Die vier Grundbedingungen erfüllter Existenz

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Transkript:

Ausschnitt aus: Längle A (1998) Lebenssinn und Psychofrust - zur existentiellen Indikation von Psychotherapie. In: Riedel L (Hg) Sinn und Unsinn der Psychotherapie. Basel: Mandala, 105-124 Die vier Grundbedingungen erfüllter Existenz Längle Alfried (1998) Schon im letzten Abschnitt haben wir in einem Kapitel von den Voraussetzungen für die Sinnfindung gesprochen und erwähnt, daß es sich um eine Erweiterung der Grundlagen des Franklschen Sinnkonzeptes handelt. Sie stellen eine Bezugnahme zu den Grundbedingungen bzw. Strukturen der Existenz dar. Menschliches Dasein findet nur in der Welt statt. Das ist das erste Faktum, mit dem sich der Mensch auseinandersetzen muß. Zweitens ist das Dasein des Menschen gekennzeichnet durch das Leben, im Gegensatz zur unbelebten Natur. Damit sind besondere Bedingungen und Voraussetzungen verbunden, auf die der Mensch Bezug nehmen muß, um überleben zu können. Weiters ist menschliches Leben nicht anders zu leben als in Form einer Person, eines Ich. Dasein kann nur subjektiv gelebt werden. Schließlich ist das Dasein gekennzeichnet durch einen ständigen Fluß und Wechsel der äußeren und inneren Welt, von Tag und Nacht ebenso wie von Hunger und Sättigung. Mit dieser ständigen Veränderung zurechtzukommen und darin dem Leben eine Orientierung für das Werden und für eine Entwicklung zu geben ist eine weitere Bedingung für erfüllende Existenz: einen Sinn zu finden. Diese letzte Herausforderung des Daseins hat aber die Erfüllung der ersten drei Bedingungen zur Voraussetzung, soll das Haus der Existenz nicht auf Sand gebaut sein. Darum sprechen wir heute in der Existenzanalyse davon, daß der Sinn auf dem Zurechtkommen mit der Realität, mit dem eigenen Lebendigsein, mit sich als Person und mit dem Spüren dessen, was in der jeweiligen Situation gerade ansteht, beruht. Nun werden diese Grundbedingungen erfüllender Existenz etwas ausführlicher herausgehoben und beschrieben. Erfüllung im Leben Der Schlüssel zu erfüllendem Leben liegt im Verständnis der Existenzanalyse beim Menschen selbst. Dazu bedarf es einer inneren Aktivität, einer Realisierung der Freiheit des Menschen. Am einfachsten läßt sich dieser komplexe Beitrag des Menschen mit dem Begriff Zustimmung wiedergeben: Erfüllung verlangt mit innerer Zustimmung leben. Wenn wir mit innerer Zustimmung zu dem, was wir tun oder lassen, leben, dann sind wir 1

selbst anwesend, sind ganz in der Welt. Denn innere Zustimmung bedeutet, ein innerliches Ja zu spüren bei dem, was wir tun. Lese ich z.b. dieses Kapitel, so kann ich dies tun mit einer nur halben Entschiedenheit, weil ich eigentlich schon längst was anderes tun sollte. Oder ich kann es mit voller Zustimmung tun, und spüre dabei ein inneres Ja, das will ich jetzt tun! Ich habe die Zeit, es interessiert mich, ich kann dabei vielleicht was mitnehmen! Wenn wir uns mit innerer Zustimmung in die Situationen hineingeben, dann erfassen wir in ihr den Wert, können von ihm erfüllt werden. Dieses Ja ist kein gedachtes, es ist ein gefühltes. Wir empfinden dieses Ja. Wir haben es ganz frei zu lassen, ob es entsteht oder nicht, denn wir hören und fühlen nur in uns hinein, wie es da in mir lautet. Diese Zustimmung ist ein komplexes Gefühl. Es umfaßt gleichzeitig alle vier Dimensionen der Existenz und kann daher in jeder einzelnen Dimension vertieft werden. 1. Die Zustimmung zur Welt (dasein-können) Die erste Bedingung entsteht aus dem banalen Faktum, daß ich da bin, auf die Welt gekommen bin. Nun bin ich da - aber wie soll es weitergehen? Kann ich dieses Dasein bewältigen? Verstehe ich es? Ich bin da, ich weiß nicht woher, ich weiß nicht wohin, mich wundert, daß ich so fröhlich bin heißt es in einem Reim aus dem 12. Jahrhundert. Ich bin da, es gibt mich - ja wie ist denn das möglich? So tief kann die Frage gehen, wenn ich mich diesem selbstverständlichsten aller Fakten zuwende. Wenn ich mich nur erst einmal damit beschäftige, spüre ich, daß ich es eigentlich nicht verstehen kann. Mein Dasein taucht vor mir auf wie eine Insel in einem Ozean von Unwissenheit und Zusammenhängen, die mich übersteigen. Die vernünftigste und althergebrachte Haltung gegenüber Unfaßlichem ist das Staunen. Eigentlich kann ich nur staunen, daß es mich überhaupt gibt. Nun bin ich aber da. Und das stellt mich vor die Grundfrage der Existenz: Ich bin kann ich sein? Kann ich unter diesen Bedingungen und mit diesen Möglichkeiten, die ich habe, in dieser Welt überhaupt Platz nehmen? Dafür brauche ich dreierlei: Halt, Raum und Schutz. Habe ich genügend Raum, um dazusein? Was gibt meinem Leben Halt? Habe ich Schutz, Angenommensein, Heimat, ein Zuhause? Fehlt mir dieses, so entsteht Unruhe, Unsicherheit, Angst. Ist es da, habe ich Vertrauen in die Welt, aber auch in mich, vielleicht sogar in einen Gott. Die Summe dieser Vertrauenserfahrungen macht das Grundvertrauen aus, das letzte Vertrauen in das, was ich als letzten Halt in meinem Leben spüre. 2

Um dasein zu können, genügt es nicht, Halt, Raum und Schutz zu erhalten ich muß diese Voraussetzungen auch ergreifen, mich für sie entscheiden, mich auf sie einlassen. Mein aktives Zutun für diese Grundbedingung des Daseins ist das Annehmen des Positiven und Aushalten des Negativen. Annehmen ist die Bereitschaft, mich auf den Raum einzulassen, mich auf den Halt zu stellen, mich in den Schutz zu begeben; kurz: dazusein und nicht zu fliehen. Aushalten meint die Kraft, das Schwere, das Bedrohliche, das Unheilvolle, das Schicksalhafte, das Unabänderliche sein zu lassen, zu tragen, was nicht zu ändern ist. Das Leben stellt mir Bedingungen und die Welt hat ihre Gesetze, denen ich mich beugen muß, subjicere ( Subjekt sein = sich unterwerfen), aber diese Bedingungen sind andererseits auch verläßlich, unumstößlich, haltgebend. Sie sein lassen können, sie als gegeben annehmen ist mir nur dann möglich, wenn ich dabei auch selber sein kann. So heißt annehmen: einander sein lassen, weil genügend Raum ist, daß auch ich selber sein kann, weil mich die Umstände nicht mehr bedrohen. Im Aushalten und Annehmen-Können schafft sich der Mensch den Raum, den er zum Dasein braucht. 2. Die Zustimmung zum Leben (leben mögen) Hat der Mensch den Raum in der Welt, dann stellt sich Leben darin ein. Es genügt nicht, einfach da zu sein; dieses Dasein soll auch gut sein. Denn mein Dasein ist mehr als ein Faktum. Ihm eignet auch eine pathische Dimension : Dasein läuft nicht mechanisch ab, sondern wird von mir erlebt und erlitten. Lebendig sein heißt, zu weinen und zu lachen, Freude und Leid zu empfinden, Angenehmes und Unangenehmes durchzumachen, Glück und Pech zu haben, auf Wert und Unwert zu stoßen. So sehr wie ich mich freuen kann, so tief kann ich auch leiden. Die Amplitude der Emotionalität schlägt gleichweit in beide Richtungen aus. Es ist keineswegs ausgemacht, daß ich mit dieser Art von Leben und Leiden einverstanden bin. So stellt mich das Dasein vor die Grundfrage des Lebens: Ich lebe mag ich aber leben? Ist es gut, dazusein? Es sind nicht immer nur die Belastungen und Leiden, die die Lebensfreude nehmen. Oft ist es die Flachheit des Alltags und die Unachtsamkeit der Lebensführung, die das Leben schal macht. Um das Leben mögen zu können, um es lieben zu können, brauche ich wiederum dreierlei: Nähe, Zeit und Beziehung. Kann ich Nähe zu Dingen, Pflanzen und Tieren und zu Menschen aufnehmen und halten? Kann ich die Nähe eines anderen zulassen? Wofür nehme ich mir Zeit? Zeit haben heißt Leben schenken, mit 3

meinem Leben halte ich mich für eine gewisse Zeit beim anderen auf. - Habe ich Beziehungen, in denen ich Nähe fühle, worin ich Zeit verbringe und worin ich mich verbunden fühle? Fehlen mir die Nähe, die Zeit, die Beziehungen, so entsteht Sehnsucht, dann Kälte, schließlich Depression. Ist es da, erlebe ich ein Schwingen mit der Welt und mit mir selber, in der die Tiefe des Lebens spürbar wird. Diese Erfahrungen bilden den Grundwert des Daseins, das tiefste Gefühl für den Wert des Lebens. In jedem Erleben schwingt der Grundwert mit, färbt die Emotion und die Affekte ein und stellt die Folie dar für das, was wir als Wert empfinden. Es genügt nicht, Nähe, Zeit und Beziehung zu erhalten. Auch hier ist wiederum meine Einwilligung, mein aktives Zutun verlangt. Ich ergreife das Leben, lasse mich auf es ein, wenn ich mich anderen Menschen, Sachen, Tieren, geistigen Inhalten, mir selber zuwende, mich tatsächlich hin-wende, auf es zugehe, Nähe aufnehme, es berühre, es an mich ziehe. Das bringt das Leben in mir in Schwingung. Damit es mich frei bewegen kann, ist die Einwilligung in das Sich-berühren-Lassen vorausgesetzt. 3. Die Zustimmung zur eigenen Person (Sosein-dürfen) So schön das gefühlvolle Schwingen auch ist, es reicht nicht aus für eine erfüllte Existenz. Bei aller Verbundenheit mit dem Leben und den Menschen empfinde ich mich auch als anders, als verschieden, ist da eine Einzigartigkeit, die mich zum Ich macht und von allen anderen abgrenzt. Ich erfahre, daß ich auf mich gestellt bin, daß ich mein Dasein selbst zu bewältigen habe, daß ich im Grunde alleine bin, sogar einsam sein kann. Daneben aber ist so viel anderes, das ebenso einzigartig ist, und die Vielfalt, die Schönheit und Unvergleichlichkeit bewirkt, sodaß ich Respekt empfinde. Inmitten dieser Welt entdecke ich unverkennbar mich selbst, bin mit mir und bin mir selbst gegeben, und dies stellt mich vor die Grundfrage des Personseins: Ich bin ich darf ich so sein? - Habe ich das Recht, so zu sein, wie ich bin, und mich so zu verhalten, wie ich mich verhalte? - Es ist die Ebene der Identifikation, der Selbstfindung und der Ethik. Um sie zu bewältigen, brauche ich dreierlei: Beachtung, Wertschätzung und Rechtfertigung. - Von wem werde ich eigentlich gesehen, an-gesehen, be-achtet? Wofür erhalte ich Wertschätzung - wofür kann ich mich selber schätzen? Kann ich mir mein Eigenes anerkennen? Kann ich zu meinem Verhalten stehen, es vor mir als richtig empfinden? - Fehlt mir dieses, so entsteht 4

Einsamkeit, sich Verstecken hinter der Scham, Hysterie. Ist es da, finde ich mich selbst, finde ich meine Authentizität, meinen Trost und meinen Selbstrespekt. Die Summe dieser Erfahrungen bilden meinen Selbstwert, den tiefsten Wert dessen, was mein Ich im Grunde ausmacht. Um selbst sein zu dürfen, genügt es nicht, Beachtung, Wertschätzung und Bestätigung zu erhalten, ich muß das Ja zu mir selber sprechen. Dafür kann ich aktiv etwas tun: andere ansehen, ihnen gegenübertreten, mich dabei abgrenzen, zu meinem Eigenen stehen. Abgrenzung und Begegnung sind die beiden Mittel, mit denen wir unser Selbstsein leben können, ohne dabei zu vereinsamen. Begegnung überbrückt die notwendige Grenze, läßt mich im Du mein Ich wiederfinden. Damit schaffe ich mir jene Wertschätzung, durch ich sein darf, wie ich bin. 4. Die Zustimmung zur Zukunft (handeln sollen) Wenn ich dasein kann, das Leben mag und mich darin finden kann, sind die Voraussetzungen geschaffen für die vierte Grundbedingung der Existenz: das Erkennen dessen, worum es im Leben gehen soll. Denn es genügt nicht, einfach dazusein und sich gefunden zu haben. In gewissem Sinn müssen wir uns auch übersteigen, wollen wir in etwas aufgehen, möchten fruchtbar werden. Sonst wäre es, als lebten wir in einem Haus, in das niemand auf Besuch kommt. So stellt uns die Vergänglichkeit des Daseins vor die Sinnfrage der Existenz: Ich bin da - wofür ist es gut? Dafür brauche ich dreierlei: ein Tätigkeitsfeld, einen Strukturzusammenhang und einen Wert in der Zukunft. - Habe ich etwas, wo ich benötigt werde, wo ich produktiv sein kann? - Sehe und erlebe ich mich in einem größeren Zusammenhang, der meinem Leben Strukturierung und Orientierung gibt? - Gibt es etwas, was in meinem Leben noch werden soll? - Fehlt mir dies, so entsteht Leere, Lebensfrustration, sogar Verzweiflung und oft eine Sucht. Ist es da, finde ich zu einer Hingabe und zum Handeln, schließlich zu meiner Form von Religiosität. Die Summe dieser Erfahrungen machen den Sinn des Lebens aus, führen zur Lebenserfüllung. Es genügt aber nicht, in einem Tätigkeitsfeld zu stehen, sich in einem Zusammenhang zu wissen und Werte in der Zukunft zu haben, sondern es braucht dazu eine phänomenologische 5

Haltung. Sie ist der existentielle Zugang zum Dasein: die Haltung der Offenheit, in der es darum geht, sich anfragen zu lassen von der Situation (Frankl 1987). Was will diese Stunde von mir, worauf soll ich antworten? Es geht also nicht nur darum, was ich vom Leben erwarten kann, sondern getreu dem dialogischen Grundmuster der Existenz geht es ebenso darum, was das Leben von mir will, was die Situation von mir erwartet, was ich jetzt tun kann und tun soll für andere wie auch für mich. Mein aktives Zutun ist in dieser Haltung der Offenheit: mich in Übereinstimmung zu bringen mit der Situation, zu prüfen, ob es auch gut ist, was ich tue: für die anderen, für mich, für die Zukunft, für die Welt, in der ich stehe. Und so erfüllt sich meine Existenz, indem ich danach handle. Das Wollen die Integration der Dimensionen der Existenz Ganzheitliches Wollen umfaßt alle vier Dimensionen der Existenz. Wenn ich wirklich will, dann habe ich dabei das Gefühl: ich kann es, ich habe die Fähigkeit und die Mittel, es anzugehen. Es ist klar machbar für mich. Zudem sehe ich einen Wert darin, und/oder ich habe eine Lust darauf: ich mag es auch tun. Ich bin auch emotional eraßt von dem, was ich will. Schließlich warte ich nicht darauf, daß es von selbst geschieht, oder daß es andere machen ich bin bereit, es aktiv anzugehen, denn es ist mir wichtig. Es entspricht mir, meinen Haltungen, Werten, Interessen usw. und ich kann es vertreten: ich darf es tun, es ist ethisch in Ordnung. Ich brauche mich nicht verstecken oder schämen. Wirkliches Wollen wird nicht eingebremst durch das Zögern, das durch das Begehen eines Unrechts entstehen kann. Schließlich ist mir im ganzheitlichen Wollen auch die Sinnhaftigkeit dessen, was ich angehen will, deutlich. Ich weiß wozu ich das mache, und es liegt mir daran, daß es entsteht. Ich spüre, daß die Situation das erfordert, daß die Umstände, das Ganze, das Projekt es braucht. Dies empfinde ich als sollen ich soll das tun. Denn letztlich geht mein Dasein in dieser Welt darin auf, auch wenn es sich bei jeder Einzelheit nicht um das Ganze handelt, so ist das Ganze doch darin auch enthalten. Diese vier Dimensionen können verglichen werden mit den vier Beinen eines Tisches, die die Tischplatte des freien Wollens halten. Sind alle Dimensionen gut und stabil enthalten, dann ruht der Wille fest gegründet im Dasein. Das Realisieren solchen Wollens nennen wir Existenz. Wird Existenz solcherart vollzogen, so geschieht sie mit Hingabe an die Sache, mit Engagement, mit Anteilnahme und hoher Präsenz. Darin könnte die Bestimmung des Daseins liegen, denn gerade solches Leben erleben wir als erfüllend. Denn dann belohnt uns das Leben selbst mit der Erfahrung der Werte, die unser Leben umgeben und die durch den Wert des Lebens selbst erschlossen werden. 6