Empfehlung für Umgang von ESBL-tragenden Patienten in Langzeitinstitutionen und Rehabilitationskliniken 1. Ausgangssituation Weltweit nimmt die Zahl der Patienten mit multiresistenten extended-spectrum-beta- Laktamase-bildenden Darmkeimen (ESBL) zu. Epidemiologische Daten für die Schweiz fehlen weitgehend. Es ist davon auszugehen, dass das Reservoir (kolonisierte Personen) deutlich grösser ist, als die Anzahl infizierter Patienten. ESBL können durch Körperkontakt von Person zu Person übertragen werden. Durch verschärfte Hygienemassnahmen (Kontaktisolation) kann die Verbreitung in Spitälern wirksam verhindert werden. In Langzeitinstitutionen wurde in einem Bericht der schweizerischen Expertengruppe Swissnoso aus dem Jahr 2004 keine Kontaktisolation von ESBL-Trägern empfohlen, da die Frequenz der Übertragungsmöglichkeiten niedriger liegt als im Akutspital (Swissnoso Bulletin 2004; Band 11: S 29). Auf Grund der zunehmenden Verbreitung von ESBL sowie fehlender Evidenz-basierter Richtlinien stellt sich in Alters-, Pflegeheimen und Rehabilitationskliniken zunehmend das Problem des Umgangs mit ESBL-Trägern. Obwohl theoretisch keine Kontraindikation für eine Verlegung besteht, führt die Besiedelung mit ESBL oft zu einer Verzögerung der Aufnahme von PatientInnen in eine Langzeitinstitution oder Rehabilitationsklinik und zu einer längeren Hospitalisationsdauer. 2. Problem Einzelinteressen stehen dem Interesse des Kollektivs gegenüber: PatientInnen und Pensionäre erwarten eine optimale Betreuung mit uneingeschränktem Zugang zu medizinischen Behandlungen und ohne einschneidende soziale Einschränkungen. Rehabilitationskliniken und Langzeitinstitutionen sind jedoch gleichzeitig daran interessiert, die Ausbreitung von multiresistenten Bakterien durch strikte Hygienemassnahmen zu verhindern. 3. Ziel Ziel dieser Empfehlung ist es, die Risiken der Keimausbreitung in Langzeitinstitutionen und Rehabilitationskliniken zu minimieren und gleichzeitig die Rehabilitation bzw. Pflege zu gewährleisten. Version 1, 14. Juli 2009 1/10
4. Standardhygienemassnahmen ESBL können von Person zu Person übertragen werden. Die meisten Übertragungen erfolgen dabei über die Hände des Personals, während die indirekte Übertragung via Gegenstände und Flächen in der Patientenumgebung von untergeordneter Bedeutung ist. Die generelle und konsequente Einhaltung der Standard- und Händehygiene ist deshalb die wichtigste Massnahme zur Verhinderung der Übertragung von ESBL. Auch in Unkenntnis davon, ob Bewohner mit ESBL besiedelt sind oder nicht, stellen Standard- und Händehygiene einen wirksamen Schutz vor einer Übertragung/Ausbreitung von ESBL dar. Die Standardhygienemassnahmen sind die Grundlage für die Verhinderung einer ESBL Übertragung. (Standardhygienemassnahmen siehe Anhang I oder Hygieneordner der eigenen Institution) 5. Zusätzliche Hygienemassnahmen bei ESBL Die Verbreitung von ESBL erfolgt nach heutigem Wissen in erster Linie über die Hände des Personals. Bei PatientInnen oder Pensionären, die ESBL besiedelt sind, werden daher folgende zusätzlichen Hygienemassnahmen getroffen: Personal Pflege mit Überschürze und Handschuhen (Körperwäsche, Intimpflege, Wundverband, Umlagerung im Bett, bei Intimpflege auf Toilette/Nachtstuhl) Bei selbständigen PatientInnen, die keiner Pflege/Hilfestellung bedürfen, genügt die strikte Einhaltung der Standardhygiene, es sind keine zusätzlichen Massnahmen nötig PatientInnen/Pensionäre Erhalten eine Instruktion bzgl. Händedesinfektion/waschen und Körperhygiene Händedesinfektion vor Verlassen des Zimmers tägliche Dusche/Ganzkörperwäsche (normale Seife oder Duschgel) täglicher Wechsel von Wasch- bzw. Badetuch täglicher Wechsel der Unterwäsche Einzelzimmer sind in Rehabilitationskliniken zu empfehlen, in Langzeitinstitutionen ev. 2-er Zimmer mit PatientIn ohne Risikofaktoren (chronische Wunde, Dauerkatheter oder Zystofix, PEG-Sonde, Tracheostoma) Version 1, 14. Juli 2009 2/10
Wenn möglich Separates WC, das nicht mit anderen Patienten geteilt werden muss. Falls dies nicht möglich ist, sollte die WC-Brille nach jeder WC-Benutzung mit Alkohol 70% V/V desinfiziert werden (Instruktion des Patienten) Therapie Physio-, Ergotherapie und Logopädie können normal durchgeführt werden, wobei die Händehygiene in den Therapien besonders beachtet werden muss Das Therapie-/Hallenbad darf benutzt werden (Ausnahme: Inkontinenz, vgl. unten) o Ambulante Patienten: idealerweise Nutzung zu Randzeiten mit anschliessender Desinfektion des Umkleidebereichs o Stationäre Patienten: Umziehen und Duschen im eigenen Zimmer, nicht in der Nasszone des Therapiebads Die PatientInnen/ Pensionäre dürfen ihre Mahlzeiten im Speisesaal einnehmen und an gemeinsamen Aktivitäten im Aufenthaltsraum teilnehmen. 6. Massnahmen in speziellen Situationen Zusätzlich zu den Hygienemassnahmen unter Punkt 7 sollten bei PatientInnen mit chronischen Wunden, einer Stuhl- oder Urininkontinenz oder einem Tracheostoma folgende Massnahmen getroffen werden: Chronische Wunden Die Wunde ist bei Verlassen des Zimmers vollständig bedeckt Das Therapie-/Hallenbad darf nicht benutzt werden Tracheostoma Das Personal trägt bei der Pflege zusätzlich einen Mund-Nasen-Schutz Stuhl- oder Urininkontinenz Das Therapie-/Hallenbad darf nicht benutzt werden Version 1, 14. Juli 2009 3/10
7. Reinigung und Desinfektion Das Zimmer von ESBL kolonisierten PatientInnen/Pensionären wird täglich gereinigt und soweit möglich durch eine Desinfektion der Oberflächen erweitert (Rehabilitationskliniken). Das WC wird zusätzlich täglich mit 70% V/V Flächendesinfektions-Alkohol desinfiziert. Bei Betreuung von verwirrten, nicht kooperativen PatientInnen/Pensionären sind die öffentlich zugänglichen WC s ebenfalls zu desinfizieren (70% V/V Flächendesinfektions-Alkohol). Bei Austritt aus der Rehabilitationsklinik oder im Todesfall wird das Zimmer einer Schlussdesinfektion unterzogen. 8. Einweisung / Verlegung ins Akutspital Bei Verlegungen sollte das Akutspital so früh als möglich über die ESBL Besiedelung des Patienten/der Patientin in Kenntnis gesetzt werden, damit entsprechende Vorbereitungen getroffen werden können (Einzelzimmer). 9. Kontakt Kantonsspital Aarau: Dr. med. Thomas Bregenzer Chefarzt Infektiologie und Hygiene Tellstrasse 5001 Aarau 062 838 98 08 Kantonsspital Baden: Dr. med. Andrée Friedl Leitende Ärztin Infektiologie und Hygiene 5404 Baden 056 486 25 84 Version 1, 14. Juli 2009 4/10
Anhang: I. Standardmassnahmen Ziel der Standardhygienemassnahmen ist, eine Übertragung von Krankheitserregern zwischen Bewohnern/Patienten und zwischen Personal und Bewohnern/Patienten zu verhindern. Standardmassnahmen müssen bei allen Bewohnern/Patienten eingehalten werden. 1. Händehygiene Die Händehygiene bildet den wichtigsten Teil der Standardmassnahmen, weil die meisten Infektionserreger durch kontaminierte Hände übertragen werden. Die Händehygiene umfasst Händedesinfektion, Händewaschen und Händepflege. Zur Händedesinfektion sollte ein gelistetes (VAH 1 -Liste) Händedesinfektionsmittel auf Alkoholbasis mit Rückfetter verwendet werden. 1.1. Händedesinfektion 1.1.1. Wann? Vor Patientenkontakt Nach Patientenkontakt Vor jeder invasiven Verrichtung (z.b. Injektion, Kathetereinlage/-wechsel, Augentropfen) Nach Kontakt mit Körperflüssigkeiten mit und ohne Handschuhe (z.b. Verbandwechsel, Leeren des DK-Sacks) Nach Kontakt mit Patientenobjekten (z.b. Nachttisch, Bettbügel, Essensplateau) 1. Verbund für Angewandte Hygiene e.v. Version 1, 14. Juli 2009 5/10
Die Verwendung von Handschuhen ersetzt die Händedesinfektion nicht. Aus diesem Grund hat eine Händedesinfektion vor dem Anziehen und nach dem Ausziehen der Handschuhe zu erfolgen! 1.1.2. Wie? Eine hohle Hand voll (3-5ml) 70% V/V Händealkohol in die trockene Hand geben und beide Hände und Handgelenke gemäss den Händedesinfektionsschritten (EN 1500) gut einreiben bis die Haut trocken ist (mind. 30 Sekunden) 1.1.3. Beachte/Wichtig: Händedesinfektionsmittel nicht auf nasse oder verschmutzte Haut geben. Bei der Desinfektion werden häufig vergessen: Daumen, Fingerkuppen, Fingerzwischenräume Bei korrekter Anwendung kommt der Rückfetter im Händedesinfektionsmittel zum Tragen und die Haut wird geschützt. 1.2. Händewaschen 1.2.1. Wann? Bei Arbeitsbeginn und -ende Vor und nach der Essenspause Bei sichtbarer Verschmutzung der Hände Nach der Toilette Version 1, 14. Juli 2009 6/10
1.2.2. Wie? Hände anfeuchten Hände und Handgelenke mit Flüssigseife gut einreiben Seife 30 Sekunden aufschäumen Gründlich mit Wasser spülen Trocknen mit Papiertuch Wasserhahn mit gebrauchtem Papiertuch schliessen. 1.3. Hautschutz Ziel der Hautschutzcreme ist es die Haut intakt zu halten. Die Hautschutzcreme bildet eine zusätzliche Barriere zum Schutz der Haut. Sie sollte schnell einziehen und wasserabweisend sein. Sie wird in Tuben nicht in Dosen angeboten. Voraussetzung für eine gute Wirksamkeit sind saubere, gewaschene Hände. 1.3.1. Wann? Vor Arbeitsbeginn Während der Arbeit 1.3.2. Wie? Genügend Hautschutzcreme auf die Hände auftragen und einreiben Jeden einzelnen Finger, inklusive Fingerkuppen und -zwischenräume einreiben 1.4. Hautpflege Ziel der Hautpflege ist es die natürliche Barrierefunktion der Haut zu stärken und zu erhalten. Ausserdem reguliert sie den Feuchtigkeitshaushalt der Haut. Eine gute Hautpflege ist wichtig, um Mikroverletzungen und Risse der Haut zu vermeiden. Sie wird in Tuben und nicht in Dosen angeboten. Das Produkt sollte pflegend wirken und braucht länger, um einzuziehen. Die Hautpflege muss auf den jeweiligen Hauttyp abgestimmt sein. 1.4.1. Wann? Vor längeren Pausen Nach Arbeitsende 1.4.2. Wie? Genügend Hautpflegecreme auf die Hände auftragen Gründlich einreiben Version 1, 14. Juli 2009 7/10
2. Schutzmassnahmen bei Kontakt mit Körperflüssigkeiten 2.1. Unsterile Untersuchungshandschuhe Unsterile Untersuchungshandschuhe zum Einmalgebrauch bieten einen Schutz vor optischer Verschmutzung aber nicht vor Mikroorganismen. 2.1.1. Sie werden getragen vor jedem vorhersehbaren oder möglichen Kontakt mit: Körperflüssigkeiten, z.b. Blut, Urin Gegenständen oder Flächen, die mit Körperflüssigkeiten verunreinigt sind Schleimhäuten Ausscheidungen Wunden 2.1.2. Die Handschuhe werden ausgezogen bzw. gewechselt nach jedem Kontakt/jeder Verunreinigung mit Körperflüssigkeiten zwischen Kontakten mit verschiedenen Bewohnern Handschuhe ersetzen die Händedesinfektion nicht Handschuhe dürfen nicht desinfiziert werden 2.2. Überschürzen Überschürzen werden immer dann getragen, wenn ein intensiver Kontakt mit Körperflüssigkeiten erwartet werden muss (Pflege des Urin- oder Stuhlinkontinenten Patienten, Pflege von grossen infizierten oder stark besiedelten Dekubitalulzera, etc.). Überschürzen sollten mindestens wasserabweisend sein. Bei der Pflege von nicht isolierten Patienten sind einfache Plastikschürzen (Einweg) zum Vorbinden ausreichend. Zur Isolation sollten langärmlige Überschürzen (Einweg oder Mehrweg) verwendet werden. 2.3. Gesichtsmaske und Schutzbrille Eine chirurgische Maske und eine Schutzbrille werden getragen, wenn eine Exposition der Schleimhäute durch Spritzer oder Tröpfchen von Körperflüssigkeiten zu erwarten ist, (z.b. beim Absaugen von respiratorischem Sekret). Erkältetes Personal soll eine chirurgische Maske tragen. Version 1, 14. Juli 2009 8/10
3. Persönliche Hygiene 3.1. Fingerschmuck Auf Fingerschmuck, Nagellack und künstliche Fingernägel muss aus hygienischen Gründen verzichtet werden. 3.2. Haare Längere Haare, ab Schulterlänge, werden während der Arbeit zusammengebunden. 3.3. Schmuck und Piercing Schmuck stellt ein Infektions-, und Verletzungsrisiko dar. Deshalb sollte auf das Tragen von Ringen, Armreifen, Uhren und langen Ketten verzichtet werden. Piercing an den Händen sind aus hygienischer Sicht nicht erlaubt. 3.4. Berufskleider Berufskleidung sollte täglich gewechselt werden und in der Wäscherei gewaschen werden. Der Wechsel auf Berufskleidung, bzw. Strassenkleidung erfolgt im Betrieb in dafür vorgesehenen Garderoben. Eine Jacke oder andere Überziehkleidung darf nur ausserhalb des Patientenzimmers getragen werden und muss bei mindestens 60 C gewaschen werden. 3.5. Schuhe und Füsse Arbeitsschuhe sollten eine glatte Oberfläche haben, die bei Kontamination leicht gereinigt und desinfiziert werden kann. Sie werden zusammen mit der Berufskleidung gewechselt. Aus Gründen der Arbeitssicherheit sollen sie rutschfest und bequem zu tragen sein. 4. Massnahmen bei Verunreinigung von Oberflächen Geräte und Instrumente die beim Gebrauch eindeutig oder möglicherweise verunreinigt wurden, dürfen nur nach vorheriger Desinfektion aus dem Zimmer genommen werden. Die Desinfektion erfolgt mit Ethanol 70g% oder einem Flächendesinfektionsmittel. Bei optischer Verschmutzung müssen die Oberflächen vor der Desinfektion gereinigt werden. Bei Mehrweg-Instrumentarium, das für invasive Verrichtungen gebraucht wird, hat eine Aufbereitung mit Sterilisation zu erfolgen bevor es bei anderen Patienten wieder verwendet wird. Version 1, 14. Juli 2009 9/10
II. Zusätzliche Massnahmen bei isolierten Patienten 1. Massnahmen beim Entfernen von Gegenständen aus dem Zimmer 1.1. Medizinische Geräte und Pflegeutensilien Alle medizinischen Geräte und Pflegeutensilien, die aus dem Zimmer entfernt werden, gelten als kontaminiert und müssen sofort desinfiziert oder direkt entsorgt werden. Die Art der Desinfektion ist vom Gegenstand abhängig: Thermolabile Gegenstände: Flächendesinfektion mit Ethanol 70% V/V Thermostabile Gegenstände: Reinigung im Steckbeckenautomat oder im Reinigungsund Desinfektionsgerät 1.2. Essenstablett Das Essenstablett wird als letztes in den Essenswagen gestellt. Anschliessend sorgfältige Händedesinfektion, bevor der Essenswagen geschlossen und in die Küche zurückgegeben wird. 1.3. Private Gegenstände Private Gegenstände wie Strickzeug oder Bücher können die Patienten ohne Zusatzmassnahmen mit aus dem Zimmer nehmen. Version 1, 14. Juli 2009 10/10