Abhängigkeit: Krankheit oder Schwäche? Prof. Ion Anghelescu Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Ähnliche Dokumente
Verbreitung von Suchtformen und Zugangswege zur Behandlung

Herbstseminar "Verschiedene Suchtformen" Maria Rosenberg Waldfischbach 16. bis 18. September 2011

Alkoholabhängigkeit. W. Wolfgang Fleischhacker Univ.-Klinik für Biologische Psychiatrie Medizinische Universität Innsbruck

Suchtkrankenhilfe als tertiäres Versorgungssystem: Teuer, ineffektiv und veraltet oder auf dem besten Weg in die Zukunft?

Illegale Suchtmittel

Alkoholabhängigkeit. Dr. Vanda Simon Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Fachklinik Alpenland Bad Aibling

Alkoholabhängigkeit -

Koordinationsstelle Suchtprävention. Internetsucht

Alles total geheim Kinder aus suchtbelasteten Familien

Kinder aus alkoholbelasteten Familien

Inhalt. Basiswissen. Grundlegende Informationen 11. Alkohol: Zahlen und Fakten 32. Vorwort 9. Was Sie über Alkoholismus wissen sollten 12

Inhalt. Grundlegende Informationen Was Sie über Alkoholismus wissen sollten 12

Definition: Komorbidität psychische Erkrankungen ASUD

Inhaltsverzeichnis. Einleitung I. Kinder aus alkoholbelasteten Familien im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter... 19

Epidemiologische Ergebnisse von MAZ.

Inhaltsverzeichnis. Zusammenfassung... 1

Arzneimittelmissbrauch eine einführende Übersicht

Psychische Belastungen und Arbeitswelt: eine Einführung. Kompetenztandem Vernetzte Versorgung Innovations-Inkubator Lüneburg

Von dysfunktionalen Kompensationen zur Balance zwischen Polaritäten Eine Einführung in das Thema Dr. H. Terdenge, Fachtagung am 22.

Sucht und Persönlichkeitsstörungen

nlichkeits- störungen und Abhängigkeit

Tabellenband: Trends der Prävalenz des Alkoholkonsums, episodischen Rauschtrinkens und alkoholbezogener Störungen nach Geschlecht und Alter

Wenn Alkohol zum Problem wird

Tabellenband: Prävalenz des Alkoholkonsums, episodischen Rauschtrinkens und alkoholbezogener Störungen nach Geschlecht und Alter im Jahr 2012

Wege aus der Abhängigkeit

Prävalenz, Ätiologie und Therapie von Cannabisabhängigkeit

Vorwort (Paulitsch, Karwautz) Geleitwort (Lenz) I Einführung (Paulitsch) Begriffsbestimmung Historische Aspekte...

Patienten-Universität Städtisches Klinikum Braunschweig 12. Juni 2012

Institut für Qualitätsentwicklung. Umgang mit Medien(sucht) - zwischen Ignoranz und Hysterie

Suchtprobleme. stationären Altenpflege

Tabellenband: Trends substanzbezogener Störungen nach Geschlecht und Alter: Prävalenz und Hochrechnung

FOSUMOS Persönlichkeitsstörungen: Ein alternativer Blick. Felix Altorfer 1

Impulsivität und Aggressivität als Phänotyp bei Alkoholabhängigkeit - klinische und genetische Grundlagen

Ambulanter Alkoholentzug

DBT S. Dialektisch Behaviorale Therapie fürr Menschen mit einer Borderline-St. und einer Suchterkrankung. Bohus (w) %

Helpline Glücksspielsucht Spielsucht und komorbide Erkrankungen

Rau/Dehner-Rau Raus aus der Suchtfalle!

Ambulanter Alkoholentzug

Amerikanische Verhältnisse Abhängigkeitsdiagnostik nach DSM 5 bei PatientInnen in der stationären Entwöhnungsbehandlung: Ergebnisse einer Pilotstudie

Neuropsychologie der Alkoholabhängigkeit

Suchtentwicklung. Ablauf

Vernetzung zwischen Substitutions- und infektiologischer Ambulanz an der LMU

Der belastete Patient Aktuelle Daten und Fakten der Psychoonkologie. Susanne Singer

ZUSAMMENARBEIT PSYCHIATRIEPRAXIS UND SUCHTMEDIZIN FORUM FÜR SUCHTFRAGEN, DR. MED. CLAUDINE AESCHBACH, BASEL

Wo findet Sucht in unserer Gesellschaft statt? Ein bisschen auch bei uns oder nur bei den anderen?

S o S Sozialraumorientierte Suchthilfe

Irre verständlich: Umgang mit Klient/innen mit Persönlichkeitsstörungen in der Betreuung

F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen

Fachtagung und 40-jährigen Jubiläum Klinik Eschenburg. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Kriterien der qualifizierten Entgiftung

Was ist Sucht/Abhängigkeit?

Psychische Erkrankungen und Abhängigkeiten. Prim. Dr. Christian Korbel Tagung der HPE Österreich Salzburg, 29. April 2016

S2-Leitlinien für Persönlichkeitsstörungen

Ausprobieren Konsumieren Abhängig werden. Risiken zur Suchtentwicklung im Jugendalter.

FAS immer eine Blickdiagnose?

Vorwort zur sechsten Auflage

Schutz- und Risikofaktoren jugendlicher Suchtentwicklung. Dr. Marianne Klein Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie

Sucht trifft Elternverantwortung Kooperation von Jugendhilfe und Drogenhilfe 8a KJHG

Integrierte Sucht-Psychose Station

Alkohol aus der Sicht des. Psychiaters

Workshop C: psychiatrische und somatische Begleiterkrankungen von Suchtkranken und deren Therapie

Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie

Suchtentwicklung. Ablauf

Heutige Themen. 1. Kurze Vorstellung: - Person - Suchtberatung der Perspektive Thurgau. 2. Sucht im Alter

Sucht ohne Obdach Fachtagung FORENSISCHE PSYCHIATRIE (DGPPN) DEICHHAUSWEG 2, HAMBURG

Genuss, riskanter Konsum oder doch schon Sucht? Förderung genussorientierter Konsummuster

Qualifizierter Entzug in Sachsen-Anhalt Erfassung des Behandlungsangebotes ein UPDATE

Persdnlichkeitsstorungen

Vorlesung: Sucht und Abhängigkeit. Prof. László Tringer

Suchtvorbeugung in der Familie

Den Mythos des Selbstverschuldens entkräften Suchtforschung und Antistigmaarbeit


Inhaltsverzeichnis. 1 Einleitung Das psychiatrische Untersuchungsgespräch... 5

Tabellenband: Prävalenz der Medikamenteneinnahme und medikamentenbezogener Störungen nach Geschlecht und Alter im Jahr 2012

Ansatzpunkt zur Reduktion sexuellen Risikoverhaltens bei HIV-positiven MSM

SUCHT oder. Abhängigkeit. Sucht und. Sind wir nicht alle etwas süchtig?

Seelendürre Depressionen und ihre Auswirkungen. Julius Kurmann Dr. med. Chefarzt Luzerner Psychiatrie MAS Philosophie + Management unilu

Depression und Angst. Komorbidität

Peter Fiedler. Persönlichkeitsstörungen. Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Christoph Mundt. 5., völlig neu bearbeitete Auflage EEUZPVU

Männer in der Sucht (-hilfe) Geschlechtsspezifische Theorie

Ein bisschen Spaß muss sein? - Alkohol im Alter. Sucht im Alter

Sucht im Alter: Epidemiologie, Therapie und Versorgung

Entwicklungspsychopathologie

Schlafstörungen Abhängigkeitsstörungen. DIPS-Seminar HS 2014 Dr. Esther Biedert, Universität Fribourg

ADHS und Persönlichkeitsentwicklung

Psychiatrische Untersuchung

Informationsveranstaltung MPU/Führerscheinentzug

Herzlich Willkommen!

Wer Sorgen hat, hat auch Likör Suchtproblematik bei seelisch und geistig Behinderten Roman Zakhalev, Klinikum Wahrendorff Fachtagung

Systemische Aspekte der Sucht in der Paarbeziehung. Dr. Wibke Voigt Fachklinik Kamillushaus Essen TagesReha Frankfurt,

Anorexia und Bulimia nervosa als Komorbidität bei Substanzabhängigkeit. Heidelberg, 21. Juni 2018 Dr. Monika Vogelgesang.

Alkoholabhängigkeit Merkmale, Entstehung und Behandlung Dr. Sirko Kupper Psychologischer Psychotherapeut Supervisor BDP

Ergebnisse der Ein- und Dreimonats- Katamnese

Transkript:

Abhängigkeit: Krankheit oder Schwäche? Prof. Ion Anghelescu Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

SCHULD vs. KRANKHEIT SUCHT vs. ABHÄNGIGKEIT ABHÄNGIGKEIT vs. MISSBRAUCH PSYCHISCHE vs. PHYSISCHE ABHÄNGIGKEIT

Kriterien des Missbrauchs Kriterien Missbrauch (DSM-IV) Wiederholter, unangepasster Substanzkonsum (12 Monate) und klinisch bedeutsame(s) Leiden/ Beeinträchtigung Versagen bei Rollenaufgaben körperliche Gefährdung Gesetzliche Probleme Fortsetzung des Gebrauchsmusters trotz substanzbezogener sozialer und zwischenmenschlicher Probleme

Kriterien der Abhängigkeit Kriterien Abhängigkeit (DSM-IV) Unangepasster Substanzkonsum und klinisch bedeutsame(s) Leiden/ Beeinträchtigung (1) Toleranzentwicklung (2) Entzugssymptome (3) Kontrollverlust (4) erfolglose Versuche zu verringern (5) Hoher Zeitaufwand (6) Versagen bei Rollenaufgaben (7) Fortgesetzter Gebrauch trotz körperlicher/psychischer Probleme

2 Regeln 1. Für die Diagnose einer Abhängigkeit spielt die absolute Menge des Konsums keine Rolle. 2. Für die Diagnose einer Abhängigkeit spielt die Häufigkeit der Einnahme keine Rolle.

RISIKOFAKTOREN FÜR DIE ENTWICKLUNG EINER (ALKOHOL)ABHÄNGIGKEIT Ethnische Unterschiede (keine einheitlichen Befunde) Kultur (Steuern, Religion) Subkultur / Schichten (US: Armut, Schweden: Überfluß) Familie ( Klima ) Gruppendynamik Persönlichkeit (v.a. antisoziale PS, aber auch alle anderen) Kognition (z.b. Defizite in Aufmerksamkeitstests)

Verstärkereffekte Spannungsabbau Streß-Eindämmung Selbstmedikationshypothese Konsum, um zu behandeln : Angst Depression Dysphorie

Konzeptuelles Rahmenmodell von Risikofaktoren Vulnerabilitäten Risiko +Exposition modifizierende Variablen Konsequenzen Personfaktoren Alter, Geschlecht, Persönlichkeit, Temperament, Gewicht, genetische und biologische Vulnerabilität, Aktivität der HPA-Achse Soziale Faktoren Drogenmilieu, Markt, soziale Schicht, soziales Netzwerk, Einstellungen, Normen, Rituale, Erziehung Substanz- Konsum Dosis, Frequenz Typ der Droge Variabilität Verfügbarkeit, Kontext Stress, Belastungen, Erwartungen, psychische Störungen, Coping, Life Skills Lernprozesse Entwicklung, Dauer des Konsums Erstkonsum --- regelm. Konsum Abhängigkeit Toleranz, Entzug, etc. Akute Konsequenzen Probleme bei der Arbeit, Beziehungen, Familie, Unfälle, Gesundheit, Gewaltbereitschaft Langfristige Konsequenzen somatische, psychische, soziale Einschränkungen Abhängigkeit/ Missbrauch

Zahlen! 5 Mio.---------------gefährdet! 2 Mio.------------------abhängig! 60%------------------------Hausarzt! 10%----------------------------Entgiftung! 5%-----------------------------------Selbsthilfegruppe! 1%----------------------- --------------------stat. LZ-Entwöhnung

Ausmaß des Problems In Deutschland 2005: 4 Mio Deutsche zeigen schädlichen Gebrauch oder Abhängigkeit Eines von vier Kindern unter 18 ist familiären Alkoholproblemen ausgesetzt 20%-40% der stat. Aufnahmen sind alkoholassoziiert

Kumulative Verteilung des Alkoholkonsums Percent of Consumption 100 80 60 40 20 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Percentile Group Source: Greenfield and Rogers; J. Stud. Alcohol 60:; 79-89, 1999

Pharmakodynamische Effekte auf das ZNS

Komorbidität einer aktuellen (12 Monate) Alkoholabhängigkeit mit anderen Abhängigkeiten Erkrankung Alkoholabhängigkeit Nikotinabhängigkeit 6.4 x Andere Abhängigkeitserkrankungen 36.9 x

Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen Disorder Antisozial Vermeidend Dependent Histrionisch Anankastisch Paranoid Schizoid Alcohol Dependence 7.1 x 3.8 x 6.1 x 7.5 x 2.2 x 4.6 x 2.9 x NIAAA National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions, 2003.

Ersterkrankungsalter Percentage in each age group who begin using alcohol 35.0% 30.0% 25.0% 20.0% 15.0% 10.0% 5.0% 0.0% 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Age Source: NIAAA National Epidemiologic Survey on Alcohol and Related Conditions, 2003

Lebenszeitprävalenz in Abh. des ersten Konsums und einer positiven Familienanamnese 60 % Prevalence 50 40 30 20 10 FHP Total FHN 0 13 14 15 16 17 18 19 20 21 Age at First Alcohol Use Grant and Dawson. J Subst Abuse. 1998;10(2):163-73.

WICHTIGE FRAGEN AN PATIENTEN Wann haben Sie zuletzt Alkohol getrunken? Wieviel haben Sie in der letzten Woche getrunken? Erzählen Sie bitte von Ihrer ersten Erfahrung mit Alkohol? Erzählen Sie bitte von Ihrer letzten Erfahrung mit Alkohol? Warum trinken Sie Alkohol?

NICHT VERGESSEN Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit, wie z.b. arterielle Hypertonie und Abstinenz ist auch kein 6er im Lotto