Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form Auszug aus: Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus - die Ursprünge unseres Parteiensystems Das komplette Material finden Sie hier: School-Scout.de
Reihe 1 Verlauf Material S 21 M 11 Wie sehen Sie das, Herr Dreyer? Interview mit einem Experten Der Politologe Prof. Dr. Michael Dreyer lehrt an der Universität Jena Politische Theorie. Im Interview erklärt er, welche Rolle die politischen Theorien heute noch spielen. 1) Rollenkarte 2) Rollenkarte 3) Rollenkarte Den anderen Gruppenmitgliedern 2 3 Fragen zum Text stellen Den anderen Gruppenmitgliedern schwer verständ - liche Wörter und Text - stellen erklären Textinhalt zusammenfassen Anja Joest: Wo finden sich in der heutigen Politik noch Grundzüge von Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus? Herr Dreyer: Überall. Das gilt sowohl für das Parteiensystem, das in seinen Grundzügen im 19. Jahrhundert entstanden ist, und für das Grundgesetz, das ein Amalgam 1 aus diesen Ideen ist. Schwierig ist es für klassisch konservative Ideen, denn der deutsche Konservatismus ist mit der anti-demokratischen Monarchie eng verbunden. Außerdem kommen die spezifischen Verwerfungen der deutschen Geschichte hinzu, sodass der Konservatismus in Deutschland nach 194 neu aufgebaut werden musste. Das einzige, was sich gut konserviert hat, ist der patriarchalische rheinische Kapitalismus, die Sozialgesetzgebung seit Bismarck und die katholische Soziallehre, die sich in der CDU, aber auch in vielen Aspekten der sozialen Marktwirtschaft wiederfinden. Sozialdemokratische und vor allem liberale Ideen sind überall im Grundgesetz enthalten; die Grundrechte lassen sich ohnehin in liberale Abwehrrechte, demokratische Teilhaberechte und soziale Sicherungsrechte aufteilen. 1 Amalgam = Mischung, Verbindung Anja Joest: Haben die politischen Ideen noch Einfluss auf die Wahlprogramme und auf Grundsatzentscheidungen? Herr Dreyer: Wahlprogramme entsprechen eher den tagespolitischen Anforderungen, die aber natürlich auch von theoretisch-ideologischen Hintergründen gespeist werden. Wenn die CDU etwa konsequent an einem traditionellen Familienmodell festhält, wenn die SPD die Solidarität der Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt und wenn die FDP auf Marktkräfte und Klientelpolitik 1 setzt, dann finden sich darin die Wurzeln aus dem 19. Jahrhundert wieder. Anja Joest: Und welche Rolle spielen die Theorien in der Tagespolitik? Herr Dreyer: Das ist schwierig zu sagen. In der Tagespolitik und eine andere Politik gibt es eigentlich gar nicht dominieren äußere Einflüsse. Aber für gleiche Probleme gibt es durchaus unterschiedliche Lösungen, und die sind dann wiederum von den zugrunde liegenden Basisüberzeugungen der Parteien stark beeinflusst. 1 Klientelpolitik = Politik für bestimmte Interessengruppen 8 RAAbits Sozialkunde/Politik Mai 2014
Reihe 1 Verlauf Material S 22 Anja Joest: Oft wird den Parteien vorgeworfen, dass es zwischen ihnen kaum noch Unterschiede gibt. Wie ist dies zu erklären, da sie sich doch auf so kontroverse Theorien beziehen? Herr Dreyer: Zunächst einmal bieten Parteien sehr wohl stark unterschiedliche Lösungen für ein und dasselbe Problem an. Aber darüber hinaus gibt es natürlich auch einen breiten Verfassungskonsens, der Teil des Erfolgsmodells der Bundesrepublik geworden ist. Es gibt zahllose Vetospieler im politischen System Deutschlands, beginnend mit dem Bundesrat. Da sind Kompromisse nicht die Ausnahme, sondern die Regel des politischen Prozesses. Zudem gibt es etwa zwischen dem Arbeitnehmerflügel der Union und der SPD oder dem Wirtschaftsflügel der Union und der FDP auch ideengeschichtliche Berührungspunkte. Anja Joest: Viele liberale Ideen sind in unsere Verfassung eingegangen. Warum spielen liberale Parteien dann heute keine nennenswerte Rolle mehr? 1 Herr Dreyer: Gerade deshalb! Der Liberalismus ist verfassungstheoretisch eine Erfolgsgeschichte: Fast alle Forderungen des 19. Jahrhunderts sind (in der demokratischen Variante) inzwischen im Grundgesetz verwirklicht. Damit stellt sich die Frage, wer überhaupt noch liberale Parteien braucht. Die FDP hat lange eine Balance zwischen Bürgerrechtspartei und Wirtschaftspartei versucht, bis sie sich dann ab den 1980er-Jahren mehr und mehr zu einer fast reinen Wirtschafts- und Klientelpartei wandelte. Dafür aber gibt es keine Mehrheiten unter den Wählern. Anja Joest: Im 19. Jahrhundert war vor allem der Sozialismus die Ideologie des kleinen Mannes. Heute leben auch in Deutschland viele Menschen an der Armutsgrenze. Warum gelingt es weder der SPD noch der Linken diese Menschen für sich zu gewinnen? Herr Dreyer: Armut im 19. Jahrhundert ist anders als Armut heute. Damals bedeutete es ganz konkret, dass man vom Verhungern bedroht war. Heute haben wir ein weitreichendes soziales Sicherungssystem, und der Sozialstaat ist nach Art. 20 des Grundgesetzes ein Staatsziel. Das alles ist auch ein Erfolg der Politik der SPD, die damit aber einen Teil ihrer eigenen Bedeutung beschnitten hat. Zudem wird unsere Gesellschaft immer komplexer. Davon abgesehen gelingt es der SPD und der Linken sehr wohl, in den unteren sozio-ökonomischen Gruppen erhebliche Wählerschichten zu gewinnen. Aber da Deutschland, alles in allem, ein sehr wohlhabendes Land mit einer sozial durchlässigen Gesellschaft geworden ist jedenfalls im Vergleich zur harten Klassengesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts reicht dies für Mehrheiten nicht aus. Und das ist im Umkehrschluss auch einer der Gründe, warum die CDU eine so breite Wählerschaft ansprechen kann. Methodenbox: Reziprokes Lesen 1. Der erste Interviewabschnitt wird gemeinsam im Plenum erarbeitet. 2. Bildet Dreiergruppen. Ihr bekommt den zweiten Interviewabschnitt. Jeder von euch liest diesen Abschnitt für sich durch. 3. Entsprechend eurer Rollenkarte bearbeitet ihr nacheinander den Text. 4. Wenn ihr mit einem Interviewabschnitt fertig seid, holt euch den nächsten vom Lehrerpult. Tauscht die Rollen im Uhrzeigersinn. Insgesamt sind es vier Abschnitte.. Tragt die Ergebnisse im Plenum zusammen. 8 RAAbits Sozialkunde/Politik Mai 2014
Reihe 1 Verlauf Material S 23 Erläuterung (M ) Aufgabe 1: Die Darstellung bildet die kapitalistische Gesellschaftsordnung in einer Pyramide mit sechs Stufen ab. Auf der untersten Stufe stehen die (Industrie-)Arbeiter und Bauern, beschriftet mit We work for all bzw. We feed all. Auf der zweiten Stufe sitzen die Bürger an einer festlichen Tafel und es heißt We eat for you. Über ihr sind Soldaten abgebildet, von denen es heißt We shoot at you. Auf der vierten Stufe stehen Priester, zu denen die Aussage We fool you gehört. Über ihnen steht der König bzw. die Regierung, die von sich sagen We rule you. An der Spitze der Pyramide liegt ein Sack voller Geld, der Kapitalismus. Aufgabe 2: Mit dieser Darstellung kritisiert die Zeitung das kapitalistische System. Es handelt sich um eine Zeitung von und für Industriearbeiter zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als viele Menschen infolge der Industrialisierung verelendeten. Die Darstellung zeigt die Ungerechtigkeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung, in der diejenigen, die durch ihre Arbeit in den Fabriken und als Bauern die Gesellschaft tragen, am wenigsten besitzen und ganz unten stehen. Aufgabe 3: Für einen Konservativen bildet die Pyramide die natürliche gesellschaftliche Ordnung ab, in der alle ihren Platz haben. Ein liberaler Mensch würde die Pyramide vermutlich zurückweisen, da in der idealen liberalen Gesellschaft die Durchlässigkeit stärker gegeben sein muss, das heißt, die Menschen sind nicht an eine Stufe gefesselt, sondern können durch Eigenverantwortung, Vernunft und Leistung aufsteigen. Außerdem fühlt sich der liberale Mensch auch für seine Mitmenschen verantwortlich, sodass der Reichtum, der oben erwirtschaftet wird, zumindest in Teilen nach unten weitergegeben wird, sodass sich die Lage aller verbessert. Ein sozialistisch denkender Mensch sieht in der Pyramide eine Darstellung des ausbeuterischen kapitalistischen Systems. Aufgrund der Ungerechtigkeit sieht er sich dazu aufgerufen, dieses System zu bekämpfen sei es auf radikale Weise durch die Enteignung von Produktionsmitteln oder durch Reformen und sozialen Ausgleich im Wohlfahrtsstaat. Erläuterung (M 11) Das Interview mit dem Politologen Michael Dreyer zeigt, welche Rolle die politischen Theorien aus dem 19. Jahrhundert in der heutigen Politik noch spielen. Dreyer erkennt Aspekte der klassischen Theorien von Liberalismus, Sozialismus und Konservatismus in unserem Parteiensystem und im Grundgesetz. Während Sozialismus und Liberalismus ihre Tradition nahezu nahtlos fortsetzen konnten, musste der Konservatismus nach 194 neu aufgebaut werden; dennoch finden sich in der CDU/CSU klassisch konservative Aspekte. Während Dreyer den Einfluss der politischen Theorien auf die Tagespolitik weniger hoch einschätzt, ist er der Überzeugung, dass die Grundüberzeugungen der Politiker noch immer stark von den politischen Theorien des 19. Jahrhunderts geprägt sind. Da der Text relativ anspruchsvoll ist, wird er mit der kooperativen Methode des reziproken Lesens bearbeitet. Dazu wird das Interview an den Linien in vier Abschnitte geteilt. Der erste Abschnitt wird gemeinsam im Plenum bearbeitet, gemäß den Arbeitsschritten, die auf den drei Rollenkarten formuliert sind. Dadurch lernen die Schülerinnen und Schüler das Vorgehen kennen. Anschließend bilden sie Dreiergruppen, die nacheinander die weiteren Interviewabschnitte bearbeiten. Abschließend werden die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen. 8 RAAbits Sozialkunde/Politik Mai 2014
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