2011 KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ.

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Transkript:

DKSB/ Susanne Tessa Müller Gewalt gegen Kinder Begleitmaterial zur Kampagne 2011 KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ. Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.v.

Inhaltsverzeichnis Vorwort Vorwort Einleitung 3 4 Liebe Leserinnen und Leser, liebe Kinderschützerinnen und Kinderschützer, 1. Die lange Geschichte der Gewalt in der Erziehung 2. Definitionen von Gewalt 3. Formen von Gewalt 4. Auswirkungen von Gewalt 5. Statistische Daten 5.1 Polizeiliche Kriminalstatistik 5.2. Statistiken des Gesundheitswesens 5.3 Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe 5.4 Statistik zu familiengerichtlichen Verfahren 6 8 9 12 16 16 20 21 24 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist leider immer noch ein allzu großes Thema unserer Arbeit im Deutschen Kinderschutzbund. So werden zum Bespiel in Deutschland über eine Million Kinder und Jugendliche in ihrem Leben Opfer von Gewalt und Misshandlung durch ihre Eltern. Und das ist nur ein Aspekt von Gewalt. Der Deutsche Kinderschutzbund setzt sich seit vielen Jahrzehnten für das Recht von Kindern und Jugendlichen auf ein Leben ohne Gewalt ein. In unseren Beratungsstellen in über 430 Ortsund Kreisverbänden in ganz Deutschland bieten wir Kindern und Jugendlichen Schutz und Hilfe. Mit unserer Jahreskampagne 2011 KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ. möchte der Deutsche Kinderschutzbund die Öffentlichkeit auf das Problem von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche aufmerksam machen. Unterstützt werden wir dabei von Singer/Songwriter Peter Schilling, der uns seinen Song Kevin zur Verfügung stellt. Alle daraus entstehenden Einnahmen werden an den Deutschen Kinderschutzbund gespendet. Entworfen wurde die Kampagne pro bono von POINT WERBEAGENTUR. Den Unterstützern unserer Kampagne danke ich herzlich. 6. Gewaltprävention 6.1 Schutz vor Gewalt ist ein Kinderrecht 6.2 Grundorientierung unserer Arbeit 6.3 Definition von Gewaltprävention 6.4 Qualitätsstandards für Gewaltprävention 6.5 Angebote im Verband 7. Forderungen des Verbandes Literaturverzeichnis Impressum 26 26 27 28 28 29 32 33 35 Mit diesem Begleitmaterial zu unserer Jahreskampagne KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ. möchten wir auf die vielfältige Arbeit des Deutschen Kinderschutzbundes im Bereich Gewaltprävention hinweisen. Neben einer kurzen Einführung in die Entwicklung hin zu einer gewaltfreien Erziehung als gesellschaftliches Ideal und ausführlichen Definitionen zu verschiedenen Formen von Gewalt werden Statistiken zu Gewalt gegen Kinder aufgeführt. Weiterhin werden die Angebote, Einrichtungen und Projekte des DKSB zu Gewalt und Gewaltprävention und die diesbezüglichen Qualitätskriterien des DKSB beschrieben. Daraus folgen unsere Forderungen für einen besseren Schutz von Kindern vor Gewalt. Mit diesem umfangreichen Material möchten wir unsere Orts-, Kreis- und Landesverbände bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der Jahreskampagne 2011 KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ. unterstützen, aber auch die interessierte Öffentlichkeit informieren. Gewalt gegen Kinder und Jugendliche geht uns alle an. Kinder und Jugendliche brauchen die Unterstützung und Hilfe des Deutschen Kinderschutzbundes. Darum bitte ich Sie: unterstützen Sie uns bei unserer Arbeit gegen Gewalt. Herzlichen Dank. Ihr Heinz Hilgers Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes 2 3

Einleitung Seit mehr als drei Jahrzehnten setzt sich der Deutsche Kinderschutzbund (DKSB) für das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern ein. Mit Kampagnen und Stellungnahmen, in Resolutionen sowie Fachforen machte der Verband stets darauf aufmerksam, dass Gewalt gegen Kinder das Recht des Kindes auf dessen Unversehrtheit verletzt. Der Verband mahnte dabei stets an, dass es die Verantwortung der Gesellschaft, der politischen Entscheidungsträger ist, die Gewalt an Kindern im familiären, sozialen, institutionellen sowie gesellschaftlichen Rahmen wahrzunehmen und anzuprangern. Gleichzeitig rief der Kinderschutzbund nachdrücklich dazu auf, Räume sowie Bedingungen für Kinder und Jugendliche zu schaffen, in denen sie gewaltfrei aufwachsen können. Wir verstärkten unsere Forderung, durch gesetzliche Grundlagen das Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung eindeutig festzuschreiben. Das im Jahr 2000 in Kraft getretene Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung stellt somit ein Schlüsselmoment dar. Es legt die Gewaltlosigkeit in der Erziehung als Selbstverständlichkeit fest und markiert die gewaltfreie Erziehung als Leitbild in der Gesellschaft. Die lange Geschichte des elterlichen Züchtigungsrechts hatte damit ein Ende. Heute können wir feststellen, dass nach 10 Jahren Einführung des Gesetzes zur gewaltfreien Erziehung dieser Bewusstseinswandel von vielen Eltern in Deutschland 1 gelebt wird: Eine große Mehrzahl der Eltern erkennt die gewaltfreie Erziehung als Ideal an. Wir wissen heute: Gewalt wirkt nach und beeinträchtig Kinder und Jugendliche ihr Leben lang. Langzeitstudien haben nachgewiesen, dass das Erleben von Gewalt im Elternhaus bei Jugendlichen und Heranwachsenden häufig zu einer erhöhten Akzeptanz für den Gebrauch von Gewalt als Konfliktlösungsmuster führt. Für Kinder und Jugendliche ist dies ein logischer Schluss: Die erlebte Gewalt im sozialen Umfeld aber auch in Institutionen bzw. über das Internet rechtfertigt die eigene erhöhte Gewalttätigkeit. Der Deutsche Kinderschutzbund will mit der Kampagne KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ. die Öffentlichkeit, Fachkräfte und Institutionen, Familien, Kinder und Jugendliche über die Folgen von Gewalt aufklären, sich für den konsequenten Schutz von Kindern und Jugendlichen einsetzen und damit erneut das Bewusstsein für das gewaltfreie und gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen stärken. Diese Broschüre dient dazu, den Leserinnen und Lesern die Hintergründe der Kampagne zu erläutern, Datenmaterial für die Argumentation in öffentlichen Diskussionen und Fachforen aufzubereiten sowie die Forderungen des Deutschen Kinderschutzbundes zu verbreiten. Warum dann noch diese Kampagne? Die Fachöffentlichkeit geht trotz aller Fortschritte davon aus, dass 10 15 % aller Eltern ihre Kinder häufig und schwerwiegend körperlich bestrafen. 2 Das bedeutet, dass Gewalt gegen Kinder im Alltag vieler Familien immer noch vorkommt. Aber auch die Aufdeckung der Fälle von sexuellem Missbrauch in den Einrichtungen der katholischen Kirche, in Schulen und Internaten sowie die Gewalt in öffentlichen Einrichtungen wie Kinderheimen und früheren Erziehungsanstalten mahnen zur höchsten Aufmerksamkeit im Hinblick auf Gewalt gegen Kinder in Institutionen. Die Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes verweist zudem auf die deutlich gestiegenen Zahlen beim Besitz und der Verbreitung von Kinderpornografie. Dabei spiegeln die erfassten Zahlen noch nicht einmal die Realität wieder. Das Dunkelfeld ist gerade in diesem Deliktsbereich nach Ansicht der polizeilichen Experten sehr hoch. 1 Prof. Dr. jur. Kai-D. Bussmann, 2010 2 11. und 13. Kinder- und Jugendbericht, 2002 und 2009 4 5

4. Auswirkungen von Gewalt Das Erleben und Miterleben von Gewalt hat für Kinder immer Auswirkungen und beeinflusst gravierend deren Entwicklung. Der Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther schreibt hierzu in einem Artikel: Vor allem im frontalen Cortex können unter diesen Bedingungen all jene hochkomplexen synaptischen Verschaltungsmuster nicht herausgeformt und stabilisiert werden, die die Grundlage für die subtilsten Leistungen des menschlichen Gehirns bilden: Die Fähigkeit zur Herausbildung eines Selbstbildes, die Fähigkeit zu Impulskontrolle und Handlungsplanung, und nicht zuletzt emotionale und psychosoziale Kompetenz. 8 Gewalt zu erleben bzw. mitzuerleben, ist ein tiefer Eingriff in das Gefühl der Sicherheit. Er kann massive Folgen sowohl für die körperliche als auch psychische Gesundheit haben. Laut UNICEF ziehen frühe Gewalterfahrungen lebenslange soziale, emotionale und intellektuelle Beeinträchtigungen nach sich. Die betroffenen Kinder neigen später häufig zu Risikoverhalten wie Alkoholund Drogenkonsum oder suchen frühzeitig sexuelle Beziehungen. Probleme wie Angst, Depression, Wahnvorstellungen, mangelnde Leistungsfähigkeit in der Schule und später im Beruf, Gedächtnisstörungen und aggressive Verhaltensweisen können die Folgen sein. Untersuchungen belegen Zusammenhänge mit späteren Lungen-, Herz- und Lebererkrankungen, Totgeburten, gewalttätigen Beziehungen und Selbstmordversuchen. 6 Körperliche Folgen Körperliche Gewalt führt je nach Schweregrad zu körperlichen Verletzungen, die sich wie folgt darstellen können: Prellungen, blaue Flecken, Verstauchungen, Knochenbrüche, offene Wunden, Kopf- und Gesichtsverletzungen, Verbrennungen, Striemen u.v.m. Neben diesen genannten körperlichen Verletzungen möchte der Deutsche Kinderschutzbund insbesondere auf die Langzeitfolgen von Gewalt an Kindern aufmerksam machen. Diese begründen sich aus neurobiologischer Sicht wie folgt: Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist zum Zeitpunkt der Geburt nicht abgeschlossen und bei keiner anderen Art ist die Hirnentwicklung in solch hohem Maß von der emotionalen, sozialen und intellektuellen Kompetenz der erwachsenen Bezugspersonen abhängig wie beim Menschen. 7 Und im Bezug auf deren Bindungsverhalten schreibt er, dass diese strukturellen Veränderungen auf neuronaler Ebene das Resultat einer unter Bedingungen emotionaler Aktivierung gemachten und im kindlichen Hirn verankerten fatalen Erfahrung (sind): Sicherheit-bietende Bezugspersonen bieten keine Sicherheit. 9 Dieses Gefühl wird insbesondere dann ausgelöst, wenn die Kinder Angst vor ihrer Bezugsperson haben oder diese in entsprechenden Situationen selbst hoch ängstlich reagiert. 10 Seelische Folgen Der Traumabegriff ist zunehmend ausgeweitet worden. Er bezeichnet aber in seinem Kern noch immer einen Erfahrungszustand, bei welchem die Fähigkeit eines Individuums (und damit seines Ichs), seine Erlebnisse zu organisieren und zu regulieren, überfordert wurde, so dass ein Zustand von Hilflosigkeit entstand. 11 Die Auswirkungen traumatisierender Faktoren auf einen Menschen sind zu einem großen Teil abhängig von der Verletzbarkeit der seelischen Strukturen. Je jünger ein Mensch ist, umso geringer sind seine Möglichkeiten, das Trauma aufgrund seiner schon erworbenen psychischen Fähigkeiten zu bewältigen. Ein Kind, welches körperliche Misshandlungen als überwältigendes, nicht vorhersehbares und letztlich überschwemmendes Ereignis erlebt, muss damit fertig werden, ohne hierfür die psychischen Voraussetzungen zu haben. Rückzug in ein inneres Exil in Form einer depressiven Reaktion oder die Entwicklung einer erhöhten Aggressivität und Gewaltbereitschaft sind zwei Formen, die als Abwehrmechanismen des Kindes nachgewiesen wurden. 12 Nach Forschungsergebnissen der Neurobiologie in den 1990er Jahren hinterlassen Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung bzw. Verwahrlosung im kindlichen Gehirn Spuren. Strukturelle Veränderungen des Gehirns durch das Erleben und Miterleben von Gewalt sind inzwischen durch eine Vielzahl von empirischen Befunden belegt. 8 Hüther, G.: Vortrag: Die Folgen traumatischer Kindheitserfahrungen für die weitere Hirnentwicklung. Psychiatrische Klinik der Universität Göttingen, Dezember 2002 9 Hüther, ebenda 10 Main, Mary: Desorganisation im Bindungsverhalten. In: Spangler, Gottfried; Zimmermann, Peter (Hrsg.): Die Bindungstheorie. Grundlagen, Forschung und Anwendung, Stuttgart, Klett-Cotta, 1995 6 UNICEF: Bereich Grundsatz und Information I 0077 1.500 10/06 7 Herter, M.: Vortrag beim Sechsten Tübinger Kinderschutzkolloquium, Thema: Gewalt gegen Kinder Gewalt an Kindern, 21.2.2003 11 Bürgin, D.; Rost, B.: Traumatisierungen im Kindesalter. PTT, 1997, 1: 24-31 12 Bürgin, D.; Rost, B.: Traumatisierungen im Kindesalter. PTT, 1997 12 13

7. Forderungen des Verbandes Literaturverzeichnis Der Deutsche Kinderschutzbund setzt sich intensiv mit kinderrechtlichen, sozialpädagogischen und entwicklungspsychologischen Themen auseinander und sammelt in diesen Praxisfeldern wertvolle Erfahrungen zur Prävention von Gewalt gegen Kinder. Mit seiner Kampagne KLEINE SEELE. GROSSER SCHMERZ. rückt der Verband seine kinderpolitischen Forderungen einmal mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und bittet um Unterstützung: > Der Deutsche Kinderschutzbund fordert Maßnahmen zur Sensibilisierung und zur Stärkung von Mädchen und Jungen, damit sie Gewalt erkennen und benennen können. Sprachlosigkeit kann der Beginn von Unterdrückung sein. > Der Deutsche Kinderschutzbund fordert Maßnahmen zur flächendeckenden Sensibilisierung und Weiterbildung von Fachkräften unterschiedlicher Professionen. Sie sollen Gefährdungen von Kindern und Jugendlichen früh erkennen und Maßnahmen zur Prävention und Intervention professionell auswählen und einsetzen können. Bast, U.: Gewalt gegen Kinder, Kindesmisshandlung und ihre Ursachen, Reinbek, 1978 Bundesministerium des Innern: Sicherheitsbericht. Berlin 2001 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. 11. Kinder- und Jugendbericht, Berlin, 2002 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Mehr Chancen für gesundes Aufwachsen - Gesundheitsbezogene Prävention und Gesundheitsförderung in der Kinder- und Jugendhilfe. 13. Kinder- und Jugendbericht, Berlin 2009 Bundesgesundheitblatt: Gesundheitsforschung/Gesundheitsschutz, Band 53, Heft 10, Oktober 2010 Bundesministerium für Gesundheit: Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Berlin 2009 > Der Deutsche Kinderschutzbund fordert von allen privaten und öffentlichen Einrichtungen der Erziehung und Bildung die Aufstellung klarer Verhaltensregeln im Umgang mit Gewalt sowie verbindliche Selbstverpflichtungen zu deren Einhaltung. > Der Deutsche Kinderschutzbund fordert die auskömmliche Finanzierung der bestehenden Beratungsangebote und deren Verbesserung und Erweiterung. > Der Deutsche Kinderschutzbund fordert eine bundesweite, verbindliche statistische Erfassung von Gefährdungssituationen in der Kinder- und Jugendhilfe sowie jugendhilfeferner Einrichtungen (wie z.b. Familiengerichte, Einrichtungen im Gesundheits- sowie Bildungswesen) die mit Familien, Kindern und Jugendlichen arbeiten. > Der Deutsche Kinderschutzbund fordert von der Bundesregierung die Vergabe von Forschungsaufträgen zur Erforschung des Dunkelfeldes und der Hintergründe aller Formen der Gewalt gegen Kinder. Wir fordern in diesem Zusammenhang die Evaluation bestehender Beratungs-, Aufklärungs- und Hilfeangebote der öffentlichen und freien Träger und deren fachliche Weiter entwicklung. Bürgin, D.; Rost, B.: Traumatisierungen im Kindesalter. PTT, 1997, 1: 24-31 Bussmann, Kai-D.: Auswirkungen eines gesetzlichen Verbotes von Gewalt in der familiären Erziehung in Deutschland. Mai 2010. Aufgerufen am 20. April 2011 unter folgender Internetseite: http://bussmann.jura.uni-halle.de/familiengewalt Deegener: Formen und Häufigkeit von Kindesmisshandlung. In: Deegener, G.; Körner, W. (Hrsg.): Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Ein Handbuch. Hogrefe, Göttingen, 2005 Fendrich, S.; Pothmann, J.: Einblicke in die Datenlage zur Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung in Deutschland. In: Frühe Hilfen zum gesunden Aufwachsen von Kindern. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung/Gesundheitsschutz, Band 53, Heft 10, Oktober 2010 Görgen, Thomas, Prof. Dr. beim 7. Münsterschen Sicherheitsgespräch zum Thema: Misshandlungserfahrungen in der Kindheit aus kriminologischer Perspektive. Münster, 29.3. 2011 Maier, Bernd-Dieter; Hüneke, Arnd: Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet Forschungsbericht. Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover (Hrsg.), Hannover, 28.4.2011 32 33

Herter, M. beim 6. Tübinger Kinderschutzkolloquium, Thema: Gewalt gegen Kinder Gewalt an Kindern, 21.2.2003 Impressum Hüther, G. beim Vortrag in der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen: Die Folgen traumatischer Kindheitserfahrungen für die weitere Hirnentwicklung. Psychiatrische Klinik der Universität Göttingen, Dezember 2002 Erarbeitet durch: Cordula Lasner-Tietze, M.A. Fachreferentin Gewaltprävention Main, Mary: Desorganisation im Bindungsverhalten. In: Spangler, Gottfried und Zimmermann, Peter (Hrsg.): Die Bindungstheorie. Grundlagen, Forschung und Anwendung, Stuttgart, Klett-Cotta, 1995 Schone, Reinhold; Gintzel, Ullrich; Jordan, Erwin: Kinder in Not. Vernachlässigung im frühen Kindesalter und Perspektiven sozialer Arbeit. Münster, Votum, 1997 Statistisches Bundesamt Deutschland: Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, 2010. Aufgerufen am 22. 4.2011 unter folgender Internetseite: www.destatis.de UNICEF: Bereich Grundsatz und Information I 0077 1.500 10/06. Aufgerufen am 5. April 2011 unter folgender Internetseite: http://www.anti-kinderporno.de/seite/unicef_gewaltgegkinder.php Wetzels, P.: Gewalterfahrungen in der Kindheit. Sexueller Mißbrauch, körperliche Mißhandlung und deren langfristige Konsequenzen. Baden-Baden, 1997, Nomos. Herausgegeben von: Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.v. Schöneberger Str. 15 10963 Berlin Telefon: 030/214 809 0 Telefax: 030/214 809 99 E-Mail: info@dksb.de Fachjournalistische Bearbeitung: Inge Michels, www.familientext.de Lektorat: Stefan Hellriegel, Berlin Gestaltung: fraupauls, Büro für Grafik Design www. fraupauls.de Druck: Strohmeyer dialog.druck GmbH www.s-dd.de Die Weitergabe, Veröffentlichung, Vervielfältigung, Verbreitung, Nachbildung oder sonstige Verwertung ohne Genehmigung des Deutschen Kinderschutzbund Bundesverbandes e.v. ist nicht zulässig. Die Broschüre wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Stand: Oktober 2011 34 35

Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.v. Bundesgeschäftsstelle Schöneberger Straße 15 10963 Berlin TELEFON (030) 214 809-0 E-Mail: info@dksb.de www.dksb.de Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft BLZ 251 205 10. KTO 748 800 0