Altenheim Rechtstag 2014 Betreuungsrecht Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung und Assistenz Rechtsanwältin Ines Theda Kanzlei Dr. Heß und Kollegen, Freiburg
Die Haltung Art. 1 Abs. 1 GG Die Würde des Menschen ist unantastbar. Art. 2 GG (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Die Haltung 1896 BGB: Erforderlichkeitsgrundsatz 1901 Abs. 2 BGB Pflichten des Betreuers: Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten.
Die Haltung UN-BRK : Artikel 12 Gleiche Anerkennung vor dem Recht (2) Die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen. (4) Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass zu allen die Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit betreffenden Maßnahmen im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen geeignete und wirksame Sicherungen vorgesehen werden, um Missbräuche zu verhindern. Diese Sicherungen müssen gewährleisten, dass bei den Maßnahmen betreffend die Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit die Rechte, der Wille und die Präferenzen der betreffenden Person geachtet werden, es nicht zu Interessenkonflikten und missbräuchlicher Einflussnahme kommt, dass die Maßnahmen verhältnismäßig und auf die Umstände der Person zugeschnitten sind, dass sie von möglichst kurzer Dauer sind und dass sie einer regelmäßigen Überprüfung durch eine zuständige, unabhängige und unparteiische Behörde oder gerichtliche Stelle unterliegen. Die Sicherungen müssen im Hinblick auf das Ausmaß, in dem diese Maßnahmen die Rechte und Interessen der Person berühren, verhältnismäßig sein.
Der Grundsatz nach UN-BRK So viel Assistenz wie möglich und so wenig Vertretung wie absolut nötig.
Neuere Entwicklung der Gesetzgebung Gesetz zur Regelung der betreuungsgerichtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme Gesetz zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde
Die Rechtsprechung:
Die Rechts- und Handlungsfähigkeit 1. Der Betroffene ist in Betreuungssachen als verfahrensfähig anzusehen, ohne dass es auf seine Fähigkeit ankommt, einen natürlichen Willen zu bilden. 2. Die Verfahrensfähigkeit umfasst auch die Befugnis, einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen. BGH, Beschluss vom 30.10.2013, AZ: XII ZB 317/13
Die Rechts- und Handlungsfähigkeit Die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen ist nach 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig schon dann geboten, wenn der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen lässt. Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die beabsichtigte Entscheidung dem natürlichen Willen des Betroffenen entspricht. BGH Beschluss vom 7.8.2013, AZ: XII ZB 223/13
Vertragsrecht Die Einrichtung einer Betreuung lässt die Geschäftsfähigkeit des Betreuten grundsätzlich unberührt, die Kenntnis von einer Betreuung bedeutet nicht notwendigerweise auch die Kenntnis von einer Geschäftsunfähigkeit des Beklagten. LG Hagen, Urteil vom 22.08.2013, AZ: 10 O 154/13
Vertragsrecht Dem Betroffenen, der aufgrund krankheitsbedingter Beeinträchtigungen in seiner Fähigkeit, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen, erheblich eingeschränkt ist, ist ein Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn es um die Anordnung einer Kontrollbetreuung geht, die sich auf eine umfassende Vorsorgevollmacht bezieht. BGH, Beschluss vom 13.11.2013, AZ: XII ZB 339/13
FEM Das ethisch-rechtliche Dilemma: Sicherheit vs. Freiheit körperl. Unversehrtheit vs. Menschenwürde, Art. 1 Freiheit, Art. 2 GG Art. 2 GG Förderung der Aktivität, Autonomie
FEM - Genehmigungsfähigkeit 1. Freiheitsentziehende Maßnahmen sind auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken und immer das letzte Mittel der Wahl. 2. Sie sind nur nach gewissenhafter Prüfung der Menschenwürde und Abwägung der Freiheitsrechte mit den Fürsorgepflichten unter bedingungsloser Beachtung der Menschenwürde und Selbstbestimmung anzuwenden. AG Garmisch-Patenkirchen, Beschluss vom 21.2.2008, AZ: XVII 57/08
FEM - Genehmigungsfähigkeit 1. Die Genehmigung in eine freiheitsentziehende Maßnahme darf nur dann erteilt werden, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. 2. Finanzielle Erwägungen dürfen im Rahmen der Prüfung von milderen Maßnahmen keine Rolle spielen. 3. Die Verhinderung einer Sturzgefahr ohne freiheitsentziehende Maßnahmen gehört zu den pflegerischen Standards in Deutschland. Die Anschaffung alternativer Mittel, wie z.b. ein absenkbares Pflegebett muss von der Pflegeeinrichtung oder durch die sozialrechtlichen Kostenträger zur Verfügung gestellt werden. Wendet die Pflegeeinrichtung diese pflegerischen Standards nicht an, so ist im Extremfall ein Umzug in eine andere Einrichtung vor einer Freiheitsentziehung mittels Bettgittern vorzuziehen. Alternativ oder zusätzlich müssen auch eigene finanzielle Mittel des Betroffenen verwendet werden, um alternative Hilfsmittel zu beschaffen AG Frankfurt, Beschluss vom 29.11.2012, AZ: 49 XVII HOF 3023/11
FEM und Haftung 1.Bei einem Heimvertrag werden Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner begründet, die sie vor Schädigungen wegen Krankheit oder einer sonstigen körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst und durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Altenheims schützen sollen. Diese Pflicht ist allerdings beschränkt auf das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insbesondere auch zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind
FEM und Haftung 2. Welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, kann nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Dabei verbleibt hinsichtlich der zu treffenden Entscheidungen sowohl für das Pflegepersonal eines Altenheims, als auch für Betreuer, Vorsorgebevollmächtigte und Familienangehörige ein Beurteilungsspielraum. Wird eine Entscheidung im Rahmen des Vertretbaren getroffen, kann sie nicht im Nachhinein mit dem Stempel der Pflichtwidrigkeit versehen werden, wenn es zu einem Unfall kommt.
FEM und Haftung 3. Ein Heimbetreiber ist nicht von sich aus verpflichtet, einen Antrag auf Genehmigung einer Fixierung zu stellen oder einen Arzt einzuschalten, um prüfen zu lassen, welche Fixierungsmaßnahmen aus medizinischer Sicht indiziert sind. Er kann nach einer Benachrichtigung des Vorsorgebevollmächtigten zunächst abwarten, ob dieser sich nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände dafür entscheidet, freiheitsentziehende Maßnahmen zu ergreifen und das Notwendige veranlasst.
FEM und Haftung 4. Befindet sich ein Heimbewohner nicht krankheitsbedingt permanent in einer Gefahrenlage, ist er zur Vermeidung eines Sturzes im normalen Tagesablauf nicht ständig zu fixieren oder ununterbrochen zu bewachen. OLG Koblenz, Beschluss vom 17.6.2013, AZ: 3 U 240/13
FEM das Sozialhilferecht Die allnächtliche Fixierung eines Pflegebedürftigen stellt einen Eingriff in seine Grundrechte dar, der nach Intensität, Häufigkeit und Dauer so schwerwiegend ist, dass ihm nicht zugemutet werden kann, ihn bis zur bestandskräftigen Entscheidung über seinen Antrag auf Leistungen für eine hinzunehmen. Die hohen Kosten für die Beschäftigung einer Nachtwache sind zur Vermeidung einer andernfalls erforderlichen, vom Pflegebedürftigen als zutiefst belastend empfundenen allnächtlichen Fixierung jedenfalls nicht völlig unangemessen. SG Freiburg, Beschluss vom 15.12.11, AZ: S 9 SO 5771/11 ER
FEM die neueren Problemfälle Trickschlösser Patientenüberwachungssystem
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