Reform des EU-Emissionshandels

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Hintergrundpapier z u r Reform des EU-Emissionshandels 19.12.2014 Das erschließbare Potential der europäischen Industrie, ihre Treibhausgasemissionen weiter zu reduzieren, ist stark davon abhängig, wie die EU und der Rest der Welt ihre zukünftige Energieund Klimapolitik gestalten. Die Industriepolitik in der EU muss wieder stärker in den Vordergrund rücken, um Investitionen in Innovationen und Effizienzverbesserungen zu ermöglichen und das erklärte Ziel, den Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung bis 2020 auf 20 % anzuheben, zu erreichen. Dazu braucht die EU-Industrie stabile klimapolitische Rahmenbedingungen bei internationaler Chancengleichheit. Das ambitionierte Klimaziel von mindestens 40 % Emissionssenkungen bis 2030 wird für sie ohne signifikante Produktionsverlagerungen nur zu erreichen sein, wenn gleichzeitig durch umfassende Schutzmaßnahmen gegen Carbon Leakage die Voraussetzungen für Investitionen und Wachstum geschaffen werden. Solange Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen nicht international geregelt sind, sorgt die Abwanderung der Industrie lediglich für die Verlagerung von Emissionen in den meisten Fällen aber zu einem Mehr an Emissionen. Gleichzeitig wird der europäische Wirtschaftsstandort massiv geschwächt. Letztlich ist damit weder dem Klima, noch der Gesellschaft geholfen. In diesem Zusammenhang begrüßt der VIK die vom Europäischen Rat festgeschriebene Fortsetzung der Maßnahmen gegen Carbon Leakage auch nach 2020. Diese nur nach der bereits bestehenden Systematik fortzusetzen, reicht aber nicht aus, um der Verlagerung von Produktionskapazitäten in der Industrie wirksam und nachhaltig zu begegnen. Denn eine Fortführung des heute geltenden Systems würde aufgrund der drastischen Reduzierung der Zuteilungen durch den verschärften linearen Reduktionsfaktor und den sektorübergreifenden Korrekturfaktor in den meisten energieintensiven Branchen bis 2030 zu dramatischen Unterdeckungen von Zertifikaten führen. VIK hat sich in diesem Zusammenhang bereits im September 2014 mit einer Stellungnahme zum Kommissionsvorschlag einer Marktstabilitätsreserve (MSR) geäußert und Verbesserungsvorschläge gemacht. Der VIK setzt sich seit vielen Jahren für einen dynamischen Emissionshandel ein. Nur in einem solchen System können Abwanderungen ins Ausland in energieintensiven Branchen, das Seite 1 von 8 Autor: Sven Marschalek VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e.v. Hauptgeschäftsstelle Essen: Richard-Wagner-Straße 41 45128 Essen Büro Berlin: Friedrichstraße 187 10117 Berlin Tel.: +49 (0)2 01/ 8 10 84-0 Fax. +49 (0)2 01 / 8 10 84-30 Vorsitzender des Vorstands: Dr. Roland Mohr Geschäftsführung: Dr. Annette Loske Amtsgericht Essen: Registernummer 1813 VR info@vik.de www.vik.de

sogenannte Carbon Leakage, verhindert und einer effizienten Industrieproduktion in der EU eine tragfähige Zukunftsperspektive eröffnet werden. Derzeit erhalten Unternehmen ETS- Zertifikate (EUAs) auf Basis historischer Produktionsdaten zugeteilt. Diese Zuteilung spiegelt die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung seit den Referenzjahren 2005 bis 2007 bzw. 2007/2008 jedoch nicht wider. Wenn diese Unternehmen wachsen wollen, müssen sie stets zusätzliche Zertifikate am Markt kaufen. Ein dynamischer Emissionshandel dagegen basiert auf der Zuteilung von Emissionshandelszertifikaten anhand aktueller Produktionsdaten. Das heißt, ähnlich einer Steuererklärung melden die Unternehmen im Rahmen ihrer Berichtspflichten im Nachhinein ihre tatsächlich entstandenen Emissionen und erhalten dann eine Korrektur der zugeteilten Menge an EUAs. Die Allokation wird auf Basis von Benchmarks vorgenommen, so dass die effizientesten Anlagen in Europa in jedem Fall keine zusätzlichen Kosten tragen müssen. Aus Sicht des VIK sind folgende Aspekte zentrale Bestandteile einer ETS-Reform hin zu einem dynamischen Emissionshandel: 1. Einbeziehung aller Sektoren in den Schutz vor Carbon Leakage, die gefährdet sind; dies schließt auch Fallback-Sektoren mit ein; 2. Zuteilung der Zertifikate auf Basis aktueller Produktionsdaten; 3. Einführung einer Industriereserve, die Differenzen zwischen der vorhergesagten und der tatsächlichen Produktion ausgleicht; 4. Abschaffung von Korrekturfaktoren, insbesondere des sektorübergreifenden Korrekturfaktors und des linearen Reduktionsfaktors für die Industrie; und 5. Sicherstellung von Regelungen zur vollständigen Kompensation indirekter Kosten, die durch die Einpreisung von CO 2 -Preisen in Stromkosten begründet sind. Der VIK sieht in diesem im Gegensatz zum derzeitigen statischen System folgende zentralen Vorteile: Die dynamische Zuteilung ermöglicht industrielles Wachstum ohne Zusatzkosten durch den EU ETS, sofern die effizienteste verfügbare Technik eingesetzt wird. Dies wird durch die Zuteilung auf Basis von Effizienzbenchmarks erreicht. So werden signifikant steigende Unterausstattungen mit Zertifikaten bei effizientem Wachstum vermieden und die Unternehmen erhalten Planungs- und Investitionssicherheit. Die Anreize zur CO2-Effizienzsteigerung werden verbessert, weil sich Unternehmen eindeutig am Benchmark der besten Anlagen orientieren können. Die Chancen, das System international auszuweiten, werden verbessert, da Wirtschaftswachstum und Klimaschutz als miteinander kompatibel gezeigt werden können. Auf im heutigen System notwendige komplexe und hochkomplizierte Zuteilungsregeln für Fälle von Produktionsausweitungen und Neuanlagen kann verzichtet werden. Der Schutz gegen Produktionsverlagerungen (Carbon Leakage) und der Erhalt von heimischen Industriearbeitsplätzen werden somit erhöht. Überausstattungen in einer Rezession und die damit ausgelösten Diskussionen über volatile Anpassungen des Systems (Backloading etc.) werden vermieden. Seite 2 von 8

1. Einbeziehung aller Carbon-Leakage-gefährdeten Sektoren Der Carbon-Leakage-Status ist für die Investitionsentscheidungen von Industrieunternehmen ein entscheidendes Kriterium. Um negative Auswirkungen auf die Sicherheit und Planbarkeit von Investitionen in Europa zu vermeiden, sollten Unsicherheitsfaktoren über den längerfristigen Carbon-Leakage-Status eines Unternehmens daher ausgeräumt werden. In jedem Fall aber sollte die Carbon-Leakage-Liste der Kommission mindestens für die Dauer einer Handelsperiode, und nicht wie bisher für lediglich fünf Jahre, Gültigkeit haben. Hinzu kommt, dass die Kriterien zur Berechnung der Carbon-Leakage-Liste den tatsächlichen Sachverhalten in der industriellen Produktion besser Rechnung tragen müssen. Die bisherigen Berechnungsmaßstäbe sollten daher um die folgenden Punkte ergänzt werden: einen umfassenden Klimakostenvergleich zwischen Europa und anderen industriellen Weltregionen (einschließlich der Zuteilungsregeln für direkte und indirekte Emissionen), eine klare Definition des entscheidenden Anteils von globaler Produktion, die Anwendung der Grenzkraftwerkskosten für die Berechnung der indirekten CO 2 - Kosten, qualitative Untersuchungen, um negative Auswirkungen auf Wertschöpfungsketten zu verhindern (Teilsektoren, die nicht direkt beeinflusst, aber grundsätzlich an Carbon- Leakage-gefährdete Sektoren gebunden sind, stehen nicht immer auf der Liste), die Anwendung des zukünftig erwarteten CO 2 -Preises. 2. Zuteilung auf Basis aktueller Produktionsdaten Der Emissionshandel ist prinzipiell ein effizientes und effektives marktbasiertes Instrument, um Klimaschutz zu den niedrigsten Kosten zu ermöglichen. Konstruktionsfehler im aktuellen EU ETS sorgen jedoch dafür, dass der Emissionshandel seine volle Wirkung für kosteneffiziente Investitionen in den Klimaschutz nicht entfalten kann. Um Investitionen in effiziente Anlagen zu stimulieren und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie zu erhalten, muss insbesondere der Rahmen für den Schutz vor Carbon Leakage im aktuellen ETS verbessert werden. Dafür eignet sich eine Zuteilung von Emissionshandelszertifikaten auf Basis aktueller Produktionsdaten. Im aktuellen System existiert für die Industrie nur ansatzweise ein Anreiz, in effiziente Technologien zu investieren und ihre Anlagen zu verbessern, um Überschüsse an Zertifikaten aufzubauen. Dies ist der Fall, da die Zuteilungsmenge durch historische Produktionszahlen weitgehend festgelegt ist. Aktuelle Entwicklungen etwa Modernisierungen mit Kapazitätsausweitungen werden jedoch nur unter komplizierten Neueintritts- bzw. Stilllegungsvorschriften und unter großen Planungsunsicherheiten berücksichtigt und Investitionen somit letztlich behindert. Die Zuteilung auf Basis aktueller Produktionsdaten setzt dagegen permanent Anreize für die Industrie, ihre Anlagen zu verbessern, denn Einsparungen durch einen Effizienzgewinn sind absehbar und Investitionen damit sicherer. Die Zuteilung kostenfreier Zertifikate muss so ausgestattet sein, dass Carbon Leakage in den gefährdeten Sektoren unabhängig davon, ob es sich um Sektoren mit spezifischen Benchmarks oder um Fallback-Sektoren handelt effektiv verhindert werden kann. Das bedeutet, wie es auch der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen vom Oktober 2014 Seite 3 von 8

festgelegt hat, dass den effizientesten Anlagen in diesen Sektoren keine unangemessenen CO 2 -Kosten entstehen, die zu Verlagerungen von CO 2 -Emissionenn führen würden 1. Es bedeutet keinen Freifahrtschein für die Industrie, sondern nur ausreichende Zertifikatszuteilungen für die effizientesten Produzenten. Das sind die Produzenten, die auf Basis oder sogar unterhalb des gesetzten Benchmarks produzieren. Nur wenn diesen Unternehmen keine zusätzlichen Kosten durch den Kauf von Extrazertifikaten entstehen, kann davon gesprochen werden, dass das EU ETS keine Kostennachteile für die Industrieproduktion in der EU verursacht. Es wird oft argumentiert, dass durch die Zuteilung kostenloser Zertifikate der Wechsel zu CO 2 - effizienten Produkten aufgeschoben wird. Dies liege daran, dass das CO 2 -Preissignal in die Produkte nicht weitergegeben werde und somit keine Wirkung im Sinne von Verbraucherverzicht auf diese CO 2 -intensiven Produkte entfalten könne. Solange jedoch die internationalen Wettbewerber der europäischen Produzenten keinem Emissionshandel unterliegen und somit auch keine Mehrkosten aus Klimaschutzgründen zu tragen haben, ist dieses Argument nicht gültig bzw. muss auf diesen Aspekt bewusst verzichtet werden. Denn international hergestellte Produkte ohne dieses Preiselement stehen dann dem Verbraucher als Alternative zur Verfügung, auf die er i.d.r. zurückgreifen würde, was gerade den Ausgangspunkt für Carbon Leakage bildet. Ein volles CO 2 -Preissignal in allen Produkten und der Schutz vor Carbon Leakage sind im EU ETS deshalb zurzeit nicht miteinander vereinbar. Dennoch setzt die Industrie schon aus Wettbewerbsgründen auf Effizienzverbesserungen, die sich auch positiv auf das Klimaziel auswirken. Energiekosten stellen einen wesentlichen Bestandteil der Betriebskosten der Industrie dar. In den energiekostensensiblen Unternehmen, die VIK vertritt, ist Effizienz eine Überlebens- und Wachstumsstrategie, denn sie trägt zum Erweitern von zukünftigen Entwicklungsspielräumen eines jeden Unternehmens bei. Insofern ist es zu erklären, dass die deutsche Industrie unter den effizientesten Energienutzern weltweit ist, denn die Unternehmen optimieren ihren Energiebedarf kontinuierlich seit Jahrzehnten. Technisch machbare und wirtschaftlich sinnvolle Effizienzverbesserungen waren und werden aus diesem Grund auch weiter im Kern der Optimierungsbemühungen der Unternehmen stehen. 3. Einführung einer Industriereserve Ein wesentliches Element der dynamischen Zuteilung stellt die Einführung einer Industriereserve dar, über die Schwankungen zwischen der vorhergesagten und der tatsächlichen Produktion ausgeglichen werden. Nur so wird sichergestellt, dass die Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit für ihre Produktion haben. Die Ausstattung dieser Reserve muss genau geprüft werden. Einerseits müssen genug Zertifikate vorhanden sein, um der wirtschaftlichen Entwicklung der Industrie Rechnung zu tragen, andererseits muss eine Überausstattung vermieden werden, um eine zusätzliche Verknappung von Emissionshandelszertifikaten und somit eine Steigerung des Strompreises zu vermeiden. Eine praktikable Option der Auffüllung dieser Reserve könnte die Nutzung der 900 Millionen 1 Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rates (23./24. Oktober 2014), S.2, Unterpunkt 2.4 Seite 4 von 8

Zertifikate sein, deren Markteinführung mit dem Backloading bis Ende des Jahrzehnts zurückgestellt wurde. Es ist zu diskutieren, ob die Industriereserve einen eigenen Mechanismus im ETS darstellen soll oder ob ggf. ein Teil der Zertifikate der Marktstabilitätsreserve speziell für die Unternehmen im internationalen Wettbewerb vorgehalten werden könnte. Im Zusammenhang mit der Industriereserve stellt sich die Frage nach der Flexibilisierung des ETS-Industrie-Caps. Die Gesamtmenge der EU-weit kostenlos zugeteilten Zertifikate errechnet sich aus dem Emissionsanteil der Nicht-Stromerzeuger an den durchschnittlichen Gesamtemissionen des ETS-Sektors der Jahre 2005-2007, der in jedem Jahr der laufenden Handelsperiode mit dem gültigen Gesamt-Cap multipliziert wird. Um die maximale Menge der Zuteilung gemäß Art. 10a Absatz 5 der Emissionshandelsrichtlinie, das sogenannte Industrie- Cap, nicht zu übersteigen, wird derzeit ein sektor-übergreifender Korrekturfaktor verwendet (siehe Punkt 3). Dieses starre Industriecap muss in einem System der dynamischen Zuteilung flexibler gestaltet werden. In Jahren starken Wachstums kann die Ausschüttung von Zertifikaten an die Industrie zu einer kurzfristigen Überschreitung des Industriecaps führen. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die Einhaltung des Gesamtcaps, da erstens in schwächeren Konjunkturphasen Zertifikate in die Industriereserve überführt werden und zweitens die Menge der Zertifikate der Reserve im Vorhinein festgelegt wird und somit das Gesamtcap nicht überschritten werden kann. Die langfristige Einhaltung der Treibhausgasreduktion ist also garantiert (siehe Abb. 1). Abb. 1 Industriereserve (Allocation Supply Reserve) nach Ecofys 2 In den Niederlanden wird seit Mai 2014 ein Modell der dynamischen Zuteilung des Beratungsunternehmens Ecofys 3 diskutiert, welches im Auftrag des niederländischen Umweltministeriums in Zusammenarbeit und Abstimmung mit Regierungsvertretern und verschiedenen Interessengruppen erarbeitet worden ist. Durch Szenarienberechnungen kommt Ecofys zu dem Schluss, dass das Cap mit Einführung einer Industriereserve bei den im System 2 Dynamic allocation for the EU Emissions Trading System, Ecofys, 24. Mai 2014, S.8 3 Dynamic allocation for the EU Emissions Trading System, Ecofys, 24. Mai 2014 Seite 5 von 8

vorgesehenen Regelsetzungen 4 bis mindestens 2035 ausreicht. Für den Fall, dass dies nicht der Fall sein sollte, schlägt Ecofys folgende Maßnahmen vor: strengere Benchmarks, eine Anpassung (Verkleinerung) der Carbon Leakage-Liste, einen Ausgleich durch internationale Emissionsreduktionseinheiten oder Minderungen im Nicht-ETS-Bereich. Besonders die Zulassung von internationalen Gutschriften und zusätzliche Minderungsanforderungen im Nicht-ETS-Bereich sollten weiter geprüft werden. Diese Mechanismen würden die kostenlose Zuteilung unberührt lassen und damit Planungssicherheit gewährleisten. Strengere Benchmarks oder eine Anpassung der Carbon Leakage-Liste würden dagegen eine Kürzung der Zuteilungsmenge für die Industrie bedeuten und somit die Funktionsweise des dynamischen Emissionshandels auf den Kopf stellen. Während der VIK das Modell der dynamischen Zuteilung nach der Ecofys-Studie grundsätzlich begrüßt, sind diese Elemente als Sicherheitsventil daher strikt abzulehnen. 4. Abschaffung von Korrekturfaktoren Die derzeitige Zuteilung kostenfreier Zertifikate erfolgt auf Basis eines Benchmarks, der durch die 10% besten Anlagen des jeweiligen Sektors gesetzt wird. Durch die Anwendung des sektorübergreifenden Korrekturfaktors und des linearen Reduktionsfaktors kommt es jedoch dazu, dass dieser streng errechnete Benchmark noch deutlich gekürzt wird und so selbst die effizientesten Produzenten noch erhebliche zusätzliche Kosten zu tragen haben. Dieses Problem wird durch die Beschlüsse des Europäischen Rates vom Oktober 2014 noch verschärft, denn der Lineare Reduktionsfaktor soll nun ab 2021 von 1,74 % auf 2,2 % pro Jahr angehoben werden. Wird dieser Ansatz fortgesetzt, wird eine effiziente Anlage, die derzeit noch 94 % ihrer Zertifikate frei zugeteilt bekommt, bis 2030 nur noch 60 % freie Zuteilungen erhalten. Dieser Ansatz unterbindet effizientes industrielles Wachstum und lässt mittelfristig den Unternehmen nur noch die Möglichkeit, ihre Produktion zu verlagern, wenn sie mit den ausgegebenen Zertifikaten auskommen und Zusatzkosten umgehen wollen. Der VIK fordert deshalb eindringlich die Abschaffung jeglicher Art von Korrekturfaktoren für die Industrie-Sektoren im EU ETS. Gleichzeitig erkennt der VIK die Berechtigung eines Mechanismus an, der dem Fortschritt Rechnung trägt und den Beitrag der Industrie zur Emissionsminderung widerspiegelt. Der VIK sieht hierfür die Option einer Aktualisierung der Benchmarks für die freie Zuteilung. Die Aktualisierung der Benchmarks muss die tatsächlichen technisch möglichen Reduktionspotenziale einzelner Sektoren berücksichtigen. Diese sind eindeutig in den von der EU-Kommission angestoßenen Sector Roadmaps dargestellt und liegen erheblich niedriger als der derzeitige Reduktionsfaktor von 1,74 % oder sogar 2,2 % pro Jahr. Das mögliche Ausmaß von Effizienzsteigerungen wird ohnehin vom Stand der Technik und den naturwissenschaftlichen Grenzen der Produktionsprozesse bestimmt. Alle darüber hinaus 4 Ecofys sieht u.a. vor, die Kompensation indirekter Emissionen durch Zertifikatszuteilungen abzudecken, was der VIK-Position widerspricht (siehe Punkt 5) Dies würde den Bedarf der Industriereserve deutlich ausweiten. Seite 6 von 8

gehenden Bestimmungen sind unrealistisch und können von den Unternehmen nur durch Flucht aus dem EU ETS-Bereich beantwortet werden. Eine Aktualisierung der Benchmarks sollte zudem zur Gewährleistung der Planungssicherheit nicht zu häufig und niemals innerhalb einer Handelsperiode erfolgen. Erfolgte die Benchmark- Aktualisierung in einem stetigen Prozess, so bestünde für die Industrie der kontraproduktive Anreiz, Investitionen aufzuschieben, um eine Verschärfung der Benchmarks zu verhindern. Eine entscheidende Frage aus Sicht des VIK ist zudem der Umgang mit den Fallback- Benchmarks 5, für die eine nicht diskriminierende Lösung gefunden werden muss. Da die einheitlichen Fallback-Benchmarks keine Anwendung aktueller Verbrauchsdaten im Sinne des dynamischen Modells ermöglichen, muss hier eine andere Lösung gefunden werden. Das Beratungsunternehmen Ecofys 6 macht drei Vorschläge zum Umgang mit den Fallback- Benchmarks: 1. eine Ausweitung der dynamischen Zuteilung; 2. anlagenspezifische Benchmarks pro Produkt 7 auf Basis der verfügbaren Daten zu berechnen; oder 3. die Beibehaltung der statischen Benchmarks, die derzeit verwendet werden. Eine Ausweitung der dynamischen Allokation hält der VIK aufgrund des damit verbundenen Aufwands zur Erstellung der zusätzlich nötigen Produkt-Benchmarks nicht für realistisch. Auch den Vorschlag, anlagenspezifische Benchmarks pro Produkt zu errechnen, sieht der VIK kritisch, da Unternehmen, die in der Vergangenheit in Effizienzmaßnahmen investiert haben, durch eine striktere Zuteilung bestraft würden. Darüber hinaus ist eine Abgrenzung der Produktionsmengen verschiedener Produkte, die in einer Anlage hergestellt werden, nicht immer einwandfrei möglich. Zudem würden sehr viele anlagenspezifische Benchmarks die Transparenz des Systems mindern. Die Beibehaltung des derzeitigen Zuteilungsmechanismus für die Fallback-Benchmarks scheint daher die akzeptabelste Vorgehensweise. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass die starre 80%-Regelung auch zu zusätzlichen Kosten für die Fallback-Sektoren führt, da selbst die effizientesten Anlagen automatisch 20% der Emissionen reduzieren müssen. Hierbei ist eine Anpassung des Fallback-Benchmarks, die die noch vorhandenen Potenziale der Effizienzsteigerungen berücksichtigt, sinnvoll. 5. Kompensationsregelungen für indirekte Kosten Die Frage der Kompensation indirekter CO 2 -Kosten ist für viele Sektoren von zentraler Bedeutung und übersteigt teils die Relevanz der freien Zuteilungen zur Verhinderung von 5 Die Fallback-Benchmarks decken ca. 20 % der industriellen Emissionen im ETS ab und werden in den Fällen angewendet, in denen die Ermittlung eines Produkt-Benchmarks nicht möglich war. 6 Dynamic allocation for the EU Emissions Trading System, Ecofys, 24. Mai 2014 7 Aus Sicht des VIK ist es irreführend in diesem Fall von einem Benchmark zu reden, da es sich um eine individuelle Zuteilung handelt. Seite 7 von 8

Carbon Leakage. Diese Kosten entstehen durch die Einpreisung von CO 2 -Kosten in den Strompreis. Hinsichtlich der Kompensationsmöglichkeiten werden verschiedene Wege diskutiert, unter anderem europaweite oder nationale Kompensationsmechanismen oder eine freie Zuteilung von Zertifikaten für indirekte CO 2 -Kosten. Der VIK hält derzeit weder eine Zuteilung kostenloser Zertifikate für indirekte CO2-Emissionen noch eine EU-weite Strompreiskompensation für zielführend. Zwar sollte mit dem Voranschreiten des EU- Binnenmarkts für Strom langfristig eine EU-weit einheitliche Kompensationsregelung angestrebt werden, aus heutiger Sicht sollte jedoch die derzeitige (nationale) Strompreiskompensation beibehalten werden. Dabei ist unbedingt sicherzustellen, dass das nötige Budget für die Strompreiskompensation bereitgestellt und eine vollumfängliche Kompensation ermöglicht wird. Insbesondere ist der Haushaltsvorbehalt aus der deutschen Förderrichtlinie zu entfernen, eine Umstellung der Berechnungsmodalitäten von einem EU-Durchschnittswert auf den tatsächlichen Emissionsfaktor durchzuführen und eine Anpassung der EU-Umweltbeihilfeleitlinien vorzunehmen, um die unfaire pauschale Kürzung der möglichen Kompensation auf 85 % (zukünftig sogar nur 75 %) zu beenden. Fazit Die Ausgestaltung der europäischen Energie- und Klimapolitik ist für das Erreichen der industriepolitischen Ziele der EU von äußerster Wichtigkeit. Um Investitionen in Innovationen und Effizienzverbesserungen zu ermöglichen und das erklärte Ziel, den Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung bis 2020 auf 20 % anzuheben, zu erreichen, gilt es daher, stabile und verlässliche klimapolitische Rahmenbedingungen zu schaffen. Einen wesentlichen Baustein dieser Rahmenbedingungen bilden nachhaltig wirkende Schutzmaßnahmen gegen Carbon Leakage in einem reformierten Emissionshandel. Die Beschlüsse des Europäischen Rats bilden in diesem Zusammenhang die Grundlage für eine Reform des ETS hin zu einer dynamischen Zuteilung kostenloser Zertifikate. Die Kommission hat nun entsprechende Schritte einzuleiten unabhängig davon, ob bereits ein Vorschlag zur Einführung einer Marktstabilitätsreserve existiert. Ebenso braucht die Industrie ein klares und verlässliches politisches Signal, dass man bereit ist, die beschlossene verbindliche Zielsetzung zu überdenken, wenn den internationalen Wettbewerbern bis 2020 noch immer keine vergleichbaren Kosten für den Klimaschutz auferlegt wurden. Auf europäischer Ebene ist zudem konstant weiter zu prüfen, wie die Klimaschutzziele möglichst kosteneffizient erreicht werden können. Die Dynamisierung der freien Zuteilung im EU ETS ist dabei nur ein wichtiger Schritt. Zusätzlich sollten weitere Schritte unternommen werden, um das Effort Sharing zwischen ETS- und Nicht-ETS-Sektoren fairer zu gestalten (der im Sommer 2014 von der Kommission veröffentlichte Review zur Umsetzung der Energieeffizienz- Richtlinie sieht bspw. erhebliches CO 2 -Einsparungspotenzial in den Sektoren Gebäude und Verkehr) und die EU-Energie- und Klimapolitik beständiger und konsistenter zu machen. Seite 8 von 8