschiedene Phasen durchlaufen; erschrecken Sie nicht, wenn sich auch Wut und Verzweiflung zeigen. Scheuen Sie sich nicht, Hilfe anzufordern. Wenden Sie sich an die Pflegenden, den Arzt, den Spitalgeistlichen, den Psychologen. In der Broschüre "Wenn ein geliebter Mensch stirbt" finden Sie wertvolle Informationen zum Thema Trauern, sowie Literaturangaben und Kontaktadressen.
Auf einmal wäre noch soviel zu sagen. Auf einmal wäre noch soviel zu fragen. Auf einmal ist es dafür zu spät. (Gedanken einer Angehörigen) Diese Informationsbroschüre ist eine überarbeitete und adaptierte Version der Informationsbroschüre für Fachpersonen, herausgegeben vom Palliativzentrum des Kantonsspital St. Gallen Qualitätsprojekt Palliative Betreuung am Lebensende, bzw. des LCP-Information Leaflet, Liverpool, GB Überarbeitung durch die QM-Projektgruppe Standard 25 «Palliative Betreuung», Kompetenzzentrum Gesundheit und Alter / Geriatrische Klinik St. Gallen Version 1 / 19.9.07 / JB