Betrachtet man eine Karte der regionalen Disparitäten

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Transkript:

Franz Fürst, Carsten Schürmann, Klaus Spiekermann, Michael Wegener Brückenschlag nach Skandinavien Wirtschaftliche Auswirkungen der Øresund-Brücke Die Angleichung des allgemeinen Lebensstandards und der Abbau wirtschaftlicher Disparitäten zwischen den europäischen Regionen ist ein wesentliches Ziel der Regionalpolitik der Europäischen Union. Ob der verstärkte Ausbau der europäischen Verkehrsinfrastruktur, der in den strategischen Überlegungen der EU eine zentrale Rolle einnimmt, die gewünschte Wirkung entfalten wird, ist jedoch umstritten. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, in dem der Frage nachgegangen wurde, welche regionalen sozio-ökonomischen Effekte vom Ausbau der europäischen Verkehrsinfrastruktur tatsächlich zu erwarten sind. Dazu wurden verschiedene Szenarien des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur entwickelt und mittels eines Simulationsmodells untersucht. Aus Anlass der bevorstehenden Eröffnung der Øresund-Verbindung zwischen Dänemark und Schweden im kommenden Monat sollen im Folgenden die voraussichtlichen regionalwirtschaftlichen Effekte dieser Baumaßnahme erläutert werden. Als Ergebnis zeigt sich, dass trotz Investitionen in Milliardenhöhe in einzelne Projekte die Effekte sowohl räumlich begrenzt als auch im Vergleich zu gesamtwirtschaftlichen Trends marginal sind. Betrachtet man eine Karte der regionalen Disparitäten hinsichtlich der Wirtschaftskraft in den europäischen Regionen, so fällt bereits bei oberflächlicher Betrachtung auf, dass viele der benachteiligten Regionen auch eine geographisch periphere Lage aufweisen. Es liegt daher der Schluss nahe, dass eine bessere Verkehrsanbindung gleichzeitig die Wirtschaftskraft dieser Regionen fördern würde. Somit würden diese Regionen nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch im ökonomischen Sinn näher an den europäischen Standard heranrücken. Eine genauere Analyse des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Erreichbarkeit zeigt jedoch, dass dieser Zusammenhang keineswegs so eindeutig ist. Neben den prosperierenden Regionen im Zentrum Europas gibt es dort auch Regionen, die trotz guter Verkehrsanbindung in den vergangenen Jahren starke Einbußen ihrer Wirtschaftskraft hinnehmen mussten. Umgekehrt finden sich auch in der europäischen Peripherie Regionen mit unterdurchschnittlicher Wirtschaftskraft und mangelnder Dynamik (z.b. einige Regionen Griechenlands und Portugals), aber auch einige ausgesprochen erfolgreiche Regionen (z.b. in Skandinavien). Zusätzlich wird eine Einschätzung dadurch erschwert, dass einige der am stärksten wachsenden Regionen zu den eher peripheren Regionen gehören. Neuere Untersuchungen belegen weiterhin, dass ein ökonomischer Konvergenzeffekt zwischen den europäischen Regionen durchaus festzustellen ist. So erhöhte sich das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den zehn wirtschaftsschwächsten Regionen der EU von 1986 bis 1996 von 41 % auf 50 % des EU-Durchschnitts (Europäische Kommission 1999). Der Mechanismus dieses Konvergenzeffekts und die Wirksamkeit unterstützender Politiken sind jedoch bislang weitgehend unbekannt geblieben. In dieser Situation erwartet die Europäische Union eine deutliche Verringerung der wirtschaftlichen Disparitäten durch den Ausbau transeuropäischer Verkehrsnetze ( Trans-European Networks, kurz: TEN) (European Communities 1996; European Commission 1998). Dieses Infrastrukturprogramm ist eine der ambitioniertesten Initiativen der Gemeinschaft seit ihrer Gründung. Die Ausbaupläne für Eisenbahn- und Straßenverbindungen, Binnenwasserstraßen, Häfen und Flughäfen erfordern öffentliche und private Investitionen zwischen 400 und 500 Milliarden Euro bis zum Jahr 2010. Abbildung 1 stellt aus dem TEN-Programm beispielhaft die Entwicklung des Eisenbahnnetzes anhand der anvisierten Fertigstellungsjahre der Projekte dar. Das Ausbauprogramm ist jedoch nicht unumstritten. Viele Projekte binden nicht periphere Regionen an die Zentren an, sondern stärken im Gegenteil die ohnehin gut ausgebauten Achsen zwischen den Agglomerationen im Zentrum Europas und steigern somit deren Erreichbarkeit. Selbst wenn eine neue Autobahn oder Eisenbahnverbindung eine periphere Region an ein Zentrum anbindet, können aus theoretischer Sicht unterschiedliche Effekte auftreten. Einerseits können Hersteller und Händler aus dem peripheren Raum ihre Waren und Produkte leichter in den Zentren vermarkten, andererseits erhöht sich für diese aber auch der Wettbewerbsdruck durch neue Produkte und Dienstleistungen, die nun auch in der Peripherie leicht verfügbar sind, so dass ehemals regional organisierte Produktions- und Vertriebsstrukturen gefährdet sind. Aufgrund dieser Unsicherheit kommt einer transparenten Evaluierung möglicher sozio-ökonomischer Auswirkungen des TEN-Ausbaus eine große politische Bedeutung zu. Ein umfassendes und übertragbares Modell zur Vorhersage sozio-ökonomischer und räumlicher Auswirkungen von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen auf europäischer Ebene ist im Rahmen des von der EU finanzierten Projektes Socio-Economic and Spatial Impacts of Transport Infrastructure Investments and Transport System Improve- 109

Øresund-Brücke - Fürst, Schürmann, Spiekermann, Wegener Øresund 2001 2006 2011 2016 keine Veränderung Abb. 1: Entwicklung des trans-europäischen Eisenbahnnetzes bis 2016. [IRPUD 1999] ments (SASI) entwickelt worden 1. Im Kern soll das Modell vor dem Hintergrund des Kohäsions-Ziels der Europäischen Union die Frage beantworten, ob ein Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen zu einem Abbau oder zu einer Vergrößerung räumlicher Disparitäten führt und welche Regionen in Europa davon profitieren bzw. in ihrer Entwicklung benachteiligt werden (Wegener/Bökemann 1998; Fürst et al. 1999; Fürst et al. 2000) 2. Mit dem SASI- Modell wurden verschiedene Szenarien des Ausbaus der europäischen Verkehrsinfrastruktur untersucht. In diesem Beitrag soll hieraus das Øresund-Projekt, das kurz vor der Fertigstellung steht, exemplarisch für weitere TEN-Projekte hinsichtlich der zu erwartenden wirtschaftlichen Auswirkungen vorgestellt werden. Das Øresund-Projekt Durch den Bau einer festen Straßen- und Eisenbahnverbindung zwischen Dänemark und Schweden über den Øresund soll Skandinavien besser an das europäische Festland angebunden werden. Das 16 km lange und ca. 110

Fürst, Schürmann, Spiekermann, Wegener - Øresund-Brücke fünf Milliarden Mark teure Projekt besteht aus einer Tunnel-Hochbrücken-Kombination und verbindet den Kopenhagener Vorort Kastrup mit Malmö-Lernacken mittels einer vierspurigen Auto- sowie einer zweispurigen Bahntrasse. Im kommenden Monat soll die Eröffnung gefeiert werden (SPIEGEL 1999). Zusammen mit der 1998 eröffneten Brücke über den Großen Belt ermöglicht das Øresund-Projekt zum ersten Mal eine Ostseeüberquerung zwischen Skandinavien und dem europäischem Festland ohne die Benutzung von Fähren. Die Verbindung soll den ca. 3,5 Millionen Menschen, die in einem 100 km-radius um den Øresund herum leben, sowie der großen Anzahl von Transitpassagieren zugute kommen. Aufgrund seiner strategischen Bedeutung ist dieses Projekt als eines von insgesamt 14 Vorrangprojekten des TEN-Programms ausgewählt worden (European Communities 1995). Die Besonderheit des Øresund-Projekts im Vergleich zu anderen TEN-Projekten ist, dass hierbei nicht etwa rückständige periphere Regionen an die Wirtschaftszentren angebunden werden, sondern zwei der ohnehin schon wirtschaftlich dynamischsten und erfolgreichsten Länder Europas verkehrstechnisch noch besser miteinander verknüpft werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage weiterer durch dieses Vorhaben initiierter positiver wirtschaftlicher Impulse in besonderem Maße. Wirtschaftliche Effekte des Projekts Die langfristigen regionalökonomischen Effekte des Øresund-Projekts wurden in dem hier beschriebenen Forschungsprojekt mit Hilfe des SASI-Simulationsmodells bestimmt. Die Effekte der Øresund-Verbindung wurden durch eine Gegenüberstellung des Zustands ohne feste Landverbindung, d.h. einer Beibehaltung des bisherigen Zustands mit Fähren ( Øresund-Fähren-Szenario ), mit der Situation nach Fertigstellung des Brückenschlags ( TEN- Szenario ) isoliert (Fürst et. al. 1999; 2000). In beiden Szenarien wird von einer ansonsten vollständigen Implementierung des TEN-Programms ausgegangen. Abbildung 2 zeigt die zeitliche Entwicklung der Erreichbarkeiten 3 im Vergleich des TEN-Szenarios mit dem Øresund-Fähren-Szenario für ausgewählte Regionen um den Øresund. Augenscheinlich verbessert sich die generelle Erreichbarkeit der drei Regionen Kopenhagen (CP), Malmö (ML) und Stockholm (ST) durch die Verwirklichung des TEN-Ausbauprogramms. Durch die Øresund-Verbindung erzielte positive Erreichbarkeitseffekte treten erwartungsgemäß in Kopenhagen und Malmö auf, für weiter entfernte Regionen wie Stockholm können jedoch keine zusätzlichen positiven Effekte mehr beobachtet werden. Abbildung 3 zeigt in einem ähnlichen Vergleich der Szenarien die unterschiedliche Entwicklung des regionalen Bruttoinlandsprodukts über die Zeit. Auch hier zeigt sich, dass durch die Realisierung der TEN-Projekte (auch ohne die Øresund-Brücke) sowie der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung für alle Regionen ein steigendes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf erwartet werden kann. Durch die aufgrund der neuen Brückenverbindung erleichterte Querung des Øresund erhöht sich zudem das Marktpotenzial für Produkte der umliegenden Regionen. Insbesondere Kopenhagen, aber auch Malmö erlangen einen zusätzlichen Wachstumsschub, der beiden Regionen im Jahre 2016 ein im Vergleich zu Stockholm signifikant höheres Bruttosozialprodukt pro Kopf beschert. Für Stockholm können nämlich durch die feste Landverbindung keine zusätzlichen wirtschaftlichen Impulse festgestellt werden. Die zwei Karten in Abbildung 4 zeigen die zuvor konstatierten Effekte in ihren räumlichen Ausprägungen als Differenzen zwischen den Szenarien mit und ohne Øresund-Verbindung. Die linke Karte zeigt, dass nur geringe Erreichbarkeitsgewinne durch die Øresund-Brücke zu erwarten sind. Diese treten vornehmlich in den nordischen Ländern auf, während Kontinentaleuropa kaum beeinflusst wird. Erwartungsgemäß schwächen sich mit zunehmender Distanz der Regionen zum Øresund die positiven Effekte ab. Während durch die Brücke anstatt der Fähren Abb. 2: Øresund-Fähren-Szenario und TEN-Szenario - Erreichbarkeit, 1981-2016. Abb. 3: Øresund-Fähren-Szenario und TEN-Szenario - BIP pro Kopf, 1981-2016. 111

Øresund-Brücke - Fürst, Schürmann, Spiekermann, Wegener die Erreichbarkeiten von Malmö und Kopenhagen um 1,9 bzw. 1,6 Prozent ansteigen, liegen die Steigerungen für alle anderen Regionen bei unter einem Prozent. Auf dem europäischen Festland können nur das dänische Festland sowie Schleswig-Holstein geringe zusätzliche Erreichbarkeitsverbesserungen durch die Øresund-Brücke erzielen. Für alle anderen Regionen in Europa sind keine weiteren Erreichbarkeitsverbesserungen durch dieses prioritäre TEN-Projekt nachweisbar. Die rechte Karte zeigt, dass die zu erwartenden zusätzlichen wirtschaftlichen Effekte nochmals geringer sind als die ohnehin schon geringen Erreichbarkeitseffekte. Für Malmö kann mit einer zusätzlichen Steigerung des Bruttosozialprodukts von etwa 0,8 Prozent durch die Øresund- Brücke gerechnet werden, für Kopenhagen von etwa 0,6 Prozent und für Jönköping von etwa 0,23 Prozent. Schlussfolgerungen Im Zusammenhang mit dem angestrebten Abbau wirtschaftlicher Disparitäten innerhalb der EU wurde eingangs die Frage nach Wirkungsrichtung und -stärke von Verkehrsinfrastrukturinvestitionen gestellt. Das Beispiel der Øresund-Verbindung zeigt, dass positive wirtschaftliche Effekte nur für solche Regionen zu erwarten sind, die in unmittelbarer räumlicher Nähe zu diesen Verkehrsprojekten liegen. Dies bedeutet, dass hauptsächlich Südschweden und die Region Kopenhagen wirtschaftlich von diesen Investitionen profitieren werden. Da das Øresund-Projekt im europäischen Vergleich wirtschaftsstarke Regionen miteinander verbindet, ist es nicht überraschend, dass die zusätzlichen ökonomischen Effekte im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung relativ gering sind, da sich die Regionen bereits auf einem hohen Entwicklungsniveau befinden und zudem bereits über eine hervorragende Ausstattung mit Verkehrsinfrastruktur verfügen. Die zusätzlichen Auswirkungen des Øresund-Projekts sind vor allem im Kontext der vollständigen Implementierung des TEN-Ausbauprogramms zu sehen, wie die Ergebnisse verschiedener anderer Ausbauszenarien zeigen (Fürst et al. 2000): Die generellen wirtschaftlichen Effekte auf die Regionen Europas sind in allen simulierten Szenarien ähnlich. Dies bestätigt die Vermutung, dass generelle sozio-ökonomische und technologische Entwicklungen eine viel größere Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung spielen als der Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen. In allen Szenarien zum Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen auf europäischer Ebene steigt in sämtlichen Regionen die Wirtschaftskraft in absoluten Zahlen. Die relativen Unterschiede zeigen jedoch, dass sich viele Rangverschiebungen zwischen den Regionen ergeben werden. Dies bedeutet, dass es zu relativen Verlusten einiger Abb. 4: Øresund-Fähren-Szenario und TEN-Szenario - relative Unterschiede in Erreichbarkeit (links) und BIP pro Kopf (rechts). 112

Fürst, Schürmann, Spiekermann, Wegener - Øresund-Brücke Regionen im Vergleich zum generellen Trend kommen wird und dass langfristig betrachtet diese relativen Verluste zu absoluten Verlusten bei zunehmendem wirtschaftlichen Wettbewerbsdruck zwischen den Regionen führen könnten. Die vollständige Realisierung des TEN-Programms führt zu einer Stärkung des Konvergenzeffektes hinsichtlich Erreichbarkeit und Bruttosozialprodukt zwischen den Regionen im Vergleich zum ausschließlichen Ausbau der Eisenbahninfrastruktur oder im Vergleich zu einem Verzicht auf jegliche Ausbaupläne. Diese leichten Kohäsionseffekte können jedoch den sehr viel stärkeren allgemeinen wirtschaftlichen Trend zu einer weiteren wirtschaftlichen Polarisierung der Regionen der EU nicht umkehren. Die erzielten Ergebnisse zur regionalökonomischen Wirkung der Øresund-Verbindung bestätigen die Vermutung, dass selbst hohe Investitionen in Verkehrsinfrastrukturprojekte nur geringe, regional begrenzte Auswirkungen auf Erreichbarkeiten ausüben und diese wiederum nur relativ geringe positive wirtschaftliche Effekte nach sich ziehen. Im Vergleich zu den anderen ökonomisch relevanten Faktoren hat die Verfügbarkeit von zusätzlicher Verkehrsinfrastruktur nur untergeordnete Bedeutung. Dies schließt jedoch nicht aus, dass solche Leuchtturmprojekte positive psychologische Effekte bei den regionalen öffentlichen und privaten Akteuren auslösen und so zu veränderten Politiken auf lokaler und regionaler Ebene und somit möglicherweise zu weiteren Investitionen führen könnten. Von einem schrittweisen Zusammenwachsen der beiden bislang getrennten skandinavischen Regionen im Hinblick auf gesellschaftliche und ökonomische Verflechtungen könnte langfristig durchaus auch die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dieser Zwei-Staaten-Region abhängen. Exemplarisch für die Entwicklung in Europa allgemein kann jedoch festgestellt werden, dass der TEN-Ausbau nur geringfügig auf die wirtschaftliche Entwicklung einzuwirken vermag und daher weitere Maßnahmen (Strukturfonds, Investitionsprogramme usw.) unerlässlich sind, wenn die Disparitäten in Europa zügig und dauerhaft abgebaut werden sollen. Anmerkungen 1 Das SASI-Forschungsprojekt wurde gemeinsam vom Institut für Stadt- und Regionalforschung der Universität Wien (Projektkoordination), dem Department of Town and Regional Planning der Universität Sheffield und dem Institut für Raumplanung der Universität Dortmund durchgeführt. 2 Das SASI-Modell prognostiziert die sozio-ökonomische Entwicklung der 201 NUTS-2 Regionen für alle Mitgliedsstaaten der EU hinsichtlich der Entwicklung ihres Bruttosozialproduktes, der Arbeitslosenquote und Erreichbarkeit bis zum Jahr 2016 sequenziell in Ein-Jahres-Intervallen. Es kann sowohl zur Evaluierung des TEN-Ausbauprogramms als Ganzes wie auch zur Evaluierung von Einzelprojekten herangezogen werden. Nähere Informationen zum Aufbau und zur Struktur des Modells geben Wegener und Bökemann (1998) sowie Fürst et al. (1999) oder können über das Internet abgerufen werden (IR- PUD 1998). 3 Zum Konzept der Erreichbarkeiten siehe Schürmann et al. (1997). Erreichbarkeit ist das Produkt eines Verkehrssystems. Sie repräsentiert den Vorteil bzw. den Nutzen, den Einwohner bzw. Betriebe aus der räumlichen Lage eines Ortes oder einer Region im Vergleich zu der Lagegunst anderer Orte oder Regionen ziehen. Aus der Vielzahl von Erreichbarkeitsindikatoren ist im SASI-Projekt das Erreichbarkeitspotenzial benutzt worden. Dieser Indikator ist dann im SASI-Modell als ein Bestimmungsfaktor zur Berechnung des regionalen Bruttosozialprodukts in die Produktionsgleichung eingefügt worden. Literatur European Commission: Transeuropean Transport Network. Report on the Implementation of the Guidelines. Basic Data on the Networks. Report to the European Parliament, the Council, the Economic and Social Committee and the Committee of the Regions on the implementation of the guidelines for the development of the trans-european transport network (Decision 1692/96/EC). Brüssel 1998 Europäische Kommission: Sixième rapport pérodique sur la situation et le développement économique et social des régions de l Union européene. Luxemburg 1999 European Communities: Trans-European Transport Network Outline Plan. Luxembourg 1995 European Communities: Decision No. 1692/96/CE of the European Parliament and of the Council of 23 July 1996 on the Community guidelines for the development of the trans-european transport networks. Official Journal of the European Communities 39, L 228, 9 September 1996, S. 1-104 Fürst, F./Hackl, R./Holl, A./Kramar, H./Schürmann, C./Spiekermann, K./Wegener, M.: The SASI Model: Model Implementation. SASI Deliverable D11. Report to the European Commission. Dortmund 1999 Fürst, F./Schürmann, C./Spiekermann, K./Wegener, M.: The SASI Model. Demonstration Examples. SASI Deliverable D15. Report to the European Commission. Dortmund 2000 IRPUD: Socio-Economic and Spatial Impacts of Transport Infrastructure Investments and Transport System Improvements: Model Structure. http://irpud.raumplanung.uni-dortmund.de/ irpud/pro/sasi/sasid8.htm. Dortmund 1998 IRPUD: European Transport Networks. Dortmund. http://irpud. raumplanung.uni-dortmund.de/irpud/pro/ten/ten_e.htm. Dortmund 1999 Schürmann, C., Spiekermann, K., Wegener, M.: Accessibility Indicators. SASI Deliverable D5. Report to the European Commission. Berichte aus dem Institut für Raumplanung 39. Dortmund 1997 SPIEGEL: Meer der Träume. In: DER SPIEGEL 29/1999, S. 138-140 Wegener, M./Bökemann, D.: The SASI Model: Model Structure. SASI Deliverable D8. Report to the European Commission. Berichte aus dem Institut für Raumplanung 40. Dortmund 1998 Franz Fürst ist Dipl.-Ing. für Raumplanung und wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin. Carsten Schürmann und Klaus Spiekermann sind Dipl.-Ing. für Raumplanung und wissenschaftliche Angestellte am Institut für Raumplanung der Universität Dortmund (IRPUD). Prof. Dr.-Ing. Michael Wegener ist geschäftsführender Leiter des IRPUD. 113