Zur Diskussion: Ausschreibungspflicht nach Kündigung eines Bauauftrags?

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Transkript:

Zur Diskussion: Ausschreibungspflicht nach Kündigung eines Bauauftrags? VergabeR 2/2002 Oberverwaltungsrat Christian Heindl, München Zur Diskussion: Ausschreibungspflicht nach Kündigung eines Bauauftrags? Mit der zunehmenden Dichte der vergaberechtlichen Judikatur rückt auch eine Thematik in den Bereich der Aufmerksamkeit, die bisher nur als Folgeerscheinung des 8 VOB Teil B diskutiert wurde: Die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber vergaberechtlichen Zwängen unterliegt, wenn er eine angebrochene Bauleistung nach Kündigung des ersten Auftragnehmers an einen Ersatzunternehmer vergibt. Dies sei an folgendem Sachverhalt erläutert: Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schloß mit einer Baufirma einen Bauvertrag zur Ausführung einer Tiefbaumaßnahme mit einer Auftragssumme über 5 Mio... Dem Vertragsschluß ging ein europaweites Offenes Verfahren voraus. Bei der Bauausführung kam es zu erheblichen Schwierigkeiten sowohl in terminlicher als auch ausführungstechnischer Hinsicht, die letztendlich dazu führten, daß die Kommune als Auftraggeberin den Bauvertrag gemäß 8 Nr.3 VOB Teil B kündigte. Es stellte sich nun die Frage, wie der nachfolgende Auftragnehmer gefunden werden muß, der die nicht fertiggestellte Bauleistung vollendet. Der Wert dieses (Ersatz-)Auftrags belief sich auf noch ungefähr 4 Mio... Muß die Vergabe des Folgeauftrags bei einer auftraggeberseitigen Kündigung ausgeschrieben werden oder kommt eine Vergabe ohne formalisiertes Vergabeverfahren in Betracht? 1. Literatur und Rechtsprechung Nähert man sich diesem Thema, stößt man sehr schnell auf die einschlägigen Kommentierungen zu 8 Nr.3 Abs. 2 Satz 1 VOB/B. Riedl [1] schreibt für die Fortführung der Arbeiten im Kündigungsfalle, daß der Auftraggeber (AG) nicht verpflichtet sei, eine Ausschreibung durchzuführen, gibt aber keine Begründung an, sondern verweist auf Ingenstau/Korbion. Vygen [2] schreibt dort, daß man es vom AG nicht verlangen könne, daß er ein neues Ausschreibungsverfahren einleitet, abgesehen davon, daß das in vielen Fällen schon rein zeitlich nicht möglich sein dürfte. Er bezieht sich dabei auf ein Urteil des OLG Düsseldorf vom 25. 9.1973 [3]. Auch Merl [4] schließt sich der Ansicht an, daß der AG nicht verpflichtet sei, eine Ausschreibung für die Ersatzvornahme durchzuführen und verweist ebenfalls auf die vorgenannte Entscheidung des OLG Düsseldorf. In dieser Entscheidung geht es zwar um den zulässigen Aufwand bei Nachbesserungsarbeiten durch einen Dritten gemäß 633 Abs. 3 BGB (a. F.), wobei dieser Fall sicherlich aber mit der Beauftragung eines Dritten nach Kündigung des ursprünglichen Auftragnehmers vergleichbar ist. In beiden Fällen steht die Ersatzvornahme durch einen Dritten und deren Vergütung im Vordergrund. Studiert man nun diese Entscheidung, fällt auf, daß sich das OLG Düsseldorf überhaupt nicht zu der Frage äußert, ob die Vergabe an den Dritten, der dann Nachbesserungsarbeiten auszuführen hatte, durch eine Ausschreibung hätte erfolgen müssen. Es wird lediglich die Frage diskutiert, ob die Erforderlichkeit der an den Dritten gezahlten Aufwendungen zweifelhaft sei. Insbesondere könne der Einwand nicht gehört werden, daß die geltend gemachten Aufwendungen überhöht, weil die Nachbesserungsarbeiten im Stundenlohn und nicht zu Einheitspreisen nach einer Ausschreibung vergeben worden seien. Im Vordergrund der Entscheidung steht also die Frage der erforderlichen Kosten der Nachbesserung, die zu ersetzen sind, und das Problem, ob dem AG im Hinblick auf seine ihm obliegenden Sorgfaltspflichten bei der Auswahl des nachbessernden Dritten durchgreifende Vorhaltungen, die die Höhe der Kosten in Frage stellen, gemacht werden können. Daß hierzu generell keine Ausschreibung erfolgt ist, wird in der Urteilsbegrün- [1] Riedl, in: Heiermann/Riedl/Rusam, 9. Aufl., B 8 Rdnr. 29 b. [2] Vygen, in: Ingenstau/Korbion, 14. Aufl., B 8 Rdnr.109. [3] OLG Düsseldorf, BauR 1974, 61. [4] Handbuch Privates Baurecht (Merl), 2. Aufl., 12 Rdnr. 563. 127

VergabeR 2/2002 HEINDL dung eben nicht thematisiert, geschweige denn ausgeführt, daß es in diesen Fällen keine Ausschreibungspflicht gibt. Merl [5] verweist noch auf eine Entscheidung des OLG Köln [6], die die Aussage stützen soll, daß keine Verpflichtung zur Ausschreibung bestünde. Auch hier geht es um die Erforderlichkeit und Angemessenheit aufgewendeter Mängelbeseitigungskosten im Rahmen einer etwaigen Verletzung der Schadensminderungspflicht nach 254 Abs. 2 BGB. Zur Begründung seiner Ansicht bedient sich das OLG Köln wiederum eines Zitats aus Ingenstau/Korbion diesmal zu 13 VOB Teil B, das heute unter Rdnr. 540 zu 13 Teil B zu finden ist. Darin wird dem AG grundsätzlich gestattet, für die Beauftragung des Drittunternehmers nicht zuvor ein Ausschreibungsverfahren veranstalten zu müssen [7]. Allen diesen Ansichten in der Literatur bzw. Rechtsprechung ist gemein, daß im Rahmen der Erstattungsfähigkeit objektiv erforderlicher Mehraufwendungen bei Ersatzvornahme bzw. Nachbesserungsarbeiten Einwendungen geäußert wurden. Man hatte sich daher mit der Höhe des Erstattungsanspruches zu beschäftigen. Die Frage, ob die Suche nach dem Unternehmer, der im Falle einer auftraggeberseitigen Kündigung die begonnene Bauleistung vollenden soll, mittels Ausschreibung zu erfolgen hat oder der Auftrag freihändig vergeben werden darf, war bei keiner der zitierten Stellen das zentrale Thema der Ausführungen oder Kommentierungen. 128 Auffällig ist auch die entstandene Ringverweisung und insbesondere, daß mit Ausnahme von Merl [8], der wenigstens das Zeitelement als Begründung vorbringt keine tragfähige Begründung geliefert wird, weshalb nicht auszuschreiben sein soll. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß die zitierten Entscheidungen des OLG Düsseldorf, aber auch des OLG Köln, noch zu einer Zeit getroffen wurden, die das neue, für öffentliche Auftraggeber i. S. von 98 GWB wesentlich einschneidendere Vergaberecht noch nicht kannte und sich zudem mit Sachverhalten zu beschäftigen hatten, die unter den Schwellenwerten des 100 GWB i.v. m. 2 VgV lagen. Insoweit ist die aktuelle rechtliche Beurteilung einer denkbaren Ausschreibungspflicht bei der Vergabe des nach einer auftraggeberseitigen Kündigung nachfolgenden Auftrages an ein Drittunternehmen unumgänglich. Diese Beurteilung zu geben, ist das Ziel der Ausführungen im folgenden unter Zugrundelegung des eingangs geschilderten Sachverhalts. 2. Rechtliche Würdigung und Stellungnahme Der betroffene Auftraggeber ist, so die Vorgabe, klassischer öffentlicher Auftraggeber nach 98 Nr.1 GWB. Es handelt sich um eine Bauleistung, die Gegenstand eines entgeltlichen öffentlichen Auftrags ist ( 99 Abs.1 GWB); dieser wiederum ist als Bauvertrag zu klassifizieren, da es um die Ausführung eines Bauwerks geht, das Ergebnis von Tiefbauarbeiten ist und eine technische Funktion erfüllt ( 99 Abs. 3 GWB). Auf Grund des Wettbewerbsgrundsatzes als grundlegendes Prinzip des Vergaberechts ( 97 Abs.1 GWB) ist die Bauleistung im Wettbewerb zu beschaffen. Mit dem Auftrag im Beispielsfall ist aber der Schwellenwert gemäß 100 Abs.1 GWB i. V.m. 2 Nr. 4 VgV von 5 Mio.. nicht erreicht. Fraglich ist nun, ob 2 Nr. 7 VgV oder 1a Nr.1 Abs. 2 VOB/A etwas anderes vorgeben. 2 Nr. 7 VgV setzt den Schwellenwert bei Bauaufträgen für Lose auf 1 Mio.. herab. Handelt es sich also bei einem Bauauftrag, der im Falle einer auftraggeberseitigen Kündigung an einen Dritten zur Vollendung der Leistung vergeben wird, um ein Los im Sinne der Nr. 7? Bei Bejahung dieser Frage ist eine europaweite Ausschreibungspflicht nach 101 GWB i. V.m. 6 VgV, 1a und 3a VOB/A die Folge. Weder die Baukoordinierungsrichtlinie noch die Vergabeverordnung regelt den Begriff Los. Nach 4 Nr.2 und Nr.3 VOB Teil A sollen umfangreiche Bauleistungen möglichst in Lose geteilt und nach Losen vergeben werden (Teillose) und sind Bauleistungen verschiedener Handwerks- oder Gewerbezweige in der Regel nach Fachgebieten oder Ge- [5] A.a.O. [6] OLG Köln, Urteil v. 22.1.1982, Schäfer/Finnern/Hochstein, 633 BGB Nr.34. [7] Wirth, in: Ingenstau/Korbion, 14. Aufl., B 13 Rdnr. 540. [8] Fn.4, a.a. O.

Zur Diskussion: Ausschreibungspflicht nach Kündigung eines Bauauftrags? VergabeR 2/2002 werbezweigen getrennt zu vergeben (Fachlose). Insoweit existiert eine Art Legaldefinition zu Teil- und Fachlos. 97 Abs. 3 GWB hat diese Definitionen übernommen und die Vergabe von Losen wird auch von den EG-Vergaberichtlinien anerkannt [9]. Sie begegnet daher keinen europarechtlichen Bedenken [10]. Unter Losen sind Teile einer Gesamtleistung zu verstehen [11]. Unerheblich für den Beispielsfall ist die Unterscheidung Teil- oder Fachlos, da es keinen Einfluß auf eine eventuelle Ausschreibungspflicht haben kann. Man ist nun leicht geneigt zu sagen, die Leistungen, die zur Vollendung einer Bauleistung zu erbringen sind, seien zweifellos Teile einer Gesamtleistung, noch dazu je nach Einzelfall grundsätzlich mengenmäßig oder räumlich zu unterteilen. Dennoch erscheint nicht ganz klar, ob diese Teile dann Lose i.s. des 2 Nr.7 VgV sind. Wird nun 9 Nr.1 und 10 Nr.5 Abs. 2 Buchst. m VOB/A herangezogen, so wird deutlich, daß die Aufteilung einer Bauleistung in Lose insbesondere in den Verdingungsunterlagen zum Zeitpunkt der Ausschreibung ihre rechtliche Relevanz hat. Dort ist die beabsichtigte Aufteilung in Lose zu kommunizieren [12]. Im Fall der nicht vorhergesehenen Kündigung dürfte die konkrete Aufteilung gerade nicht in den Verdingungsunterlagen offengelegt worden sein. Eine Teilung kann aber nur in Erwägung gezogen werden, wenn die räumliche Teilung in der Weise möglich ist, daß eine klare Trennung der einzelnen Aufgabengebiete sowohl bei der Vergabe als auch in der praktischen Bauausführung eindeutig möglich ist. Bei letzterem kann das im Fall der Kündigung so sein, muß aber nicht, bei ersterem ist dies, wie oben gezeigt, sicherlich nicht so. Hinzu kommt, daß ja gerade eine unbeabsichtigte Teilung erfolgt ist. Dennoch ist es richtig, die Einordnung des Teils einer Bauleistung, mit dem diese nach einer Kündigung vollendet werden muß, als ein Los i. S. des 2 Nr. 7 VgV vorzunehmen und damit den Gesamtauftrag im Beispielsfall als über den Schwellenwert liegend zu betrachten. Die Losvorschriften, also das Gebot der losweisen Vergabe, sind Ausprägung des Gedankens der Mittelstandsförderung. Damit hatte der Normgeber die Zielsetzung, über die losweise Vergabe von Bauleistungen kleinere und mittlere Unternehmen fördern zu wollen. Die Aufteilung in Lose steht unter strengen Voraussetzungen, die erst jüngst vom Bundesgerichtshof eng ausgelegt wurden [13]. Dies ist auch daran zu sehen, daß nur wenige, klar bestimmte Ausnahmen zugelassen werden. Selbst bei einem über den Schwellenwerten liegenden Großauftrag fallen lediglich nur kleinste Lose (unter 1 Mio..) nicht unter das Vergaberegime und das auch bloß dann, wenn diese weniger als 20 % des Gesamtauftrages ausmachen [14]. Werden nun diese Intentionen des Normgebers ebenso auf den Beispielsfall übertragen, so drängt sich geradezu auf, daß ein Teillos, wenn es auch nur durch den abrupten Schnitt einer Kündigung entstanden sein mag, das über 1 Mio.. Auftragswert besitzt, ebenfalls unter den Anwendungsbereich der a-paragraphen der VOB/A gezogen wird. Für eine Differenzierung gibt es keinen sachlich zwingenden Grund. Die Vergabe der Restbauleistung nach einer Kündigung ist ein Teil der Gesamtleistung, auch wenn die Teilung gewissermaßen unfreiwillig erfolgt, und ist damit als ein Los i. S. von 2 Nr.7 VgV anzusehen. Deshalb besteht im Fall der Kündigung bei der Suche nach einem geeigneten Bauunternehmer, der die Bauleistung vollendet, eine Ausschreibungspflicht nach GWB und VgV, soweit mit diesem Auftrag der Schwellenwert von 1 Mio.. überschritten wird. Unabhängig von diesen Überlegungen obliegt dem öffentlichen Auftraggeber (im Beispielsfall und auch sonst) die europaweite Ausschreibung gemäß 1a Nr.1 VOB/A losgelöst von den Auftragswerten, weil die mindestens 80 % des Gesamtauftragswertes aller Bauaufträge des gesamten Bauwerks nicht erreicht sind. [9] Vgl. z.b. Art. 6 Abs. 3 BKR. [10] Boesen, Kommentar zum 4. Teil GWB, 97 Rdnr. 45. [11] Rusam, in: Heiermann/Riedl/Rusam, 9.Aufl., A 4 Rdnr. 9. [12] Dies folgt aus 10 Nr. 5 Abs. 2 oder 17 Nr.1 Abs.2f. [13] Boesen, 97 Rdnr. 46 der auf BGH, Urteil v. 17.2.1999 X ZR 101/97 verweist. [14] 1a Nr.1 Abs. 2 VOB/A. 129

VergabeR 2/2002 HEINDL Das zugegebenermaßen oftmals aus Zeitgründen drängende, besondere Bedürfnis eines Auftraggebers, der eine Kündigung aussprechen mußte, schnell einen Nachfolger zu finden, der die Baumaßnahme fertigstellt, kann über die Möglichkeiten eines beschleunigten Verfahrens ( 18 a VOB/A) ausreichend berücksichtigt werden. Insoweit kann das Zeitelement keine tragende Begründung dafür sein, kein Ausschreibungsverfahren durchführen zu müssen [15]. Die Flexibilität der Normen in GWB und VgV sowie in VOB/A lassen trotz allem Regelungscharakter dennoch ausreichenden Spielraum, die Suche nach einem geeigneten Unternehmer zur Vollendung der Bauleistung erfolgreich und rasch zu gestalten und das wirtschaftlichste Angebot i. S. von 97 Abs. 5 GWB einzuholen. Ein Vorteil dieses Lösungsansatzes ist zudem, daß der Auftraggeber mit der Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens der obenerwähnten Einwendungen von vornherein enthoben sein dürfte, sein Ersatzanspruch gegen den zu Recht gekündigten AN würde die Grenze der Erforderlichkeit und Angemessenheit überschreiten. Ein im Rahmen einer rechtmäßig durchgeführten öffentlichen Ausschreibung eingeholtes und als wirtschaftlichstes zugeschlagenes Angebot ist per se objektiv erforderlich und angemessen im Rahmen von 8 Nr. 3 VOB/B bzw. 633 Abs. 3 BGB (a.f.). Welches Ausschreibungsverfahren (Offenes, Nichtoffenes Verfahren oder Verhandlungsverfahren nach oder ohne öffentliche Vergabebekanntmachung) zur Anwendung kommen muß [16], ist eine Frage des Einzelfalls, die hier über folgende Ausführungen hinaus nicht weiter vertieft wird. In diesem Zusammenhang sollen lediglich die engen Voraussetzungen, unter denen ein Verhandlungsverfahren nach 3a Nr. 4 und 5 VOB/A zulässig wäre, herausgestellt werden. Gerade die oftmals bei der Suche nach einem Nachfolger nach erfolgter Kündigung von den Auftraggebern geltend gemachte, drängende Zeit, dürfte nicht allzuoft die Anwendung eines Verhandlungsverfahrens rechtfertigen [17]. 3 a Nr.5 Buchst. d VOB/A stellt an die Dringlichkeit zwingend erhöhte 130 Anforderungen; insbesondere bei der Bezugnahme auf die Fristen des 18 a VOB/A hat sich der betroffene Auftraggeber bewußt zu machen, daß es sich bei der Abgrenzung zwischen dem Verhandlungsverfahren und dem Nichtoffenen Verfahren als beschleunigtem Verfahren nur um wenige Kalendertage handelt [18], die zugunsten des Ausnahmetatbestandes eines Verhandlungsverfahrens begründet werden müssen. Bei einer Baumaßnahme, die sich über mehrere Monate Ausführungszeitraum hinzieht, wird ein Verhandlungsverfahren wegen Dringlichkeit grundsätzlich nur schwer zu begründen sein [19]. 3. Zusammenfassung Nach einer Auftraggeber-Kündigung gemäß 8 Nr.3 VOB/B muß der öffentliche Auftraggeber den Bauauftrag an den nachfolgenden Unternehmer, der die Bauleistung vollenden soll, grundsätzlich europaweit ausschreiben, soweit der Auftragswert über dem Schwellenwert von 1 Mio.. gemäß 2 Nr. 7 VgV liegt. Der Grund hierfür liegt darin, daß dieser Auftrag als Teil der Gesamtleistung und damit als Los i.s. von 2 Nr.7 VgV gesehen werden muß. Bei der Entscheidung darüber, welches Vergabeverfahren anzuwenden ist, hat der Auftraggeber nur in seltenen Fällen die Möglichkeit, ein Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung wegen Dringlichkeit rechtssicher zu begründen; insoweit ist der Auftrag durch ein Nichtoffenes Verfahren im beschleunigten Verfahren zu vergeben. Es ist denkbar, daß diese rechtliche Beurteilung, also die Ausschreibungspflicht eines Auftrags zur Fertigstellung der Baumaßnahme nach auftraggeberseitiger Kündigung, nicht im Sinne aller öffentlichen Auftraggeber ist und mancher dies als hinderlich betrach- [15] So aber Vygen, in: Ingenstau/Korbion, 14. Aufl., B 8 Rdnr.109. [16] 3a VOB/A. [17] Vgl. Müller-Wrede, in: Ingenstau/Korbion, 14. Aufl., A 3a Rdnr.15, der grundsätzlich nur Katastrophenfälle anerkennen will, die keinen Aufschub der Leistungsausführung dulden. [18] Gemäß 18a Nr.2 Abs.1 und 2 wegen Dringlichkeit, Verkürzung auf 15 Tage Bewerbungsfrist und 10 Tage Angebotsfrist möglich. [19] Unter Hinweis auf Ingenstau/Korbion, 14. Aufl., A 3a Rdnr.15 a ist noch hervorzuheben, daß im Falle der Auftraggeber-Kündigung möglicherweise die Dringlichkeit des bauleistungsvollendenden Auftrags durch der AG selbst verursacht ist und ein Verhandlungsverfahren möglicherweise auch aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.

ENTSCHEIDUNGEN VergabeR 2/2002 ten mag, aber es stellt m. E. die geltende Rechtslage dar, die sich insbesondere an den Grundfesten des europäischen Vergaberechts, wie z. B. dem Wettbewerbsgrundsatz, zu orientieren hat und deshalb sachgerecht ist. Abschließend weise ich noch darauf hin, daß vorstehende Ausführungen nur für den genannten Beispielsfall gelten können. Auch mir sind weitere denkbare Szenarien [20] vorstellbar, die eine andere Beurteilung zumindest möglich erscheinen lassen, diese sollten aber von diesem Kurzbeitrag nicht erfaßt werden. [20] Z.B. die Suche nach einem Unternehmen, das Mangelbeseitigungsarbeiten erledigen soll, i.s. von 13 Nr.5 Abs.2 VOB/B, da hier im Gegensatz zum Beispielsfall der Vertrag mit dem Erstunternehmer aufrecht erhalten bleibt. 131