Organisation von Mikrotubuli in der Zelle

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Transkript:

87 Organisation von Mikrotubuli in der Zelle Klaus Werner Wolf und Konrad Jouchim Bohm Mikrotu buli sind rohrenformige Strukturelemente, die in nahezu aflen eukaryotischw Zellen anzutreffen sind. Sie haben einen Aufiendurchmesser von etwa 24 Nanometern und bestehen aus Proteinen. Mikrotubuli sind Bestandteile des Cytoskeletts. Sie spielen bei zellularen Bewegungsvorgangen eine Rolle und sind an der Formgebung von Zellen beteiligt. Der vorliegende Artikel beschreibt die Struktur der Mikrotubuli und s. stellt neue Befunde uber deren Organisation und Verhalten in der Zelle vor. ikrotubuli (MT) sind obligate Struk- M turelemente eukaryotischer Zellen. Zusammen mit Mikrofilamenten und intermediaren Filamenten bilden die MT ein cytoplasmatisches Netzwerk, das Cytoskelett. Die fadenformigen Mikrofilarnente (Durchmesser etwa 6 nm) und die intermediaren Filamente (Durchmesser etwa 10 nm) sind wesentlich dunner als die MT (Durchmesser etwa 24 nm), die sich durch einen rohrenformigen Aufbau auszeichnen. MT bestehen aus zwei verschiedenen Proteinklassen: Die Tubuline stellen die Hauptkoinponente der MT dar und sind obligat vorhanden. In Abhangigkeit vom Zelltyp und der Funktion sind mit den MT weitere Proteine verkniipft, die MT-assoziierten Proteine (MAPS). MT liegen in aller Regel innerhalb der Zelle. Es wurden nur wenige Falle beschrieben, wo MT-ahnliche Elemente im Extrazellularraum auftraten. MT waren bereits einmal Gegenstand eines BIUZ-Artikels [lo], in dem vorwiegend biochemische und strukturelle Aspekte beschrieben wurden. Mit den1 vorliegenden Aufsatz wollen wir neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Mikrotubulusforschung Rechnung tragen. Gibt es Mikrotubuli in Prokaryoten? MT wcrden als typische cukaryotische Zcllbcstandteile angcsehcn. Die Suche nach tubulinahnlichen Proteinen in Prokaryoten war jedoc11 erfolgrcich. Es wurde cin baktcrielles Gcnprodukt, das FtsZ Protein, gefunden, das Sequenzhomologicn zu den Tubulincn besitzt. Wie dic Tubuline bindct auch FtsZ energiercichc Triphosphate wie das GTP. Sein Verhalten ahnelt dem der Tubuline, indem es bcispiclsweise Protofilamcnte bildcn kann [2]. Das FtsZ Protcin ist im Cytoplasma von Baktcrien, die sich nicht teilen, gleichmafiig vertcilt und bildct vor Beginn der Zellteilung eine ringformige Struktur in der kiinftigcn Teilungsebene. Nach Abschlufi der bakteriellen Zellteilung befindet sich das Protein wieder gleichmafiig im Cytoplasma. Diese Bcobachtungen legen nahc, dafi das FtsZ Protein der Baktericn bei der Zellteilung eine Rolle spielt. Wahrschcinlich gibt es noch weitere tubulinahnliche Molekule in Prokaryoten, denn dic Beobachtungen von filamentosen Elementen im Cytoplasma von Baktericn haufen sich [I]. Somit ist es gut moglich, dafi auch in manchen Prokaryoten den eukaryotischen MT analoge Elementc vorhanden sind. Verschiedene Tubuline Die Hauptmasse des zellularen Tubulins bestcht aus zwei schr ahnlichcn aber unterscheidbaren Formcn, die nach elektrophorctischer Auftrennung unter denaturierenden Bedingungen als zwei nahe benachbarte, gleich starke Banden mit Molekulargewichten von etwa 55 kda auftreten. Die bciden Proteine bezeichnet man als alpha- beziehungswcise beta-tubulin. Im nativen Zustand erscheinen diese sowohl in der Zelle als auch in isoliertcr Form als Heterodirncre. Dic Aminosaurescquenzen von Tubulincn aus verschiedcnen Geweben sind bekannt [j]. Tubuline sind auficrordentlich konserviertc Molekiile. Starkere Sequen7abweichungen kommen aber beispiclswcise bei eukaryotischen Mikroorganismen und manchen Fischen vor. Bci dcn letzteren haben wir es wahrscheinlich mit Anpassungen der in dcr Jicgel kaltelabilen MT an die tiefen Teinpcraturen des Lcbensraums zu tun. Sowohl bei Ticren als auch bei Pflanzen wurden in einem Organismus mchrerc leicht verschicdenc alpha- und bcta-tubulinc gcfunden. Nach der am weitcsten verbreiteten Terminologie bezcichnct man dic einzelnen Tubulinformen mit einem Index (alpha,, alpha, usw.). Die Genc, wclchc die einzelnen Formen des alpha- oder beta-tltbulins kodiercn, gehoren zu eincr Genfamilie. Alpha- und beta-tubulingenc und das jungst entdeckte gamma-tubulingcn bilden zusammen die Supcrfamilic der Tubulingenc. Mit Hilfc spczifischer Antikorpcr erkannte man, dafl vcrschiedcne beta-tubuline in Drosophila melanogaster zell- und entwicklungsspezifisch exprimiert sind. Bcta,-Tubulin ist in friihen und beta2-tubulin in spatcn Stadicn der Spcrmatogcnesc nachzuwcisen. Beta,- Tubulin kommt nur in somatischen Zcllen der Hoden vor. Wahrend der Embryogenese von D. melanogaster ist beta,-tubulin spezifisch im Ncrvensystem exprimicrt [4]. Man ist sich aber noch nicht sicher, ob diese Tubulinformen vcrschiedcne Funktionen in der Zelle ausiiben. Es ware auch miiglich, dafl die unterschiedlichen Tubulinformen nur einc Biologie in unserer Zeit / 27. Jahrg. 1997 / Nr. 2 0 VCH VerlagAgesellschafi mbh, 69469 Weznhetm, 1997 004J-20JX/97/0101-0017 $ J.00 +.2J/O

88 Mikro biologie Abb. 1. Spindelpol einer Metaphasespermatogonie des Mehlkafers (Tenebrio molitor, Coleoptera). Ein schrag geschnittenes Centriol (C) ist von elektronendichtem Material umgeben. Letzteres dient als Nukleationsort fur Mikrotubuli (kleine Pfeile). Der ultradiinne Schnitt ist etwa 70 nm dick. Der groi3e Pfeil markiert zwei sich kreuzende Mikrotubuli (Durchmesser etwa 24 nm). Vergrofierung 39 000 : 1. Abb. 2. Spindelperipherie einer Metaphasespermatocyte I des Mehlkafers. Wir erkennen quergeschnittene Mikrotubuli und Mitochondrien (M). Einige Mikrotubuli sind exakt quer getroffen (Pfeile). Vergroi3erung 53 000 : 1. Rolle in der Regulation dcr Cytoskelettbildung spielen. Gamma-Tubulin ist in den mcistcn Zellcn nur in geringcr Mengc vorhanden. Dcswegcn hat man es gjt rclativ spat auf indirektcm Weg entdcckt. Bei Mutageneseexperimentcn mit dem Pilz Aspergillus niduluns tratcn temperatursensitivc Mutanten auf, bei denen das beta-tubulin betroffen war. In den Mutantcn war die Mitose, ein MT-abhangiger I rozeb, bei hohercr Temperatur blockiert. Als man Revertantcn, das sind Mutanten, die diesen Effekt nicht mehr aufweiscn, genauer untersuchte, stiefl man auf ein neues Gen. In den Revertanten waren keine Veranderungen in alpha- oder beta-tubulinen zu erkcnnen. Man muflte deshalb annehmen, dai3 ein weitercs Genprodukt existiert, das in dcr Zelle eng mit den bcreits bekanntcn Tubulinen verkniipft ist. Die genaue Analyse des Gens licfcrte cine Sequenz, die groi3e Ahnlichkeit zu den Genen der bcreits bckannten Tubulinformen aufwies. Das Produkt dieses Gens zeigtc aber im C-terminalen Bercich der Aminosaurekctte deutliche Unterschiede ZU alpha- und bcta-tubulin (Tabellc 1). Bci dem neu cntdeckten Protein handelt es sich um das ebenfalls stark konservierte gamma-tubulin, auf das wir spater noch cinmal zuriickkommcn. Wie sind Mikrotubuli aufgebaut? Die meistcn MT besitzen einen Auflendurchinesser von etwa 24 nm. Der Innendurchmesser licgt dann bci etwa 14 nm. Aber MT mit Auflendurchmessern von 18-30 nm wurden auch beobachtet. Die Lange der MT in der Zelle variiert je nach Funktion und Objekt und kann Wertc von mehr als 100 pm erreichen. In Zellen, die auf konventionelle Weise fiir die Transmissionsclektronenmikroskopie prapariert wurden, zcigen sich die MT als fadenformige Elemente (Abbildung 1). Das Lumen der MT ist in Ultradiinnschnitten (von 60 bis 80 nm Dicke), bei denen die MT langs getroffen sind, nicht auflosbar. Querschnitte zeigen dagegen, dai3 die Wand der Mikrotubuli aus clektronendichtem Material aufgebaut ist (Abbildung 2). Die auffalligste supramolekulare Struktureinheit isolicrter MT sind die Protofilamente (Abbildung 3). Die globularen alpha- und beta-untereinheiten (Durchmesscr etwa 4 nm) sind alterniercnd in Langsrichtung miteinander verkniipft, wodurch eine polare Struktur entsteht. Im Verband des Mikrotubulus, der durch laterale Assoziation einer Reihe von Protofilamenten gebildet wird, ha- ben alle Protofilamcnte die glciche Polaritat. Dies fiihrt zu einer cinheitlichcn Polaritat fur den gesamten Mikrotubulus. Die bciden Enden eines Mikrotubulus unterschciden sich in ihrer Nettoassoziationsrate von Tubulinmolekulen: 0 An einem Ende, dem (+)-Ende, uberwiegt die Anlagerung von Tubulinheterodimeren. 0 Am gegenuberliegenden Ende, dem (-)-Ende, findet bevorzugt deren Ablosung statt. Dieser Vorgang kann mit Hilfc spezieller rechnergestiitzter Mikroskopierverfahren auch direkt beobachtet werden. Man geht heutc davon aus, dai3 die alpha-untcrcinheit des Tubulinheterodimcrs am (+)-Ende dcs Mikrotubulus liegt. Die Bildung von MT wurdc m vztro eingehend untersucht. Als einer der erstcn erkennbaren Schritte der Mikrotubulusbildung treten Tubulinoligomere und kurze Protofilamente auf. Auch Tubulinringe wurdcn beobachtet (Abbildung 4). Lateral assoziicrtc kurze Protofilamcnte stellen wahrscheinlich den nachsten Schritt der Mikrotubulusbil- Biologie in unserer Zeit / 27.jahrg. 1997 / Nr. 2

Organisation von Mikrotubuli in der Zelle 89 Abb. 3. Totalpraparat von in vitro rekonsti- Abb. 4. Ringformige Tubulinoligomere, wie Abb. 5. Querschnitte durch in vitro assemtuierten Mikrotubuli. Parallel zur Langs- sie bei der Mikrotubulusbildung voruber- blierte Mikrotubuli mit 13 und 14 Protoachse der Mikrotubuli sind die Proto- gehend auftreten. Meist handelt es sich filamenten. Diese sind nur klar zu erkenfilamente zu erkennen. An manchen Stel- um Doppelringe (Pfeile). Vergroflerung nen, wenn die Mikrotubuli exakt quer len (Pfeile) sind die in regelmafligen 150 000: 1. getroffen sind (Pfeile). Vergroflerung Abstanden aneinandergereihten Tubulinuntereinheiten aufgelost. Vergroflerung 150 000 : 1. 300 000 : 1. dung dar. Dic Gestalt dcr Tubulinmolekulc crmoglicht die Entstehung einer geltriimmten Protofilamentschicht. Schliefllich bildet sich, infolge der fortschreitendcn lateralen Assoziation von Untereinheiten, der geschlossene Mikrotubulus. Diescr wird dann an den Enden weiter verlangert. Die Protofilamente sind im Mikrotubulus radialsymmetrisch angcordnet (Abbildung 5). Die Tubulinuntereinheitcn sind einhcitlich orientiert, und dcfiniertc Regionen weisen nach aufien oder nach innen [9]. Tabelle 1. Aminosauresequenzen am C-terminalen Ende von gamma-tubulinen verschiedener Organismen. Es ist ein Buchstabe pro Aminosaure angegeben. Die entsprechenden Sequenzen der alpha- und beta-tubuline weichen davon deutlich ab. Das beta-tubulin ist in dieser Region leicht variabel. Ein Oligopeptid aus der konservierten Region des gamma-tubulins wurde fur die Herstellung eines spezifischen Antikorpers herangezogen Uoshi et al. (1992) Nature 356,80-831. gamma-tubulin Homo hominis (Mensch) EEFATEGTDRKDVFFY Cytoplasmatische MT in Saugerzellen und dic A-Tubuli (siehe unten) von Basalkorpern und Flagellen zeigen 13 Protofilamente. Die Protofilamente verlaufen dabei weitgehend parallel zur Langsachse. Bei der lateralen Verknupfung der Protofilamente werden sowohl homologe (alpha-alpha, beta-beta) als auch heterologe (alpha-beta) Bindungen realisiert. Die Tubulinhcterodimerc sind etwa 8 nm lang. Da in MT mit 13 Protofilamenten die Ilimere bcnachbarter Protofilamente entlang der Langsachse um jeweils etwa 1 nm gegeneinander versetzt sind, ergibt sich an der Stelle, wo Protofilament 1 und 13 aneinanderstofien, ein Bruch. Diese Stelle wird als Nahtstclle (seam) bezeichnet (Abbildung 6). Mus musculus (Hausmaus) Drosophila melanogaster (Taufliege) Aspergillus nidulans (Ascomycet) Schizosaccharomyces pombe (Spalthefc) alpha-tubulin beta-tubulin Oligopeptid fur die Antikorperherstellung EEFATEGTDRKDVFFY EDFANDGLDRKDVFFY EEFATEGGDRKDVFFY ESFATEGVDRKDVFFY SDKTIGGDDSFNTPP D L D GTSDAQLERISVXYNE EEFATEGTDRKDVFFY-C Biologie in unserer Zeit / 27.,Jahrg. 1997 / Nr. 2

90 Mikro biologie Isolation von Tubulin Zwci Eigenschaftcn des Tubulins und der MT inachcn es mtjglich, Tubulin zu rcinigen. Man gcht dabei von neuronalem Saugetiergewebc AUS, das schr rcich an MT ist. Da ist zum eincn die Labilitat der MT bci tiefen Tempcraturen. Wcnn man das homogenisierte Gewcbe abkuhlt, yerfallen dic MT, und die Tubulinniolckule gehen in Losung. Grobc Zellbestandteile lasscn sich danach abzentrifugieren. Durch Anderung dcr Bedingungcn im Uberstand, der ncbcn Tubulin noch andere Protcine enthalt, kann man dic Polymerisation von MT hcrbcifuhren. Tubuline sind namlich - und dics ist die zwcitc in diesem Zusamnieiihang wichtigc Eigenschaft - nach Zugabc von Mg2+-Ioncn und GTP bci physiologischcn Teinpcraturen in vitro zur Selbstassemblierung fahig. Die entstandenen Mikrotubulusstucltc werden jctzt durcli Zentrifugation von anderen lijslichen Proteincn abgetrennt. Mchrfache Wicdcrholung dcr Depolymerisation und Polymerisation fuhrt zu Tubulin von groqcr Reinheit, das fur in-vitro-expcriniente zur Verfugung steht. Bedeutung der MAPs Bci der Isolation von Tubulincn fallen in Abhangigkeit vom biologischen Ausgangsmaterial auch Bcgleitproteine, die MAPs, an. Bei neuronalcm Gewebc von Saugetiercn sind das dic hochmolckularen basischen Proteine MAPl (Molckulargewicht (M) = 345 kda), MAP2 (M = 271-286 kda) sowie dic tau- Protcinc niit Molckulargewichten zwischen 55 und 77 kda. Es sol1 nur am Randc crwahnt wcrdcn, dafl als pathologischcs Phanomen groqc Meiigcn abnormal phosphorylicrtcr tau-proteinc in den Ncuronen von Patientcn vorltommcn, die an dcr Alzheimerkrankheit leiden 181. MAPS stimulieren generell die Tubulinasscniblierung und stabilisicrcn die MT zuniindest particll gegenuber dem Abbau durch Kaltc. MAPs bestimmen vermutlich die Protofilamentzahl der MT mit und spielen wahrscheinlich auch eine Rolle bei dcr Ausbildung ciner Zone um die MT, in dic cytoplasmatische Bcstandteile und andere MT scltcn cindringcn. MAPl und MAP2 erscheincn an isoliertcn MT in mittleren Abstanden von 32 nm als laterale filamentose Portsatzc von der Obcrflache (Abbildung 7). In konvcntionell fur die Transmissionselektroneninikroskopic praparierten Zcllcn sind die MAPS jedoch in der Kegel nicht aufzulijsen (vergleichc Abbildung 1). Abb. 6. Strukturmodell eines Mikrotubulus rnit 13 Protofilamenten. Eine Unregelmaaigkeit in der lateralen Assoziation des Protofilaments, die Nahtstelle (seam), ist zu erkennen. Das plus- und das minus-ende des Tubulus sowie ein isoliertes Tubulindimer werden gezeigt. Experimente mit isoliertem Tu bu I i n Wcgen der konservicrtcn Natur der Tubuline sind der Bau und andere wesentliche Eigenschaften der MT bei Organismcn aus verschicdcnen phylogenetischen Gruppen schr ahnlich. Unabhangig davon, ob MT an cytoplasmatischen Transportprozessen, dcr Kernteilung, dcr Formgebung oder dcr Bewegung ganzcr Zcllen beteiligt sind, bestehen sie stets aus Tubulindimeren, dic sich zu Protofilamcnten zusammcngelagert haben. Variationen im Feinbau dcr MT scheinen abcr im Zusam- menwirken mit wcitcren Proteinen des Cytoskeletts spezifischc Funktion zu vermitteln. Eine dieser Variationen irt die Anzahl der Protofilamentc. Innerhalb der Organismen wurden untcrschiedliche Protofilamentanzahlen beobachtet. Auch kann sich die Protofilamentzahl wahrend cines Entwicklungsgangs andern. Bei bestimmtcn Protozoen erhoht sich beispiclswcisc die Zahl der Protofilamentc im Verlauf der mitotischen Teilung des Mikronukleus von 13 auf 14-16 (Ubersicht bei [9]). Die Faktorcn, die bei der Mikrotubulusbildung zusammenwirken, lassen sich gut in Experimcntcn untersuchen, bci dcnen isoliertes Tubulin in vitro polymcrisiert wird. Bei der Assemblierung von Tubulin in Gcgcnwart yon MAPS cntstehen vorzugswcisc MT mit 14 Protofilamenten. Hemmt man bei diesem Prozefl die Fahigkeit dcr MAPS, an Tubulin zu binden, ist cinc deutliche Abnahmc dcr mittleren Protofilamentanzahl bci gleichzeitiger Erhohung der Variabilitat dieses Parameters zu verzeichnen. In Abhangigkeit von den Bedingungen kann die durchschnittlichc Protofilamentzahl urn cin bis zwei sinkcn, wobei aber die Variationsbreite der Protofilamentzahlen (8-16) dcutlich zunimmt. Ilic Hemmung dcr Bindungsfahigkeit dcr MAPS wird zum Beispicl durch Zusatz von DNA oder Glycerol oder durch Erhtihung der Ionenstarke im Medium crrcicht. Nach einem Mikrotubulusmodcll sitzen die MAPS als Strukturelementc in der auqeren Furchc zwischen benachbartcn Protofilamcntcn. Die MAPS wcrden in diesem Modcll mit einer Zugfeder verglichen, die bcnachbarte Protofilaincntc verbindet. Somit konnten dic MAPS die Krummung der mikrotubularcn Protofilamcntwand verandern und die Protofilament- Abb. 7. Filamentose Anlagerungen (Pfeile) an der Oberflache in vitro assemblierter Mikrotubuli. Vergroaerung 150 000 : 1. Biologie in unserer Zcit / 27. Jahrg. 1Y97 / Nr. 2

Organisation von Mikrotubuli in der Zelle 91 amah1 im Mikrotubulus bestimmen (Abbildung 8). Es ist auch bekannt, dar cine Vielzahl von basischcn Substanzen die Effekte von MAPs simulicrcn kann. So fiihrt die Anwcsenheit von Histonen bei der MT-Assemblierung zu rclativ hohcn Protofilamentanzahlen. Mikrotubuli in Cilien und Flagellen Nebeii den einzelnen MT, die wir bislang betrachtct haben, wcrden in der Zelle auch komplcxere mikrotubulare Strukturen beobachtet. Es sind dies die Mikrotublus-Dupletts in Cilien und Flagclleii uiid die Mikrotubulus-Tripletts dcr Basalkorper und Centriolen. Flagellen und Cilien enthalten ein zentralcs Paar aus kompletten MT mit 13 Protofilamenten. In der Periphcrie liegen neun Mikrotubulus-Dupletts (9 + 2 Muster, Abbildung 9). Lctztere sctzcn sich aus eincin kompletten Mikrotubulus mit 13 Protofilamenten, dcm A-Tubulus, und eincm inkomplettcn Mikrotubulus mit elf Protofilamenten, dem B-Tubulus, der dem A-Tubulus angclagert ist, zusammen. Es gibt starke Hinwcisc darauf, dai3 wcnigstens ciiics der Protofilamente im A-Tb bulus in dcr Nahe der Ansatzstelle des B-Tubulus nicht aus Tubulincn besteht, sondcrn hauptsachlich Tektinc cnthalt [7]. Bci Basalkiirpern und den ihnen strukturcll sehr ihnlichen Centriolcn sitzt dem B-Tubulus in glcicher Wcisc noch ein weitercr Mikrotubulus, der C-Tubulus, an. Fur die Entstchung dcr inkompletten MT sind spcziclle latcrale Tubulin-Tubulin-Bindungen vcrantwortlich, die in der Zclle hauptsachlich in Cilien und Flagellen beziehungswcisc Basalkorpern und Centriolen aktiviert wcrden. Lafit sich diesc laterale Interaktion der Tubuline auch in vztro simuliercn? Einschlagigc Vcrsuche zcigtcn, dai3 den Dupletts und Tripletts analoge Asseinblate zum Beispiel durch erhiihtc Konzentrationen an Mg2+-Ionen und durch Zugabe von Ca2+-Ionen unter Mikrotubulus-stabilisicrenden Bedingungen gebildct werden konnen (Abbildungeii 1 Oa, b und c; siehe [9]). Dies lafit vcrinuten, dai3 Mg*+oder Ca2+-Ionen auch in der Zelle an der Bildung von Dupletts und Tripletts beteiligt sind. Allerdings entstehen bci diesen Expcrimenten haufig anderc Protofilamcntzahlen als in der Zelle. Dies zcigt, dai3 unter naturlichen Bedingungen noch weitere regulicrende Faktorcn im Spiel sind. Abb. 8. Modellhafte Darstellung der Effekte Mikrotubulus-assoziierter Proteine auf die laterale Assoziation der Protofilamente im Mikrotubulus. Links ist ein Ausschnitt aus einem Tubulus mit 14 Protofilamenten (14 PF) dargestellt. Die rechte Halfte des Tubulus setzt sich aus 10 oder 12 Protofilamenten zusammen (10 PF, 12 PF). Es wird davon ausgegangen, daf3 die Mikrotubulusassoziierten Proteine, die als Zugfedern wiedergegeben sind, an benachbarte Protofilamente binden. Auf diese Weise bestimmen sie den Bindungswinkel zwischen den Protofilamenten und kontrollieren die Kriimmung der Mikrotubulusoberflache. Bei dichter Besetzung der Mikrotubuli mit assoziierten Proteinen werden 14 Protofilamente gefunden (linke Halfte). Bei Mange1 an Mikrotubulus-assoziierten Proteinen (rechts unten), oder wenn diese vollstandig fehlen (rechts oben), werden groi3ere Bindungswinkel zwischen den Protofilamenten moglich. Damit sinken die Protofilamenttahlen. Laterale Mikrotubulusnukleation Man darf davon ausgehen, dai3 die Mikrotubulusbildung in der Zelle gercgelt vor sich geht. Die Bedingungen im Cytoplasma in Form der Tubulinltonzcntration und der Ionenzusammensetzung sowie die Art und Menge der MAPs spielen dabei cine Rolle. Eine wichtige Aufgabe kommt abcr auch den Orten ZU, von denen MT ausstrahlen. Man spricht hier von der Mikrotubulusnukleation. Meist sitzt das microtubule-organizing centre, MTOC, am (-)-Ende der MT. Es ist aber auch eine laterale Mikrotubulusnukleation beobachtet worden. In der Spermiogenese der Insekten bildcn sich iiebcn dcm zentralen Paar und den periphcrcn Mikrotubulus- Dupletts neun zusatzlichc Tubuli im Spcrmienschwanz. Wir habcn hicr ein 9 + 9 + 2 Muster vor uns. Dcr crste Schritt in dcr Bildung der zusatzlichen Tubuli bestcht aus lateralen Auswiichscn von einigen B-Tubuli (Abbildung 9). Spatcr finden wir in Querschnitten durch den Spermatidcnschwanz solchc hakcnformigen Auswiichsc an allen B-Tubuli dcs Flagellums (Abbildung 11). Die hakenformigen Protofilamentbandcr liisen sich schlici3lich vom B-Tubulus ab und bildcn cinen kompletten Tubulus (Abbildung 12). Dic zusatzlichen Tubuli dcr Iiisektenspcrmicn entstehen also lateral voii bereits cxistiercnden MT. Die gcnauen Mechanismcn dieser Form der Mikrotubulusnukleation sind nicht bekannt. Die zusatzlichen Tubuli der Insektenspermien zeigen jcdoch ungew6hnlichc Eigcnschaften. In dcr Rcgel ist die Protofilamcntzahl hoher als 13, was auch am grofieren Durchmesser dcr zusatzlichen Tubuli abzulesen ist (Abbildung 12). Wciterhin wurdc bcobachtet, dai3 das Lumen der zusatzlichen Tubuli vollstandig mit amorphcm Material gefiillt sein kann (Abbildung 13). Unter diesen Umstandcn sind die zusatzlichen Tubuli nur schwer in Querschnitten durch den Spermatidenschwanz zu crkcnnen. In andcrcn Fallen lag ein zentralcs Filament im Lumen der zusatzlichcn Tubuli (Abbildung 12). Man kann nur vcrmuten, dai3 die zusatzlichen Tubuli und deren Modifikationen die mcchanischen Eigenschaften der Spermienschwanze beeinflusscn. Nukleation von Mikrotubuli an MTOCs Weiiii man das mikrotubulare Cytoskelctt von kultivicrteii Saugcrzcllcn durch spezifische Antikorper iin Lichtmikroskop darstcllt, beobachtet man haufig, dai3 die MT von cinem MTOC in der Nahe des Zellkcrns ausstrahlen (Abbildung 14). In dicscn Zellen ist das (-)-Endc cytosplasmatischcr MT mit einem MTOC verknupft. Das (+)-Ende ist auf die Zellperipheric hin gerichtet. Die Nukleation der MT an definierten Stellcn wird im Spindelapparat bcsonders deutlich, wo die Spindelpolc als MTOCs dicnen (Abbildung 15). Auch hier sind die M7 mit ihrcn (-)-Enden im MTOC verankert. Die Zusammensetzung dcr MTOCs ist komplex. In den meisten Fallen ist aber gamma- Tubulin nachgcwicsen wordcn (Abbildung Biologie in unserev Zeit / 27. Jahvg. 1997 / NY. 2

92 Mikro biologie 9 10 12 13 Abb. 9. Querschnitt durch die Schwanzregion einer Spermatide der Mehlmotte, Ephestia kuehniella (Pyralidae). Die Protofilamente sind dargestellt. Das zentrale Mikrotubuluspaar (2) und die peripheren Dupletts, die aus dem A- und dem B-Tubulus (A, B) bestehen, sind zu sehen. Die B- Tubuli einiger Dupletts (Pfeile) zeigen laterale Anhangsel aus 3 bis 4 Protofilamenten. Vergrofierung 234 000 : 1. Abb. 10. Querschnitte von in vitro assemblierteii Mikrotubuli, die in Gegenwart von Ca2+-Ionen und Glycerol gebildet wurden. Die Protofilamentzahlen (9, 10, 11 und 13), der (a und b) Duplett- und (c) Triplett-Mi- I1 krotubuli weichen von denen in der Zelle ab. Vergrofierung 300 000 : 1. Abb. 11. Querschnitt durch die Schwanzregion einer Spermatide der Feuerwanze, Pyrrhocoris apterus (Hemiptera). An den B- Tubuli aller Dupletts sind hakenformige Protofilamentbander zu erkennen (Pfeile). Vergrofierung 77 OOO : 1. Abb. 12. Querschnitt durch die Schwanzregion einer Spermatide der Kocherfliege Potumophylux rotundipennis (Trichoptera). Die neun zusatzlichen Mikrotubuli (Pfeile) besitzen ein zentrales Filament. Mitochondrium (M). Vergrofierung 70 000 : 1. Abb. 13. Querschnitt durch die Schwanzregion einer Spermatide der Motte Ovgyiu tbyellinu (Lymantriidae). Die neun zusatzlichen Tubuli (Pfeile) sind schwer zu erkennen, weil ihr Lumen mit amorphem Material gefiillt ist. Ein Mitochondrium (M) liegt innerhalb der Plasmamembran. An deren Aufienseite sind verschiedene Elemente unbekannter Natur und Funktion angeheftet. Vergrofierung 86 000 : 1. 15). Es ist schr wahrscheinlich, da13 dieses Molekul cinc zentrale Rollc bei der Mikrotubulusnukleation spielt. So verhindert die Mikroinjektion eincs Antikorpers gegen gamma-tubulin in Saugerzellen die Ausbildung cines Mikrotubuluscytoskeletts. Man nimmt an, dafi gamma-tubulin an dcr Basis des Mikrotubulusschafts sitzt. Die Rolle von gamma-tubulin bei der Mikrotubulusnukleation wird auch durch dic weitc Vcrbreitung dcs Molekuls in verschicdenartigen MTOCs gestutzt. Gamma-Tubuhi wurde zum Beispiel auch im apikalen Bereich von Insektenspermatiden nachgewicscn [12]. Von dicser Stelle gehcn die Manschettenrnilrrotubuli aus, die wahrscheinlich an dcr Strcckung des Zcllkerns in der fruhen Spermiogenese beteiligt sind. Neben dcm gamma-tubulin lie13 sich noch cine grofic Zahl weitercr meist weniger gut charakterisierter Proteine in MTOCs nach- weisen. Es wcrden vier verschiedene Substanzklassen unterschieden [3]. Es gibt Proteine, die wahrend des gesamten Zellzyklus in den MTOCs zu findcn sind. In diese Gruppe fallt auch das gamma-tubulin. Dann sind Protcinc bekannt, die nur wahrend dcr Mitose in den MTOCs auftreten und im ubrigen Zellzyklus weder dort noch im Rest der Zelle nachzuweisen sind. Im Gegensatz dazu steht eine Proteinklasse, deren Vertreter wahrend der Mitose mit den MTOCs assoziiert sind, im ubrigen Zellzyklus aber an verschiedenen Orten in der Zelle vorkommen. Schliefilich gibt es Proteine, die sowohl in der Zelle als auch in den MTOCs zu finden sind. Die einzelnen Bestandteile sind fur den Aufbau der MTOCs und die Mikrotubulusiiukieation verantwortlich. Man darf annehmcn, daf3 MTOCs die Zahl, die Polaritat und die Protofilamentzahl der mit ihnen assoziierten MT kontrollieren. Den MTOCs schreibt man auch eine Aufgabe bei der raumlichen Orientierung der MT zu. Dynamische lnstabilitat der Mikrotubuli MT sind dynamische Strukturen. Das (-)-Ende der MT wird durch den Kontakt mit einem MTOC stabilisiert. Der Tubulus verandert sich dort kaum. Das freie (+)-Endc der MT verlangert sich dagegcn rasch. An diesern Ende kann sich dcr Tubulus aber auch katastrophenartig vcrkiirzen und vollstandig depolymerisieren. Dieses Konzcpt des Mikrotubulusverhaltens in dcr Zelle, das von Mitchison und Kirschner [6] entwickelt wurde, bezcichnet man als dynamischc Instabilitat der MT. Einbau von markierten Tubulindimeren Die Dynamik von Mikrotubuluspopulationcn kann in verschiedener Wcisc bestimmt werdcn. Zum einen wird die Einbaurate von markierten Tubulindimcrcn in bestehende MT als Ma13 fur ihrc dynamische Instabilitat Biologie in unserer Zeit / 27. /a/ahrg. 1997 / Nr. 2

Organisation von Mikrotubuli in der Zelle 93 14 a 14 b 16 a 16 b Abb. 14. Doppelfarbung von kultivierten Endothelzellen des Rinds mit einem Antikorper gegen beta-tubulin (a) und einem DNA-spezifischen Fluoreszenzfarbstoff (b). Es wird das gesamte Mikrotubulusinventar der Zelle gezeigt (a). Viele Mikrotubuli gehen von einer Stelle (Pfeile) in der Nahe der Zellkerne (K) aus (b). Vergroflerung 1250 : 1. Abb. 16. Doppelfarbung von kultivierten Endothelzellen des Rinds. Ein Antikorper gegen acetyliertes alpha-tubulin bindet nur an die Mikrotubuli der kurzen Cilien (Pfeile in a). Die Position der Zellkerne (K) ist gleichzeitig durch einen DNA-spezifischen Fluoreszenzfarbstoff sichtbar gemacht (b). Vergroflerung 1 250 : 1. Abb. 15. Farbung einer primaren Metaphasespermatocyte des Mehlkafers mit drei verschiedenen Fluoreszenzfarbstoffen, die mit Hilfe verschiedener Filterkombinationen aufgenommen wurden. Im ersten Bild (a) ist das gesamte mikrotubulare Cytoskelett mit 15 a 15 b 15 c Hilfe eines Antikorpers gegen beta-tubulin dargestellt. In (b) sind die Bivalente (B) durch einen DNA-spezifischen Farbstoff gezeigt. Das dritte Bild (c) zeigt die Verteilung von gamma-tubulin nach Anfarbung mit einem spezifischen Antikorper. Das Vorkommen von gamma-tubulin ist auf die Spindelpole beschrankt (Pfeile). Vergrofierung 2 200 : I. betrachtct. In Seeigelciern ist markiertcs Tubulin nach Mikroinjektion in die Zcllc binnen 20-30 Sekunden im gesamten Spindelapparat nachzuweisen. Das bcdeutet, dai3 in diesem Zeitraum die meisten MT unter Einbcziehung der markiertcn Molekule aus dem Tubulinpool vollstandig umgebaut werden. Spindelapparate sind also hochdynamische Strukturen. Das Mikrotubuluscytoskelett von lnterphasezcllen wird jedoch langsamer umgebaut. Es zeigte sich, dafi in kultivicrten Saugerzcllen der Mikrotubulusumbau in der Mitoscspindel um den Faktor 18 schneller erfolgtc als in der Interphase. Modifkation der Tubuline Eine andere Methode zum Nachweis der dynamischen Instabilitat der MT macht sich posttranslationale Modifikationen der Tubuline zunutzc. Man we& dafi Tubuline phosphoryliert, glutamyliert und acetyliert werden konnen. Zudem wurde die posttransla- tionale Abspaltung einer Aminosaure vom C- terminalen Ende des alpha-tubulins beschrieben. Besonderc Bedeutung in der Zcllbiologie hat die Acetylierung von alpha- Tubulin erlangt. Es wurde ein Antikorper hergestellt, dcr die acetylierte Form des alpha- Tubulins erkennt. Der Einsatz des AntikGrpers zeigtc, dai3 langlebige MT, wie sie in Cilien und Flagellen vorliegen, in der Regd acetyliert sind (Abbildungen 16 und 17). Das ist leicht zu verstehen. Wenn MT langlebig sind, haben zellulare Enzyme Gelegenheit, alpha-tubulin zu acetylieren. Bei kurzlebigen MT ist die Wahrscheinlichkeit der enzymatischen Reaktion geringer. Somit ist der Grad der Acetylierung ein indirektes Mai3 fur die Dynamik der MT. Einsatz eines Antikorpers Anderungen in der dynamischen Instabilitat im Lauf einer Entwicklung lassen sich mit Hilfe des Antikorpers gegen acetyliertcs al- pha-tubulin sichtbar machen. Dies sol1 am Bcispiel der mannlichcn Meiose dcr Mchlmotte Ephestia kuehniella (Lepidoptcra) illustriert werdcn. Die Flagellen, dic spater fur die Bewcgung der Spermicn sorgcn, wachsen hier bcreits wahrend dcr meiotischen Teilungen aus. An jedem Spindclpol befinden sich zwci Basalkorper, dic in Flagellen ubergchcn. Vor der Spindclbildung (Abbildung 17) und in primarcn Metaphasespermatocyten sind nur die MT der Flagcllcn acetyliert. Cytoplasmatische MT und Spindel-MT wcrden vom Antikorper nicht erkannt. Dies andert sich jedoch im weiteren Vcrlauf der Teilung. In dcr fruhen Telophasc ist der Spindelapparat nur schwach gcfarbt (Abbildung 18), in der spaten Tclophase sind die MT dcs Spindelapparatcs vollstandig acctyliert (Abbildung 19). Diese Beobachtungen lassen den Schlui3 zu, dai3 die dynamische Instabilitat der MT wahrend der Zcllteilung abnimmt. Die hohe dynamischc Instabilitat der MT wahrend der Spindclbildung ist vcrstandlich. Nach dcm Biologie in unserer Zeit / 27. Jabrg. 1997 / Nr. 2

94 Mikro biologie Zusammenbruch der Kernmembran strahlen MT, die von den Spindelpolen ausgehen, in das Kernlumen cin, und die Chromosomen ordncn sich in der Aquatorialebene der Spindcl an. Die Voraussetzung fur diese Prometaphasebewegung ist die Anheftung der Chromosomen an MT. Die dynamische Instabilitat der MT begunstigt dicsen Vorgang. Es werden standig neue MT aufgebaut. Wahrend der Bildung durchziehen sie das Spindelplasma, bis sie auf Chromosomen treffen. Man nirnmt an, dafl MT durch Kontakt mit Kinetochoren stabilisiert werden [1 11. Zusammenfassung Mikrotubuli sind rohrenformige Elemente dcs Cytoskcletts, die aus Tubulinen und mit ihnen assoziierten Proteinen bestehen. Es sind drei verschiedene Tubuline, alpha-, beta- und gamma-tubulin, bekannt. Mikrotubuli bestehen aus alpha- und beta-tubulinen. Gamma- Tubulin ist an den Enden dcr Mikrotubuli angcrcichert und spielt vermutlich eine Rolle bei deren Nukleation. Neue Mikrotubuli konnen sich aber auch lateral an bereits bestehenden Mikrotubuii bilden. Die zytoplasmatischen Mikrotubuli einer Zelle zeigen relativ schnellen Umbau. Posttranslationale Modifikationen der Tubuline erlaubcn es, die Dynamik einzelner Mikrotubuluspopulationen zu erfasscn. Organization of microtubules The article deals with microtubules. These are hollow elements of the cytoskcleton. They consist of tubulins and associated proteins. Three different tubulins, alpha-, beta- and gamma-tubulin, are known. Alpha- and betatubulin form microtubules. Gamma-tubulin is enriched at the ends of microtubules and probably plays a role in their nucleation. New microtubules may, however, also develop lateral of existing microtubules. Cytoplasmic microtubules show relatively rapid turnover. Post-translational modifications of tubulins are helpful to assess the dynamics of individual microtubule populations. Danksagung Die Arbeiten der Autoren wurden durch die Deutsche I;orschungsgemeinscliaft gefordert (WO 394/6-1, BO 1277/1-1). Biologie in unserer Zeit / 27. Jahrg. 1997 / Nr. 2

Organisation von Mikrotubuli in der Zelle 95 Literatur [I] D. Bermudas, G. Hinklc, L. Margulis (1994) Do prokaryotes contain microtubules? Microbiol. Rev. 58,387-400. gamma-tubulin in spermatogenesis of a bcctle, Tenebrio rnolitor (Tcncbrionidae, Coleoptcra, Insecta). J. Cell Sci. 108, 3855-3865. [2] H. P. Erickson, D. W. Taylor, I<. A. Taylor, D. Bramhill(1996) Bacterial cell division protein FtsZ asscmbles into protofilamcnt sheets and minirings, structural homologs of tubulin polymers. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 93, 519-523. Abb. 17. Prophase I: Spermatocyte der Mehlmotte. Die gesamte Zelle wird in einem Phasenkontrastbild (a) gezeigt; (b) Kern (K) dieser Zelle. Ein Antikorper gegen acetyliertes alpha-tubulin reagiert nur mit den Mikrotubuli der Flagellen (F). Vergroaerung 2 200 : 1. Abb. 18. Spermatocyte I in der friihen Telophase bei der Mehlmotte. Das Phasenkontrastbild (a) zeigt ein prominentes Mikrotubulussystem zwischen den Tochterkernen (T), die nach Anfarbung mit einem DNA-spezifischen Farbstoff stark fluoreszieren (b). Die Spindelmikrotubuli sind schwach acetyliert (Pfeile in c). Vergrofierung 2 200 : 1. Abb. 19. Spermatocyte I in der spaten Telophase bei der Mehlmotte. Im Phasenkontrastbild (a) erkennen wir ein prominentes Mikrotubulussystem zwischen den Tochterkernen (T), deren Position auch vom DNA-spezifischen Farbstoff gezeigt wird (b). Die Mikrotubuli der Spindel sind stark acetyliert (c). Vergrofierung 2 200 : 1. [3] A. Kalt, M. Schliwa (1993) Molecular cotnpoiients of the ccntrosome. Trends in Cell Biology 3, 118-128. [4] B. Kaltschmidt, K. H. Glatzer, F. Michiels, D. Leiss, R. Renkawitz-Pohl, (1991) During Drosophila spermatogenesis pl, p2 und p3 tubulin isotypes are cell-type specifically cxpressed but have the potential to coassemble into the axoneme of transgenic flies. Eur. J. Cell Biol. 54, 110-120. [5] M. Little, G. Krammer, M. Singhofcr- Wowra, R. F. Ludcna (1986) Evolutionary aspects of tubulin structure. Ann. N. Y. Acad. Sci. 466, 8-12. [6] T. Mitchison, M. W. Kirschncr (1984) Dynamic instability of microtubule growth. Nature 312,237-242. [7] D. Nojima, R. W. Linck, E. H. Egelman (1995) At least one of the protofilaments in flagellar microtubules is not composed of tubuh. Curr. Biol. 5, 158-167. IS] B. Steincr ct al. (1990) Phosphorylation of microtubule-associated protein tau: Identification of the site for Ca2+-calmodulin dependent kinase and the relationship with tau phosphorylation in Alzheimer tangles. EMBO J. 9,3539-3544. [9] E. Unger, K. J. Bohm, W. Vater (1990) Structural diversity and dynamics of microtubules and polymorphic tubulin assemblies. Electron Microsc. Rev. 3,355-395. [lo] F. Wunderlich (1977) Mikrotubuli. BIUZ 7, 21-27. [I11 K. W. Wolf (1994) Die Architektur der Centromeren. BIUZ 24,306-314. [12] K. W. Wolf, H. C. Joshi (1995) Microtubule organization and the distribution of Klaus Wcrner Wolf ist den Lcscrn durch Artikel ubcr den synaptischen Komplex (BIUZ 24, 30-35, 1994), Centromcrcn (BIUZ 24, 306-314, 1994) und die Kobertson schc Translolcation (BIUZ 26, 116-124, 1996) bekannt. Er vertritt gegenwartig cine Professur in Hurnaiigenetik am Institut fur Anthropologie der Universitat Mainz. Konrad Joachim Bohm, geb. 1951, Studium dcr Biophysik in Kicw (Ukraine). Diplom 1974; Promotion 1983; 1974-1991 wissenschaftlicher Mitarbciter am Institut fur Mikrobiologie und experimentelle Therapic in Jena; seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut fur Molekularc Biotechnologie e.v. Jena; Arbeitsgebict: Strukturelle und biochemische Aspckte des Cytoskeletts. Priv. Doz. Dr. Klaus Werner Wolf, Johannes Gutenberg Universitat Mainz, Institut fur Anthropologie, Colonel Kleinmann Weg 2a, D-55128 Mainz, Fax 0 61 31/39 51 32. Biologie In unscw Zeit / 27. Juhvg. 1997 / Nr. 2