Das zweite Feuer, Tschernobyl und die Angst. Lehren aus der Domestizierung des Feuers

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Transkript:

Das zweite Feuer, Tschernobyl und die Angst oder Lehren aus der Domestizierung des Feuers Von Dr. Serge Prêtre ehem. Direktor der HSK Vorsitzender der ILK TJG 2005-KKI-Prê 01

Die Analogie mit der Geschichte des Feuers kann uns vielleicht Hinweise über die Zukunft der Kernenergie geben. Prüfen wir zuerst, ob diese Analogie wirklich taugt. TJG 2005-KKI-Prê 02

Elemente der Analogie 1. Der Mythos des Prometheus Fragliche Aneignung einer neuen Energiequelle, die die Menschen nicht berühren dürfen. Der Mensch darf sich nicht im Gebiet der Götter einmischen. Göttliche Bestrafung des Prometheus. Angst übermässiger Respekt, ängstliche Bescheidenheit, moralisches Verbot TJG 2005-KKI-Prê 03

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Elemente der Analogie 2. Der Geist in der Flasche Es wäre unverantwortlich, die Flasche zu öffnen 2 Und den Geist los zu lassen (Geist: E = mc ) 3. Der Mythos vom Zauberlehrling Er verliert die Herrschaft über seine Erfindung. Angst Verantwortung, Vorsicht Verzicht TJG 2005-KKI-Prê 04

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Elemente der Analogie 4. Den Weltuntergang (Apokalypse) nicht riskieren Diese neue und ungeheuere Energiequelle könnte sich durch Kettenreaktion unbegrenzt ausbreiten und den Weltuntergang hervorrufen oder das Saatgut der Menschen auslöschen. Angst Enorme Überschätzung der Konsequenzen eines Unfalls (Über Tschernobyl: mehr später) TJG 2005-KKI-Prê 05

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Elemente der Analogie 5. Eine heimtückische Strahlung Die neue Energiequelle wird von einer heimtückischen Strahlung begleitet, die auf Distanz brennt und tötet. Diese Wirkung auf Distanz ist unverständlich. Angst geheimnisvolle magische Effekte TJG 2005-KKI-Prê 06

Elemente der Analogie 6. Nicht Weitergabe (non-proliferation) Wir müssen unbedingt vermeiden, dass die Schurken, die Primitiven und die Barbaren den Zugang zu dieser Energie schaffen. Angst Misstrauen (Diejenigen, die mehr entwickelt sind, sind auch mehr verletzlich. Die Anderen haben wenig zu verlieren.) TJG 2005-KKI-Prê 07

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Elemente der Analogie 7. Zwingt zu Verantwortung, Organisation und Disziplin Diese neue Energiequelle verlangt eine ständige Überwachung durch verantwortungsvolle und disziplinierte Menschen. Vorsicht, Vorsorge, Vorbeugung (Sicherheitskultur!) TJG 2005-KKI-Prê 08

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Analogie zwischen dem 1. und dem 2. Feuer Rekapitulation Es macht Angst. Wenn man es beherrscht, gibt es viel Macht. Es produziert nützliche Wärme. Es wird von einer heimtückischen Strahlung begleitet. Es hat ein enormes Zerstörungspotential. Es muss unbedingt unter Kontrolle gehalten werden. Es darf nicht in böse oder inkompetente Hände fallen. Für gewisse Leute ist es teuflisch oder unmoralisch. Trotz allem sind die Vorteile überwiegend. Es zwingt zu Sorgfalt, Organisation und Disziplin. TJG 2005-KKI-Prê 09

Konsequenzen des Super-GAUs Riskieren wir wirklich den Weltuntergang? Super-GAU des 1. Feuers: Waldbrand, Stadtbrand (Dresden!) Super-GAU des 2. Feuers: Tschernobyl, (atomarer Weltkrieg) Tschernobyl 5000 km 2 verlorenes Land Strahleneffekte auf Gesundheit: wenige Auswirkungen der Angst: gesundheitlich, sozial Langzeitige Kontamination (Landwirtschaft!) Vergleich mit Naturkatastrophen Hurricane Katrina Sumatra-Tsunami Vulkaneruption / Erdbeben Meteoraufprall Eiszeit TJG 2005-KKI-Prê 10

Also: Die Analogie zwischen dem 1. und dem 2 Feuer taugt. Wir dürfen sie benutzen, um die Zukunft der Kernenergie zu prophezeien!! TJG 2005-KKI-Prê 11

Wie ging es dann weiter mit dem ersten Feuer? 1. Säkularisierung: 2. Trivialisierung : Die Verknüpfungen mit Religion, Mystik, Esoterik und Magie verblassen nach und nach. Es wird sachlicher. Mit der Einführung der Streichhölzer wird es sogar für jedes Kind möglich, Feuer zu entfachen. Es zwingt zu Disziplin und Vorsorge. Nicht mehr Privileg einer Elite. 3. Gleichgültigkeit : Jeder Einzelne entwickelt mehr Verantwortungsbewusstsein und mehr Vertrauen zu den Mitmenschen. Die Menschen beschäftigen sich mit anderen Problemen. TJG 2005-KKI-Prê 12

Übertragung auf die Zukunft der Kernenergie 1. Säkularisierung: Weniger Ängste, weniger Emotionen. Die Verknüpfung mit Religion, Gott und Moral verblasst. Radioaktivität und Strahlung werden rationeller verstanden. (Vergleich mit Medizin) 2. Trivialisierung : Kernenergie wird normaler, transparent, gewöhnlich und weniger elitär. (Vergleich mit Luftfahrt) TJG 2005-KKI-Prê 13

Übertragung auf die Zukunft der Kernenergie 3. Gleichgültigkeit : Die Kernenergie wird toleriert, weil sie viel Wohlstand bringt. Es reicht nicht bis zu voller Akzeptanz. Die Risiken werden verdrängt. Man ist müde vom Thema Kernenergie. Die Menschen beschäftigen sich mit anderen Problemen. TJG 2005-KKI-Prê 14

Wie kann man diese Entwicklung aktiv unterstützen? mit Sachlichkeit, Transparenz und Verständnis mit geduldigem Zuhören zuhören zuhören ist nicht informieren ist nicht überzeugen ist Anerkennung der Sorgen ist Respektieren der Ängste TJG 2005-KKI-Prê 15

Die Angst Die Information, dass man eine leicht erhöhte Wahrscheinlichkeit hat, später einen Krebs zu entwickeln, macht mehr Angst, als echt krebskrank zu sein. Wenn der Krebs endlich ausbricht, ist die Person von der Angst erlöst. Es wurde Gewissheit das ist erträglicher. Nicht die Anzahl Todesopfer sondern die Anzahl potenzieller Spätopfer bestimmt das empfundene Ausmass der Katastrophe. Oder z.b.: Die Angst vor der Vogelgrippe ist umso grösser als die Vogelgrippe-Pandemie hypothetisch bleibt. Eine grosse Gefahr, die man versteht und aktiv bekämpfen kann, macht weniger Angst als eine kleine hypothetische Gefahr, die heimtückisch ist. TJG 2005-KKI-Prê 16