Routinedaten und Qualitätssicherung Birgit Janssen Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Heinrich-Heine-Universität Rheinische Kliniken Düsseldorf Berlin, 17.06.08
Was sind Routinedaten? Was ist Qualität? Routinedaten und Qualität - passt das zusammen?
Was sind Routinedaten? -Administrative Daten zur Abrechnung ( 301) -Behandlungsdokumentation ( Kurve ) -Meldepflichtige Daten (Infektionen, BQS-Daten, Psych-KG)
Beispiel für Routinedaten (Abrechnungsdaten)
Beispiel für Routinedaten (Eckdaten psychiatrischer Kliniken) Rheinische Klinik Anz. Betten* Anz. Aufnahmen (1. Hlbj. 2004) davon weibl. (%) ØAlter Bedburg-Hau 222 1.385 38 46 Bonn 521 3.131 45 46 Düren 402 2.667 39 44 Düsseldorf 1 410 2.398 45 47 Essen 2 153 990 47 44 Langenfeld 424 2.745 36 44 Köln 409 2.429 42 47 M gladbach 130 900 44 47 Viersen 214 1.452 42 46 * Nur Erwachsenen- Psychiatrie, vollstationär 1,2 Zugleich Universitätsklinik
600 500 400 300 200 100 0 Beispiel für Routinedaten (Klinikspezifische Schwerpunktsetzungen) Bettenkapazitäten in ausgewählten Fachabteilungen Sucht Geronto-Psych. Allg. Psych. Anzahl Betten Bedburg-Hau Bonn Düren Düsseldorf Essen Köln Langenfeld Mönchengladbach Viersen
Beispiel für Routinedaten (Kennzahlen) Teilstationäre Fallzahlentwicklung/Anteil stationseingebetteter Fälle/Entwicklungsindex 800 600 400 200 0 2003 2004 2005 2006 2007 140 120 100 80 60 40 20 0 Entwicklungsindex in % teilstationäre Fallzahl 559 554,5 644 666 670,5 davon in vollstat. Behandlungseinheiten 163 150 150 135 156 Entwicklungsindex 100 99 115 119 120 Fallzahl
Vorteil von Routinedaten - Verfügbarkeit, Vollständigkeit - Vergleichbarkeit - Kostengünstige Generierung
Was sind Routinedaten? Was ist Qualität? Routinedaten und Qualität - passt das zusammen?
Was ist Qualität? Quality is the degree of adherence to a standard Fifer 1980
Qualität in der Versorgung? Das Ausmaß, mit dem die erbrachten Leistungen in Übereinstimmung mit vorgegebenen Kriterien für gute Qualität sind... Donabedian A, 1966... bei einem Minimum an unnötigen Ausgaben Williamson J, 1978 Der Zuwachs an Gesundheit und Zufriedenheit einer Bevölkerung durch die medizinischen Leistungen bei gegebenen Technologien, Ressourcen und Ausgangssituationen der Patienten Palmer RH 1991
Ziele und Maßnahmen der Qualitätssteuerung Schlecht Optimal Maximal Erreicht Erreichbar Nicht erreicht Nicht erreichbar Qualitätsmonitoring Qualitätsmanagement Qualitätssicherung Qualitätsverbesserung Ressourcenreallokation oder medizinische Forschung Selbmann (1994)
Mindestanforderungen an Qualitätsindikatoren Relevanz für Morbidität, Mortalität und Kosten Reliabilität & Validität der Messung Hohe Veränderungssensitivität Definierter Referenzbereich (Standards, interne/externe Vergleiche) Praktikabler Aufwand bei der Datenerhebung Ausreichende Risikoadjustierung gewährleistet Individuelle Modifikation der gewählten Indikatoren möglich Richter D (2004)
Was sind Routinedaten? Was ist Qualität? Routinedaten und Qualität - passt das zusammen?
Nutzung von Routinedaten - zur Problemerkennung (intern) Wiederaufnahmeraten schizophren Erkrankter Zeitraum 1998-2000 % Bis zu 1 Woche 2-4 Wochen 2-6 Monate 7-12 Monate Mehr als 12 Monate Gesamt 3 10 39 24 25 100 52 %
Nutzung von Qualitätsdaten zur Problemlösung? Medikation von Non-Respondern als Indikator Behandlungsqualität Befund: Modifikation der Medikations-Strategie im Verlauf Klinik 6: Psychiatrische Medikation bei Non-Respondern (n=9) (Patienten, bei denen die Verbesserung der Gesamt-PANSS zwischen Aufnahme und 4. Woche < 0 P. war) 90% 80% 70% 60% Prozent 50% 40% 30% 20% 10% 0% Aufnahme Woche 1 Woche 2 Woche 3 Woche 4 Typika (hoch- u. mittelpotente NL) Atypika Benzodiazepine Niederpotente Neuroleptika
Nutzung von Routinedaten - zum Ergebnisvergleich (extern) Durchschnitlliche Verweildauer als Outcome-Indikator Befund: Im Vergleich zweithöchste durchschnittliche VD 40 35 30 Median 25 20 15 10 5 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Kliniken
Nutzung von Qualitätsdaten zur Problemlösung? Medikation nach Aufnahme als Indikator Behandlungsqualität Befund: Vergleichsweise geringer Anteil an Atypika-Gabe 90% 80% 70% 60% Prozent 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Kliniken Typika (mittel- u. hochpotente Neuroleptika) Atypika Benzodiazepine niederpotente Neuroleptika
Nutzung von Routinedaten - zum Ergebnisvergleich (extern) Verweildauer alkoholabhängiger Patienten zur Entgiftung Klinik 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Σ (n) (38) (112) (23) (84) (116) (64) (102) (114) (39) 692 Verweildauer:* Minimum 1 2 3 2 2 1 2 1 1 1 Median 7 6 9 7 7 9,5 8 12 9 8 Mittelwert 10 9 13,2 7,6 9,8 11,6 9,1 14,7 11,1 10,5 Standardabweichun g 19,6 8,6 9,8 4 7,4 8,8 4,9 14,5 7,1 9,9 Maximum 127 47 40 35 50 47 22 105 34 127
Nutzung von Qualitätsdaten zur Problemlösung? Beispiel Klinik 6 - Alkoholabhängigkeit I Komorbidität bei Aufnahme als Schweregrad-Indikator Befund: - Insgesamt überdurchschnittliche Komorbidität - Auffallend hoher Anteil an psychiatrischer Komorbidität 9 3 18 3 Kliniken 8 7 6 5 4 0 6 13 13 10 3 33 16 23 47 15 23 33 14 16 Psychiatrische Komorbidität in Klinik 6 (Beispiele): F 10.x F 60.x F 43.x 3 2 0 17 22 6 33 21 F 32.x F 61.x F 50.x 1 5 21 16 0 20 40 60 80 100 Prozent psychiatrisch und somatisch nur psychiatrisch nur somatisch p < 0,001 *** p < 0,001 *** p < 0,001 ***
Nutzung von Qualitätsdaten zur Problemlösung? Beispiel Klinik 6 - Alkoholabhängigkeit II Medikation nach Aufnahme als Indikator Prozessqualität Befund: - Auffallend hoher Anteil Clomethiazol + Carbamazepin - Niedriger Anteil sonstiger psychiatrischer Medikation (bei hoher psychiatrischer Komorbidität) Psychiatrische Medikation nach Aufnahme Kliniken 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Prozent nur Clomethiazol nur Carbamazepin/Oxcarbazepin nur Benzodiazepin Clomethiazol + Carbamazepin Carbamazepin + Benzodiazepin Sonstige
Nutzung von Routinedaten - zum Ergebnisvergleich (extern) Benchmarking und leitliniengestützte Qualitätssicherung in der Nervenarztpraxis Ergebnisse - Psychiatrieeinweisungen (in %, Gesamtverlauf) 16% 14% 12% 10% 8% 6% 10,6% 11,7% 14,0% 4% 3,5% 2% 0% EG 1 (n=142) EG 2 (n=141) KG 1 (n=103) KG 2 (n=136) EG 1: Dokumentation mit Decision-Support-Modul, zusätzliches Benchmarking EG 2: Paper-pencil-Dokumentation, zusätzlich Qualitätszirkelarbeit KG 1: Dokumentation mit DS-Modul ohne Leitlinienunterstützung KG 2: Paper-pencil-Dokumentation (Verumgruppe)
Nutzung von Qualitätsdaten zur Problemlösung? Bsp.: Benchmarking und leitliniengestützte Qualitätssicherung in der Nervenarztpraxis Ergebnisse - PANSS positiv (Quartal I - IV) 15 14 13 12 11 10 EG 1 (n=83) EG 2 (n=89) KG 1 (n=77) KG 2 (n=74) 9 8 1. Besuch 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal ANOVA Zeiteffekt: p <.0001 Zeit*Gruppe: p <.0001 Scheffé D - F: p.015 D - M1: n.s. D - M2: p.004 EG 1: Dokumentation mit Decision-Support-Modul, zusätzliches Benchmarking EG 2: Paper-pencil-Dokumentation, zusätzlich Qualitätszirkelarbeit KG 1: Dokumentation mit DS-Modul ohne Leitlinienunterstützung KG 2: Paper-pencil-Dokumentation (Verumgruppe)
Mindestanforderungen an Qualitätsindikatoren, welche werden von Routinedaten erfüllt? Relevanz für Morbidität, Mortalität und Kosten Reliabilität & Validität der Messung Hohe Veränderungssensitivität Definierter Referenzbereich (Standards, interne/externe Vergleiche) Praktikabler Aufwand bei der Datenerhebung Ausreichende Risikoadjustierung gewährleistet Individuelle Modifikation der gewählten Indikatoren möglich Richter D (2004)
Mindestanforderungen an Qualitätsindikatoren, welche werden von qualitätsrelevanten Daten erfüllt? Relevanz für Morbidität, Mortalität und Kosten Reliabilität & Validität der Messung Hohe Veränderungssensitivität Definierter Referenzbereich (Standards, interne/externe Vergleiche) Praktikabler Aufwand bei der Datenerhebung Ausreichende Risikoadjustierung gewährleistet Individuelle Modifikation der gewählten Indikatoren möglich Richter D (2004)
Es existieren durchaus vielversprechende Ansätze zur Qualitätsdarstellung auf der Basis von Routinedaten. Bis zu dem Punkt, diese als verlässliche Information über die Behandlungsqualität bezeichnen zu können, bedarf es jedoch noch einiger Weiterentwicklung Siebers, Roeder, DRG-Research-Group (2007)
Qualitätsoptimierung im Deming-Zirkel (PDCA), welche Daten für welchen Schritt? 6. Überprüfung der Ergebnisse/Evaluation (IST = SOLL?) Risikoadjustierung mit veränderungssensitiven Daten und Routinedaten 5. Implementieren der Maßnahmen in die Praxis Standards und veränderungssensitive Daten 1. Auswahl eines Themas Routinedaten 2. Analyse der Praxisrealität (IST) Routinedaten und veränderungssensitive Daten 3. Zielvorstellungen erarbeiten (SOLL) Standards 4. Planung und Auswahl von Veränderungsmaßnahmen (IST SOLL) Routinedaten, Standards und veränderungssensitive Daten
Fazit Qualitätssicherung ohne Routinedaten ist nicht möglich, aber Routinedaten allein sind noch keine Qualitätsindikatoren. Qualitätsverbesserung braucht veränderungssensitive sektorübergreifende Verlaufsdaten, Standards und die Möglichkeit zur Risikoadjustierung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!