2. Klausur am 19.12.2013 Lösungsskizze 1. Tatkomplex: Das Geschehen auf der Brücke Strafbarkeit des B 1. 212 I, 22, 23 I StGB durch Werfen der Steine auf das Fahrzeug des O Mangels Tatentschlusses (-) 2. 221 I Nr. 1 StGB durch Werfen der Steine auf das Fahrzeug des O Mangels hilfloser Lage (-) außerdem kein Vorsatz 3. 223 I, II, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 3, 5, II, 22, 23 I StGB durch Werfen der Steine auf das Fahrzeug des O a) Vorprüfung Keine Vollendung Versuch strafbar b) Tatentschluss aa. Vorsatz bzgl. objektiver Tatbestandsmerkmale des Grunddelikts, 223 I StGB (1) Körperliche Misshandlung = jede üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird 1 => im vorliegenden Fall Eventualvorsatz diesbezüglich (+) (2) Gesundheitsschädigung = Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand abweichenden krankhaften Zustandes körperlicher oder seelischer Art 2 => im vorliegenden Fall Eventualvorsatz diesbezüglich (+) bb. Vorsatz bzgl. der Qualifikation des 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB gefährliches Werkzeug = Jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen 3 => im vorliegenden Fall: gezielter Wurf mit faustgroßen Steinen, daher Vorsatz (+) cc. Vorsatz bzgl. der Qualifikation des 224 I Nr. 3 StGB keine planmäßige Verdeckung der wahren Absichten => (-) dd. Vorsatz bzgl. der Qualifikation des 224 I Nr. 5 StGB Die Voraussetzungen sind umstritten. Wer eine konkrete Lebensgefahr verlangt, muss das Merkmal verneinen, wer abstrakte Gefährlichkeit genügen lässt, wird den Vorsatz bejahen. 1 BGHSt 14, 269; OLG Düsseldorf NJW 91, 2918. 2 BGHSt 36, 1, 6. 3 BGHSt 3, 105; 14, 152; BGH NStZ 87, 174. 1
c) Unmittelbares Ansetzen (+) d) Rechtswidrigkeit und Schuld (+) e) Rücktritt: fehlgeschlagener Versuch, also kein Rücktritt 4. 315b I Nr. 3 StGB durch Werfen der Steine auf das Fahrzeug des O aa. Öffentlicher Straßenverkehr = Öffentlich sind alle dem allgemeinen Straßenverkehr gewidmeten Straßen, Wege und Plätze sowie alle Verkehrsflächen, die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen von Verkehrsteilnehmern dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen 4 => im vorliegenden Fall: Bundesstraße = öffentlicher Straßenverkehr (+) bb. Eingriff von außen in den Straßenverkehr, verkehrsfremde Einwirkung - Nr. 1 = Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt Das Fahrzeug des O wurde beschädigt. Daraus ergab sich aber keine weitere Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs (s.u. dd). Ist die Fahrzeugbeschädigung Realisierung einer durch eine Tathandlung nach Nr. 2 oder 3 verursachten Gefahr, sind allein diese Tatbestände anzuwenden. 5 => im vorliegenden Fall: Nr. 1 (-) - Nr. 3 = Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff B warf, auf einer Brücke stehend, faustgroße Steine auf die Frontscheiben der unter der Brücke vorbeifahrenden Fahrzeuge und traf dabei die Frontscheibe von Os PKW, welche daraufhin zersplitterte. Das ist überaus gefährlich und ähnelt auch dem Tatbestand der Nr. 1. => im vorliegenden Fall: Nr. 3 (+) cc. Konkrete Gefahr Es darf nur noch vom Zufall abhängen, ob es zu einem Schaden kommt oder nicht. - Gefahr für Leib oder Leben des O => Da der Stein O nur knapp verfehlt hat, im vorliegenden Fall (+) - Gefahr für fremde Sachen von beutendem Wert 4 Fischer, StGB, 315b, Rn. 3 m.w.n. 5 BGH NJW 1999, 1120, NStZ 95, 41 und NStZ-RR 98, 187. 2
Voraussetzung: fremde Sache von bedeutendem Wert + bedeutender Wert des drohenden Schadens Wertgrenze nach BGH 750,- Euro (Literatur verlangt ca. 1.300,00 ) 6 => im vorliegenden Fall: nagelneues Fahrzeug des O und Schaden in Höhe von 1.500,00 an der Windschutzscheibe => (+) dd. Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs als Bindeglied zwischen Eingriff und konkreter Gefahr - Problem: 315b I StGB ( und dadurch [...] gefährdet ) verlangt eine abstrakt gefährliche Handlung und einen sich daraus ergebenden konkreten Gefahrerfolg, der durch die Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs vermittelt ist. 7 Der BGH lässt es aber genügen, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Verkehrssicherheit bewirkt, welche sich zu einer konkreten Gefahr für eines der Schutzobjekte verdichtet. Das zeitliche Auseinanderfallen der abstrakten Gefährdung und ihrer Realisierung in einem konkreten Schaden ist keine zwingende Voraussetzung. Der Tatbestand des 315b I StGB kann bereits dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt. 8 => Durch das Werfen der Steine hat B eine Situation geschaffen, in der es typischerweise zu Unfällen aufgrund der herumfliegenden Steine kommt. Damit bestand eine abstrakte Gefahr, die sich sofort zur konkreten verdichtet hat (s.o.). => Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs (+) ee. Kausalität und Gefahrzusammenhang Durch das gezielte Werfen mit Steinen hat B das abstrakte Risiko gesetzt. Dieses hat sich durch das Treffen der Windschutzscheibe des O realisiert. => (+) b) Subjektiver Tatbestand im vorliegenden Fall: Vorsatz (+) c) Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 5. 315b I Nr. 3, III i.v.m. 315 III Nr. 1 lit. a StGB durch Werfen der Steine auf Os Fahrzeug => im vorliegenden Fall: (+), vgl. oben 6 Fischer, StGB, 315, Rn. 16 a m.w.n. 7 Fischer, StGB, 315b, Rn. 17 ff. m.w.n.; BGHR 315b I Nr. 3 Eingriff 5. 8 BGHSt 48, 119, 122 ff.: In Fällen wie Steinwürfen auf fahrende Fahrzeuge, in denen eine konkrete Gefährdung vorliegt, steht auch der Annahme einer im Normalfall bereits zuvor geschaffenen abstrakten Straßenverkehrsgefährdung nichts entgegen. 3
b) Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz (+), vgl. oben bb. Absicht des 315b III Nr. 1 a StGB Täter muss in der Absicht handeln, einen Unglücksfall herbeizuführen: Unter einem Unglückfall versteht man ein plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahren für Personen oder Sachen von bedeutendem Wert mit sich bringt oder zu bringen droht. 9 => im vorliegenden Fall: entsprechende Absicht des B (+) c) Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 6. 303 I StGB durch Werfen der Steine auf das Fahrzeug des O => im vorliegenden Fall: (+) 7. 240 I StGB durch Werfen der Steine auf das Fahrzeug des O Ob B sich vorstellt, die Autofahrer zu einem Verhalten zu nötigen, lässt der Sachverhalt offen. => (-/+) 2. Tatkomplex: Die Pfandflaschen-Lagerhalle Strafbarkeit von A und B 1. 242 I, 243 I 2 Nr. 1, 25 II StGB durch Mitnehmen der Pfandflaschen aa. Pfandflaschen = bewegliche Sachen (+) bb. Fremdheit der Flaschen? Fremd = im Eigentum eines anderen stehend => im vorliegenden Fall: Flaschen stehen entweder im Eigentum der Getränke-GmbH oder im Eigentum des Herstellers, jedenfalls sind die Flaschen für A und B fremd. cc. Wegnahme: - ursprünglicher Gewahrsam des Geschäftsinhabers trotz Abwesenheit und Nachtzeit: gelockerter Gewahrsam kraft generellen und potentiellen Herrschaftswillens - Gewahrsamswechsel durch Mitnahme der Pfandflaschen - kein Einverständnis 9 Es muss dem Täter nach hm auf die Herbeiführung des Schadens, nicht allein der Gefährdung ankommen (Fischer, StGB, 315, Rn. 21 f. m.w.n.). 4
dd. 25 II StGB: Mittäterschaftliche Tatausführung aufgrund gemeinsamen Tatplans in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit funktioneller Tatherrschaft und Täterwillen (+) b) Subjektiver Tatbestand aa. Vorsatz bzgl. objektivem Tatbestand (+) bb. Absicht rechtswidriger Zueignung Vorsatz, den Eigentümer dauerhaft auszuschließen ( Enteignung ) Problem: Die Flaschen sollen zurückgegeben werden. Wenn es sich dabei um einen Fall der Rückveräußerung an den Eigentümer handelt, liegt nach hm dennoch Enteignungsvorsatz vor. Entscheidend ist deshalb die zivilrechtliche Eigentumslage an Pfandflaschen. Überwiegend wird differenziert: => Individualisierte Pfandflaschen können einem konkreten Hersteller zugeordnet werden und verbleiben durchgehend in dessen Eigentum. Eine Eigentumsübertragung nach 929 Satz 1 BGB findet nicht statt. Dann bleibt auch kein Raum für eine Rückveräußerung. Und das Pfandgeld ist kein spezifischer Sachwert, der den Flaschen entzogen werden könnte. Anders ist das bei nicht individualisierten Pfandflaschen wie Eurobierflaschen. Bei ihnen wird das Eigentum an der Pfandflasche übertragen. Wer solche Flaschen entwendet, um sie zurückzuveräußern, hat den Vorsatz, die vor der Tat bestehende Eigentümerstellung des Berechtigten auf Dauer zu leugnen, diesen also auf Dauer zu enteignen. 10 => im vorliegenden Fall: Coca-Cola-Flaschen als individualisierte Pfandflaschen. A und B handelten nicht in der Absicht, den Eigentümer endgültig auszuschließen. => Enteignungsvorsatz (-) 2. 246 I, 25 II StGB durch Mitnehmen der Pfandflaschen Problem: Zueignung Handeln, das für den Eigentümer die Gefahr dauernden Sachverlustes und für den Täter oder einen Dritten die Möglichkeit der Sachnutzung mit sich bringt. 11 => im vorliegenden Fall: keine Gefahr, dass Eigentümer die Pfandflaschen auf Dauer verliert (s.o.) => Zueignung (-) 3. 123 I, 25 II StGB wegen Betreten des Grundstücks der Getränke-GmbH 10 Beschluss des AG Berlin-Tiergarten, 17.11.2011, Az.: (249 Ds) 3022 PLs 13289/11 (233/11), siehe auch Jahn JuS 2013, 753 m.w.n. 11 Fischer, StGB, 246, Rn. 6 m.w.n. 5
=> (+) 4. 303 I, 25 II StGB wegen Aufbrechens der Tür zum Pfandlager => (+) 3. Tatkomplex: Die Rückfahrt I. Strafbarkeit des B 1. 315b I Nr. 3 StGB durch Greifen in As Lenkrad Problem: Verkehrsfremder Inneneingriff Ob der Beifahrer Verkehrsteilnehmer ist, wird nicht einheitlich beurteilt. 12 => wer das bejaht, kommt zur Frage der Pervertierung des Verkehrsvorgangs. Das setzt nach Ansicht des BGH (aa vertretbar) nicht nur voraus, dass ein verkehrsfremder Zweck verfolgt wird, sondern auch, dass (mindestens bedingter) Schädigungsvorsatz vorliegt. 13 B ist aufgrund des vorangegangenen Streites wütend und greift deshalb in das Lenkrad, nicht um das Fahrzeug zum Schadenswerkzeug zu machen. 2. 303 I StGB durch Anfahren des parkenden Autos Mangels Anhaltspunkten für bedingten Vorsatz (-) 3. 142 I Nr. 2 StGB durch das Wegfahren vom Unfallort aa. Unfall im öffentlichen Straßenverkehr inkl. Sachschaden von mindestens 25 Euro (+) bb. Unfallbeteiligter isd 142 V StGB B ist nicht gefahren, hat aber ins Lenkrad gegriffen => B hat den Unfall verursacht (+) cc. Sich-Entfernen vom Unfallort (+) dd. ohne die Wartepflicht zu erfüllen (Nr. 1 wegen Z ebenso vertretbar) b) Subjektiver Tatbestand (+) 12 Schönke/Schröder, StGB, 315b Rn. 11 m.w.n. 13 BGH NStZ 2003, 486. Keinen Schädigungsvorsatz verlangt Kindhäuser BT I 69 Rn. 10. 6
c) Rechtswidrigkeit und Schuld (+) 4. 239 I StGB durch das Zerren des A auf den Beifahrersitz => (+) 5. 240 I StGB durch das Zerren des A auf den Beifahrersitz aa. Nötigungsmittel: Zerren = körperlich wirkender Zwang => Gewalt (+) bb. Nötigungserfolg: Dulden des Davongefahrenwerdens (+) b) Subjektiver Tatbestand: Vorsatz (+) c) Rechtswidrigkeit Verwerflichkeit isd Absatz 2: verbotenes Mittel 239 StGB, s.o. d) Schuld (+) 239 StGB tritt dahinter zurück. II. Strafbarkeit des A 1. 303 I StGB durch Anfahren des parkenden Autos Mangels Anhaltspunkten für bedingten Vorsatz (-) 2. 142 I Nr. 1 StGB durch Wegfahren vom Unfallort Objektiver Tatbestand a) Unfall im öffentlichen Straßenverkehr (+) b) Unfallbeteiligter: da A zu diesem Zeitpunkt Fahrer war (+) c) Sich-Entfernen vom Unfallort Nach einhelliger Meinung in der Rechtsprechung und Rechtsliteratur liegt ein Entfernen vom Unfallort nur vor, wenn der Unfallbeteiligte die Unfallstelle aufgrund eines willensgetragenen Verhaltens verlassen hat, nicht aber, wenn er gegen seinen Willen vom Unfallort entfernt worden ist. 14 => im vorliegenden Fall: Kein willensgetragenes Verhalten des A => (-) 14 BayObLG NJW 1993, 410; Küper, Strafrecht Besonderer Teil, Definitionen mit Erläuterungen, 8. Auflage, S. 306. 7
3. 142 II Nr. 2 StGB wegen der nichterfolgten Feststellungen zum Unfall Objektiver Tatbestand a) Unfall im öffentlichen Straßenverkehr (+) b) Unfallbeteiligter: s.o. (+) c) Problem: Entschuldigtes oder berechtigtes Entfernen vom Unfallort? Der Fall des Entfernt-Werdens ist umstritten. Der BGH tendiert dazu, alle Fälle strafloser Entfernung vom Unfallort unter 142 II StGB zu subsumieren. Das BVerfG dagegen verlangt mit Blick auf Art. 103 II GG einschränkende Auslegung der Ausnahmevorschrift 142 II StGB. 15 Wer entfernt wird, entfernt sich nicht. => (-) Gesamtergebnis: Strafbarkeit des B 1.Tatkomplex: 224 I Nr. 2 Alt. 2, II, 22, 23 I; 315b I Nr. 3, III i.v.m 315 III Nr. 1 lit. a, 303 I, 52 StGB 2. Tatkomplex: 123 I, 303 I, 25 II, 52 StGB 3. Tatkomplex: 142 I Nr. 1, 240 I, 52 StGB Zwischen den Tatkomplexen 53 StGB Strafbarkeit des A 123 I, 303 I, 25 II, 52 StGB (2. Tatkomplex) 15 BVerfG NJW 2007, 1666 ff. zum vorsatzlosen Sichentfernen. 8