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Transkript:

Zur Bedeutung von Gewalt und Gewaltlosigkeit beim Widerstand gegen herrschende Regime 1 Christoph Weller 2 Die politischen Umbruchprozesse in der MENA-Region sind der empirische Hintergrund, vor dem der AFK-Vorstand im vergangenen Jahr das Thema diese Kolloquiums formuliert hat. Wir werden in den kommenden zwei Tagen Papiere präsentiert bekommen zu den unterschiedlichsten Aspekten des Themas Widerstand Gewalt Umbruch und dabei verschiedene Bedingungen gesellschaftlichen Wandels in all seinen unterschiedlichen Phasen unter die Lupe nehmen. Zum Start in dieses AFK-Kolloquium wollen wir aber gewissermaßen gleich ins Zentrum der damit angesprochenen Probleme und Fragen vorstoßen und ein Dilemma der Friedens- und Konfliktforschung in ihrer Beschäftigung mit politischen Revolutionen direkt aufgreifen: Woran erkennen wir legitime Gewalt in diesen Umbruchprozessen? Wenn wir mit diesem einleitenden Panel nach der Bedeutung von Gewalt und Gewaltlosigkeit beim Widerstand gegen herrschende Regime fragen, 1 Einführung zum Eröffnungspanel des AFK-Kolloquiums 2012 Widerstand Gewalt Umbruch, Roundtable mit Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats der Zeitschrift für Friedens- und Konfliktforschung (ZeFKo) am 22.3.2012 in der Ev. Akademie Villigst. 2 Prof. Dr. Christoph Weller, Stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK), Lehrstuhl für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung der Universität Augsburg.

denken wir natürlich nicht nur an gewaltsamen oder gewaltlosen Widerstand, sondern auch an die Gewaltlosigkeit oder die legale Gewalt der herrschenden Regime gegen den Widerstand, oder auch an die Legalisierung interventionistischer Gewaltanwendung im Rahmen des UN- Sicherheitsrats bzw. einen gewissermaßen internationalen Widerstand gegen eine Legalisierung militärischer Interventionen, beispielsweise im Fall Syriens. Diese zumeist staatlichen Gewalttätigkeiten werden dann zur friedensethischen Herausforderung, wenn legale staatliche Gewalt sich gegen Menschen richtet, die gewaltlosen Widerstand leisten: wenn ein möglicherweise korrupter Polizeiapparat Menschen einsperrt und verschwinden lässt, Geheimdienste Foltergefängnisse unterhalten oder gegen Demonstranten militärische Einheiten losgeschickt werden, Menschen des Widerstands dabei verletzt, getötet oder umgebracht werden. Wenn wir nach einer Tasse Kaffee mit Kuchen an einem sonnigen Tag in einer evangelischen Akademie, eingebettet in einen funktionierenden Rechtsstaat, gefragt würden, ob wir eher BefürworterInnen des gewaltlosen Widerstands oder gewaltsamer politischer Revolutionen sind, wäre die Antwort ziemlich klar. Es wäre aber eine billige Antwort, wenn wir keine Argumente hätten, die auch in ägyptischen Gefängnissen, bei NATO- Soldaten, die bei ihrem Einsatz in Libyen ihr Leben riskiert haben, oder bei

Angehörigen der Freien Syrischen Armee in Homs tragfähig wären. Dort müsste begründbar sein, unter welchen Bedingungen der Erfolg eines notwendigen politischen Umsturzes durch gewaltfreie Aktion größer oder wahrscheinlicher oder schneller zu erreichen ist als unter Einsatz von Gewalt gegen die Unterdrückungsapparate eines Menschenrechte verletzenden Gewaltregimes. Zu Zeiten des Ost-West-Konflikts lieferte die Systemkonkurrenz ein ganz einfaches Orientierungsmuster zur Beurteilung politischer Umbrüche und damit auch zur Legitimation gewaltsamen Regimewechsels. Die Anhänger der eigenen ideologischen Position waren im Zweifelsfall auch legitimiert, Gewalt zur Herrschaftssicherung oder zum Umsturz der herrschenden Verhältnisse anzuwenden. Seit 1989 sind differenziertere Antworten erforderlich und die inzwischen nicht mehr ganz kleine Zahl so genannter friedlicher Revolutionen ermöglicht uns vielleicht heute, fallübergreifende Hypothesen zu den Erfolgsbedingungen gewaltfreien Widerstands gegen menschenrechtsverletzende Regime zu formulieren. An welche, hier nur unsystematisch und exemplarisch genannten Beobachtungen ließe sich dabei anknüpfen? Neben dem Maß an Gewaltbereitschaft staatlicher Sicherheitsapparate und deren gesellschaftlicher Verankerung auf der einen und deren Einbindung in Privilegien und materielle Vergünstigungen des herrschenden Regimes

auf der anderen Seite spielt offenbar auch das Wissen um Strategien und Aktionen der gewaltfreien Aktion eine wichtige Rolle. Dabei sind es aber beispielsweise nicht die aktuellen Studien der Friedens- und Konfliktforschung, die hier für den Wissenstransfer in die revolutionäre Praxis verantwortlich sind, sondern vielfach die teilweise schon in den 1970er Jahren geschriebenen Texte, insbesondere von Gene Sharp, etwa Politics of Nonviolent Action von 1973, die inzwischen in ganz viele Sprachen übersetzt wurden und über das Internet global zugänglich gemacht werden. Und nebenbei gefragt: welche Einsichten aus 40 Jahren Friedens- und Konfliktforschung gibt es, die eine Ergänzung dieser Texte aus den 1970er Jahren darstellen könnten? Anknüpfen ließe sich auch an die Beobachtung, dass die Globalisierung die transnationalen Beziehungen zwischen gesellschaftlichen Akteuren aus unterschiedlichen Ländern spürbar erleichtert hat. Hierzu gehört, dass sich immer wieder eine erhebliche finanzielle und technische Unterstützung von Oppositionsgruppen insbesondere aus den USA beobachten lässt, die auf einen intensiven medialen Einsatz angewiesen sind, um die erforderlichen Massen zu mobilisieren, damit der potenzielle Gewalteinsatz staatlicher Sicherheitsorgane weniger aussichtsreich erscheint und zugleich die aktuell Herrschenden an Legitimation einbüßen.

Zugleich darf jedoch nicht übersehen werden, dass staatlicher Gewalteinsatz auf gleich drei Ebenen gut abgesichert ist: er ist zunächst immer legalisiert, was auch die prinzipielle Gewaltbereitschaft der Mitglieder in den staatlichen Gewaltapparate stabilisiert; er ist als Mittel zur Aufrechterhaltung öffentlicher Ordnung und politischer Stabilität gut legitimierbar, gerade in Verbindung mit einem privilegierten Zugang zu dominierenden Massenmedien; er ist zudem über das Prinzip staatlicher Souveränität vor einem entgegengesetzten Eingreifen von außen geschützt. Hinzu kommt, dass alle Gewaltanwendung außerhalb des einzelstaatlichen Rahmens zur Sicherung legaler Herrschaft einer besonderen, auf menschenrechtliche Normen bezogenen Legitimation bedarf, die nie unumstritten sein wird. Dies verweist auf die große Bedeutung der weltgesellschaftlich verankerten Norm der Gewaltfreiheit, vereinfacht aber mitnichten das Dilemma, woran legitime Gewalt in politischen Revolutionen erkennbar sein könnte.