Landtag von Baden-Württemberg 15. Wahlperiode Drucksache 15 / 3965 22. 08. 2013 Antrag der Abg. Dr. Marianne Engeser u. a. CDU und Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Crystal Meth Gefahren und Gegenmaßnahmen in Baden-Württemberg Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen, I. zu berichten, 1. wie sie die Gefahren von Crystal Meth allgemein einschätzt; 2. welche Erkenntnisse ihr über die Zahl der Konsumenten von Crystal Meth in Baden-Württemberg vorliegen (heute und in der zeitlichen Entwicklung der letzten fünf Jahre); 3. welche Erkenntnisse ihr über die soziologische Zusammensetzung (Alter, Geschlecht, Berufs- und Lebenssituation) der Konsumenten von Crystal Meth vorliegen; 4. welche Gründe sie für einen eventuellen Anstieg des Konsums von Crystal Meth in Baden-Württemberg sieht; 5. mit welchen konkreten Maßnahmen sie plant, dem Konsum von Crystal Meth in Baden-Württemberg zu begegnen; 6. inwieweit sie gegenwärtig wissenschaftliche Untersuchungen zur Verbreitung des Konsums von Crystal Meth und dessen Bekämpfung unterstützt oder in Zukunft konkret zu unterstützen plant; 7. mit welchen Maßnahmen sie bereits gegenwärtig gerade unter jüngeren Leuten die Gefährlichkeit von Crystal Meth bekannt macht bzw. plant, in Zukunft verstärkt bekannt zu machen; Eingegangen: 22. 08. 2013 / Ausgegeben: 23. 09. 2013 Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet abrufbar unter: www.landtag-bw.de/dokumente Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen Der Blaue Engel. 1
II. ein Konzept zur Bekämpfung der Verbreitung und des Konsums von Crystal Meth vorzulegen. 21. 08. 2013 Dr. Engeser, Klenk, Kunzmann, Raab, Brunnemer CDU Begründung Crystal Meth (N-Methylamphetamin) ist eine hochgefährliche Droge, die sich über die Grenzregionen zunehmend in Deutschland ausbreitet und zwischenzeitlich auch Baden-Württemberg erreicht hat. Sie führt extrem schnell zur Abhängigkeit, zum Teil bereits nach dem ersten Konsum. Zudem ist ihre Wirkung auf den menschlichen Organismus verheerend. So stellen sich zum Teil schon nach kurzer Zeit schwere Leiden ein: Hautentzündungen, Schwächung des Immun - systems, Haarausfall, Zahnausfall, Magenschmerzen, Schlafstörungen, paranoide Wahnvorstellungen aufgrund des Schlafmangels und vieles mehr. Auch kann es zu Magendurchbrüchen und Herzrhythmusstörungen kommen. Ein eventueller Entzug ist äußerst schwierig und langwierig. Nachdem sich Crystal Meth in den letzten Jahren verstärkt ausbreitet, ist es an der Zeit, wirkungsvolle Maßnahmen zur Eindämmung dieses Phänomens zu treffen. Ziel dieses Antrages ist es deshalb zum einen, den aktuellen Stand der Erkennt - nisse über die Verbreitung von Crystal Meth in Baden-Württemberg zu erfragen, zum anderen, die Landesregierung aufzufordern, ein schlüssiges Konzept zu seiner Bekämpfung vorzulegen. Stellungnahme Mit Schreiben vom 13. September 2013 Nr. 55-0141.5/15/3965 nimmt das Minis - terium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren im Einvernehmen mit dem Innenministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen, I. zu berichten, 1. wie sie die Gefahren von Crystal Meth allgemein einschätzt; Crystal Meth, also die kristalline Form von Methamphetamin, wird zu den Amphetaminen gezählt. Methamphetamin ist in Deutschland als verkehrsfähiges (Ausgangsstoff für andere Arzneimittel), aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel (Anlage 2 des BtMG) eingestuft; es gibt daher keine medizinische Verwendung mehr. Das Fertigarzneimittel Pervitin wurde im Jahr 1988 vom Markt genommen. Crystal Meth wirkt stimulierend auf das zentrale Nervensys - tem, erzeugt ein Gefühl von Euphorie, unterdrückt Hunger und Müdigkeit, erhöht den Puls, die Herzfrequenz und den Blutdruck. Crystal Meth wirkt ähnlich wie Speed nur wesentlich länger und stärker. Es kommt zu einer vergleichsweise raschen Toleranzentwicklung. Es ist ausgesprochen giftig für die Nervenzellen und kann, besonders bei Langzeitkonsum, zu Nervenschäden im Gehirn, begleitet durch Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, führen. Das Potenzial für eine psychische Abhängigkeit ist hoch. Durch die starke Wirkung ist das Abklingen der Wirkung besonders deutlich zu spüren, der Drang zum erneuten Konsum kann 2
die Folge sein. Bei hohen Dosen und Langzeitkonsum können starker Gewichtsverlust, Hautentzündungen, Zahnausfall, Magenschmerzen im Extremfall bis zum Magendurchbruch und Herzrhythmusstörungen auftreten. Psychosen können durch Crystal Meth indiziert werden. Insgesamt kann es durch die hohe Wirksamkeit schnell und leicht zu einer Vergiftung durch Überdosierung kommen. Es handelt sich also um eine Droge mit schwerwiegenden Nebenwirkungen und hohem Abhängigkeitspotenzial. Crystal Meth hat aufgrund seiner Wirkungsweise bereits nach kurzer Zeit ein sehr hohes Suchtpotenzial. Nach dem Gebrauch sind die Konsumenten oftmals extrem gewalttätig und leicht reizbar. Hinzu kommt, dass bei Crystal Meth aufgrund seiner hohen Konzentration und der Tatsache, dass die Dosis zur Wirkungserzielung ständig gesteigert werden muss, eine erhöhte Gefahr der Überdosierung besteht. 2. welche Erkenntnisse ihr über die Zahl der Konsumenten von Crystal Meth in Baden-Württemberg vorliegen (heute und in der zeitlichen Entwicklung der letzten fünf Jahre); Die Zahl der Konsumenten von Crystal Meth wird nicht gesondert erfasst. Einen Anhaltspunkt liefert die Zahl der vollstationären Behandlungsfälle und Stundenfälle, die mit der Hauptdiagnose Psychische und Verhaltensstörungen durch andere Stimulanzien, einschließlich Koffein (ICD-Code: F15*, d. h. die Summe der ICD-Viersteller von F15, also F15.1 bis F15.4) in einem Krankenhaus in Baden- Württemberg behandelt wurden. Dabei handelt es sich um Patienten, die aufgrund eines Aufputschmittels (Stimulanzien) behandelt wurden dabei muss es sich nicht zwangsläufig um N-Methylamphetamine (umgangssprachlich Crystal Meth ) handeln, sondern es kann beispielsweise ein Konsum von Speed, Ecstasy, Koffein etc. vorliegen. Die aktuellsten Daten beziehen sich auf das Berichtsjahr 2011. Die Zahl der Krankenhauspatienten, die aufgrund von psychischen und F15*) in Baden-Württemberg behandelt wurden, hat sich in den vergangenen fünf Jahren von 148 Behandlungsfällen (im Jahr 2007) auf 341 Behandlungsfälle (im Jahr 2011) stark erhöht. Das entspricht einem Anstieg von 130 %. Umgerechnet auf die Bevölkerung bedeutet das, dass sich im Jahr 2011 3,2 je 100 000 Personen einer solchen Behandlung im Krankenhaus unterziehen muss - ten. Im Jahr 2007 waren es noch 1,4 je 100 000 Personen. Die polizeilichen Fallzahlen bei den Konsumdelikten wie auch die Sicherstellungsmengen von Crystal Meth sind in Baden-Württemberg mit leicht steigendem Trend seit Jahren gering. 3
Crystal-Meth in Baden-Württemberg Fälle Tatverdächtige (männlich/ weiblich) sichergestellte Menge in g 2008 3 3 m 16,5 2009 2 4 m, 1 w 0,8 2010 1 11 m, 1 w 265 2011 7 22 m, 2 w 309 2012 18 31 m, 4 w 548 3. welche Erkenntnisse ihr über die soziologische Zusammensetzung (Alter, Geschlecht, Berufs- und Lebenssituation) der Konsumenten von Crystal Meth vorliegen; Im Jahr 2011 waren 78,6 % aller Patienten, die aufgrund von psychischen und F15*), in einem Krankenhaus in Baden-Württemberg behandelt werden mussten, männlichen Geschlechts (268 männliche Behandlungsfälle, 73 weibliche Behandlungsfälle). Umgerechnet auf die entsprechende Bevölkerung bedeutet dies für das Jahr 2011, dass sich 5,0 je 100 000 Männer bzw. 1,3 je 100 000 Frauen einer solchen Behandlung im Krankenhaus unterziehen mussten. Über die Hälfte aller Patienten, die im Jahr 2011 aufgrund von psychischen und F15*), in einem Krankenhaus Baden-Württembergs behandelt werden mussten, waren zwischen 25 und 34 Jahre alt (185 Behandlungsfälle, das entspricht 54,2 % aller Behandlungsfälle in Folge von ICD-Code F15*). Während im Jahr 2007 bereits sehr viele 25- bis unter 30-Jährige behandelt werden mussten, ist die Zahl der 30- bis unter 35-jährigen Behandlungsfälle seit 2007 prozentual stark gestiegen und die Anzahl der Patienten dieser beiden Altersgruppen gleicht sich immer mehr an. Vor dem Hintergrund der polizeilichen Fallzahlen wurde festgestellt, dass der jüngste erfasste Crystal Meth-Konsument 18 Jahre, der älteste 51 Jahre alt war; mehrheitlich lag das Alter der Konsumenten zwischen 20 und 30 Jahren. Alle Crystal Meth-Konsumenten waren bereits wegen Verstoßes gegen das BtMG, insbesondere mit Cannabis und Amphetamin, polizeibekannt. 4. welche Gründe sie für einen eventuellen Anstieg des Konsums von Crystal Meth in Baden-Württemberg sieht; Aufgrund der niedrigen Fall- und Sicherstellungszahlen bestehen zu den Gründen des leichten Anstiegs des Konsums von Crystal Meth in Baden-Württemberg keine validen Erkenntnisse. 5. mit welchen konkreten Maßnahmen sie plant, dem Konsum von Crystal Meth in Baden-Württemberg zu begegnen; Es ist wichtig, die Verbreitung des Konsums von Amphetaminen, zu denen auch Crystal Meth gehört, zu beobachten, um gegebenenfalls gegensteuern zu können. Die Strukturen in der Suchtprävention und Suchthilfe in Baden-Württemberg sind stabil und gut ausgebaut, sodass mit den bestehenden Angeboten auch dem Konsum von Crystal Meth vorgebeugt und begegnet werden kann. 6. inwieweit sie gegenwärtig wissenschaftliche Untersuchungen zur Verbreitung des Konsums von Crystal Meth und dessen Bekämpfung unterstützt oder in Zukunft konkret zu unterstützen plant; Eine auf Baden-Württemberg beschränkte Studie über die Verbreitung des Konsums von Crystal Meth erscheint zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll. Eine aussagekräftige Studie über die Verbreitung von Crystal Meth im gesamten Bundesgebiet unter Berücksichtigung der Situation in den einzelnen Bundesländern, eventuell im Rahmen des epidemiologischen Suchtsurvey oder der Drogenaffinitätsstudie, wäre zu begrüßen. 4
7. mit welchen Maßnahmen sie bereits gegenwärtig gerade unter jüngeren Leuten die Gefährlichkeit von Crystal Meth bekannt macht bzw. plant, in Zukunft verstärkt bekannt zu machen; In Baden-Württemberg gibt es vielfältige Angebote zur Prävention von illegalen Drogen. Über das Dokumentationssystem dotsys werden die durchgeführten Maßnahmen der Suchtprävention erfasst und jährlich ausgewertet. Die Beteiligung erfolgt auf freiwilliger Basis. Die Landesstelle für Suchtfragen (LSS) erhebt mittels dieses Dokumentationssystems jährlich die suchtpräventiven Maßnahmen der in der Landesstelle zusammengeschlossenen Suchthilfeeinrichtungen (Liga Verbände). Die aktuellste Dokumentation bezieht sich auf das Jahr 2012. Danach haben sich 63 Einrichtungen an dieser Auswertung beteiligt. Von diesen Einrichtungen wurden in der Summe 4.622 Präventionsmaßnahmen dokumentiert. Damit wurden 75.211 Endadressaten und 21.800 Multiplikatoren erreicht. Der Großteil der Maßnahmen, rund 78 %, richtet sich an Kinder und Jugendliche. Die Daten der Kommunalen Suchtbeauftragten der Stadt- und Landkreise werden über das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg im Regierungspräsidium Stuttgart (LGA) erhoben. Im Jahr 2012 haben sich Kommunale Suchtbeauftragte aus sieben Stadt- und Landkreisen an der Dokumentation beteiligt. Durchgeführt wurden 590 Maßnahmen. Damit wurden 90.562 Endadressaten und 5.004 Multiplikatoren erreicht. Auch hier richtet sich der Großteil der Maßnahmen an Kinder und Jugendliche. 13 % der Angebote mit Substanzbezug, die über die LSS dokumentiert wurden, nahmen sich dem Schwerpunkt Amphetamine an, bei den über das LGA dokumentierten Maßnahmen sind es 10 %. Dies zeigt, dass eine Vielzahl geeigneter Maßnahmen vorliegt. II. ein Konzept zur Bekämpfung der Verbreitung und des Konsums von Crystal Meth vorzulegen. Das System der Suchtprävention und Suchthilfe in Baden-Württemberg ist tragfähig und funktionsfähig. Das Thema Crystal Meth als eine von mehreren illegalen Drogen kann gut in den bestehenden Strukturen abgedeckt werden. Daher bedarf es keines gesonderten Konzepts speziell für dieses Suchtmittel. Die Suchtberatungsstellen der in der Landesstelle für Suchtfragen organisierten Verbände sind allesamt auch in der Suchtprävention tätig. Die Prävention und vielfältigen Präventionsprojekte und -maßnahmen schließen alle Suchtgefahren und gefähr - lichen Substanzen ein. Ganz überwiegend wendet sich die Suchtprävention an Jugendliche und junge Erwachsene. Das Hauptsetting ist dabei die Schule. Vertiefende substanzspezifische Kampagnen im illegalen Bereich, wie z. B. Crystal Meth, sind im Kontext universeller Prävention nicht zielführend. Ein Schwerpunkt der universell präventiven Maßnahmen ist es, eine grundsätzlich ablehnende Haltung und ein Risikobewusstsein gegenüber illegalen und auch schädlichen legalen Substanzen zu entwickeln. Dazu gehört immer auch die Substanzinformation. Da Crystal Meth bislang in Baden-Württemberg nur eine untergeordnete Rolle bei der Rauschgiftkriminalität spielt, sind von der Polizei Baden-Württemberg bislang keine speziellen Maßnahmen beabsichtigt. Die Entwicklung steht jedoch unter stetiger Beobachtung. Es erfolgt ein ständiger Informationsaustausch sowohl mit den Landesdienststellen in Baden-Württemberg als auch auf Bundesebene, vornehmlich mit den stärker betroffenen Bundesländern. Die derzeitigen polizeilichen Präventionsmaßnahmen erstrecken sich auf die Informationen zu Amphetaminen und Amphetaminderivaten in der Broschüre Risiko Drogen. Im Bereich der Prävention sind erst nach Verbesserung der Erkenntnislage zu Konsumenten und Konsummotivationen daran ausgerichtete, erforderlichenfalls zielgerichtete Präventionsmaßnahmen geplant. Altpeter Ministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren 5