Laudatio für Frau Kristin Klapheck Preisträgerin des sozialpsychiatrischen Forschungspreises 2012 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Tagungsteilnehmer, ich freue mich sehr, Ihnen nun die diesjährigen Preisträgerinnen des Forschungspreises der DGSP für wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Sozialpsychiatrie vorzustellen. Der Forschungspreis wurde dieses Jahr zum 8. Mal ausgeschrieben und wird diesmal wie auch bereits schon mehrfach in der Vergangenheit zwischen zwei Autorinnen geteilt. Ein paar Worte vorneweg zum Procedere des Ausschreibungsverfahrens: Alle eingereichten Arbeiten werden zunächst durch zwei Mitglieder des FA Forschung unabhängig voneinander bewertet, bei differierenden Urteilen wird im Zweifelsfall ein drittes Vorgutachten herangezogen. Nach dem Votum der Vorgutachter werden dann die am besten bewerteten Arbeiten nominiert, und die nominierten Arbeiten gehen an eine externe Jury Die fünf Jurymitglieder erstellen voneinander unabhängig eine Rankingliste der nominierten Arbeiten. Bei Punktgleichheit wird der Preis geteilt. Ein geteilter Preis spiegelt also nicht den Umstand wider, dass die Juroren sich nicht entscheiden können, sondern vielmehr den Umstand, dass in dem Begutachtungsverfahren der unabhängigen Juroren zwei Arbeiten als gleichermaßen preiswürdig bewertet wurden. Der Preis wird dieses Jahr an zwei Autorinnen vergeben: Frau Dipl.-Psych Kristin Klapheck, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf stellvertretend für die Forschungsgruppe SuSi um Thomas Bock mit Arbeiten zum Thema Das Hamburger SuSI-Projekt: Ein trialogisches Forschungsprojekt zur Erfassung von subjektiven Erleben und Sinnkonstruktion bei Psychosen und an Frau Dr. Friederike Schmidt für ihre Dissertation an der Freien Universität Berlin mit dem Titel Nutzen und Risiken psychoedukativer Interventionen für die Krankheitsbewältigung bei schizophrenen Erkrankungen. Eine mehrperspektivische Studie
2 Beide Arbeiten wurden von dem externen Gutachtergremium unter den vielen anderen hervorragenden Arbeiten zur Prämierung ausgewählt. Mein herzlicher Glückwunsch geht an Frau Klapheck stellvertretend für die Forschungsgruppe SuSi und an Fr. Dr. Schmidt! Es gibt einige Gemeinsamkeiten zwischen den prämierten Arbeiten und den Autorinnen: Beide Arbeiten verbindet miteinander, dass sie sich mit der subjektiven Wahrnehmung und der subjektiven Sichtweise von Menschen mit Psychosen beschäftigen, diese ernst nehmen und versuchen, sie einer professionellen Betrachtungsweise zugänglich zu machen. Als Personen verbindet die Autorinnen abgesehen von dem Geschlecht und dem (jungen) Alter miteinander, dass sie beide sowohl wissenschaftlich als auch klinisch therapeutisch mit dem Schwerpunkt Behandlung von Psychosen tätig sind. Zudem hat T. Bock zu der prämierten Arbeit von Fr. Schmidt, die inzwischen im Psychiatrie-Verlag als Buch erschienen ist, das Vorwort verfasst. Auch dies zeigt eine enge inhaltliche Verbindung zwischen den beiden Arbeiten. Die Rahmenbedingungen beider Arbeiten weisen ebenfalls Gemeinsamkeiten auf: Sie sind beide an einem Universitätsklinikum entstanden, wobei die Arbeit von Fr. Klapheck in ein größeres Forschungsprojekt der Arbeitsgruppe SuSi (Subjektiver Sinn) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf eingebettet ist, die Arbeit von Fr. Schmidt im Schizophrenie- Modul der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité-Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin. Die Arbeiten sollen nun einzeln gewürdigt werden. Um jeden Eindruck der Priorisierung einer der Arbeiten auszuschließen, halte ich mich bei der Reihenfolge schlicht und einfach an das Alphabet und beginne mit der Laudatio für Frau Klapheck. Zur Person unserer Preisträgerin: Kristin Klapheck, Jahrgang 1982, hat in diesem Monat gerade das 30. Lebensjahr vollendet. Sie wuchs in Oelde auf, - wer von Ihnen jetzt nicht sofort weiß, wo dieser Ort anzusiedeln ist: er liegt im Münsterland, absolvierte 2002 die allgemeine Hochschulreife, machte anschließend verschiedene Praktika und ging dann ins Ausland. Im Sommersemester 2003 begann sie ein Psychologiestudium an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Pädagogische Psycho-
3 logie. Von 2003 bis 2006 übernahm sie eine ehrenamtliche Tätigkeit als Telefonseelsorgerin bei der Ev. Studentengemeinde Hamburg. Während des Studiums war sie außerdem mehrere Jahre lang als studentische Mitarbeiterin in verschiedenen Forschungsprojekten der Universität Hamburg, des DFG Graduiertenkollegs Bildungsgangforschung und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf tätig und leitete außerdem ein Tutorium. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über das Thema Der subjektive Sinn von Psychosen im Zusammenhang mit Krankheitskonzepten und Krankheitsverarbeitung. Validierung des Hamburger SuSi-Fragebogens und erhielt dafür die Note sehr gut. Nach dem Diplom war sie zunächst ein knappes ½ Jahr als wissenschaftl. Mitarbeiterin am Institut für Bildungsmonitoring in Hamburg tätig, bevor sie dann im Herbst 2009 Koordinatorin des Forschungsprojekts zum subjektiven Sinn von Psychosen wurde. Im selben Jahr 2009 begann sie zum einen die berufsbegleitende Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin am Institut für Verhaltenstherapie Hamburg und zum anderen die Tätigkeit als psychologische Mitarbeiterin in der Krisentagesklinik für junge Erwachsene in der Psychosenambulanz des UKE Hamburg. Seit 2011 führt sie als Psychotherapeutin in Ausbildung auch ambulante Psychotherapien durch. Seit Beginn des Jahres 2011 ist sie wissenschaftl. Mitarbeiterin in einem Teilprojekt des BMBF geförderten Hamburger Netzes für psych. Gesundheit (psychenet) zur Förderung von Selbsthilfe und Beteiligung von Angehörigen Betroffener. Dabei hat sie u. a. die Implementierung von peer-beratung in psychiatrischen Kliniken Hamburgs organisiert. Ihre Dissertation zum Thema Subjektives Erleben und Sinnkonstruktion bei Psychosen aus er Perspektive von Psychose-Erfahrenen, Angehörigen und Therapeuten ist derzeit in Vorbereitung, und wir dürfen auf diese Arbeit sehr gespannt sein. Abseits der wissenschaftlichen Vita möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass Fr. Klapheck vor kurzem (vor sehr kurzem!) Mutter geworden ist. Nun zur Arbeit von Kristin Klapheck, die heute hier ausgezeichnet wird. Wie bereits erwähnt, ist die Arbeit eingebettet in die Arbeiten der Forschungsgruppe SuSi, die deshalb hier auch in angemessenem Umfang dargestellt werden sollen.
4 Die Beschäftigung mit dem Thema Sinn und mit der Fragestellung, wie denn Betroffene selbst ihre Psychose erleben, ob und wie sie ihre Erfahrungen in der Psychose möglicherweise auch mit Sinn und Bedeutung ausstatten, geht zurück auf das Jahr 2005. Ausgehend von den praktischen Erfahrungen im Hamburger Psychoseseminar, auf dem Hintergrund eines anthropologischen Ansatzes und theoretisch beeinflusst von den Gedanken des Psychiaters Viktor Frankl zum Sinnbedürfnis, begannen die ersten Arbeiten zum Projekt. Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie und der Existenzanalyse, geht davon aus, dass es ein dem Menschen innewohnendes Bedürfnis, einen Willen zum Sinn gibt und dass dieses Bedürfnis nach Sinngebung und Sinnkonstruktion gleichzeitig als ein wesentliches Motiv des Menschen zu betrachten ist. Das Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit, das Antonovsky in seinem salutogenetischen Ansatz ebenfalls aufgreift, wenn er von der Bedeutsamkeit (meaningfulness) spricht, ist demnach allen Menschen zu eigen. Bei Antonovsky ist es konzeptualisiert als eine Komponente des Kohärenzgefühls und wird insofern als wichtiger protektiver Faktor für Gesundheit allgemein und speziell für die Bewältigung kritischer Lebensereignisse und Belastungen angesehen. Der Ansatz ist auf somatische Erkrankungen bereits angewendet worden. Wir wissen aus Studien (und vielleicht weiß es der eine oder andere auch aus persönlicher Erfahrung), dass Menschen, die die Diagnose einer unheilbaren Krankheit verarbeiten müssen, nach dem Durchlaufen unterschiedlicher Phasen, in denen beispielsweise die Verleugnung der Erkrankung, die Auseinandersetzung mit negativen Emotionen wie Wut und Neid auf Gesunde und auch das Erleben tiefer Traurigkeit eine Rolle spielen, schließlich auch konstruktive, ja sogar positive Aspekte der Erkrankung wahrnehmen können und in der Erkrankung auch eine Sinnhaftigkeit erfahren können. Es ist das große Verdienst der SuSi-Arbeitsgruppe, diesen anthropologischen und theoretischen Ansatz auf das Thema Psychosen bezogen, entfaltet und fruchtbar gemacht zu haben. Es waren andere und neue Fragen, die sie sich gestellt hat: Wie erleben Psychose-Erfahrene ihre Psychose selbst? Welche Zusammenhänge sehen sie zu ihren eigenen biographischen Erfahrungen? Die Frage nach dem Sinnerleben und der Sinnkonstruktion wird dabei auf alle drei Zeitdimensionen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) bezogen: Gefragt wird also sowohl nach Gedanken zur Genese, zum WARUM (Warum ist die Psychose zu einem bestimmten Zeitpunkt erst-
5 malig entstanden, welche Bezüge werden zur eigenen Biographie und zur damaligen Lebenssituation gesehen?), als auch nach dem gegenwärtigen Erleben in einer Psychose, also nach dem WIE (Wie werden die Symptome einer Psychose erlebt, wie erlebt sich überhaupt ein Mensch in der Psychose?) und den Auswirkungen einer Psychose, dem WOZU (Welche Auswirkungen hat die Psychose auf das eigenen Leben, auf den Zugang zu sich selbst, auf das Selbstvertrauen, zu welchen Konsequenzen hat sie geführt?). Diese und viele andere Fragen wurden gemeinsam mit Psychose-Erfahrenen und anderen Experten gesammelt, in einem längeren Delphi-Prozess ergänzt und modifiziert und führten dann zur Entwicklung einer ersten Fassung des SuSi-Fragebogens. Die erste Fragebogenversion wurde dann ab 2008 in einer Multicenterstudie weiterentwickelt und anhand weiterer Variablen (wie z. B. Krankheitsschwere, Lebensqualität, Krankheitsverarbeitung und Krankheitskonzept) validiert. Er umfasst nun neben den Fragen zu den drei Betrachtungsebenen auch sog. trialogische Fragen zur Übereinstimmung mit Angehörigen und Behandlern sowie drei offene Fragen. Der Original-SuSi-Fragebogen wurde in der Folge weiterentwickelt zu einer Version zur Erfassung der Perspektive von Angehörigen und Therapeuten, was dann eine weitere Studie ermöglichte, in der zusammengehörige Triaden von Psychose- Erfahrenen, Angehörigen und Therapeuten mit dem Instrument befragt wurden. Inzwischen gibt es eine weitere, vollständig neu entwickelte Form des Fragebogens für Angehörige. Geplant sind außerdem Studien mit den Schwerpunkten Effekte von Psychose-Seminaren und Evaluation von Psychotherapie bei Psychosen. An dem gesamten Forschungsprojekt waren sehr viele verschiedene Personen beteiligt, unter anderem Dorothea Buck (stellvertretend für viele Psychose-Erfahrene), Dr. Meyer (stellvertretend für viele Angehörige), Hr. Brysinski und Fr. Nordmeyer (Diplomanden), Prof. Michaela Amering und Prof. Prof. Stefan Priebe (stellvertretend für andere Wissenschaftler) und weitere. Was ist nun der besondere Beitrag von Fr. Klapheck? Thomas Bock schreibt in seiner Bewerbung, in der er Fr. Klapheck für den Forschungspreis 2012 vorschlägt: Kristin Klapheck möchte ich für diese Bewerbung als Preisträgerin trotzdem hervorheben, weil sie maßgeblichen Anteil an der Weiterentwicklung und Koordination des Gesamtprojekts hat und weil sie sowohl wissenschaftlich, als auch persönlich für genau dieses Forschungs-
6 projekt mit seinen komplexen Anforderungen an Methodik und trialogischer Diskursfähigkeit hervorragend geeignet ist. Ihre Tätigkeit als Koordinatorin des Forschungsprojekts kann hier in diesem Rahmen natürlich nicht beurteilt werden, wohl aber ihr wissenschaftlicher Beitrag. Frau Klapheck hat sich in ihrer Arbeit insbesondere mit dem Thema Subjektiver Sinn von Psychosen und Krankheitsbewältigung und Krankheitskonzepte auseinandergesetzt. Zunächst geht sie auf den Begriff Subjektivität ein und setzt sich dann mit theoretischen Modellen der Subjektorientierung auseinander. Dabei berücksichtigt sie Laings Ansatz des geteilten Selbst ebenso wie die Affektlogik von Ciompi und den Ansatz der anthropologischen Psychiatrie von Thomas Bock. Anschließend beschreibt sie die Umsetzung dieser Modelle der Subjektivität in sozialpsychiatrischen Konzepten, nämlich im Soteria-Konzept, im Recovery-Ansatz und im Psychoseseminar, um danach auf subjektive Krankheitskonzepte einzugehen. Menschen machen sich ihre eigenen Gedanken und stellen ihre eigenen Theorien auf über Ursachen, Verlauf und Folgen einer schweren Erkrankung, und diese sind nicht immer mit wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen vereinbar. In ihren Ausführungen zum Sinnbedürfnis des Menschen geht sie auf die oben bereits erwähnten Ansätze von Antonovsky und Frankl, verschweigt in ihrer Darstellung aber auch nicht den Umstand, dass unter bestimmten Bedingungen die Sinnsuche destruktiv und destabilisierend verlaufen kann. In ihrer Arbeit untersucht Fr. Klapheck dann die erste Version des SuSi-Fragebogens hinsichtlich seiner testtheoretischen Gütekriterien (also Reliabilität, Validität, internen Konsistenz), sie untersucht aber auch die Zusammenhänge zwischen den gefundenen Ergebnissen und subjektiven Krankheitskonzepten und Strategien der Krankheitsverarbeitung. Die Ergebnisse sind so vielfältig und differenziert, dass sie hier nicht vollständig wiedergegeben werden können dem Vortrag von Fr. Klapheck im Forschungsforum soll im Übrigen auch nicht vorgegriffen werden. Ein globales und wichtiges Ergebnis soll aber schon jetzt erwähnt werden: 76% der Befragten sehen bei dem erstmaligen Auftreten und der Entstehung der Psychose lebensgeschichtliche Zusammenhänge, immerhin 60 % sehen auch positive Auswirkungen ihrer Psychose.
7 Die Arbeit von Fr. Klapheck ist theoretisch ausgewogen und reflektiert, methodisch anspruchsvoll, in den Ergebnissen differenziert und hochrelevant und erfährt daher zu Recht mit dieser Prämierung zum Forschungspreis eine große Anerkennung.