Volkswirtschaftliche Folgen einer Schwächung der Stahlindustrie in Deutschland
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- Maximilian Neumann
- vor 7 Jahren
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1 Volkswirtschaftliche Folgen einer Schwächung der Stahlindustrie in Deutschland Erläuterungen zur Studie der Prognos AG März 2016
2 1 Die Prognos-Studie untersucht die wirtschaftlichen Konsequenzen einer einseitig ausgerichteten EU-Energie- und Klimapolitik am Beispiel des Emissionsrechtehandels auf den Stahlstandort Deutschland. Analysiert werden die Folgen einer politisch induzierten Beeinträchtigung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie für die Branche selbst sowie für ihre Wertschöpfungsketten und für die Volkswirtschaft insgesamt. Aufgabenstellung und Vorgehensweise der Studie Hintergrund ist der Vorschlag der Europäischen Kommission vom 15. Juli 2015 zur Reform des Emissionsrechtehandels. Es sollen unter anderem die CO 2 -Benchmarks für die Eisen- und Stahlindustrie gesenkt und die freien Zertifikate drastisch verknappt werden. Dies wird die Stahlindustrie, die gegenwärtig ohnehin unter starkem Wettbewerbsdruck leidet, spürbar treffen. Das Institut Ecofys hat die Auswirkungen der Reform auf die Stahlindustrie in der EU ermittelt 1. Bis zu 50 Prozent der Zertifikate werden den Stahlunternehmen in Deutschland bis 2030 demnach fehlen. Die Branche muss in erheblichem Umfang Zertifikate zukaufen. Die Preise der Emissionsrechte werden steigen und auch die Strompreise in die Höhe treiben. Insgesamt muss die Stahlindustrie in Deutschland in dem Zeitraum jährlich im Durchschnitt eine Milliarde Euro aufwenden. Im Jahr 2030 steigt die Belastung sogar auf fast 1,6 Milliarden Euro. Angesichts der aktuellen Wettbewerbssituation ist es nicht möglich, diese Kosten weiterzureichen. Dies hat das Institut NERA in einem Gutachten bestätigt 2. Die Prognos AG untersucht auf Grundlage dieser Befunde die Folgen des verschärften Emissionsrechtehandels für die Stahlindustrie, für vor- und nachgelagerte Branchen sowie für die Volkswirtschaft in Deutschland insgesamt. Es werden zwei Szenarien modelliert: Das Referenzszenario, in dem keinerlei CO 2 -bedingte Zusatzkosten für die Stahlindustrie anfallen, und das Belastungsszenario, für das die von Ecofys berechneten Beträge herangezogen werden. Referenzszenario Im Referenzszenario ist mit einer stabilen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zu rechnen. Die Industrie bleibt die zentrale Stütze des Wachstums und der Kern des deutschen Geschäftsmodells. Vor allem die stahlintensiven industriellen Leitbranchen wie der Fahrzeug- und Maschinenbau sowie die Elektrotechnik verzeichnen überdurchschnittliche 1 Ecofys (2015): Carbon costs for the steel sector in Europe post NERA Economic Consulting (2016): Can the steel industry pass through carbon costs without losing market shares?
3 2 Produktionszuwächse. Diese positive Entwicklung trägt auch die Stahlindustrie, für die Prognos bis 2030 eine stabile Seitwärtsbewegung vorhersagt (s. Abb. 1). Abbildung 1: Veränderung der realen Wertschöpfung in ausgewählten Wirtschaftsbereichen, Deutschland, Industrielle Leitbranchen* 1,5% Gesamtwirtschaft 1,3% sonstige Industrie 0,9% Stahlerzeugung 0,2% 0,0% 0,2% 0,4% 0,6% 0,8% 1,0% 1,2% 1,4% 1,6% *Chemie, Fahrzeug-/Maschinenbau, Elektrotechnik Belastungsszenario Im Belastungsszenario wird dagegen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie durch die drastisch erhöhten Energie- und CO 2 -Kosten massiv eingeschränkt. Da die Stahlunternehmen diese im internationalen Wettbewerb nicht weitergeben können, werden die Spielräume für Investitionen immer mehr verengt. Die Gewinnmargen fallen ab 2023 unter Null (s. Abb. 2). Spätestens ab diesem Zeitpunkt würde der Kapitalstock in der Stahlindustrie schrumpfen. Abbildung 2: Umsatzrendite der deutschen Stahlindustrie im Belastungsszenario. 3,0% 2,0% 1,0% 0,0% -1,0% -2,0%
4 3 Die Unternehmen verhalten sich jedoch vorausschauend und fahren ihre Investitionen bereits im Vorfeld zurück. Eine schleichende De-Industrialisierung setzt ein. Im Jahre 2030 liegen Kapitalstock, Produktion und Beschäftigung in der Stahlindustrie 60 Prozent unter dem Referenzszenario. Folgen für die Wertschöpfungsketten und für die Volkswirtschaft Da die Stahlindustrie in komplexe Wertschöpfungsketten eingebunden ist, bringt ihre Schwächung eine Reihe von Konsequenzen für vor- und nachgelagerte Branchen mit sich: In den Zulieferbranchen (z. B. Energieerzeugung oder unternehmensnahe Dienstleistungen) führt die gesunkene Stahlproduktion zu Nachfrageausfällen. In den Abnehmerbranchen kommt es zu Importfriktionen, da bei den Stahlverarbeitern zunächst Logistikketten aufgebaut werden müssen, bis heimische Produkte durch Importe substituiert werden können. Das gelingt insbesondere bei klein- und mittelständischen Unternehmen nicht vollständig. Schließlich kommen volkswirtschaftliche Verluste hinzu, da Unternehmen und private Haushalte weniger Einkommen für Konsum und Investitionen zur Verfügung haben. Die aus diesen Effekten entstehenden Arbeitsplatzverluste summieren sich auf Der jährliche Rückgang des Bruttoinlandsprodukts wird 30 Milliarden Euro betragen (s. Abb. 3). Verglichen mit der durchschnittlichen Zusatzbelastung der Stahlindustrie im Zeitraum bedeutet dies: Ein Euro Mehrbelastung für die Stahlindustrie führt zu 30 Euro Verlust in der Volkswirtschaft. Abbildung 3: Folgen der Schwächung der Stahlindustrie bis 2030 für die Volkswirtschaft. Die Folgen einer Schwächung der Stahlindustrie gehen somit weit über die industriellen Wertschöpfungsketten hinaus. Besonders stark wirken sich die Effekte der Schwächung der Stahlindustrie auf die Wertschöpfung im Dienstleistungssektor aus. Dies betrifft sowohl die unternehmensnahen Dienstleistungen als auch konsumnahe Bereiche wie z. B. den Handel. In
5 4 Summe 17 Milliarden Euro Verlust entstehen im Dienstleistungssektor bis 2030 (s. Abb. 4). Über Arbeitsplätze gehen hier verloren (s. Abb. 5). Abbildung 4: Effekte auf Wertschöpfung, Abweichung gegenüber Referenzszenario 2030, in Milliarden Euro, real. Land-/Forstwirtschaft 0 Industrie (ohne Stahlerzeugung) -9 Stahlerzeugung -4 Dienstleistungssektor -17 Gesamtwirtschaft Abbildung 5: Effekte auf Beschäftigung, Abweichung gegenüber Referenzszenario 2030, in Tausend Personen. Land-/Forstwirtschaft -3 Industrie (ohne Stahlerzeugung) -88 Stahlerzeugung -37 Dienstleistungssektor -252 Gesamtwirtschaft Die ermittelten Auswirkungen sind als konservativ einzustufen. Einige Aspekte der Schwächung der Stahlindustrie bleiben unberücksichtigt. Dazu zählen etwa disruptiv-chaotische Prozesse, die durch das Reißen von Wertschöpfungsketten entstehen können, oder aber sich selbst verstärkende Effekte, wenn mit ähnlichen Wirkungen auch in anderen energieintensiven Branchen und in übrigen stahlerzeugenden Ländern der EU zu rechnen ist. Vor allem aber geht durch die Schwächung der Stahlindustrie auch Materialkompetenz verloren Innovationen, Qualität und die engen Verflechtungen zwischen den einzelnen Branchen. All das macht das industrielle Geschäftsmodell in Deutschland aus und ist Grundlage für nachhaltige und leistungsfähige Lösungen Made in Germany.
6 5 Schlussfolgerungen Eine einseitige Energie- und Klimapolitik, wie sie die Europäische Kommission gegenwärtig mit dem Emissionsrechtehandel plant, ist folglich mit erheblichen Konsequenzen für die Stahlindustrie und die Volkswirtschaft verbunden. Es drohen Produktions- und Beschäftigungsverluste, De-Industrialisierung und der Verlust von Materialkompetenz. Zudem führt der Import von Stahl zu steigenden CO 2 -Emissionen weltweit (ökologischer Rucksack). Die Stahlindustrie fordert eine ausgewogene Klimapolitik, die auf internationale Wettbewerbsfähigkeit Rücksicht nimmt. Das industrielle Geschäftsmodell in Deutschland braucht eine starke Stahlindustrie am Standort, denn die stahlintensiven Branchen bleiben laut Prognos AG ein wesentlicher Treiber von Wachstum und Wohlstand. Die Stahlindustrie appelliert an die Europäische Kommission, ihren Vorschlag zum Emissionshandel grundlegend zu überarbeiten und so auszugestalten, dass die industrielle Wettbewerbsfähigkeit der Stahlindustrie erhalten bleibt. Konkret bedeutet dies: Strompreiskompensation auch über 2020 hinaus und sogar anders als bisher vollständig Berechnung der Richtwerte (Benchmarks) für die Zuteilung aufgrund der Emissionen der 10 Prozent effizientester Anlagen, denen durch den Emissionsrechtehandel keine Kosten entstehen sollen. Diese Benchmarks dürfen nicht zusätzlich pauschal gekürzt werden. Damit bleiben sie technisch und wirtschaftlich erreichbar. Zugleich haben die anderen Anlagen einen wirksamen Anreiz, effizienter zu werden und zur Spitzengruppe aufzuschließen Keine Anwendung eines Korrekturfaktors Anders als heute müssen auch die Emissionen aus den für die Stromerzeugung eingesetzten Kuppelgasen der Stahlerzeugung vollumfänglich mit Zertifikaten ausgestattet werden
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