Fakultät 5 Human- und Gesellschaftswissenschaften STUDIENGANG PSYCHOLOGIE WS 2003. Referat zum Thema: Qualitative Inhaltsanalyse



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Transkript:

Fakultät 5 Human- und Gesellschaftswissenschaften STUDIENGANG PSYCHOLOGIE WS 2003 Referat zum Thema: Qualitative Inhaltsanalyse Dozentin Seminar Vorgelegt von Dipl.-Psych. Carmen Müller Methoden der Emotionspsychologie Amel Hamzic Deichstraße 6 49632 Essen Fon: 0175-9655407 Amel.Hamzic@gmx.de 5. Fachsemester 1

Gliederung des Referates: Seite 1. Einleitung- kurzer geschichtlicher Abriss 3 2. Was ist Inhaltsanalyse? 3 6 Spezifika 3. Unterscheidungsmerkmale qualitativer & quantitativer Analyse 4 4. Was sind die Aufgaben von qualitativer Analyse? 5 5. Materialien zu einer qualitativen Inhaltsanalyse 6 6. Grundkonzepte der Inhaltsanalyse 7 7. Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell 8 8. Drei Grundformen der Inhaltsanalyse: Zusammenfassung/ Explikation/ Strukturierung 10 9. Eine qualitative Technik: Die Zusammenfassung Ablaufmodell / Interpretationsregeln 11 10. Computerprogramme zur Unterstützung qualitativer Inhaltsanalyse 14 2

1. Einleitung- kurzer geschichtlicher Abriss der qualitativen Inhaltsanalyse Ab den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts arbeitete die Psychologie fast ausschließlich mit Experimenten, Tests, Fragebögen und systematischer Verhaltensbeobachtung. Man bevorzugte also ein standardisiertes Vorgehen, das möglichst schnell und unvermittelt quantitative Aussagen ermöglichen sollte. Als Orientierung diente dazu eine Wissenschaftstheorie, die aus den Naturwissenschaften kam, dem Kritischen Rationalismus (Popper 1984). In der Sozialpsychologie kam immer mehr Kritik hinsichtlich der Methoden wie Test und Experiment auf und man warf vor allem dem Laborexperiment vor unnatürliche, wirklichkeitsfremde Situationen zu erzeugen. Die Situationen und die Versuchspersonen seien auf diese Weise manipuliert und somit könne man nicht die Ergebnisse, die man aus den Versuchen gewinnt, verallgemeinern. Die klassischen Methoden seien auf diese Weise nicht besonders geeignet, um psychologisch zu forschen. In den 60er Jahren erlebte die Psychologie, die vorher lange von verhaltenstheoretischen Ansätzen (Behaviorismus) geprägt war, eine kognitive Wende. Nicht mehr nur das beobachtbare und messbare Verhalten des Menschen steht im Mittelpunkt der Untersuchungen, sondern auch Gedächtnis, Denken, Beurteilen von Situationen (Attribution), subjektive Einschätzung der Veränderbarkeit von Situationen (kognitive Kontrolle), kognitive Faktoren bei Motivation und Emotion. Zur Erhebung solcher kognitiver Faktoren eignen sich offene Befragungstechniken besonders gut, wobei der Inhaltsanalyse zur Auswertung eine entscheidende Bedeutung zukommt. Wir stellen also eine qualitative Wende fest, wo immer häufiger sogenannte weiche, nicht-standardisierte, offene Erhebungsmethoden verwendet werden. 2. Was ist Inhaltsanalyse? Ziel der Inhaltsanalyse ist die Analyse von Material, das aus irgendeiner Art von Kommunikation stammt. Zur Definition der Inhaltsanalyse läßt sich sagen, dass die Definition gar nicht so einfach ist. Dies wird durch die Vielzahl der verschiedenen unternommenen Ansätze die Inhaltsanalyse zu definieren deutlich, da sich die Inhaltsanalyse sich längst nicht mehr ausschließlich mit der Analyse des Inhalts von Kommunikation beschäftigt. Eine etwas verallgemeinernde Definition von Inhaltsanalyse geben Mollenhauer/ Rittenmeyer (1977), indem sie sagten, Inhaltsanalyse sei die Analyse von Kommunikations-Inhalten. Diese Definition ist aber unpräzise, da auch formale Aspekte der Kommunikation zu ihrem Gegenstand gemacht werden. Eine zweite Schwierigkeit der Definition der Inhaltsanalyse besteht darin, dass sehr viele Autoren in ihren Definitionen die Interessen oder das jeweilige Arbeitsgebiet widerspiegeln und dadurch zu speziell sind. Philipp Mayring nennt in seinem Buch Qualitative Inhaltsanalyse (5.Auflage, 1988 Deutscher Studien Verlag, Weinheim) sieben verschiedene Definitionen zur Inhaltsanalyse. Aus diesem Grund soll hier kein weiterer Versuch die Inhaltsanalyse zu definieren erfolgen. Vielmehr soll im folgenden in sechs Punkten auf die Spezifika der Inhaltsanalyse eingegangen werden. 3

6 Spezifika der Inhaltsanalyse: - Die Inhaltsanalyse hat Kommunikation zum Gegenstand, also es geht um die Übertragung von Symbolen (Sprache, Musik, Bilder, etc). - Die Inhaltsanalyse arbeitet mit Texten, Bildern, Noten- also mit symbolischem Material. Das heißt, dass die Kommunikation in irgendeiner Art protokolliert vorliegt. Gegenstand der Analyse ist somit eine fixierte Kommunikation. - Das systematische Vorgehen ist von wesentlicher Bedeutung. Die Verfechter der Inhaltsanalyse wenden sich gegen freie Interpretation, gegen impressionistische Ausdeutung des Materials. Die Inhaltsanalyse grenzt sich zu hermeneutischen Verfahren ab. - Die Systematik zeigt sich in der Regelgeleitetheit. Die Analyse läuft nach expleziten Regeln ab. - Eine gute Inhaltsanalyse geht theoriegeleitet vor. Sowohl die Ergebnisse, die vom jeweiligen Theorienhintergrund interpretiert werden, als auch die einzelnen Analyseschritte sind von theoretischen Überlegungen geleitet. - Inhaltsanalyse will durch Aussagen über das zu analysierende Material Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation ziehen (zum Beispiel Aussagen über Sender oder Wirkungen beim Empfänger). Zusammenfassend will Inhaltsanalyse: - Kommunikation anlysieren; - fixierte Kommunikation analysieren; - dabei systematisch vorgehen; - das heißt also regelgeleitet vorgehen; - das heißt also auch theoriegeleitet vorgehen; - mit dem Ziel, Rückschlüsse auf bestimmte Aspekte der Kommunikation zu ziehen; 3. Unterscheidungsmerkmale qualitativer und quantitativer Analyse: Sobald Zahlbegriffe und deren In Beziehung - Setzen durch mathematische Operationen bei der Erhebung oder Auswertung verwendet werden, sei von quantitativer Analyse zu sprechen, in allen anderen Fällen von qualitativer Analyse. Alle Analysen, die auf nominalskalierten Messungen basieren, gelten als qualitative. Kriterien für die Nominalskala sind Verschiedenheit/ Gleichheit (Beispiel: nein - ja, männlichweiblich). Analysen, die auf ordinal- oder intervallskalierten Messungen basieren, gelten als quantitative Analysen. Kriterium für die Ordinalskala ist größer/ kleiner (Beispiel: häufig, selten, nie). Kriterium für die Intervallskala ist die Gleichheit der Intervalle (Beispiel: Intelligenzquotient). Quantitative Wissenschaft will als erklärende Wissenschaft an allgemeinen Prinzipien ansetzen. Der qualitativ-verstehende Ansatz versteht sich dabei immer dahingehend, Gegenstände, Zusammenhänge und Prozesse nicht nur analysieren zu können, sondern sich in sie hineinzuversetzen, sie nachzuerleben oder sie 4

zumindest nacherlebend sich vorzustellen. (S.17, Qualitative Inhaltsanalyse, 5. Auflage, Philipp Mayring). Qualitative Wissenschaft setzt am Einmaligen oder Individuellen an, versteht sich eher induktiv und will die Komplexität der zu untersuchenden Gegenstände erfassen. Hierzu werden auch Ergebnisse aus Einzelfallanalysen herangezogen. Dagegen versteht sich die quantitative Wissenschaft eher als deduktiv, zerstückele und atomisiere den zu untersuchenden Gegenstand ( Denken in Variablen ) und wendet sich mit dem Vorwurf mangelnder Verallgemeinerbarkeit scharf gegen Einzelfallanalysen. Quantitative und qualitative Inhaltsanalyse im direkten Vergleich: Qualitative Inhaltsanalyse Nominalskala Verstehend - Hineinversetzen, nacherleben von Gegenständen, Zusammenhängen und Prozessen Orientierung am Besonderen, am Individuellen Erfassung der vollen Komplexität der Untersuchungsgegenstände Eher induktiv Einzelfallorientiert Kritik/ Vorwurf: mangelnde Verallgemeinerbarkeit- Einzelfälle liefern nur zufälliges Material Quantitative Inhaltsanalyse Ordinal-, Intervallskala Erklärend - Erklärung von Inhalten Orientierung am Allgemeinen, an allgemeinen Prinzipien Zerstückelung, Atomisierung, Zerteilung ( Denken in Variablen ) Eher deduktiv Kontrollierte Stichprobenziehung Kritik/ Vorwurf: Denken in Variablen - eigentliche Bedeutung wird genommen 4. Was sind die Aufgaben von qualitativer Analyse? - Hypothesenfindung und Theorienbildung - Pilotstudien - Vertiefungen - Einzelfallstudien - Prozessanalysen - Klassifizierungen - Theorie- und Hypothesenprüfung Hypothesenfindung und Theorienbildung: Qualitative Forschung dient zur Aufdeckung der für den jeweiligen Gegenstand relevanten Einzelfaktoren, zur Konstruktion von möglichen Zusammenhängen dieser Faktoren. 5

Pilotstudien: Hier geht es darum den Gegenstandsbereich zu Erkunden ganz offen zu erkunden, Kategorien und Instrumente für Erhebung und Auswertung zu konstruieren und zu überarbeiten. Vertiefungen: Bereits abgeschlossene Studien können entscheidend weitergeführt und vertieft werden (zum Beispiel: Überprüfung der Plausibilität interpretierter (statistisch gesicherter) Zusammenhänge oder zum Beispiel: Auswahl von Variablen für die Erstellung von Typologien). Einzelfallstudien: Qualitative Analyse orientiert sich eher an Einzelfällen, kleinen Stichproben ( klein- N- Studien ). Prozessanalysen: Beispiel: Studie zur Lehrerarbeitslosigkeit (1985); Zeitraum ca. 1 Jahr; 100 Lehrer. Fragestellungen: Welchen Belastungen sind die arbeitslosen Lehrer ausgesetzt? Wie verarbeiten sie ihre Situation kognitiv? Wie bewältigen Sie ihre Situation? Wo lassen sich Veränderungen in diesen Prozessen festmachen? Wann finden die Veränderungen statt? In dieser Studie sammelte man Informationen zur Prozesskonstruktion. Erst auf dieser Basis konnte man die einzelnen Veränderungsprozesse erklären. Klassifizierungen: Mit Klassifizierung ist die Ordnung eines Datenmaterials nach bestimmten, empirisch und theoretisch sinnvoll erscheinenden Ordnungsgesichtspunkten, um so eine strukturierte Beschreibung des erhobenen Materials zu ermöglichen. Theorie- und Hypothesenprüfung: Die qualitative Inhaltsanalyse offenbart die Möglichkeit der Überprüfung von Theorien und Hypothesen. Bereits fertige Theorien oder Kausalitätsannahmen sind kritisierbar und überprüfbar. 5. Materialien zu einer qualitativen Inhaltsanalyse Philipp Mayring nennt fünf verschiedene Bereiche: Kommunikationswissenschaften (Content Analysis), Hermeneutik (Kunstlehre der Interpretation, Qualitative Sozialforschung (interpretatives Paradigma), Literaturwissenschaften und die Psychologie der Textverarbeitung. Diese Bereiche bieten Ansätze zum Verstehen sprachlichen Materials, in denen sich Quellen zur Konstruktion einer qualitativen Inhaltsanalyse finden lassen. Diese fünf Gebiete, die Materialien zur Entwicklung einer qualitativen Inhaltsanalyse liefern, geben uns zusammenfassend folgende Grundsätze vor: - Notwendigkeit systematischen Vorgehens - Notwendigkeit eines Kommuniaktionsmodells 6

- Kategorien im Zentrum der Analyse - Überprüfung anhand von Gütekriterien - Entstehungsbedingungen des Materials - Explikation des Vorverständnisses - Beachtung latenter Sinngehalte - Orientierung an alltäglichen Prozessen des Verstehens und Interpretierens - Übernahme der Perspektive des anderen - Möglichkeit der Re- Interpretation - Semiotische Grundbegriffe - Pragmatische Bedeutungstheorie - Interpretationsregeln der strukturalen Textanalyse - Psychologie der Textverarbeitung - Makrooperatoren für Zusammenfassungen 6. Grundkonzepte der Inhaltsanalyse Die folgenden Grundgedanken inhaltsanalytischer Vorgehensweise erscheinen uns zentral auch für die Entwicklung einer qualitativen Inhaltsanalyse: Einordnung in ein Kommunikationsmodell: Hier soll festgelegt werden, was das Ziel der Analyse ist, Variablen des Textproduzenten (dessen Erfahrungen, Einstellungen, Gefühle), der Entstehungssituation des Materials, des soziokulturellen Hintergrunds, der Wirkung des Textes. Regelgeleitetheit: Das Material wird, einem inhaltsanalytischen Ablaufmodell folgend, in Analyseeinheiten zerlegt und schrittweise bearbeitet. Kategorien im Zentrum: Die Analyseaspekte werden in Kategorien gefasst, die genau begründet werden und im Laufe der Auswertung überarbeitet werden (Rückkopplungsschleife). Gütekriterien: Das Verfahren will prinzipiell nachvollziehbar sein, seine Ergebnisse im Sinne eines Triangulationsansatzes mit anderen Studien vergleichbar machen und auch Reliabilitätsprüfungen einbauen. Zur Bestimmung der Interkoderreliabilität werden allerdings nur ins Projekt eingearbeitete Kodierer eingesetzt, auch argumentative Elemente eingebaut (Kann ich den Erstkodierer von der Angemessenheit meines abweichenden Auswertungsurteils überzeugen?) und die Ansprüche an Übereinstimmung heruntergeschraubt (COHENS Kappa über 0.7 als ausreichend). Die Analyse wird also von mehreren Personen ausgeführt, deren Ergebnisse verglichen werden. 7

7. Allgemeines inhaltsanalytisches Ablaufmodell Festlegung des Materials Analyse der Entstehungssituation Formale Charakteristika des Materials Richtung der Analyse Theoretische Differenzierung der Fragestellung Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten Ablaufmodells Definition der Analyseeinheiten Analyseschritte mittels des Kategoriensystems Zusammenfassung Explikation Strukturierung Rücküberprüfung des Kategoriensystems an Theorie und Material Interpretation der Ergebnisse in Richtung der Hauptfragestellung Anwendung der inhaltsanalytischen Gütekriterien Nach diesem allgemeinen Ablaufmodell geht man also bei Inhaltsanalyse vor: Festlegung des Materials: - Welches Material soll der Analyse zugrunde liegen? Es muß also eine Auswahl getroffen werden nach Repräsentativitätsüberlegungen und ökonomischen Erwägungen. Die Grundgesamtheit definiert werden und die Stichprobenziehung muß nach einem bestimmten Modell gezogen werden ( reine Zufallsauswahl; Auswahl nach vorher festgelegten Quoten; geschichtete oder gestufte Auswahl). 8

Analyse der Entstehungssituation: - Von wem und unter welchen Bedingungen wurde das Material produziert? Bei der Beschreibung ist vor allem interessant, wer der Verfasser bzw. die an der Entstehung des Materials beteiligten Interagenten ist; der Handlungshintergrund des/ der Verfasser; die Zielgruppe, in deren Richtung das Material verfasst wurde; die konkrete Entstehungssituation und sozio - kulturelle Hintergrund. Formale Charakteristika des Materials: - In welcher Form liegt das Material vor? Als Grundlage benötigt die Inhaltsanalyse in aller Regel einen niedergeschriebenen Text (Gespräch wird auf Tonband aufgenommen, transkribiert und protokolliert. Richtung der Analyse: - Was möchte man eigentlich herausinterpretieren? Die Fragestellung gibt die Bestimmung der Richtung der Analyse an, ohne der keine Inhaltsanalyse denkbar wäre. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung: Die Analyse folgt einer präzisen theoretisch begründeten inhaltlichen Fragestellung. Es wird an bestimmte Erfahrungen angeknüpft, um einen Erkenntnisfortschritt zu erreichen. Die Fragestellung muß vorab der Analyse geklärt sein, theoretisch an die bisherige Forschung über den Gegenstand angebunden und in aller Regel in Unterfragestellungen differenziert werden. Bestimmung der Analysetechnik(en) und Festlegung des konkreten Ablaufmodells: Die Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse gegenüber anderen Interpretationsverfahren, besteht darin, dass die Analyse in einzelne Interpretationsschritte zerlegt wird, die vorher festgelegt werden, wodurch sie für andere nachvollziehbar und intersubjektiv überprüfbar wird, und dadurch auf andere Gegenstände übertragbar wird (wissenschaftliche Methode). Definition der Analyseeinheiten: Um das Ablaufmodell und die konkreten Analysetschniken festzulegen werden zunächst Analyseeinheiten definiert, die die Präzision der Inhaltsanalyse erhöhen. Bei der Festlegung der Kodiereinheit sollte man sich folgende Fragen stellen: - Welches ist der kleinste Materialbestandteil, der ausgewertet werden darf? - Was ist der minimale Textteil, der unter eine Kategorie fallen kann? Bei der Festlegung der Kontexteinheit sollte man auf diese Frage eingehen: - Was ist der größte Textbestandteil, der unter eine Kategorie fallen kann? 9

Bei der Definition der Auswertungseinheit legt man fest: - Welche Textteile werden jeweils nacheinander ausgewertet? Wichtig ist die Entwicklung eines Kategoriensystems. Die Kategorien werden in einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt. Die Ergebnisse werden dann in Richtung der Hauptragestellung interpretiert und die Aussagekraft der Analyse anhand der inhaltsanalytischen Gütekriterien eingeschätzt. 8. Drei Grundformen der Inhaltsanalyse: Zusammenfassung: Ziel: Durch die Analyse wird das Material so reduziert, dass die wesentlichen Inhalte erhalten werde, durch Abstraktion ein wird ein überschaubares Korpus geschaffen, welches immer noch Abbild des Grundmaterials ist. Explikation: Ziel: Durch die Analyse wird zu fraglichen Textteilen (Begriffen, Sätzen...) zusätzliches Material herangetragen, welches das Verständnis erweitert, welches die Textstelle erläutert, ausdeutet. Strukturierung: Ziel: Durch die Analyse werden bestimmte Aspekte aus dem Material herausgefiltert, es wird unter vorher festgelegten Ordnungskriterien ein Querschnitt durch das Material gelegt oder das Material wird auf Grund bestimmter Kriterien eingeschätzt. Diese drei Grundformen lassen sich ausdifferenzieren und bilden somit die 7 qualitativen Techniken: Zusammenfassung: (1) Zusammenfassung Explikation Strukturierung (2) Enge Kontextanalyse (3) Weite Kontextanalyse (4) Formale Strukturierung (5) Inhaltliche Strukturierung (6) Typisierende Strukturierung (7) Skalierende Strukturierung 10

Auf die erste qualitative Technik (Zusammenfassung) werde ich später näher eingehen. Im folgenden werde ich die auf die Explikation und die Strukturierung kurz erläutern: Explikation: Hier geht es darum, dass zusätzliches Material herangetragen wird, um die definierte Textstelle zu erklären, verständlich zu machen. Man geht also auf bestimmte Textstellen ein und untersucht bestimmte Aussagen, indem man nachschlägt, was zum Beispiel bestimmte Begriffe bedeuten, wie diese Begriffe im Kontext gemeint sind (Sind sie eventuell ironisch gemeint?) und erklärt, expliziert die Aussagen. Strukturierung: Bei der strukturierenden Analyse wird ein Kategoriensystem auf das Material angewendet. Dies sind die Kernstücke jeder strukturierenden Inhaltsanalyse: 1. Definition der Kategorien: Welche Textbestandteile fallen unter eine Kategorie? 2. Ankerbeispiele: Anführen von konkreten Textstellen, die unter eine Kategorie fallen und als Beispiele für diese Kategorie gelten sollen. 3. Kodierregeln Es werden dort, wo Abgrenzungsprobleme zwischen Kategorien bestehen, Regeln formuliert, um eindeutige Zuordnungen zu ermöglichen. Strukturierende Inhaltsanalysen können ganz verschiedene Ziele haben. Vier Formen: Formale Strukturierung: Ziel: Will die innere Struktur des Materials nach bestimmten formalen Strukturierungsgesichtspunkten herausfiltern Inhaltliche Strukturierung: Ziel: Will Material zu bestimmten Themen, zu bestimmten Inhaltsbereichen extrahieren und zusammenfassen Typisierende Strukturierung: Ziel: Will auf einer Typisierungsdimension einzelne markante Ausprägungen im Material finden und diese genauer beschreiben Skalierende Strukturierung: Ziel: Will zu einzelnen Dimensionen Ausprägungen in Form von Skalenpunkten definieren und das Material daraufhin einschätzen 9. Eine qualitative Technik: Die Zusammenfassung Zentral ist dabei die Differenzierung einer aufsteigenden (textgeleiteten) und einer absteigenden (schemageleiteten) Verarbeitung sowie das Formulieren von Makrooperatoren der Reduktion ( Auslassen, Generalisation, Konstruktion, Integration, Selektion, Bündelung). Die jeweilige Abstraktionsebene der Zusammenfassung wird genau festgelegt, auf die das Material durch Einsatz der Makrooperatoren transformiert 11

wird. Die Zusammenfassung wird immer abstrakter, indem die Abstraktionsebene schrittweise verallgemeinert wird. 1.Zuerst wird das Material durch die Fragestellung festgelegt und beschrieben. Das was zusammengefasst werden soll (die Analyseeinheiten ) werden genau bestimmt. 2. Die Kodiereinheiten werden auf knappe, nur auf den Inhalt beschränkte, beschreibende Form umgeschrieben (Paraphrasierung). Ausschmückende, also nichtinhaltstragende Textbestandteile werden fallengelassen. (Beispiel: Ja wissen Sie, ich hab` da eigentlich keine Belastung im großen und ganzen damals gespürt. Wird zu: keine Belastung gespürt ) (siehe Z1-Regeln). 3. Bestimmung des angestrebten Abstraktionsniveaus: Alle Paraphrasen, die unter dem Niveau liegen, müssen verallgemeinert werden. (siehe Z2-Regeln) 4. Reduktion durch Reduktion, Streichen bedeutungsgleicher Paraphrasen (Z3- Regeln) 5. Reduktion durch Bündelung, Konstruktion, Integration von Paraphrasen auf dem angestrebten Abstraktionsniveau (Z4-Regeln) 6. Zusammenstellung der neuen Aussagen als Kategoriensystem 7. Rücküberprüfung des zusammenfassenden Kategoriensystems am Ausgangsmaterial Repräsentieren die als Kategoriensystem zusammengestellten neuen Aussagen noch das Ausgangsmaterial? Alle ursprünglichen Paraphrasen des ersten Materialdurchganges müssen im Kategoriensystem aufgehen. Eventuell, wenn man gründlich sein will, nimmt man eine Rücküberprüfung der Zusammenfassung am Ausgangsmaterial selbst noch mal vor. 12

Ablaufmodell zusammenfassender Inhaltsanalyse: 1.Schritt Bestimmung der Analyseeinheiten 2.Schritt Paraphrasierung der inhaltstragenden Textstellen (Z1- Regeln) 3.Schritt Bestimmung des angestrebten Abstraktionsniveaus Generalisierung der Paraphrasen unter diesem Abstraktionsniveau (Z2-Regeln) 4.Schritt 1.Reduktion durch Reduktion, Streichen bedeutungsgleicher Paraphrasen (Z3- Regeln) 5.Schritt 2.Reduktion durch Bündelung, Konstruktion, Integration von Paraphrasen auf dem angestrebten Abstraktionsniveau (Z4-Regeln) 6.Schritt Zusammenstellung der neuen Aussagen als Kategoriensystem 7.Schritt Rücküberprüfung des zusammenfassenden Kategoriensystems am Ausgangsmaterial 13

Es lassen sich Interpretationsregeln der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse aufstellen: Z1: Paraphrasierung - Alle nichtinhaltstragenden Textbestandteile (Auschmückungen, Wiederholungen) werden fallengelassen - Inhaltstragende Textstellen werden auf einheitliche Sprachebene übersetzt - Transformation auf eine grammatikalische Kurzform Z2: Generalisierung auf das Abstraktionsniveau - Die Gegenstände der Paraphrasen werden auf die definierte Abstraktionsebene generalisiert, so dass die alten Gegenstände in den neu formulierten impliziert sind. - Die Paraphrasen, die über dem Abstraktionsniveau liegen, werden belassen. Z3: Erste Reduktion - Bedeutungsgleiche Paraphrasen innerhalb der Auswertungseinheiten werden gestrichen - Paraphrasen, die auf dem neuen Abstraktionsniveau nicht als wesentlich inhaltstragend erachtet werden, werden gestrichen. Z4: Zweite Reduktion - Paraphrasen mit gleichen (ähnlichem) Gegenstand und ähnlicher Aussage werden zu einer Paraphrase (Bündelung). - Paraphrasen mit mehreren Aussagen werden zu einem Gegenstand zusammengefasst (Konstruktion/ Integration). 10. Computerprogramme zur Unterstützung qualitativer Inhaltsanalyse Gerade in den letzten Jahren sind auch im Rahmen qualitativer Forschung Computerprogramme entwickelt worden, die die qualitative Arbeit mit Texten unterstützen (nicht ersetzen!) können. Der Computer übernimmt dabei eine dreifache Rolle: Er ist Assistent, indem er die im Ablaufmodell festgelegten Analyseschritte (Text durcharbeiten, unterstreichen, Randnotizen, Kategoriendefinition, Auswertungsregeln und Kommentare festhalten usw.) am Bildschirm ermöglicht und unterstützt und darüber hinaus Hilfsfunktionen anbietet (z.b. Suchen, Springen im Text, Zusammenstellen von Textstellen). Er ist Dokumentationszentrum, indem er alle Analyseschritte festhält und damit nachvollziehbar macht, auch Vergleiche verschiedener Auswerter ermöglicht (z.b. Zurückverfolgen von Ursachen für Nicht-Reliabilitäten). Er stellt Links zur quantitativen Auswertung zur Verfügung (oft bereits im Programm installiert). So können beispielsweise Kategorienhäufigkeiten analysiert werden, ohne fehleranfällige Übertragung der Daten von Hand in ein Auswertungsprogramm. Für die Arbeit mit Verfahrensweisen der Qualitativen Inhaltsanalyse haben sich dabei zwei PC-Programme besonders bewährt, die auch als Demo-Versionen im Internet zur Verfügung stehen, ATLAS/ti (http://www.atlasti.de) und winmax (http://www.winmax.de). 14

Literatur: Mayring, Philipp (1994). Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken- 5.Auflage.- Weinheim: Deutscher Studien Verlag http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/2-00/2-00mayring-d.pdf 15