Marianne Schmidle, Barbara Schramkowski, Uwe Slüter (Hg.) Integration durch Mitmachen FSJ für junge Menschen mit Migrationshintergrund

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Transkript:

Marianne Schmidle, Barbara Schramkowski, Uwe Slüter (Hg.) Integration durch Mitmachen FSJ für junge Menschen mit Migrationshintergrund

Marianne Schmidle, Barbara Schramkowski, Uwe Slüter (Hg.) Integration durch Mitmachen Das Beispiel FSJ

Marianne Schmidle, Barbara Schramkowski, Uwe Slüter (Hg.) Integration durch Mitmachen Das Beispiel FSJ

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten 2012 Lambertus-Verlag, Freiburg im Breisgau www.lambertus.de Umschlaggestaltung: Nathalie Kupfermann, Bollschweil Druck: Franz X. Stückle, Druck und Verlag, Ettenheim ISBN 978-3-7841-2078-2

Inhalt Vorwort Georg Cremer 7 Einführung: Öffnung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) für junge Menschen mit Migrationshintergrund Weshalb sich die katholische FSJ- Trägergruppe dieser Zielgruppe öffnet Marianne Schmidle, Uwe Slüter 9 Sichtweisen von jungen Menschen mit Migrationshintergrund auf Freiwilligendienste. Ergebnisse einer Befragung der Katholischen Fachhochschule Freiburg Nausikaa Schirilla, Barbara Schramkowski.. 17 Erste Schritte auf dem Weg zur Öffnung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) für junge Menschen mit Migrationshintergrund: Erfahrungen aus einem Projekt des katholischen Trägerspektrums Barbara Schramkowski.. 29 Umgang mit muslimischen und nicht getauften Bewerber/-innen im FSJ und mit ihrem Einsatz in katholischen Einrichtungen Juristische Einschätzung erstellt im Juni 2010 im Rahmen des Projekts Mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund ins FSJ Othmar Rest, Robert Wessels 59 Erkenntnisse und praktische Empfehlungen aus dem Bundesprogramm Freiwilligendienste machen kompetent Alexandra Hoorn. 63 Erfahrungen aus der Kooperation mit der IN VIA Beratungsstelle Jugend und Beruf und dem Integrationsrat der Stadt Paderborn Birgit Rörig.. 79

Ein Erfahrungsbericht zur Aufnahme von Geduldeten und Flüchtlingen in Freiwilligendiensten Torsten Gonska 83 Der ausländerrechtliche Zugang zum Freiwilligen Sozialen Jahr von jungen Ausländer(inne)n insbesondere mit Duldung Beziehungsweise ungesichertem Aufenthaltsstatus Elke Tießler-Marenda 89 Erfahrungen in der Begleitung junger Menschen mit Migrationshintergrund im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) Interview mit Ansgar Bruskowski, Stellvertretender Pflegedienstleiter im St. Marien- Krankenhaus Berlin Marianne Schmidle.. 93 Einbeziehung von Migrantenorganisationen als Träger von Freiwilligendiensten Irene Krug. 99 ANHANG Bericht zur Veranstaltung Junge Menschen mit Migrationshintergrund als Botschafter/-innen für das FSJ 104 Programm Freiwillige mit Migrationshintergrund als Botschafter/-innen für das FSJ.. 115 Interviewleitfaden zur Projektevaluation im Rahmen des IN VIA Projekts Mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund ins FSJ.. 116 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren. 119

VORWORT Georg Cremer Im Übergang zwischen Schule, Ausbildung und Beruf nutzen viele junge Menschen, die sich in einem Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) engagieren, dieses als Orientierungsphase. Sie sammeln Erfahrungen, übernehmen Verantwortung, setzen sich für andere Menschen ein und entwickeln ihre Persönlichkeit in der Begegnung mit anderen Menschen weiter. Sie gewinnen erste Einblicke in die Arbeitswelt, ohne sich schon beruflich festlegen zu müssen. Sie machen die Erfahrung, dass sie gebraucht werden, dass sie Dinge anstoßen und verändern können. Sie reflektieren in den begleitenden Bildungsseminaren ihre Rolle als Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie. Das FSJ ist wie die anderen Freiwilligendienste ein Instrument zur Stärkung der Zivilgesellschaft. Junge Menschen mit Migrationshintergrund sind in Freiwilligendiensten bislang deutlich unterrepräsentiert. Dies ist weder Absicht der Verantwortlichen im FSJ, noch ist es Ausdruck eines fehlenden Interesses junger Menschen mit Migrationshintergrund an sozialem Engagement. Die Werbung der Verbände für das FSJ, die für eine positive Entscheidung junger Menschen wichtige Mund-zu-Mund-Werbung für das FSJ, die aufmunternde Empfehlung seitens Eltern und Lehrer erreicht junge Menschen mit Migrationshintergrund bisher nicht oder allenfalls nur sehr ungenügend. Das ist bedauerlich. Teilhabe bedeutet, Zugang zu haben zu relevanten Ressourcen und Prozessen. Das FSJ ist für junge Menschen im Übergang von Schule, Ausbildung und Beruf ein relevantes Feld, in dem sie ihre Ressourcen beweisen und entwickeln können. Aber der weitgehende Ausschluss von jungen Menschen mit Migrationshintergrund von den Möglichkeiten, die das FSJ bietet, ist auch kurzsichtig. Denn es entspricht den Zukunftsinteressen aller, wenn alle jungen Menschen in Deutschland, unabhängig von ihrer Herkunft, ihre Potenziale entfalten können. Junge Erwachsene mit Migrationshintergrund können dabei auch ihre spezifi- 7

Vorwort schen Erfahrungen einbringen, ihre Erfahrungen im Umgang mit Vielfalt und ihre sprachlichen Kompetenzen. Im Rahmen des Nationalen Integrationsplans haben sich die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege verpflichtet, den Anteil junger Menschen mit Migrationshintergrund an den von ihnen vermittelten und getragenen Einsatzstellen im FSJ zu erhöhen. Das in dieser Publikation vorgestellte Projekt ist ein Schritt hin zur Erreichung dieses Ziels. Es ist in dem Projekt gelungen, Ansätze zu entwickeln, junge Menschen mit Migrationshintergrund besser als bisher über Chancen des FSJ zu informieren und sie für einen Einsatz im FSJ zu motivieren. Ich hoffe, die vorliegende Publikation unterstützt Träger und Einsatzstellen dabei, das FSJ zu öffnen. Auch beim neuen Bundesfreiwilligendienst wird sich die Aufgabe stellen, Menschen mit Migrationshintergrund aktiv für diese Form des Engagements zu gewinnen und Zugangshürden zu vermeiden. Hier können die Erfahrungen des Projekts ebenfalls nützlich sein. 8

EINFÜHRUNG: ÖFFNUNG DES FREIWILLI- GEN SOZIALEN JAHRES (FSJ) FÜR JUNGE MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTER- GRUND WESHALB SICH DIE KATHOLI- SCHE FSJ-TRÄGERGRUPPE DIESER ZIEL- GRUPPE ÖFFNET Marianne Schmidle, Uwe Slüter Jährlich leisten 4.500 junge Menschen ein FSJ bei einem katholischen Anbieter. Die FSJ-Freiwilligen engagieren sich in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in der Alten- und Behindertenhilfe sowie in einer Vielzahl weiterer sozialer Dienste, überwiegend im Bereich der Caritas. Dabei erhalten sie Einblick in den Alltag sozialer Einrichtungen, lernen verschiedene Berufe kennen und sammeln persönlichkeitsbildende Erfahrungen. In der Bewertung der Freiwilligen erhält das FSJ bei der jährlichen Freiwilligenbefragung (vgl. Schmidle/Slüter 2010) 1 sehr gute Noten: Die jungen Leute schätzen die Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung und für die berufliche Orientierung sowie die begleitende Seminararbeit. Folgendes Fazit einer FSJ-Freiwilligen ist dabei durchaus repräsentativ: Das FSJ ist einzigartig, man arbeitet praktisch, es ist ganz anderes als die Schule. Man kann verschiedene Einsatzfelder kennen lernen, es ist spannend und abwechslungsreich. Im FSJ erkennt man seine positiven und negativen Eigenschaften, und man wird als Persönlichkeit gestärkt. (Julia, 25 Jahre, FSJ in einem Krankenhaus in Dresden). Grundsätzlich ist das FSJ als Bildungs- und Orientierungsjahr offen für alle jungen Menschen, unabhängig von ihrer sozialen und nationalen Herkunft oder von ihrer konfessionellen Zugehörigkeit. Die Statistik der katholischen Trägergruppe 2 zeigte allerdings über Jahre hinweg, dass es 1 vgl.: Schmidle, Marianne/Slüter, Uwe (Hrsg.): Das Freiwillige Soziale Jahr zeigt Wirkung: Freiwilligenbefragungen im Kontext der Qualitätsentwicklung im FSJ, Verlag Haus Altenberg GmbH Düsseldorf, Lambertus Verlag, 2010 2 Die Katholische Trägergruppe umfasst bundesweit 32 regionale katholische FSJ-Träger. Diese vermitteln FSJ-Freiwillige in Dienste und Einrichtungen und begleiten die FSJ- Freiwilligen durch ihre pädagogischen Mitarbeiter/-innen über den ganzen FSJ-Zeitraum 9

Einführung nicht gelingt, die gesellschaftlich notwendige Integration auch im FSJ umzusetzen. Im Freiwilligenjahrgang 2008/2009 waren 9,4 Prozent junger Menschen mit Migrationshintergrund im FSJ in katholischer Trägerschaft 3 tätig, gesamtgesellschaftlich liegt der Anteil in der für ein FSJ relevanten Altersgruppe bei 23 Prozent 4. Bereits im Jahr 2007 hatte die katholische Trägergruppe im Kontext der Befähigungsinitiative des Deutschen Caritasverbandes eine Selbstverpflichtung 5 zur Erhöhung des Anteils bestimmter benachteiligter Zielgruppen ausgesprochen: Wenigstens 20 Prozent der Teilnehmenden sollten aus der Gruppe bildungsarmer, partizipationsferner und benachteiligter Milieus sowie junger Menschen mit Migrationshintergrund ins FSJ integriert werden. Im selben Jahr hat der Deutsche Caritasverband als Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) im Rahmen des Nationalen Integrationsplans eine Selbstverpflichtung ausgesprochen, in der unter anderem auch ein Ziel zum FSJ formuliert wurde: Als Träger des Freiwilligen Sozialen Jahres erhöhen sie (die Mitglieder der BAGFW, Anm. der Autor(inn)en) den Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund an den von ihnen vermittelten bzw. zur Verfügung gestellten Einsatzstellen. 6 Um die Umsetzung dieser Selbstverpflichtungen konkret zu unterstützen und dem Anspruch der katholischen Trägergruppe gerecht zu werden, das hinweg. Die FSJ-Träger sind zuständig für die Gestaltung der begleitenden Seminarwochen und für die individuelle Begleitung der Freiwilligen in allen das FSJ und das Leben betreffenden Fragen. Der Deutsche Caritasverband (DCV) und sein Fachverband IN VIA koordinieren das FSJ der katholischen Trägergruppe auf Bundesebene zusammen mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). 3 Die Statistik des Bundesarbeitskreis FSJ in dem die acht bundeszentralen Träger des FSJ vertreten sind (u. a. die katholische und evangelische Trägergruppe, das Deutsche Rote Kreuz, die Arbeiter Wohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband) weist im FSJ- Durchgang 2008/09 ebenfalls lediglich einen Anteil von 12,33 Prozent aus. 4 Statistisches Bundesamt, Destatis, Ergebnisse des Mikrozensus 2008, Wiesbaden 2010 5 Beschluss der Mittelempfängerkonferenz der katholischen Trägergruppe, Düsseldorf 2007: Die katholischen FSJ Träger verpflichten sich, wenigstens 20 Prozent der Teilnehmenden aus der Gruppe bildungsarmer, partizipationsferner und benachteiligter Milieus sowie jungen Menschen mit Migrationshintergrund in das FSJ zu integrieren. Das Freiwillige Soziale Jahr ist im Grundsatz ein Angebot für alle jungen Menschen im Alter von 16 bis 27 Jahren. Damit wollen die FSJ-Träger auch zu einer Verbesserung der Bildungs- und Beschäftigungsfähigkeit benachteiligter junger Menschen beitragen und sie bei der Entwicklung von Berufs- und Lebensperspektiven unterstützen. Damit wollen die katholischen FSJ-Träger insgesamt zu einer verstärkten Integration dieser Zielgruppe in unserer Gesellschaft beitragen. 6 BAGFW Selbstverpflichtungen der BAGFW zum Nationalen Integrationsplan, Berlin, 13.04.2007 10

Einführung FSJ als integratives Angebot für alle Jugendlichen auszugestalten, wurde von den bundeszentralen katholischen FSJ-Trägern 7 unter Federführung des Deutschen Caritasverbandes und des Fachverbandes IN VIA das Projekt Mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund ins FSJ für die katholische Trägergruppe initiiert. Ziel des Projektes war, die katholischen FSJ-Träger so zu unterstützen und zu qualifizieren, dass sie diese Zielgruppe für das FSJ besser ansprechen, gewinnen und sie erfolgreich durch das FSJ begleiten können, um schließlich Einstiegsmöglichkeiten in Ausbildung und Beruf zu verbessern. Die zur Verfügung stehenden Projektmittel erlaubten es, dreizehn FSJ- Träger zu vernetzen und sie spezifisch weiter zu qualifizieren. Das Projekt brachte insbesondere Erkenntnisse über - Zugangsbarrieren und Folgerungen für die Ansprache und Öffentlichkeitsarbeit, - Förderliche Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit Einsatzstellen, - Vorteile der Kooperation und Vernetzung mit Jugendmigrationsdiensten und andere Multiplikatoren, - Rechtliche Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von FSJ- Freiwilligen mit Migrationshintergrund mit nicht katholischer Konfession, - Notwendigkeit der interkulturellen Sensibilisierung im FSJ, - Notwendigkeit zur Personalentwicklung bei den Trägern. Mit der vorliegenden Publikation werden die Ergebnisse aus dem Projekt und die Erfahrungen der am Projekt beteiligten Träger anderen Anbietern von Freiwilligendiensten zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus macht die Publikation den Brückenschlag zu anderen Projekten, die ebenfalls mit der Zielsetzung der Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund ins FSJ gearbeitet haben, und bündelt relevante Erfahrungen und Erkenntnisse. 7 Deutscher Caritasverband und sein Fachverband IN VIA sowie der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) 11

Einführung Im ersten Beitrag stellen Prof. Dr. Nausikaa Schirilla und Dr. Barbara Schramkowski Ergebnisse eines Lehrforschungsprojektes an der Katholischen Hochschule Freiburg (2009) vor. Mittels zwanzig leitfadengestützter Interviews, die u. a. mit Freiwilligen mit Migrationshintergrund und mit Vertretern von Migrantenorganisationen geführt wurden, wurde die Frage diskutiert, wie mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund für das FSJ gewonnen werden können. Dabei werden vor allem zugangshemmende Faktoren thematisiert. Hierzu gehört beispielsweise ein Informationsdefizit bezüglich der Freiwilligendienste, die in der Lebenswelt der Zielgruppe wenig bekannt sind. Somit ist auch die berufsorientierende Funktion unbekannt sowie dass das FSJ ein Pluspunkt bei Bewerbungen darstellt. Auch zeigte sich, dass Freiwillige mit Migrationshintergrund in den Einsatzstellen, aber auch seitens des FSJ-Trägers teilweise mit generalisierenden Negativzuschreibungen, die sich mit der Herkunft (ihrer Familien) verbinden, konfrontiert werden. Im zweiten Beitrag stellt Dr. Barbara Schramkowski zentrale Erkenntnisse dar, die bei Öffnung für die Zielgruppe relevant sind. Dabei wird auch klar, dass es kein übertragbares Patentrezept gibt, da regionale Gegebenheiten sowie Rahmenbedingungen der einzelnen FSJ-Träger unterschiedlich sind. Als zentral für die Steigerung des Anteils an Freiwilligen mit Migrationshintergrund kristallisierten sich Vernetzungen mit Institutionen aus dem Lebensumfeld der Zielgruppe sowie Ausbildung und Einsatz von (ehemaligen) Freiwilligen als Botschafter/-innen heraus. Deutlich wurde auch, dass Freiwillige mit Migrationshintergrund in der Regel keine speziellen Angebote oder ein Herausstellen ihrer Herkunft wünschen, da die Gefahr einer Stigmatisierung droht. Weitere Themen, die in diesem Beitrag diskutiert werden, sind z.b. Kooperationen mit Migrantenorganisationen, die Rolle muslimischer Freiwilliger im katholischen FSJ sowie die Gestaltung von Materialien der Öffentlichkeitsarbeit. Othmar Rest (Referent im Berliner Büro des Deutschen Caritasverbandes) und Robert Wessels (Referent im Katholischen Büro in Berlin) haben im Rahmen des Projektes eine juristische Einschätzung zum Umgang mit muslimischen und nicht getauften Bewerber(inne)n im FSJ und mit ihrem Einsatz in katholischen Einrichtungen verfasst. 12

Einführung Alexandra Hoorn vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.v. (ISS) stellt Erkenntnisse aus dem Bundesprogramm Freiwilligendienste machen kompetent vor. Das Programm, das von 2007 bis 2010 lief, richtete sich an junge Menschen mit niedrigem oder ohne Schulabschluss, also auch und insbesondere an junge Menschen mit Migrationshintergrund. Die von Alexandra Hoorn geschilderten Erfahrungen bestätigen viele der Ergebnisse des Projekts der katholischen Trägergruppe, fokussieren aber im Besonderen die Gruppe der bildungsbenachteiligten jungen Menschen. Dabei wird deutlich, dass Veränderungen am Gesamtkonzept des Freiwilligendienstes nötig sind. Dies bedeutet, dass in der Personalentwicklung beim Träger der Aspekt der interkulturellen Kompetenzen in den Blick zu nehmen ist und dass Einsatzstellen für die Aufnahme dieser Zielgruppe zu gewinnen sind. Da gerade für junge Menschen mit niedrigen Schulabschlüssen das FSJ als Mittel zur Berufsorientierung und Chance zum Berufseinstieg wahrgenommen wird, sind Maßnahmen zur Berufsorientierung und Unterstützung beim Übergang sehr wichtig. Alexandra Hoorn stellt in diesem Kontext das im Rahmen des Programms entwickelte Verfahren zur Kompetenzbilanzierung vor. Über strukturierte Prozesse der Fremd- und Selbsteinschätzung werden die Kompetenzen der Freiwilligen entwickelt und transparent und somit informelle Lernprozesse sichtbar. Im Erfahrungsbericht von Birgit Rörig, pädagogische Mitarbeiterin bei IN VIA Katholische Mädchensozialarbeit Diözesanverband Paderborn e.v., werden Erfahrungen von Trägerseite bei der Öffnung des FSJ geschildert: Birgit Rörig berichtet, dass IN VIA den Anteil an jungen Menschen mit Migrationshintergrund im FSJ u. a. wegen gelungener Vernetzung mit anderen Institutionen wie zum Beispiel die Kooperation mit dem Integrationsbeirat der Stadt Paderborn erhöhen konnte. Sie beschreibt, das für die Zielgruppe bildungsbenachteiligter Teilnehmer/-innen hilfreiche Angebot der IN VIA Beratungsstelle Jugend und Beruf, die flankierend zum FSJ-Träger individuelle berufseinstiegsfördernde Hilfestellung für die FSJ-Freiwilligen bietet. Thorsten Gonska, pädagogischer Mitarbeiter des Trägers FSJ Münster ggmbh, schildert für den ebenfalls am Projekt beteiligten FSJ-Träger seine Erfahrungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen und jungen Menschen mit Duldungsstatus in den Freiwil- 13

Einführung ligendienst. Er empfiehlt die Zusammenarbeit mit Fachkräften der Migrationsarbeit, die zum Beispiel bei aufenthaltsrechtlichen Fragen unterstützen können. Die Vernetzung mit diesen Fachstellen führe auch dazu, dass das FSJ bei der Zielgruppe als interessantes Angebot der beruflichen Orientierung bekannt würde. Thorsten Gonska macht deutlich, dass bei der Betreuung der Freiwilligen seitens des Trägers ein Mehraufwand einzukalkulieren sei und dies auch gegenüber den Einsatzstellen transparent offen zu legen sei. Mit Blick auf die Seminargruppen weist er darauf hin, dass die Beteiligung junger Flüchtlinge eine inhaltliche Bereicherung darstellt und zudem im Gruppengeschehen Integrationsleistungen der gesamten Gruppe hervorbringt und dadurch soziales Lernen gefördert wird. Auch sollte das Personal des FSJ- Trägers geschult werden, um Freiwillige mit Flüchtlingsstatus kompetent begleiten zu können. Dr. Elke Tießler-Marenda (Referat Migration und Integration, Deutscher Caritasverband) macht Hinweise zum ausländerrechtlichen Zugang zum FSJ von jungen Ausländer(inne)n insbesondere mit Duldung beziehungsweise ungesichertem Aufenthaltsstatus. Ansgar Bruskowski, Stellvertretender Pflegedienstleiter im St. Marien-Krankenhaus Berlin, berichtet in einem Interview mit Marianne Schmidle, FSJ-Bundestutorin, über seine Erfahrungen und Sichtweisen als Fachkraft, die in einem großen Krankenhaus Freiwillige anleitet. Ansgar Bruskowski hat beobachtet, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund oft besonders engagiert sind und ihre interkulturellen Kompetenzen, d. h. ihre oft vorhandene Mehrsprachigkeit sowie ihr kulturelles Erfahrungswissen, in die Arbeit in der Einsatzstelle gut einbringen können. Dies würde von den Klient(inn)en der Einrichtung auch wahrgenommen und geschätzt. Mehrfach hat er erlebt, dass sich die Freiwilligen im Anschluss für einen Wiedereinstieg in die Schule entscheiden und so die Grundlage für einen qualifizierteren Ausbildungsweg schaffen. Der Beitrag von Irene Krug, Projektleiterin der im Dezember 2008 gestarteten und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten Initiative Migrantenorganisationen als Träger von Freiwilligendiensten, stellt 14

Einführung ein Projekt vor, das vor allem zwei Zielrichtungen verfolgt: Es richtet sich an Migrantenorganisationen, die sich im Rahmen der Jugendfreiwilligendienste beteiligen und eine eigene Trägerschaft aufbauen wollen sowie an junge Menschen mit Migrationshintergrund, um sie verstärkt für diese Dienste zu gewinnen und ihre Teilnahme zu erleichtern. Ziel des von Irene Krug beschriebenen Projektes ist es, eine gleichberechtigte Teilhabe von Migrantinnen und Migranten zu gewährleisten und Migrantenorganisationen dabei zu unterstützen, selbst Träger geförderter Maßnahmen zu werden. Sie weist darauf hin, dass eine FSJ-Trägerschaft voraussetzt, dass die Migrantenorganisation als Grundvoraussetzung hauptberufliches Personal sowie eine qualifizierte Finanz- und Verwaltungsstruktur braucht und dass sie in der Lage sein muss, die FSJ-spezifischen Prozesse der pädagogischen Begleitung zu steuern. Der Anhang enthält den Leitfaden für die im Rahmen der Evaluation des Projekts Mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund ins FSJ geführten Interviews. Anhand dieses Interviewleitfadens wurden die am Projekt beteiligten FSJ-Träger am Ende des Projektes zu ihren Erfahrungen befragt. Dem Anhang sind ein Bericht und das Programm des im Rahmen des Projektes durchgeführten sogenannten Botschafter/-innenseminars beigefügt. Dieses fand im Juli 2010 unter Beteiligung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund statt, die ihr FSJ bei den dreizehn am Projekt zur Öffnung des katholischen FSJ beteiligten Trägern absolvierten. Ziel war, mit den Jugendlichen zusammen Maßnahmen zu entwickeln, über die andere junge Menschen mit Migrationshintergrund auf das FSJ aufmerksam gemacht werden können. Der Bericht enthält sehr eindrückliche und begeisterte O-Töne der Freiwilligen, die ihre Sicht auf das FSJ, seinen Nutzen und seine Chancen für junge Menschen, wiedergeben. 15