Integrität: Persönliche Verantwortung und gesellschaftliche Bedeutung

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Transkript:

Integrität: Persönliche Verantwortung und gesellschaftliche Bedeutung Prof. Dr. Edda Müller, Vorsitzende Transparency International Deutschland e.v. beim Netzwerk Berlin, 9. 2. 2012, Berlin Reichstag Meine sehr geehrten Damen und Herren, den Mitgliedern des Netzwerks Berlin und uns bei Transparency International Deutschland geht es um die Sicherung unserer Demokratie, die Wiedergewinnung des Primats der Politik sowie die Korrektur von Fehlentwicklungen. Unser Hebel ist die Korruptionsbekämpfung. Wir sind davon überzeugt, dass Korruption in einer Gesellschaft zu Vertrauensverlust und zur Schwächung demokratischer Institutionen führen kann und bemühen uns um die Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Korruptionsvermeidung. Was die persönliche Integrität von Amtspersonen damit zu tun hat, wie es um die Integrität unserer Institutionen bestellt ist und was persönliche und institutionelle Integrität verbindet, darüber werde ich in den nächsten 30 Minuten sprechen. Zunächst zum Begriff der persönlichen Integrität: Bei Wikipedia findet sich folgende Definition: Persönliche Integrität ist die fortwährend aufrechterhaltene Übereinstimmung des persönlichen Wertesystems mit dem eigenen Handeln. Das Gegenteil von integer ist korrumpierbar, also sich in seinem Verhalten nicht von inneren Werten und Prinzipien, sondern von äußeren Drohungen und Verlockungen leiten zu lassen. Die Übereinstimmung mit dem eigenen Wertesystem reicht für die Ausübung öffentlicher Ämter allein jedoch nicht aus. Die Integrität des Amtsinhabers und die Amtswürde verlangen vielmehr, dass persönliche Interessen und Werthaltungen zurücktreten hinter den Interessen der Allgemeinheit, die das öffentliche Amt repräsentiert. Das bedeutet auch, dass eine Unterscheidung zwischen den Werthaltungen und dem Verhalten der Privatperson und dem Amtsinhaber nicht mehr möglich ist. Schliesky stellt m.e. zu Recht fest: Bis heute bedeutet die Inhaberschaft eines öffentlichen Amts keine zusätzliche Möglichkeit freier Entfaltung der Persönlichkeit, sondern die Übernahme einer regelmäßig eidlich bekräftigten Pflicht, die strikt am Gemeinwohl orientiert ist und vom Amtsinhaber Disziplin und Altruismus verlangt. (Utz Schliesky, Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landtages: Für das Gemeinwohl, FAZ, 12. 1.2012, S. 8). Wir werden später zu diskutieren haben, ob dieser Anspruch noch zeitgemäß ist. Zur institutionellen Integrität: Transparency International hat am 19. Januar 2012 den Nationalen Integritätsbericht veröffentlicht. Er geht von der Annahme aus, dass integere Strukturen im Bereich der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen die Voraussetzung für eine effektive 1

Bekämpfung von Korruption sind. Der im Rahmen der Untersuchung benutzte Begriff der Integrität ist eng verbunden mit Begriffen wie Unabhängigkeit und Werteorientierung. Er bemisst sich an den Regeln des Grundgesetzes, der Demokratie und den Grundsätzen einer offenen Gesellschaft. Zum Bericht: Was haben wir wie untersucht? Und was sind die Ergebnisse? Der deutsche Integritätsbericht ist Teil einer von der EU-Kommission initiierten und zum großen Teil finanzierten EU-weiten Aktion zur Ermittlung der nationalen Antikorruptionsbemühungen. Insgesamt wurden in 24 EU-Mitgliedstaaten, der Schweiz und Norwegen die zentralen öffentlichen und privaten Institutionen nach ihren Mechanismen zur Korruptionsvermeidung und Korruptionsbekämpfung untersucht. Das in allen Ländern einheitlich angewandte Untersuchungskonzept wurde von Transparency International entwickelt. Die zentrale Annahme ist, dass es zwar keine Patentlösung für effektive Korruptionsbekämpfung gibt, es jedoch einen weitgehenden Konsens darüber gibt, welche Rahmenbedingungen gebraucht werden, um Integrität zu fördern und Korruption vorzubeugen. Das Konzept des nationalen Integritätssystems (NIS) umfasst die folgenden 13 Bereiche (im Bericht Pfeiler genannt): Legislative, Exekutive, Judikative, öffentliche Verwaltung, Strafverfolgung, Wahlleitung, Ombudspersonen, Institutionen der Rechnungsprüfung, Antikorruptionsbehörden, Parteien, Medien, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Untersucht und bewertet wurden die rechtlichen und tatsächlichen Strukturen nach jeweils drei Indikatoren der Kapazität zur Korruptionsbekämpfung, d.h. der Ressourcenausstattung und Unabhängigkeit der Akteure den Governance-Strukturen d.h. dem Grad an Transparenz, Rechenschaftspflicht, und Integrität sowie der Rolle im Gesamtsystem, z.b. hinsichtlich der Bemühungen im Kampf gegen Korruption. Die Ergebnisse werden auf einer Skala von 0 bis 100 bewertet. Der Gesamtwert gibt darüber Auskunft wie stark oder schwach die Rahmenbedingungen eines Bereichs und ihre Anwendung in der Praxis ausgeprägt sind. Folgende Abstufungen werden genutzt: 100-80 - sehr stark 80 60 - stark 60 40 - mittelmäßig 40 20 - schwach 2

20 0 - sehr schwach Die Ergebnisse: Sie sind auf den ersten Blick recht gut. Sämtliche untersuchten Bereiche liegen in den oberen Kategorien des Bewertungsschemas, d.h. Deutschland wird ein insgesamt gutes bis sehr gutes Integritätssystem zur Korruptionsprävention und zur Korruptionsrepression bescheinigt. Schaut man näher hin, so sind die Unterschiede hinsichtlich der Integrität der verschiedenen Bereiche durchaus bemerkenswert. Hervorragende Bewertungen erhalten die Rechnungshöfe mit einem Punktwert von 98, gefolgt von der Judikative mit 88 von möglichen 100 Punkten. Am unteren Ende der in Deutschland ermittelten Werte rangieren die Parteien mit 70 Punkten die öffentliche Verwaltung mit 71 Punkten die Wirtschaft mit 72 Punkten und die Zivilgesellschaft mit 73 Punkten. Interessant ist der Befund, dass Parteien und die Wirtschaft gleichermaßen besondere Schwächen aufweisen, wenn ihre Rolle und ihr Engagement bei der aktiven Bekämpfung der Korruption beurteilt werden. Im Bericht wird die Rolle der Wirtschaft wie folgt bes chrieben: Die Haltung der deutschen Wirtschaft ist traditionell defensiv: Soweit sie sich kümmert, geht es ihr eher darum, Verschärfungen der Korruptionsbekämpfung zu verhindern als zu befördern oder den besseren Vollzug bestehender Gesetze einzufordern. Die defensive Haltung spiegelt sich in den Positionen der Parteien wieder, die der Wirtschaft nahe stehen (NIS-Bericht, S. 170) Das Engagement der politischen Parteien insgesamt unterscheidet sich hiervon nicht wesentlich. Gefragt wurde, inwiefern die politischen Parteien die Themen öffentliche Verantwortlichkeit und Kampf gegen die Korruption bei ihrer Arbeit und ihrer Programmatik beachten. Der Bericht kommt hier zu folgendem Ergebnis: Das Thema der Korruptionsbekämpfung spielt bei den im Bundestag vertretenen Parteien national keine große Rolle. Alle Parteien äußern sich kritisch zur Korruption in Afghanistan, dem Irak oder anderen Staaten, aber äußerst selten zur Situation in Deutschland. In nur wenigen Parteioder Wahlprogrammen sind explizite Forderungen zur Korruptionsbekämpfung enthalten (NIS-Bericht, S. 127). Beispielhaft werden hierzu Forderungen der Parteien Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke u.a. zum Lobbyregister und bundesweiten Korruptionsregister sowie zur Verschärfung der Abgeordnetenbestechung genannt. Erwähnt werden auch die Initiativen der SPD-Bundestagsfraktion zum Lobbyregister sowie zum Anti- Korruptionsgesetz, nicht jedoch die Vorschläge zur Verschärfung der Abgeordnetenbestechung sowie zum Hinweisgeberschutz. Sie kamen für die Aufnahme in den Bericht zu spät. Redaktionsschluss war der 30. September 2011. Als symptomatisch für 3

das unzureichende deutsche parteipolitische Engagement wird im Übrigen im Bericht hervorgehoben, dass die Oppositionsrolle die Beschäftigung mit Maßnahmen zur Pflege der Integrität anscheinend stimuliert, während Parteien in Zeiten ihrer Regierungsverantwortung eher wenig bis überhaupt kein Engagement an den Tag legen. Ebenfalls deutliche Schwächen in der Einzelbewertung weist der Bereich der Zivilgesellschaft auf. Mit nur 50 Punkten werden die Governance Strukturen, d.h. die Kategorien Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität als nicht mehr als mittelmäßig bewertet. Die Frage, inwiefern die Integrität der Organisationen der Zivilgesellschaft in der Praxis gewährleistet sei, wird im Bericht neben dem Hinweis auf die verschiedensten verbandsinternen freiwilligen Verhaltensstandards wie folgt beantwortet: Seit ungefähr 20 Jahren gibt es vor allem im Bereich der sozialen Dienstleistungen eine zunehmende Ökonomisierung vormals zivilgesellschaftlicher Domänen. Das hat eine inzwischen beträchtliche Grauzone zwischen gewerblichen und gemeinnützigen Tätigkeiten geschaffen, in der mitunter nicht ganz klar ist, nach welchen Maßstäben Integrität zu beurteilen ist. (NIS-Bericht, S. 153) Meines Erachtens ist dies ein deutlicher Hinweis an die Adresse der Organisationen der Zivilgesellschaft, sich vermehrt um Transparenz, Rechenschaft und Integrität zu kümmern, damit der ihnen von der Gesellschaft vielfach gewährte Vertrauensbonus nicht verloren geht. Als Zwischenfazit lässt sich feststellen, dass sich die Bewertung der Integrität einzelner Sektoren der Gesellschaft im Rahmen der NIS-Untersuchung weitgehend mit den Ergebnissen des von uns regelmäßig erhobenen Korruptionsbarometers deckt. Nach Einschätzung der Bürger sind politische Parteien und die Privatwirtschaft am stärksten korruptionsbelastet und damit am wenigsten integer. Im Korruptionsbarometer 2010 erzielten die politischen Parteien auf einer Skala von 1-5 (1=korruptionsfrei, 5 =sehr stark korruptionsbelastet) einen Wert von 3,7, gefolgt von der Wirtschaft mit 3,3. Die Zivilgesellschaft in Gestalt der Nichtregierungsorganisationen erreichte einen mittleren Wert von 2,6. Zum Handlungsprogramm: 84 Forderungen für eine integere Republik sind das Ergebnis der NIS-Untersuchung. Keine Sorge, ich werde sie hier nicht alle vorstellen. Konzentrieren will ich mich im Folgenden auf diejenigen Reformvorschläge, die die Integrität der politischen Akteure und politischen Institutionen im engeren Sinne sowie ihr Verhältnis zur Wirtschaft und deren Interessen betreffen. Es sind die folgenden fünf Maßnahmenbündel: 1. Um das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland nicht weiter zu beschädigen sowie die internationale Glaubwürdigkeit deutscher Antikorruptionspolitik zurück zugewinnen sind die Ratifizierung und Umsetzung internationaler Vereinbarungen dringend geboten. Notwendig ist hierfür eine Verschärfung der Regelung zur Abgeordnetenbestechung. Außerdem müssen die Sanktionen bei Auslandsbestechung und die Bestechung im geschäftlichen Verkehr verschärft sowie 4

der gesetzliche Schutz von Hinweisgebern im privatwirtschaftlichen Bereich verbessert werden. Es ist gut, dass die SPD-Bundestagsfraktion inzwischen sowohl zur Abgeordnetenbestechung als auch zum Hinweisgeberschutz Gesetzesvorschläge vorgelegt hat. 2. Um das Vertrauen der Bürger in unser politisches System sowie seine Akteure zurück zu gewinnen, müssen illegitimen Formen des Lobbyismus gebannt sowie das Wirken von Interessenvertretern in der Politik generell transparent gemacht werden. Klar scheint mir zu ein, dass der weit verbreitete Eindruck einer zu großen Nähe von Politikern und führenden Wirtschaftskreisen nicht durch einzelne Maßnahmen korrigiert werden kann. Notwendig ist vielmehr ein Bündel von Maßnahmen, das bei den einzelnen Abgeordneten und Amtsträgern, bei der Legislative und Exekutive ansetzen muss. Konkret geht es um ein aussagefähiges Lobbyregister beim Deutschen Bundestag, um die Dokumentation und Offenlegung von Interesseneinflüssen im Prozess der Gesetzesvorbereitung, die Veröffentlichung potentieller Interessenkonflikte von Sachverständigen, die in Beratungsgremien der Bundesregierung und Bundesverwaltung sowie des Deutschen Bundestage Bundestages mitwirken. Darüber hinaus brauchen wir wirksame Karenzzeitregelungen für den Übergang von Regierungsmitgliedern auf Positionen in Bereichen der Wirtschaft, für die sie zuvor zuständig waren. Außerdem sollte den Mitgliedern des Deutschen Bundestages nicht erlaubt sein, Spenden entgegen zu nehmen. Ebenso sollte der Öffentlichkeit nicht länger verborgen bleiben, wenn Abgeordnete als Anwälte sog. Lobbying Mandate übernehmen. 3. Integrität schafft Vertrauen. Dies muss durch weitgehende Transparenz ständig gesichert werden. Die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder haben noch keine neue Kultur der Transparenz in Deutschland geschaffen. Der Gesetzgeber sollte sich nicht damit zufrieden geben, dass die Verwaltungsgerichte die Informationsrechte der Bürger zunehmend erweitern. Er sollte vielmehr selbst initiativ werden und die Bürger aktiv einladen, die Entscheidungen der Verwaltung nachzuvollziehen und zu kommentieren. Ich würde mir wünschen, dass der Bundestag den Umfang und die Grenzen der Transparenz näher untersucht und dabei von einer Enquete-Kommission insbesondere auch die Erfahrungen der nordischen Länder ausgewertet werden. 4. Vertrauensverlust und Misstrauen prägt zunehmend auch das Verhältnis der Bürger zur Wirtschaft. Viele Wirtschaftsakteure halten Transparenz für ein Wettbewerbshemmnis und berufen sich auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, wenn z.b. Verbraucher nähere Informationen zu den sozialen und ökologischen Herstellungsbedingungen erhalten möchten. Es bedarf politischer Initiativen, um den marktwirtschaftlichen Wettbewerb wieder mit Inhalten und Werten zu füllen. Erfolg soll das bessere, verantwortungsbewusste Unternehmen haben. Die Pflicht zur Transparenz ist dafür unerlässlich. Dies gilt auch für die aktuelle Debatte zur Offenlegung von Zahlungsströmen im Bereich der Energie- und Rohstoffgewinnung sowie der Forstwirtschaft in Entwicklungsländern. Die Kenntnis über 5

Investitionsvolumina und konkrete Projekte wäre ein wichtiger Beitrag zur Korruptionsbekämpfung. Entsprechende Initiativen der EU-Kommission sollten von der Bundesregierung vorangetrieben und nicht wie es derzeit der Fall zu sein scheint blockiert werden. 5. Eine grundlegende Durchforstung und Reform der Parteien, ihrer Finanzierung, der Praxis der Ämterpatronage, der Rekrutierungsmechanismen sowie der Vorkehrungen zur Integritätskontrolle ist überfällig. Wir fordern, dass künftig Spenden bereits ab 2000 EUR pro Jahr heute 10.000 pro Jahr - veröffentlicht werden. Dringend erforderlich sind Regelungen zum Parteiensponsoring. Analog zu einer verbesserten Spendenregelung gilt es auch für Sponsorenbeiträge Veröffentlichungspflichten vorzusehen. Gebraucht werden außerdem Vorgaben für Sponsorenbeiträge, das Einwerben und die Verwendung von Sponsorenmitteln, die eine potentielle Vorteilsnahme - sowie den Eindruck einer solchen - ausschließen. Wesentlich schwieriger dürfte es sein, die derzeitige Personalrekrutierung sowohl hinsichtlich Integrität und Qualität künftiger Mandats- und Amtsträger zu verbessern. Vermutlich müssen entsprechende Veränderungen auf der Ortsebene und den innerparteilen Verfahren der Kandidatenaufstellung ansetzen. Derzeit bestimmen häufig die Zeitlosen und Immobilen (U. Pfeiffer) in den Ortsverbänden über Programminhalte und Kandidatenauswahl. Βei den Auswahlkritirien wird anscheinend kaum noch zwischen der Nominierung als Direktkandidat bzw. als Landeslistenkandidat unterschieden. Kritische Geister und Querdenker, die jede Partei dringend braucht, suchen sich vermehrt andere Räume für ihr Engagement. Eine Einbuße an Qualität und kritischer Kontrolle ist auch mit der Praxis der Ämterpatronage verbunden. Ein Minister, der seine Mitarbeiter eher nach dem Stallgeruch statt nach Qualität und innerer Unabhängigkeit aussucht, ist nicht nur selbst schlecht beraten, er riskiert auch einen Verlust an Kompetenz sowie an Leistungsbereitschaft seines gesamten Apparates. Zurück zum Anfang. Ich versprach den Bogen zu spannen von der institutionellen zur persönlichen Integrität. Anklänge an jüngste Ereignisse rund um unseren obersten Amtsinhaber sind gewollt und nicht zufällig. Das Handeln von Institutionen wird von Menschen bestimmt. Umgekehrt gehen unsere Normen davon aus, dass Amtsinhaber ihrer Rolle und der Institution gemäß handeln. Wie bewerten wir aber die Tatsache, dass sowohl die Institutionen als auch die handelnden Menschen in eine Gesellschaft eingebettet sind, in der Überzeugungen über das was richtig und falsch ist und was zu Ansehen und Erfolg führt sich verändern? Wulff hat nach dem Erfolgsrezept von Karriereberatern ziemlich vieles richtig gemacht. Er hat sich ein Netzwerk von Freunden aufgebaut, die sich anscheinend gegenseitig geholfen und unterstützt haben. Er hat sich gerne in einer Spaßgesellschaft bewegt umgeben von Glanz und Glamour und dabei lange Jahre die Erfahrung gemacht, dass zumindest die Medien ihn - dennoch oder gerade deshalb - für höhere politische Ämter für tauglich hielten. Ganz Kind seiner Zeit hat 6

er nach der Devise gehandelt eine attraktive Darstellungspolitik (Sarcinelli) und gute PR- Mitarbeiter und Communications Berater, die beim richtigen Marketing helfen, sind ein Erfolgsgarant. Er hat die Mühen der Entscheidungspolitik (Sarcinelli) wohl anderen überlassen und sich damit den Ruf erworben, über dem Getümmel politischen Streits zu stehen. Von Adam Smith stammt der Satz: Honesty is the best policy (in: The Theory of Moral Sentiments, 1759/1982, 63). Im Fall Wulff muss man hinzufügen, dass dies sich zumindest in längerfristiger Perspektive bewahrheitet hat. Es zeigt sich nämlich, dass der vermeintliche Werteverfall in unserer Gesellschaft nicht stattgefunden hat. Die Schnäppchenmentalität mag weit verbreitet sein. Schnorrer kann dennoch kaum jemand leiden und von der Würde des Bundespräsidentenamtes hat eine Mehrheit der Deutschen ziemlich klare altmodische Vorstellungen. Da geht es um die Vorstellung von einem Amt, das allein und ausschließlich zum Wohl des Gemeinwesens auszuüben ist. Damit untrennbar verbunden ist die moralische Integrität der Lebensführung des Amtsinhabers. Eine Verhaltensweise, die der Amtswürde gerecht wird, geht dabei weit über das Einhalten von Gesetzen hinaus. Bei der Bewertung des Verhaltens Wulffs spielt daher letztlich kaum eine Rolle, ob ihm Vorteilsnahme im strafrechtlichen Sinne vorzuwerfen und nachzuweisen ist und wie die vielen kleinen Gefälligkeiten und Halbwahrheiten rein rechtlich zu bewerten sind. Es reicht, (so der Tagesspiegel) dass Wulff nicht den moralischen Werten entspricht, die er selbst formuliert (Gerd Nowakowski, TS vom 5. 2. 2012, 1). Wulffs Ruf ist ruiniert. Nur 16 Prozent der Deutschen halten den Bundespräsidenten für ehrlich. Eine Mehrheit fordert seinen Rücktritt. Dennoch bleibt er im Amt. Dennoch hält ihn die Bundeskanzlerin für einen guten Bundespräsidenten, der in den nächsten Jahren Vertrauen zurückgewinnen kann. Was bedeutet dies für die Integrität des Amtes des Bundespräsidenten und darüber hinaus für die Integrität der gesamten politischen Klasse? Wenn immerhin knapp die Hälfte der Deutschen einen Menschen, den sie für einen Lügner halten, im Amt belassen, dann ist dies ein mindestens so alarmierendes Signal wie die Forderung nach seinem Rücktritt. Es bedeutet doch, dass man Politikern ohnehin misstraut und sich von einem neuen Bundespräsidenten nur mehr Kosten aber keine bessere Moral erwartet. Wenn dieser Bundespräsident trotz immer neuer Vorwürfe und Peinlichkeiten nicht die Größe aufbringt, der Erosion des Bundespräsidentenamtes durch seinen Rücktritt ein Ende zu setzen, dann müssen seine politischen Freunde an erster Stelle die Bundeskanzlerin dies tun. Es darf nicht sein, dass Angela Merkel aus rein taktischen Erwägungen es zulässt, dass das Amt des Bundespräsidenten beschädigt wird und zugleich die politische Klasse unter Generalverdacht steht, anfällig für Gefälligkeiten zu sein (Tagesspiegel, 5.2.2012, 1). 7

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