E-Assessment: Möglichkeiten und Grenzen der Messung beruflich relevanter Kompetenzen

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Transkript:

E-Assessment: Möglichkeiten und Grenzen der Messung beruflich relevanter Kompetenzen 1 Einleitung, Leitfragen und Konzepte Martin Kröll Der Einsatz neuer Medien gilt derzeit als eine der größten Herausforderungen für das Personalmanagement. Dies betrifft auch den Aufgabenbereich der Personalentwicklung. Welche Rolle in diesem Kontext dem Online-Assessment zufällt, ist klärungsbedürftig. Die Gründe für den vermehrten Einsatz von E-Assessment (E-A) oder den Wunsch danach sind vielfältig. Unternehmen haben ein großes Interesse, ihr Image als attraktiver Arbeitgeber zu verbessern und die Entscheidungsprozesse im Hinblick auf die Personalauswahl zu beschleunigen. Gleichzeitig beklagt eine Vielzahl von Unternehmen, dass Aussagegehalt und Vergleichbarkeit von Abschlusszeugnissen unter Berücksichtigung der stark variierenden Leistungsanforderungen in den letzten Jahren gesunken sind. Es wird davon ausgegangen, dass durch den Einsatz von E-A Entscheidungen zur Personalauswahl im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren schneller, preiswerter, aber auch gleichzeitig mit einem hohen Anspruch auf Validität getroffen werden können. Darüber hinaus gibt es Bestrebungen, die Kompetenzen der Organisationsmitglieder mithilfe von Wissensmanagement-Systemen zu dokumentieren. Ausgangspunkt für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung sind folgende Leitfragen: Inwieweit gelingt es mit Hilfe von E-A-Verfahren Kompetenzen, die für die Beschäftigung von Relevanz sind, zu messen? Was sind die Vor- und Nachteile des Einsatzes von E-A-Verfahren? Unter E-A wird oftmals der Einsatz von internetgestützten Tests (Instrumenten), die zur Beurteilung und Vorhersage beruflich relevanter biografischer und psychologischer Variablen und zur Abschätzung der Eignung von Bewerbern dienen (Konradt/Sarges 2003), verstanden. Der vorliegende Ansatz behandelt darüber hinaus auch Verfahren der computerbasierten Eignungsdiagnostik als E-A-Ansätze (Ridder et al. 2004, S. 34). Als zentrale Hemmnisse für die Nutzung von E-A-Verfahren werden aus der Sicht von Unternehmen die Intransparenz der Vielzahl von Tests und die Ungewissheit im Hinblick auf deren Qualität angesehen. Um die Qualität der Verfahren zur berufsbezogenen Eignungsbeurteilung zu evaluieren, wurden auf unterschiedlichen Ebenen Qualitätsstandards entwickelt. Auf internationaler Ebene sind die Standards for educational and psychological testing der AERA, die Prinicples for the validation and use of personnel selection procedures der SIOP und die Standards der Task Force on Test User Qualifications zu nennen. Im deutschsprachigen Raum kann auf die DIN 33430 verwiesen werden. 241

Martin Kröll 2 Facetten des Konstrukts Kompetenz Im Kontext des E-A sollen maßgeschneiderte Verfahren der Kompetenzmessung eingesetzt und miteinander verknüpft werden, um Handlungskompetenzen der individuellen Akteure ganzheitlich zu erfassen. Von Handlungskompetenz kann aber erst dann gesprochen werden, wenn eine Verknüpfung zwischen den Dimensionen Fach-, Methoden-, Sozial- und Mitwirkungskompetenzen vorhanden ist bzw. hergestellt wird. Demzufolge handelt es sich bei Kompetenzen nicht um eine additive Anhäufung von abfragbarem Wissen, sondern um eine ganzheitliche Ausprägung des Handlungsvermögens (Ortmann 2009) eines Akteurs. Was ist aber unter einer ganzheitlichen Erfassung von Kompetenzen zu verstehen? Es kann zwischen zwei Verständnisformen differenziert werden: Im ersten Fall geht es darum, ein Verfahren zu suchen, das möglichst umfassend das Handlungsvermögen eines individuellen Akteurs erfasst. Eine Alternative ist, wenn mithilfe unterschiedlicher Verfahren einzelne Kompetenzdimensionen analysiert werden. Ob allerdings eine additive Messung von verschiedenen Kompetenzdimensionen dem Anspruch der ganzheitlichen Erfassung gerecht werden kann, ist klärungsbedürftig. Entscheidend ist dabei, wie die Verknüpfung zwischen den Ergebnissen gelingt. Ausgehend von der Frage, welche Kompetenzen für die künftige Beschäftigung der Organisationsmitglieder erforderlich sind, wird den unterschiedlichen Kompetenzdimensionen, d. h. den Fach-, Methoden-, Sozial- und Mitwirkungs-Kompetenzen, ein unterschiedlicher Stellenwert zugeordnet. Dabei besteht in der Kompetenzentwicklungs(KE)-Forschung Uneinigkeit über die Rolle der einzelnen Dimensionen, um den Veränderungen im Berufsleben gerecht zu werden. Große Hoffnung wurde und wird in ein Konzept gesetzt, welches unter dem Begriff Schlüsselqualifikation (SQ) Popularität erlangte. Im Anschluss an die Diskussion um SQ hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die einseitige Fokussierung auf Fachkompetenzen zu überwinden sei. Fachkompetenz alleine reiche nicht aus, um den künftigen Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht zu werden, geschweige denn diesen mitzugestalten. Innerhalb der KE-Forschung gibt es eine Kontroverse darüber, welche Qualifikationen nun zu den eigentlichen SQ gehören. Aber fast alle diese Ansätze gehen von der Annahme aus, dass es sich bei SQ um überfachliche Kenntnisse und Fähigkeiten handele. Die hohen Erwartungen, die in die Konzeption der SQ im Sinne von Mertens gesetzt wurden, konnten aber bisher nicht eingelöst werden. Eine zentrale These der Ansätze zu den SQ ist, dass diese nicht veralten und deswegen ihr Erwerb wichtiger sei als der von fachlichen Kompetenzen. Doch nur, weil die Fachkompetenzen sich im Laufe der Zeit überholen, bedeutet dies nicht, dass diese Kompetenzen im Rahmen der beruflichen Tätigkeiten grundsätzlich an Bedeutung verlieren. Wenn es darum geht, sich verändernden Arbeitsanforderungen zu entsprechen, werden fehlende, aber auch veraltete Fachkompetenzen zum entscheidenden Hindernis. Die Dominanz der Diskussion um die SQ verdeckt zudem die Problematik, dass es aus 242

E-Assessment: Möglichkeiten und Grenzen der Messung beruflich relevanter Kompetenzen der Perspektive der einzelnen Akteure durchaus sinnvoll sein kann, sich im Rahmen einer interdisziplinären Ausrichtung Kompetenzen in unterschiedlichen Fachbereichen anzueignen. Darüber hinaus ist anzumerken, dass es bisher kaum empirische Vergleichsstudien gibt, die den Nachweis erbringen, dass das Vorhandensein von SQ die Beschäftigungschancen signifikant erhöht. In ihrer empirischen Studie hat Müller 2008 erforscht, inwieweit vorhandene SQ den Verbleib von Auszubildenden in ihrem Ausbildungsberuf nach der Ausbildung beeinflussen. Unter SQ subsumiert sie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit, selbstreguliertes Lernen nach PISA 2000, Leistungsmotivation sowie Aspekte der Selbstkompetenz (wie z. B. Selbstwirksamkeit). Sie konnte keine günstigen Verlaufsmuster im Ausbildungsberuf aufgrund des Besitzes von SQ nachweisen. Eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit Ansätzen, die sich mit SQ beschäftigen, scheint geboten, wird aber durch den unscharfen und wechselnden Begriffsgebrauch erschwert. Durch die vorausgegangen Ausführungen wurde deutlich, dass die ausschließliche Konzentration auf SQ im Sinne der Ausblendung von fachlichen Aspekten (z. B. Expertise als erfahrungsgetränktem Know-how) zu kurz greift. Im Folgenden wird erörtert, auf welche Prinzipien und Leitbilder sich verschiedene Ansätze der KE-Forschung beziehen. Diese Vorstellungen sind Grundlage für die Beurteilung des Einsatzes von E-A-Verfahren. Ein neues Leitbild, um dem Wandel auf internen und externen Arbeitsmärkten gerecht zu werden, ist das Konzept der Employability. Als Orientierungshilfe für die KE der individuellen Akteure sind die Vorstellungen des Konzepts zur Employability zumindest teilweise zu unspezifisch und bedürfen der Konkretisierung. Aktuelle Ansätze in der KE-Forschung rücken die Selbstorganisationskompetenz in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Auseinandersetzung (Rosenstiel 2006). Um künftigen Herausforderungen der Arbeitswelt (zunehmende Komplexität und Unsicherheit) gerecht zu werden, sei es erforderlich, dass Organisationsmitglieder die Kompetenzen zur Selbstorganisation und -regulation besitzen. Kompetenzen werden als Dispositionen zum selbst organisierten Handeln interpretiert. Sie würden sich einer unmittelbaren Prüfung entziehen. Im Gegensatz zu Persönlichkeitsmerkmalen beziehen sich Kompetenzen in einem höheren Maße auf eine konkrete Anforderungssituation (Rosenstiel 2006). Das Vorhandensein von Kompetenzen kann nur kontextbezogen gemessen werden. In welcher Weise wird nun im Kontext von E-A-Verfahren vorgegangen, um Kompetenzen und/oder Persönlichkeitsmerkmale individueller Akteure zu erfassen? Entweder wird auf bereits etablierte Tests in Paper-Pencil-Form zurückgegriffen oder es werden neue Tests vor dem Hintergrund des spezifischen Kompetenzverständnisses eines Unternehmens entwickelt. Im zuletzt genannten Fall werden zunächst die Anforderungen an Kompetenzen festgelegt, die aus der Perspektive des Unternehmens relevant sind (Kirbach et al. 2004). Entsprechende Ansätze stützen sich auf umfangreiche Algorithmen, bei denen verschiedene Kompetenzen in hierarchische Beziehungen zueinander gesetzt werden und eine unterschiedliche Gewichtung der 243

Martin Kröll Ausprägung der jeweiligen Kompetenzen erfolgt. Ein solcher Ansatz, der zu einer statistischen Urteilsbildung führt, ist von Konzepten abzugrenzen, die versuchen die Ganzheitlichkeit einer Person zu erfassen (klinische Urteilsbildung). 3 Fallbeispiel zum Einsatz von E-Assessment Ausgehend von einem konkreten Fallbeispiel aus einem großen Energieunternehmen werden die mit dem Einsatz von neuen E-A-Formen als eigenschaftsorientierte Auswahlverfahren verbundenen Probleme aufgezeigt. Im Rahmen eines mehrjährigen Projektes wurde ein E-A-Tool entwickelt. Im Unterschied zu den klassischen Online-Verfahren wird bei dieser neuen Form des E-A auf multimediale, erlebnisorientierte Testlandschaften und auf die Entwicklung von Cover-Storys zurückgegriffen. Letztere beruhen auf einem allmählichen Dramaturgieaufbau und sollen bei der Testperson einen ganzheitlichen Eindruck hinterlassen. Diese Vorgehensweise kann aus der Sicht der Probanden sinnstiftende Wirkung haben. Unterschiedliche Abfragemöglichkeiten werden spezifischen an der DIN 33430 orientierten Testfeldern zugeordnet, welche bestimmten Objekten der Testlandschaft zugewiesen werden. Über ein zeitnahes, standardisiertes und selbsterklärendes Reporting-System erhalten die Testanten schnelle Rückmeldung über ihre Ergebnisse. Die Testanten können, wenn sie sich von einem virtuellen Testleiter begleitet in der Testlandschaft bewegen und dabei eine virtuelle Besichtigungstour durch das Unternehmen machen, zwischen unterschiedlichen Tests wählen: z. B. zur figuralen und rechnerischen Intelligenz, zum mechanisch-technischen Verständnis, zur Merkfähigkeit, zur Leistungsmotivation, zur Konzentration/ Aufmerksamkeit, zum Lernpotenzial, zur Prüfungs-/Testangst und zur Stressbewältigung. Hierbei müssen die Testanten beispielsweise Aussagen bewerten wie: Neuen Situationen stehe ich zunächst meistens skeptisch gegenüber, Adventure-Spiele bestehen, einen Wissensparcours absolvieren oder Unterschiede zwischen bestimmten Figuren benennen. Dass durch die Durchführung der aufgezeigten Form von E-A die soziale Akzeptanz gegenüber herkömmlichen Einsatzformen von Testverfahren steigt, scheint plausibel zu sein wäre aber in diesem Fall zu prüfen. Generell weisen empirische Untersuchungen darauf hin, dass die Akzeptanz von internetgesteuerten Persönlichkeitstests vergleichsweise hoch ist. Zudem ist zu klären, inwieweit die Validität der Testergebnisse dadurch beeinflusst wird, dass die Probanden eine relativ hohe Freiheit bei der Wahl des Tests haben. Das Fallbeispiel hat auch die Gefahr verdeutlicht, dass primär diejenigen Kompetenzen als bedeutend für die Kompetenzmessung eingestuft werden, für die bereits erprobte Tests vorliegen. Das Vorhandensein z. B. von Selbstregulationskompetenz, von unternehmerischer Kompetenz oder von fachlichen Kompetenzen im Sinne von Expertise wird in diesem Fall nicht überprüft. Dem könnte gegenübergestellt werden, dass es sich bei den abgefragten Punkten zum großen Teil um SQ handelt, die wie oben erwähnt nicht nachweisbar zur Verbesserung der 244

E-Assessment: Möglichkeiten und Grenzen der Messung beruflich relevanter Kompetenzen Beschäftigungssituation führen. Abschließend ist anzumerken, dass im Rahmen der Tests schwerpunktmäßig Persönlichkeitsmerkmale gemessen werden. Diese sind vergleichsweise stabil über die Zeit hinweg und lassen sich nur bedingt verändern. Zu Fragen der KE-Möglichkeiten vonseiten der Testanten bieten diese Testergebnisse zunächst nur geringe Ansatzpunkte. 4 Fazit und Ausblick Um die Computerdiagnostik professionell einzusetzen, sind deren Vor- und Nachteile zu berücksichtigen. Folgende Nachteile können auftreten: hohe Anschaffungskosten, Mehraufwand durch Schaffung einer Infrastruktur, Defizite aus softwareergonomischer Sicht, Hard- und Softwarekompatibilität sind nicht immer gegeben, hohe Kosten durch lange Einwahlzeiten, schlechte Qualität der E-A-Konzeption (z. B. häufig nur 1:1 von Paper-Pencil-Tests), unzureichende Aktualität der Normen (siehe DIN 33430), Aufblähung der Bewerberzahlen, unsicherer Umgang der Testpersonen mit dem Computer, unmittelbarer Kontakt mit den Bewerbern/-innen findet relativ spät statt und Missbrauch bzw. Weitergabe von Musterantworten. Diesen Nachteilen sind folgende Vorteile gegenüberzustellen: Zeit-, Raum-, Materialund Personaleinsparung, gestiegene Zeit- und Ortsunabhängigkeit, präzisere Zeiterfassung, größerer Möglichkeitsraum der Testgestaltung, valide Ergebnisse und bessere Fehlersicherheit, höhere Neutralität und Objektivität durch Wegfall des Testleitereffektes, Imagegewinn als attraktiver Arbeitgeber, zeitnahe Auswertung der Testergebnisse/schnellere Rückmeldungen sowie erhöhte Akzeptanz durch stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse der Testanten. Inwieweit die Vor- und Nachteile des E-A zur Geltung kommen, hängt davon ab, wie das E-A eingesetzt und organisatorisch eingebettet wird. Letzteres ist eine zentrale Aufgabe für die künftige Nutzung von E-A. Die künftigen Anforderungen, die auf die Organisationsmitglieder in der Arbeitswelt zukommen, sind aus vielfältigen Gründen immer weniger exakt vorherzubestimmen. Gleichzeitig wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung davon ausgegangen, dass eine präzise Kompetenzbestimmung erst dann möglich ist, wenn die Anforderungen an die jeweiligen (potenziellen) Organisationsmitglieder in spezifizierter Form vorliegen. Diese Erkenntnis stellt den Einsatz von E-A-Verfahren vor große Herausforderungen. Zudem kann der Einsatz von E-A-Verfahren auf der Ebene der Testpersonen zu einem intrapersonellen Widerspruch führen: Im Test schlüpfen die Personen in die Rolle eines Untersuchungsobjekts und/oder sie erleben dies so. Demgegenüber wird von ihnen im späteren Arbeitsleben erwartet, dass sie eigenverantwortlich und unternehmerisch handeln sollen. Vor dem Hintergrund des bisherigen Erfahrungsstands wurde deutlich, dass die Nutzung der E-A- Verfahren zurzeit nur bedingt zur Bewältigung von zentralen Herausforderungen 245

Martin Kröll beitragen kann, die im Zusammenhang mit der Professionalisierung der KE (z. B. Kompetenztransfer, Evaluation der KE) auftreten. Beim derzeitigen Stand des Einsatzes von E-A-Verfahren steht die Vorselektion von Bewerbungen im Vordergrund. In der weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung wäre folgenden Forschungsfragen nachzugehen: Wie können internetbasierte Verfahren (z. B. Web 2.0, Second Life) in die Strategie der Personalrekrutierung und -entwicklung besser eingebunden werden? Können die Ergebnisse des E-A Grundlage für den Aufbau von Skill - bzw. Kompetenz-Datenbanken in den Unternehmen sein? Unter welchen Voraussetzungen können die Ergebnisse des E-A Grundlage für die Organisation und Steuerung der KE auf Unternehmensebene und auf individueller Ebene sein? Ausgehend von den Antworten auf diese Fragen sind im nächsten Schritt die Anforderungen, die im Bezug auf den Einsatz von E-A-Verfahren zu beachten sind, herauszuarbeiten. Literatur Kirbach, Ch.; Montel, Ch.; Wottawa, H.; Oenning, S. (2004): Recruiting und Assessment im Internet. Göttingen: V&R. Konradt, U.; Lehmann, K.; Böhm-Rupprecht, J.; Hertel, G. (2003): Computer- und internetbasierte Verfahren der Berufseignungsdiagnostik: Ein empirischer Überblick. In: U. Konradt; W. Sarges (Hrsg): E-Recruitment und E-Assessment (S. 105 132). Göttingen: Hogrefe. Müller, K. (2008): Schlüsselkompetenzen und beruflicher Verbleib. In: D. Münk; K. Breuer; T. Deißinger (Hrsg.): Berufs- und Wirtschaftspädagogik Probleme und Perspektiven aus nationaler und internationales Sicht. Opladen & Farmington Hills: Barbara Budrich. Ortmann, G. (2009): Können und Haben, Geben und Nehmen. In: A. Windeler; J. Sydow (Hrsg.): Kompetenz, Individuum, Organisation, Netzwerk. Wiesbaden (im Druck). Ridder, H.-G.; Bruns, H.-J.; Brünn, S. l. (2004): Online- und Multimediainstrumente zur Kompetenzerfassung. In: QUEM-report, 86, Berlin. Rosenstiel, L. v. (2006): Lernkultur Kompetenzentwicklung. In: K. Schwuchow; J. Gutmann (Hrsg.): Jahrbuch Personalentwicklung 2006 (S. 105 112). Bremen: Luchterhand. 246