Analysetool Capability Scorecard Hilfestellung bei der Umsetzung und Nutzenbewertung von PLM Um die Herausforderungen der Globalisierung wachsende Individualisierung von Produkten, Zwang zu möglichst fertigungsgerechter Konstruktion und Verkürzung der Time to Market zu meistern, setzen Unternehmen auf die Strategie des Product Lifecycle Management (PLM). Jenes nämlich unterstützt wissensbasiert sämtliche Prozesse und deren Methoden hinsichtlich der Produktentwicklung von der Idee bis zum Recycling. Die Capability Scorecard wiederum hilft bei der Umsetzung und der Nutzenbewertung. MULTI-LIFE-PRODUKTE. PLM besteht im Wesentlichen aus zwei Hauptkomponenten: zum einen aus der Kontrolle und Steuerung der Informationsflüsse, zum anderen aus der Beeinflussung der Produkte und ihrer Gestaltung. Um Produkte möglichst langfristig marktfähig zu halten, existieren bereits spezielle Lösungsansätze. Neben Baureihen, Baukästen oder Plattformen trägt besonders eine konsequente Modularisierung zur 40 CAD CAM 3-4/2008 Nachhaltigkeit eines Produkts bei. Der effizienteste Schritt in Form von sogenannten Multi-Life-Produkten wurde jedoch bislang kaum umgesetzt. Bei diesen steht der über den Betrachtungszeitraum zu erwartende geforderte Kundennutzen im Vordergrund. Auf der Grundlage von Marktanalysen wird das Produkt derart konzipiert, dass es in seinen Genen Eigenschaften für nachfolgende Produktgenerationen bevorratet. Das bedeutet zunächst einen erhöhten Entwicklungs- und Konstruktionsaufwand. Letztendlich können jedoch kundenspezifisch angepasste Produkte aus der ursprünglichen Konstruktion ohne großen Aufwand zu einem Zeitpunkt abgeleitet werden, an dem der Marktbedarf vorhanden ist. Ein Beispiel für Multi-Life-Produkte sind Mobiltelefone oder Haushaltsgeräte, deren Funktionalitäten mithilfe von Softwaredownloads erweitert werden können. Die Informationsflüsse innerhalb des Technischen Bereichs werden bei einer strategischen Umsetzung der vorgestellten Lösungsansätze komplexer und ihre Inhalte umfangreicher. Da viele produktbeschreibende Daten während des Engineering-Prozesses entstehen und durch Mitarbeiter bearbeitet werden, muss ihre Kontrolle und Steuerung in den Prozess- und Organisationskontext eingebunden werden. Dies betrifft insbesondere Zugriffsberechtigungen sowie ein-
PLM-AMNALYSE METHODEN deutig definierte Aufgaben für jeden Mitarbeiter. Aufgrund der immensen Datenmengen bei heutigen Produktentwicklungen kann ihre Steuerung nur durch ein IT-gestütztes Hilfsmittel geschehen, das sich zudem in die vorhandene CAx-Landschaft einfügen muss. Die PDMS-Fähigkeit eines Technischen Bereichs und ihre Einflussgrößen. Die CSC und ihre fünf Aktivitätenmatrizen (AM). Die PDMS-Fähigkeit lässt sich durch Einflussgrößen beschreiben, die jedoch lediglich allgemeinen Charakter besitzen. Deshalb ist ein Hilfsmittel erforderlich, mit dem die Einflussgrößen für jeden Technischen Bereich spezifisch ermittelt werden können. Dies ist Aufgabe der Capability Scorecard (CSC). Im Falle der PLM-Strategie handelt es sich um ein Produktdatenmanagement-System (PDMS), welches sämtliche produktbeschreibenden Daten während des gesamten Produktlebenszyklus speichert, verwaltet und den Mitarbeitern bereitstellt. Voraussetzungen ermitteln An die Einführung beziehungsweise den Betrieb eines PDMS zur Unterstützung bei der Umsetzung von PLM werden im Allgemeinen hohe Erwartungen geknüpft. Dabei unterschätzt man häufig den zugehörigen Umsetzungsaufwand, da dieser direkt an wesentliche Voraussetzungen geknüpft ist, die CAD CAM 3-4/2008 41
Ausgefüllte Aktivitätenmatrix für den Mustererzeugungsprozess. innerhalb des Technischen Bereichs vorhanden sein sollten. Der Begriff PDMS-Fähigkeit bezeichnet die augenblickliche Eignung des Technischen Bereichs hinsichtlich dieser Voraussetzungen und kann in Form einer Schulnote von 1 ( sehr gut ) bis 4 ( ausreichend ) ausgedrückt werden. Die PDMS-Fähigkeit lässt sich durch Einflussgrößen beschreiben, die jedoch lediglich allgemeinen Charakter besitzen. Deshalb ist ein Hilfsmittel erforderlich, mit dem die Einflussgrößen für jeden Technischen Bereich spezifisch ermittelt werden können. Dies ist Aufgabe der Capability Scorecard (CSC). Die CSC analysiert und bewertet den augenblicklichen Eignungsgrad des Technischen Bereichs auf der Grundlage der Einflussgrößen. Ergibt die Bewertung ein ungenügendes Ergebnis, werden durch die CSC-Analyse Schwachstellen identifiziert und durch gezielte Verbesserungsmaßnahmen eliminiert. Anschließend können die Auswirkungen der durchgeführten Maßnahmen durch eine erneute CSC- Bewertung überprüft werden. Dank dieses Regelkreis-Charakters ist die CSC auch als Kontrollinstrument für den laufenden Betrieb eines PDMS geeignet. 42 CAD CAM 3-4/2008 Die fünf Perspektiven Die CSC berücksichtigt fünf Perspektiven (Schwerpunkte) innerhalb des Technischen Bereichs, die für eine erfolgreiche PLM-Umsetzung entscheidend sind. Die finanzielle Perspektive ermöglicht eine Abschätzung, welche finanziellen Potenziale die Einführung beziehungsweise der laufende Betrieb eines PDMS besitzt. Dabei müssen sowohl der Technische Bereich als auch die an der Produktentwicklung beteiligten Abteilungen berücksichtigt werden. Die Produktperspektive berücksichtigt die augenblickliche Eignung der Produkte und ihre Gestaltung. Relevante Bewertungskriterien stellen beispielsweise die Komplexität der Produktstruktur, der vorhandene Standardisierungsgrad oder der augenblickliche Anteil an Wiederholteilen dar. In der Prozessperspektive werden die vorhandenen Prozesse auf ihre augenblickliche PDMS-Implementierungseignung beispielsweise in Form von Workflows überprüft. Dies geschieht anhand von Kriterien wie der vorhandenen Teilprozessanzahl oder der Durchgängigkeit von Informationsflüssen. Die IT-Perspektive berücksichtigt die vorhandene IT-Systemlandschaft. Sie bewertet Voraussetzungen wie die Schnittstellenkompatibilität der Systeme oder eine ausreichende Dimensionierung der Netzwerk-Infrastruktur. In der Organisations- und Rollenperspektive wird die Aufbauorganisation des Technischen Bereichs überprüft. Dies geschieht anhand von Bewertungskriterien wie der eindeutigen Zuordnung von Mitarbeitern zu Prozesstätigkeiten oder definierten Zugriffsrechten auf Daten, beispielsweise CAD- Modelle. Damit hängt sie stark mit der Produkt- und Prozessperspektive zusammen. Jede Perspektive wird durch eine Aktivitätenmatrix beschrieben. In jeder Aktivitätenmatrix findet die konkrete Umsetzung der Ziele in den Arbeitsablauf des Technischen Bereichs statt. Ebenso wird mit ihrer Hilfe die eigentliche Bewertung der augenblicklichen PDMS-Fähigkeit des Technischen Bereich durchgeführt. Als Bewertungsgrundlage dienen Modelle wie Prozess- oder Produktdatenmodelle. Die CSC verweist auf etablierte Modellierungsmethoden wie ARIS oder ISO 10303.
METHODEN Bei CSC-Analysen in mittelständischen Unternehmen identifizierte man folgendes Nutzenpotenzial: Bezüglich der Produkte ließen sich Verbesserungen des Variantenund Konfigurationsmanagements erzielen, indem man Referenzproduktstrukturen erstellte. Im Bereich der Prozesse konnte eine Senkung der Durchlaufzeit, die Identifikation und Übernahme von Routinetätigkeiten wie Freigabebenachrichtigungen durch das PDMS sowie eine Fehlersenkung bei der Ausübung einzelner Prozesstätigkeiten erreicht werden. Im Organisationssegment erfolgten eine definierte Zuordnung von Verantwortlichkeiten zu bestimmten Prozesstätigkeiten sowie die eindeutige Zugriffsberechtigung an Produkt- und Prozessdaten. Exemplarische Darstellung des vorhandenen Nutzenpotenzials nach einer Schwachstellenanalyse. Je größer die Fläche, desto höher das identifizierte Nutzenpotenzial. CSC exemplarisch angewendet Nachfolgend wird exemplarisch ein typischer Teilprozess in der Konstruktion zur Erstellung eines Kundenmusters beschrieben. Zu Beginn erhält der Konstrukteur ein Lastenheft aus dem Vertrieb, das die aufgenommenen Kundenanforderungen enthält. Auf dieser Grundlage versucht er, ein bereits bestehendes Produkt, welches die Anforderungen größtenteils abdeckt, anzupassen. Nicht abgedeckte Anforderungen werden häufig durch eine Bauteilneukonstruktion erfüllt. Der Grund liegt darin, dass es schneller geht, mit den heutigen CAx-Hilfsmitteln ein neues Teil zu konstruieren, als nach einem bereits vorhandenen Teil zu suchen, welches dieselbe Funktion erfüllt. Damit steht dem Kundenvorteil einer schnellen Umsetzung der Nachteil einer fehlenden Referenzierung auf das ursprüngliche Produkt beziehungsweise der ursprünglichen Bauteile gegenüber. Zusätzlich steigt der Verwaltungsaufwand neuer spezifischer Bauteilvarianten und ihrer entsprechenden Artikel- beziehungsweise Teilenummern an. Falls dann noch bestimmte Prozesstätigkeiten wie die zugehörige Stücklistenänderung händisch erfolgen, ist eine Zuordnung schwer nachvollziehbar. Um diese Ausgangssituation im betrachteten Technischen Bereich zu ändern, werden zusammen mit den Mitarbeitern Ziele definiert, die mit der PLM-Umsetzung erreicht werden sollen. Diese werden einschließlich einer messbaren Zie- CAD CAM 3-4/2008 43
lerreichungsgröße in die zweite Spalte der Aktivitätenmatrix Prozess eingetragen. Die Grundlage für die Aktivitätenmatrix-Bewertung bildet das zugehörige Prozessmodell. In diesem Fall war aufgrund der bestehenden ISO-9000- Zertifizierung ein beschreibendes Flussdiagramm des Mustererstellungsprozesses vorhanden. Anschließend wird der Prozessablauf unter Berücksichtigung der definierten Ziele anhand von spezifischen Kriterien bewertet, beispielsweise der Anzahl der beteiligten Mitarbeiter oder der Eindeutigkeit der Prozessdaten. Entsprechende Kriterienkataloge stellt die CSC zur Verfügung; damit ist es möglich, zusammen mit den Mitarbeitern den augenblicklichen Erfüllungsgrad für jedes Kriterium zu bestimmen. Die Einbindung der Mitarbeiter in Form eines Workshops ist hierbei besonders bedeutsam: Sie kennen ihre Abläufe im DAS BUCH 44 CAD CAM 3-4/2008 Technischen Bereich am besten, zusätzlich werden sie aktiv in die PLM-Umsetzung eingebunden. Als Bewertungsergebnis hinsichtlich seiner augenblicklichen PDMS- Eignung ergab sich für den bestehenden Prozessablauf ein Wert von 2,8; ein Verbesserungspotenzial war folglich vorhanden. Anhand der Gewichtung der einzelnen Bewertungskriterien kann man eine Reihefolge derjenigen Schwachstellen festlegen, bei denen eingeleitete Verbesserungsmaßnahmen den größten Erfolg zeigen. Dies ist besonders bedeutsam, wenn die Unternehmensführung schnelle Erfolge bei einer PLM-Umsetzung sehen will. Dazu wird eine Schwachstellenanalyse durchgeführt. Die Verbesserungsmaßnahmen werden in der Aktivitätenmatrix dokumentiert und in Form von Einzelprojekten umgesetzt. Ein hohes Verbesserungspotenzial wurde in der Reduzierung pro- PLM-FITNESS. Der Artikel hat bei Ihnen Lust auf mehr geweckt? Mit Product Lifecycle Management für die Praxis zeigen die Autoren Jörg Feldhusen und Boris Gebhardt, wie Unternehmen zu ihrer maßgeschneiderten Product-Lifecycle-Management-(PLM-)Strategie finden und diese anhand eines Produktdatenmanagementsystems (PDMS) umsetzen können. Um solch ein PDMS einzuführen, ermittelt man zunächst den Reifegrad, sozusagen die eigene PDMS-Fitness. Das zu messen ist Aufgabe des Tools Capability Scorecard (CSC), das am Institut für Allgemeine Konstruktionstechnik des Maschinenbaus entwickelt worden ist. Anhand von definierten Kriterien erfolgt eine reproduzierbare Punktevergabe, die zu einem objektiv messbaren Ergebnis führt. Da Feldhusen/Gebhardt zahlreiche Industrieprojekte betreut haben, beantwortet das Buch praxisnah typische Fragen von KMU zu PLM und wie man es plant, umsetzt oder bewertet. Auch hilft das Werk dabei zu klären, ob das jeweilige Unternehmen in seinem momentanen Zustand die strategischen und operativen Ziele mit PLM und PDMS erreichen kann. Wissen gezielt zu nutzen und bereitzustellen, gehört zu den wichtigsten Aspekten von PLM. Das Wissen eines Unternehmens ist sein Kapital und bildet sich in seinen Produkten ab. Deshalb ermutigen die Verfasser zu einem produkztentrierten Ansatz. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt somit darin, Produktarten wie Multi-Life-Produkte, die eine PLM-Strategie effizient unterstützen, zu beschreiben. Abgerundet wird das Buch von einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und einem Fallbeispiel. Product Lifecycle Management für die Praxis wendet sich an Ingenieure, Projektleiter oder Geschäftsführer und spannt einen perfekten Bogen von Theorie zu Praxis. Trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs ist es sehr anschaulich geschrieben. Übersichtlich strukturiert bietet jedes Kapitel eine eigene Zusammenfassung. Ebenso hilfreich sind die ausführlichen Verweise auf Sekundärliteratur und ein Sachwortverzeichnis. Sehr empfehlenswert! JRü Feldhusen/Gebhardt: Product Lifecycle Management für die Praxis ; Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2008, 334 Seiten, ISBN 978-3-540-34008-9 zessbeteiligter Mitarbeiter umgesetzt, indem Verantwortlichkeiten bestimmter Prozessaktivitäten wie beispielsweise die Lieferung zum Kunden den entsprechenden Fachabteilungen zugeordnet wurden. Weitere Teilschritte wie Freigabebenachrichtigungen an beteiligte Mitarbeiter konnten im PDMS automatisiert werden. Dazu wurden sämtliche Prozessaktivitäten sowie ihre zugehörigen Eingangs- und Ausgangsdaten eindeutig definiert. So wird jede Stückliste nicht mehr händisch, sondern als Datei geändert, indem bestimmte Applikationsfunktionalitäten wie Redlining oder Drag & Drop in den Prozessablauf eingebunden wurden. Das eliminierte nahezu die Fehlerquote bei der Datenübertragung zwischen den einzelnen Unterlagen. Gleichzeitig konnte dadurch die Durchgängigkeit der Informationsflüsse erhöht werden. Die Durchlaufzeit sank von durchschnittlich drei Wochen auf vier Tage. Die Daten aller Musterprojekte wurden mit entsprechenden Referenzierungen versehen und in einem speziellen, für alle prozessbeteiligten Mitarbeiter zugänglichen Projektordner gespeichert. Nach Abschluss der Verbesserungsmaßnahmen kletterte das CSC-Bewertungsergebnis auf 2,1. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass die Anwendung der CSC auch ohne PDMS-Einführung ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für den Technischen Bereich darstellt, um vorhandene Schwachstellen zu identifizieren und seine Abläufe im Engineering effizient zu steigern und permanent zu überprüfen. Zusätzlich kann gegenüber der Unternehmensführung der Aufwand einer PLM-Umsetzung in Form von dokumentiertem Nutzen nachgewiesen werden. Prof. Dr.-Ing. J. Feldhusen, Direktor des Instituts für Konstruktionstechnik der RWTH Aachen, und Dr.-Ing. Boris Gebhardt, freier Autor @ www.ikt.rwth-aachen.de CC100679