Grundlagen des Sozialrechts Wintersemester 2010/2011

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Transkript:

Grundlagen des Sozialrechts Wintersemester 2010/2011 Prof. Dr. iur. Ekkehard Hofmann, insbesondere Verwaltungsrecht, Sozialrecht Testfrage Soweit eine Begünstigung höherer Einkommen tatsächlich vorliegt: Erläutern Sie, welchen Sinn dies hat, und skizzieren die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einer Beseitigung der begünstigenden Vorschriften. 55 1

Die Finanzierung der Sozialleistungen Soziale Hilfe und Förderung Steuerfinanzierung Sozialversicherungen Beitragsfinanzierung Einkommensabhängiger Prozentsatz (Progression) Keine Deckelung (aber Steuerhöchstsatz) Einkommensunabhängiger Prozentsatz Nach oben gedeckelt durch Beitragsbemessungsgrenzen (1) Nichteinschluss von Nicht- Steuerzahlern (2) Begünstigung niedriger Einkommen (Existenzminimum) 56 (1) Nichteinschluss guter Risiken (Krankenversicherung) (2) Degressive Besteuerung (Begünstigung hoher Einkommen) Die Finanzierung der Sozialleistungen Die Beitragsbemessungsgrenze gibt das höchste Bruttoentgelt für die Berechnung des Beitrages zur jeweiligen Sozialversicherung an. Liegt das Bruttoeinkommen über diesen Betrag, steigt der Beitrag zur Sozialversicherung nicht mehr an. Die Beitragsbemessungsgrenze ist mithin nach oben "gedeckelt". Daher zahlen Personen mit einem Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze einen geringeren prozentualen Anteil des eigenen Bruttogehalts in die sozialen Sicherungssysteme ein. http://www.finanztip.de/recht/sozialrecht/versicherungspflichtgrenzebeitragsbemessungsgrenze.htm 57 2

Die Finanzierung der Sozialleistungen 58 Die Finanzierung der Sozialleistungen Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen Gesetzgebungskompetenzen: Sozialrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7, 9, 10, 13, 13 GG): Bundeskompetenz Verwaltungskompetenzen Art. 83, 84 GG: Länderkompetenz Art. 87 Abs. 2 GG: Sondervorschrift für länderübergreifende Sozialversicherungsträger (einige Ersatzkassen, Berufsgenossenschaften, Deutsche Rentenversicherung ) 59 3

Die Finanzierung der Sozialleistungen Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen Art. 3 Abs. 1 GG: Beseitigung einer Ungleichbehandlung? Willküransatz oder Verhältnismäßigkeit? Wesentlich Gleiches ungleich behandelt? Differenzierung willkürlich/unverhältnismäßig? 60 Der Allgemeine Teil des Sozialgesetzbuchs SGB I Geltung des SGB I für das gesamte Sozialrecht ( 68 Abs. 1 SGB I) Keine Leistungsansprüche aus den 3-10 SGB I Beratungs- und Auskunftsansprüche ( 14 f. SGB I) Rechtsanspruch auf Sozialleistung ( 38 SGB I) Mitwirkungspflichten der Berechtigten ( 60 ff. SGB I) Vgl. Kokemoor, 4. Aufl., Rz. 66 ff. 61 4

Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch (st. Rspr., z. B. BSGE 91, 1, 3 ff.) 280 BGB Schadensersatz wegen Pflichtverletzung (1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des 286 verlangen. (3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des 281, des 282 oder des 283 verlangen. Vgl. Kokemoor, 4. Aufl., Rz. 56 ff. 62 Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch (st. Rspr., z. B. BSGE 91, 1, 3 ff.) Sozialrechtsverhältnis Betreuungsfehler Rechtswidrigkeit Kausalität Rechtsnachteil Rechtsfolge Vgl. Kokemoor, 4. Aufl., Rz. 56 ff. 63 5

Aufbau von Klagen auf Leistungen der Sozialversicherung Anspruchsgrundlage Formelle Voraussetzungen der Leistungsgewährung Materielle Voraussetzungen Versicherter Personenkreis Versicherungsfall Leistungsvoraussetzungen Zuständiger Leistungsträger 64 Übungsfall 3: Lösungshinweise (1) Versicherter Personenkreis Sozialversicherungspflichtige Beschäftigte ( 24, 25 SGB III) Sachverhaltsauslegung: (+) Fortbestehen des Versicherungsverhältnisses ist keine Leistungsvoraussetzung Grundsätzliche Leistungsberechtigung Anwartschaftszeit ( 123 SGB III) (+) 65 6

Übungsfall 3: Lösungshinweise (2) Versicherter Personenkreis, Leistungsberechtigung Versicherungsfall ( 118 Abs. 1 SGB III): Arbeitslosigkeit nach 119 Abs. 1 SGB III Beschäftigungslosigkeit ( 119 Abs. 1 SGB III) Eigenbemühungen ( 119 Abs. 4 SGB III) Verfügbarkeit ( 119 Abs. 5 SGB III) 66 Übungsfall 3: Lösungshinweise (3) Arbeitslosigkeit Verfügbarkeit ( 119 Abs. 5 SGB III) Bereitschaft, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 auszuüben ( 119 Abs. 5 Nr. 3 SGB III) Bereitschaft, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen ( 119 Abs. 5 Nr. 4 SGB III) 67 7

Übungsfall 3: Lösungshinweise (4/1) Arbeitslosigkeit Verfügbarkeit ( 119 Abs. 5 SGB III) Subjektive Tatbestandsmerkmale (+) Erreichbarkeit 1 Abs. 1 EAO Maßgeblichkeit? Rechtscharakter der EAO Exekutivisches Binnenrecht Eine Auslegung des Gesetzes 68 Übungsfall 3: Lösungshinweise (4/2) Arbeitslosigkeit Verfügbarkeit ( 119 Abs. 5 SGB III) Subjektive Tatbestandsmerkmale (+) Erreichbarkeit 1 Abs. 1 EAO Maßgeblichkeit? Voraussetzungen erfüllt 1. bis 3. Oktober 2. Nov bis 31. Dezember 2010 69 8

Übungsfall 3: Lösungshinweise (5) Versicherter Personenkreis, Leistungsberechtigung Versicherungsfall: 118 Abs. 1 SGB III: Arbeitslosigkeit nach 119 Abs. 1 SGB III Rechtsfolgen und weitere Leistungsvoraussetzungen Zuständiger Leistungsträger Zwischen-Ergebnis: Anspruch auf ALG für die Zeit vom 1. bis 3. Okt. und vom 2. Nov bis 31. Dez. 2010 70 Übungsfall 3: Lösungshinweise (6) Minderung wegen gleichzeitigem sonstigen Einkommen? Grundsätzlich: ALG ist unabhängig von sonstigem Einkommen und Vermögen Minderung/Anrechnung aber trotz Arbeitslosigkeit nicht ausgeschlossen wegen 119 Abs. 2, 3 SGB III Anrechnung nach 141 ff. SGB III Arbeitsentgelt ( 143 Abs. 1 SGB III) Urlaubsabgeltung ( 143 Abs. 2 SGB III) Bei Nichtzahlung des ArbGeb: Gleichwohlgewährung ( 143 Abs. 3 SGB III) Hier: Keine Anhaltspunkte für sonstiges Einkommen 71 9

Übungsfall 3: Lösungshinweise (7) Ruhen wegen versicherungswidrigen Verhaltens? Grundsätzlich: Verschiebung, nicht Verkürzung des Anspruchs ( 144 SGB III) Meldepflichtverletzung ( 38 Abs. 1 ivm 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB III) (-) Eigenes Verschulden der Arbeitslosigkeit ( 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III) Vorsätzliche Herbeiführung der Arbeitslosigkeit (+) Wichtiger Grund für Auflösung des Arbeitsvertrags? Unzumutbarkeit der Beschäftigung (Grund und Zeitpunkt); hier: dauerhafte Trennung vom Ehegatten Ergebnis: Kein Ruhen 72 10