GeroStat Beitrag im Informationsdienst Altersfragen 11/12 2000 Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin Wohin geht der Trend? Struktur der Haushalte älterer Menschen - ein Zeitvergleich 1991 bis 1999 Elke Hoffmann Der private Haushalt läßt sich als eine Organisationsform des persönlichen Lebens und Wirtschaftens umschreiben. Er ist zu betrachten "als auf die Wohnung konzentrierter Lebens- und Versorgungszusammenhang eines oder mehrerer Individuen" (Glatzer 1998, 288) oder auch als "soziale Einheit des Wohnens" (Häußermann, Siebel 1998, 738). Die Analyse von Haushaltsstrukturen verweist zunächst auf einen langfristigen Wandel der Haushalts- und Familienformen als einem der prägnantesten Prozesse der Entwicklung moderner Industriestaaten. Häußermann und Siebel (1998) verweisen auf vier historische Faktoren als soziale Determinanten dieser Entwicklung: Liberalisierung der Moralvorstellungen im Bereich von Sexualität Ausbau sozialstaatlicher Sicherungen insbesondere das Wohnen betreffend biographische Veränderungen in der Zeit der Ausbildung und des Eintritts ins Erwerbsalter Veränderung der gesellschaftlichen Situation der Frau. Wandel der Haushalts- und Familienformen bedeutet vor allem zunehmende Dynamik und Ausdifferenzierung von Haushalts- und Wohnstrukturen und ist gekennzeichnet von einer kontinuierlichen Abnahme der durchschnittlichen Haushaltsgröße einer absoluten und relativen Zunahme der Einpersonenhaushalte einer entsprechenden Vergrößerung des Anteils jener Personen, die in sogenannten Single- Haushalten leben. Interpretiert werden diese Entwicklungen als Indikatoren für eine zunehmende Singularisierung und Individualisierung moderner Bevölkerungen, die im Kontext gerontologischer Fragestellungen als strukturelles Merkmal heutigen Alterns (Tews 1999) bezeichnet und nicht selten mit Erscheinungen des Alleinlebens, Alleinseins, Einsamkeit und Isolation im Alter assoziiert werden. Wissenschaftliche Befunde belegen, dass der direkte Schluss von quantitativen Veränderungen der Haushaltsformen auf Umfang und Qualität sozialer Netzwerke, von Generationenbeziehungen und Versorgungsstrukturen im Alter zu kurz greift. Das Merkmal "Haushaltsgröße" enthält in diesem wechselseitigen Beziehungsgeflecht nicht mehr und nicht weniger als ein bedeutendes soziodemographisches Erklärungspotential. Der Verweis auf diesen Zusammenhang wird im Kontext tatsächlich vorhandener spezifischer altersrelevanter Risiken des Alleinlebens bewußt der quantitativen Datenanalyse voran gestellt (aktuelle Literatur zur Thematik der Netzwerk/Familien/Generationenbeziehungen und Haushaltsstrukturen im Alter: Fooken 1999, Kohli et al. 2000a, Kohli et al. 2000b, Schütze 1998, Stosberg 1999, Tesch-Römer 1998, Wagner/Schütze/Lang 1996).
Ausgewählte empirische Befunde: (vgl. Statistisches Bundesamt 2000; Hoffmann 1998) Die Anzahl der Privathaushalte ist in Deutschland weiter kontinuierlich angestiegen. Im Früheren Bundesgebiet beträgt der Anstieg von 1991 zu 1999 7,8% (für Einpersonenhaushalte 11,7%, für Mehrpersonenhaushalten 5,7%), in den Neuen Ländern beläuft er sich auf 4,5%, ist jedoch von einer starken Verschiebung der Anteile von Ein- und Mehrpersonenhaushalten begleitet (Anstieg der Einpersonenhaushalte um 24,5% bei gleichzeitigem Rückgang der Mehrpersonenhaushalten um 3,1%). Dem entspricht ein weiteres Absinken der durchschnittlichen Haushaltsgröße, die sich im letzten Jahrhundert in Deutschland von 4,5 Personen auf 2,2 (1999) halbiert hat. Bezogen auf jene Generation, die 1999 älter als 60 Jahre ist, gilt im Zeitraum der letzten 10 Jahre der umgekehrte Trend: die Haushalte der Bevölkerungsgruppe der 60 bis 80jährigen vergrößerten sich. Am deutlichsten fällt diese Vergrößerung bei den 65 bis 70jährigen in den Neuen Bundesländern aus (mit einem Index von 1991 (=100%) zu 1999 um 7,4%). Der Index für die Entwicklung der relativen Verteilung der Ein- und Mehrpersonenhaushalte der Generation zwischen dem 60. und dem 80. Lebensjahr ergibt in diesem Zeitvergleich eine ca. 12%ige Reduzierung bei den Single-Haushalten. Diese Entwicklung ist stark geschlechtsspezifisch geprägt und wird von den Frauen dominiert. Die hier analysierten Daten des Mikrozensus verweisen somit auf tendenzielle Besonderheiten bei der Entwicklung der Haushaltsformen älterer Menschen. Maßgebend dafür sind noch immer kriegsbedingte strukturelle Einflüsse des Bevölkerungsbestandes (hoher Frauenüberschuss durch Gefallene im 2. Weltkrieg, der die Struktur der heute über 70jährigen prägt und einen hohen Anteil alleinlebender Frauen bedingt) die für Frauen um ca. 5-6 Jahre höhere Lebenserwartung der Anstieg der ferneren Lebenserwartung für Männer und Frauen, der das Ereignis einer Verwitwung im Lebensverlauf hinausschiebt und ein längeres Zusammenleben mit dem/r Partner/in ermöglicht. Diese geschlechtsspezifischen Differenzierungen prägen gegenwärtig die Entwicklung der Haushaltsformen der älteren Bevölkerung. Mit dem "Herausaltern" und "Absterben" der kriegsbedingt dezimierten Männergenerationen (die heutige Generation ab dem 70. Lebensjahr) ist bei den Männern im Alter von 60 bis unter 70 Jahre bereits eine deutliche Verschiebung der Haushaltsstruktur zugunsten des Einpersonenhaushaltes zu verzeichnen, während bei den Frauen gleichen Alters der Veränderungsindex seit 1991 zuungunsten des relativen Anteils der Einpersonenhaushalte hier am höchsten liegt. Inwiefern diese scheinbar widersprüchlichen Entwicklungen als Folge einer "Normalisierung" der Alters- und Geschlechtsstruktur sowie der biologischen Lebensverlängerung zu bezeichnen sind und ob bereits Einflüsse individualisierter Lebensformen wirksam werden, ist aus dieser Statistik der Haushaltsstrukturen nicht eindeutig zu ermitteln. Dazu bedarf es lebensverlaufsbezogener Kohortenanalysen, die nicht nur die Dynamik des Erlebens verschiedener Haushaltskonstellationen im Lebensverlauf und deren Übergänge, sondern auch die Ausprägung neuer Formen des Zusammenlebens dokumentieren können. Erst mit dieser Datenbasis wird zu klären sein, in welchem Maße der Wandel von Haushaltsstrukturen als ein durch Verhaltensänderungen determinierter Prozess der Singularisierung interpretiert werden kann.
Quellen und weiterführende Literatur: Fooken, Insa (1999). Intimität auf Abstand. Familienbeziehungen und soziale Netzwerke. in: Annette Niederfranke, Gerhard Naegele, Eckart Frahm (Hrsg.). Funkkolleg Altern 2. Lebenslagen und Lebenswelten, soziale Sicherung und Altenpolitik. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S.209-242. Glatzer, Wolfgang (1998). Haushalte und Haushaltsproduktion in der Bundesrepublik Deutschland. in: Bernhard Schäfers, Wolfgang Zapf (Hrsg.). Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. Opladen: Leske + Budrich. S.288-299. Häußermann, Hartmut; Siebel, Walter (1998). Wohnen. in: Bernhard Schäfers, Wolfgang Zapf (Hrsg.). Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands. Opladen: Leske + Budrich. S.732-741. Hoffmann, Elke (1998). Struktur der Haushalte älterer Menschen: Ergebnisse des Mikrozensus 1997. informationsdienstaltersfragen, 25 (9/10), S.7-10. Kohli, Martin; Kühnemund, Harald; Motel, Andreas; Szydlik, Marc (2000a). Generationenbeziehungen. in: Martin Kohli, Harald Kühnemund (Hrsg.). Die zweite Lebenshälfte. Opladen: Leske + Budrich. S.176-211. Kohli, Martin; Kühnemund, Harald; Motel, Andreas; Szydlik, Marc (2000b). Grunddaten zur Lebenssituation der 40-85jährigen Bevölkerung. Berlin: Weißensee Verlag. Schütze, Yvonne (2000). Generationenbeziehungen. in: Hans-Werner Wahl, Clemens Tesch-Römer (Hrsg.) Angewandte Gerontologie in Schlüsselbegriffen. Stuttgart: Kohlhammer. S.148-152. Stosberg, Manfred (1999). Netzwerk-, Familien- und Generationenbeziehungen. in: Birgit Jansen, Fred Karl, Hartmut Radebold, Reinhard Schmitz-Scherzer (Hrsg.). Soziale Gerontologie. Weinheim und Basel: Beltz Verlag. S.426-440. Statistisches Bundesamt (1999). Fachserie 1: Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Reihe 3: Haushalte und Familien 1998. Stuttgart: Metzler-Poeschel.
Statistisches Bundesamt (2000) (Hrsg.). Datenreport 1999. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung. S.37-41. Tesch-Römer, Clemens (2000): Einsamkeit. in: Hans-Werner Wahl, Clemens Tesch-Römer (Hrsg.). Angewandte Gerontologie in Schlüsselbegriffen. Stuttgart: Kohlhammer. S.163-167. Tews, Hans Peter (1999). Von der Pyramide zum Pilz. Demographische Veränderungen in der Gesellschaft. in: Annette Niederfranke, Gerhard Naegele, Eckart Frahm (Hrsg.). Funkkolleg Altern 1. Die vielen Gesichter des Alterns. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. S.137-185. Wagner, Michael; Schütze, Yvonne; Lang, Frieder R. (1996). Soziale Beziehungen alter Menschen. in: Karl Ulrich Mayer, Paul B. Baltes (Hrsg.). Die Berliner Altersstudie. Berlin: Akademie Verlag. S.301-319.