BPtK-Hintergrund. Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie. 22. Juni Seite 1 von 9

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Transkript:

BPtK-Hintergrund Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie 22. Juni 2011 Seite 1 von 9

Zentrale Ergebnisse der Studie Vergebliche Suche nach einem Psychotherapeuten Psychisch kranken Menschen wird in Deutschland eine aufwendige, zeitraubende und häufig vergebliche Suche nach einem niedergelassenen Psychotherapeuten zugemutet. Sie finden in der Regel keinen Psychotherapeuten, der sie rechtzeitig behandeln kann. Die Wartezeit auf ein erstes Gespräch bei einem Psychotherapeuten beträgt durchschnittlich drei Monate. Zwischen diesem Erstgespräch und dem Beginn der Behandlung liegen nochmals knapp drei Monate. Die Behandlung beginnt im Schnitt erst knapp sechs Monate nach der Anfrage. Viele psychisch Kranke geben während der wochenlangen Suche nach einem Psychotherapeuten entmutigt auf und verzichten auf eine Behandlung. Wer nicht warten kann, muss sich notfalls an ein psychiatrisches oder psychosomatisches Krankenhaus wenden, obwohl es besser wäre, erst ambulant und nur bei besonders schweren Krankheitsverläufen unmittelbar stationär zu behandeln. Stadt und Land Zwischen den Städten und ländlichen Regionen bestehen große Unterschiede in den Wartezeiten auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch. So warten Menschen in den Städten durchschnittlich 9,3 Wochen, in ländlichen Regionen 15,3 Wochen auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch. In den Städten liegt der Anteil der Wartezeiten von über drei Wochen bei 63,5 Prozent, auf dem Land bei 80,5 Prozent. Im Ruhrgebiet warten 88 Prozent der psychisch kranken Menschen länger als drei Wochen auf ein erstes Gespräch bei einem Psychotherapeuten. Zum Vergleich: Nur drei Prozent der Patienten bei einem Hausarzt warten länger als drei Wochen auf einen Termin, bei Fachärzten etwa 20 Prozent. Die BPtK fordert, dass die Wartezeit auf ein erstes Gespräch bei einem Psychotherapeuten nicht länger als drei Wochen sein darf. Seite 2 von 9

Tabelle: Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie Wartezeiten auf ein Erstgespräch Kernstädte hochverdichtete Kreise ländliche Kreise Ruhrgebiet in Wochen (Mittelwerte) 9,3 14,7 15,3 17,0 Anteil über drei Wochen (Prozent) 63,5 77,5 80,5 88,1 Quelle: Bundespsychotherapeutenkammer, 2011 Wartezeiten auch in Großstädten In Städten mit mehr als einer Million Einwohnern (Berlin, Hamburg, Köln, München) beträgt die Wartezeit knapp neun Wochen und ist damit um drei bis vier Wochen kürzer als im Bundesdurchschnitt (12,5). Dort arbeiten durchschnittlich mehr als 50 niedergelassene Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. In Hamburg sind es 51,1, in Berlin 61,6, in Köln 63,3 und in München 76,9 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. Trotz der langen Wartezeiten gelten in der amtlichen Statistik jedoch alle Millionenstädte als überversorgt, mit Versorgungsgraden zwischen 142,3 (Hamburg) und 198,3 Prozent (München). Dabei berichtet dort sogar knapp jeder fünfte niedergelassene Psychotherapeut (Hamburg: 17,5 Prozent, Berlin: 19,6 Prozent, Köln: 18,6 Prozent, München: 4,5 Prozent) über Wartezeiten von mehr als drei Monaten, die aus Sicht der BPtK völlig inakzeptabel sind. Dies ist ein Beleg dafür, dass es selbst in vermeintlich gut versorgten Großstädten noch für viele Patienten zu inakzeptablen Wartezeiten kommt. Bedarfsplanung und Morbidität Sonderregion Ruhrgebiet Die Situation im Ruhrgebiet ist besonders schlecht, weil der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in der Bedarfsplanung diese Großstädte wie Kreisstädte eingestuft hat. Nach den geltenden Richtlinien werden in Großstädten 38,8 Psychotherapeuten für die Versorgung von 100.000 Einwohnern zugelassen. In so genannten hochverdichteten Kreisen geht die Bedarfsplanung von 12,3 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner aus. Für das Ruhrgebiet schuf der Gemeinsame Bundesausschuss jedoch eine Sonderregion, in der angeblich 11,4 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner ausreichen. Tatsächlich arbeiten im Ruhrgebiet durchschnittlich 15 bis 20 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. Deshalb gilt das Ruhrgebiet in der amtlichen Statistik sogar mit 150 bis 200 Prozent als Seite 3 von 9

überversorgt. Die überdurchschnittlich langen Wartezeiten in den Großstädten des Ruhrgebietes zeigen, wie massiv die Bedarfsplanungs-Richtlinie für die psychotherapeutische Versorgung den tatsächlichen Bedarf unterschätzt. Grafik: Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner nach Kreistypen Quelle: Berechnungen der Bundespsychotherapeutenkammer auf Basis der Daten der KBV (Stand: Frühjahr 2010) Häufigkeit psychischer Erkrankungen in der Stadt und auf dem Land Während in Großstädten 34 Prozent der Menschen innerhalb von zwölf Monaten psychisch erkranken, sind es 31,8 Prozent der Menschen in hochverdichteten Kreisen und 33,3 Prozent im Ruhrgebiet. Allein in ländlichen Regionen ist die Häufigkeit psychischer Erkrankungen etwas niedriger (26 Prozent). Die Bedarfsplanungs-Richtlinie geht jedoch fälschlicherweise davon aus, dass die Menschen auf dem Land einen neunmal geringeren Bedarf an einer psychotherapeutischen Behandlung haben als in der Stadt. Seite 4 von 9

Grafik: Häufigkeit psychischer Erkrankungen (Stadt Kreis Land Ruhrgebiet) Quelle: Eigene Berechnungen der Bundespsychotherapeutenkammer auf Basis der Daten des Bundesgesundheitssurveys, 1998 Tatsächlicher Bedarf an ambulanter Psychotherapie Der tatsächliche Bedarf an psychotherapeutischen Behandlungsplätzen lässt sich grob anhand des Bundesgesundheitssurveys von 1998 und der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) schätzen. In Deutschland erkranken jährlich mindestens fünf Millionen Menschen an einer schweren psychischen Krankheit und sind dringend behandlungsbedürftig. Das sind ca. 700.000 Kinder unter 18 Jahren, ca. 2,9 Millionen psychisch kranke Erwachsene zwischen 18 und 65 Jahren und etwa 1,5 Millionen Menschen über 65 Jahren. Diesem seither sicherlich nicht abnehmenden Behandlungsbedarf stehen in Deutschland jedoch lediglich etwa 1,5 Millionen psychotherapeutische Behandlungsplätze im ambulanten und stationären Bereich gegenüber. Welche Anzahl an Psychotherapeuten notwendig ist, um eine Bevölkerung ausreichend zu versorgen, lässt sich an der Situation in den Großstädten abschätzen. Hier lässt die Bedarfsplanung mehr Psychotherapeuten zu und die Patienten warten neun Wochen auf ein Erstgespräch und nicht 12,5 Wochen wie im Bundesdurchschnitt. In Großstädten arbeiten Seite 5 von 9

durchschnittlich mehr als 50 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. In Hamburg sind es 51,1, in Berlin 61,6, in Köln 63,3 und in München 76,9 Psychotherapeuten je 100.000 Einwohner. Folgen langer Wartezeiten Für Patienten: Lange Wartezeiten erhöhen das Risiko, dass sich psychische Erkrankungen verschlimmern, dass sie wiederkehren oder chronisch werden. Unbehandelt entwickeln sich viele psychische Störungen zu lang andauernden und fortwährenden Erkrankungen mit zunehmenden Komplikationen. Speziell bei Angsterkrankungen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen besteht das Risiko, dass sie chronisch verlaufen, wenn sie nicht rasch behandelt werden. Nicht selten entwickeln sich zusätzlich depressive Erkrankungen oder Suchterkrankungen, wenn Angststörungen chronisch werden. Psychische Erkrankungen können aber auch abklingen und später erneut auftreten. Das Risiko, dass sie ein weiteres Mal ausbrechen, und auch die Schwere der Erkrankung erhöhen sich mit jeder Wiederkehr. Mehr als die Hälfte aller Menschen mit einer Depression erkranken nach einer ersten Erkrankung erneut an einer Depression. Nach einer zweiten Erkrankung erhöht sich das Risiko, wieder zu erkranken, auf 70 Prozent und nach einer dritten Erkrankung sogar auf 90 Prozent. Bei einer Depression ist es deshalb wichtig, dass sie gleich beim ersten Mal erkannt und frühzeitig behandelt wird. Monatelange Wartezeiten verlängern die Erkrankungsdauer und verringern die Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung. Eine rechtzeitige Psychotherapie senkt zudem das Risiko, innerhalb der nächsten Jahre erneut depressiv zu erkranken, um rund 50 Prozent. Für Unternehmen, Kranken- und Rentenversicherung: Psychische Krankheiten, die zu spät oder nicht behandelt werden, erfordern meist eine längere ambulante oder stationäre Behandlung. Patienten, die auf eine psychotherapeutische Behandlung warten, erhalten oft eine einseitig medikamentöse Behandlung und werden krankgeschrieben. Psychisch kranke Arbeitnehmer sind deshalb für Unternehmen bereits ein beträchtlicher Kostenfaktor. Nach Schätzungen kosten allein die Fehltage depressiv erkrankter Arbeitnehmer die Unternehmen in Deutschland jährlich circa 1,6 Milliarden Euro. Für die Krankenkassen kommen durch länger andauernde psychische Erkrankungen Kosten durch Krankengeldzahlungen in Höhe von circa zwei Milliarden Euro hinzu. Seite 6 von 9

Im Folgenden sind die Kosten aufgeführt, die psychische Krankheiten in der Kranken- und Rentenversicherung verursachen. Größte Kostenblöcke sind die Ausgaben für die stationäre Behandlung und Renten wegen Erwerbsunfähigkeit. Ambulante Psychotherapie Eine ambulante Psychotherapie dauert durchschnittlich 46 Stunden und kostet die gesetzliche Krankenversicherung knapp 3.700 Euro je Patient. Etwa die Hälfte der ambulanten Psychotherapien wird als Kurzzeittherapie mit bis zu 25 Behandlungsstunden durchgeführt. Eine Kurzzeittherapie kostet maximal 2.300 Euro. Im Jahr 2010 wurden in der Richtlinienpsychotherapie insgesamt circa eine Million Patienten behandelt, die Ausgaben von circa 1,3 Milliarden Euro verursachten. Psychopharmaka Psychopharmaka zählen zu den verordnungsstärksten Arzneimitteln. Die Kosten für Psycholeptika und Psychoanaleptika beliefen sich im Jahr 2009 auf knapp 2,5 Milliarden Euro. Dabei hatte sich für die Gruppe der Psycholeptika gegenüber dem Vorjahr ein Umsatzzuwachs von knapp 14 Prozent ergeben, bei den Psychoanaleptika von immerhin noch 3,5 Prozent (Arzneimittelverordnungsreport, 2010). Krankengeld Die Ausgaben für Krankengeld stiegen 2010 weiter um acht Prozent auf inzwischen knapp acht Milliarden Euro. Grund dafür ist insbesondere eine starke Zunahme langwieriger psychischer Erkrankungen (Bundesgesundheitsministerium). Auf Basis der Daten der Techniker Krankenkasse und der BKK lässt sich hochrechnen, dass gut ein Viertel der Krankengeldzahlungen und damit rund zwei Milliarden Euro aufgrund psychischer Erkrankungen erfolgt. Krankenhaus Nach den Daten des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2009 etwa 1,2 Millionen psychisch kranke Menschen im Krankenhaus behandelt. Drei Viertel dieser Patienten wurde in entsprechend spezialisierten Fachabteilungen versorgt. Auf der Basis der Statistiken zu den Tagespflegesätzen lassen sich die Kosten der stationären Behandlung in den spezialisierten Fachabteilungen abschätzen. Danach beliefen sich die Gesamtkosten der Krankhausbehandlung in den drei Fachabteilungen auf 4,6 Milliarden Euro. Seite 7 von 9

Rehabilitation Psychische Erkrankungen zählen auch zu den häufigsten Gründen für eine stationäre Rehabilitationsbehandlung zulasten der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Jahr 2009 wurden 115.000 Patienten wegen psychischen Störungen ohne Suchterkrankungen durchschnittlich 40 Tage behandelt. Darüber hinaus wurden bei insgesamt 47.000 Patienten stationäre Entwöhnungsbehandlungen von durchschnittlich 88 Tagen durchgeführt. Bei geschätzten Kosten pro Pflegetag von circa 110 Euro beliefen sich die Kosten der stationären Rehabilitation wegen psychischer Erkrankungen auf circa 0,9 Milliarden Euro im Jahr. Renten wegen Erwerbsminderung Psychische Erkrankungen führen außerdem immer häufiger zur Erwerbsunfähigkeit: Der Anteil der Renten aufgrund psychischer Erkrankungen hat sich von 15,4 Prozent im Jahr 1993 auf 37,7 Prozent im Jahr 2009 mehr als verdoppelt. In absoluten Zahlen gab es einen Anstieg von 41.409 Neuberentungen im Jahr 1993 auf 64.469 im Jahr 2009, das bedeutet einen Anstieg von mehr als 50 Prozent. Dadurch entstehen Kosten in Höhe von mehr als vier Milliarden Euro pro Jahr. Dabei ist noch nicht mit eingerechnet, dass das durchschnittliche Berentungsalter bei psychischen Erkrankungen mit 48 Jahren um mehr als drei Jahre niedriger als bei anderen Erkrankungsarten liegt, sodass die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten nochmals höher ausfallen. Statistisches Bundesamt: Gesamtkosten psychischer Krankheiten Die Krankheitskosten psychischer Erkrankungen sind zwischen 1993 und 2008 von 19,1 Milliarden auf 28,7 Milliarden Euro gestiegen. Besonders stark stiegen die Krankheitskosten für depressive Erkrankungen von 1,3 Milliarden auf 5,2 Milliarden Euro. Psychische Erkrankungen waren damit im Jahr 2008 die Krankheitsgruppe mit den dritthöchsten Kosten. In die Berechnung des Statistischen Bundesamtes flossen neben den medizinischen Heilbehandlungen auch sämtliche Gesundheitsausgaben für Prävention, Rehabilitation und Pflege ein. Seite 8 von 9

Zur Studie Die BPtK verschickte 18.149 Fragebögen an niedergelassene Psychotherapeuten. Davon wurden 9.272 zurückgesendet. Der Rücklauf betrug damit sehr gute 51,1 Prozent und verteilte sich ausgewogen auf Städte, Kreise und ländliche Regionen. Gut die Hälfte (53,6 Prozent) der Psychotherapeuten führt eine Warteliste. Viele Psychotherapeuten halten lange Wartelisten für nicht zu verantworten und vergeben einen frei werdenden Behandlungsplatz an den nächsten Anrufer. Die Suche nach einem freien Therapieplatz ist also entweder ein monatelanges Geduldsspiel oder ein unberechenbares Glücksspiel beides ist in einem modernen Gesundheitssystem inakzeptabel. Wartelisten sind in schlecht versorgten Regionen häufiger. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass es in diesen Regionen kaum Möglichkeiten gibt, die Patienten weiter zu verweisen. In ländlichen Regionen bleibt den Psychotherapeuten häufig nichts anderes übrig, als für die vielen Anfragen eine Warteliste zu führen. Seite 9 von 9