Forum A. Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe Diskussionsbeitrag Nr. 2/2014

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Transkript:

Forum A Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe Diskussionsbeitrag Nr. 2/2014 29.01.2014 Barrierefreiheit von Behindertentoiletten in öffentlich zugänglichen aber privaten Anlagen (Gaststätte, Hotel, Café) Zugleich Anmerkung zu Sächsischem OVG, Beschluss vom 11.09.2012, Az: 1 A 131/12 und OVG NRW, Urteil vom 24.01.2012, Az: 7 A 1977/10 Von Radek Rafal Wasilewski, Universität Szczecin/Universität Kassel und Daniel Hlava, Sozialjurist (LL.M.), Universität Kassel I. Thesen der Autoren 1. Grundsätzlich müssen neu errichtete Toiletten in einer öffentlich zugänglichen Anlage (so etwa Freizeitanlage, Gaststätte, Verkaufsanlage u. ä.) immer barrierefrei sein. 2. Ob die Vorgabe zum Bau einer barrierefreien Toilette verhältnismäßig ist, darf nicht aus den Mehrkosten für diese Investition geschlossen werden, sondern ist anhand des Einzelfalls zu beurteilen. 3. Die gleiche Pflicht entsteht dann, wenn der Unternehmer zwar keine gesetzliche Pflicht zur Errichtung einer Kunden- bzw. Besuchertoilette hat, sich aber freiwillig dafür entscheidet, eine solche bereitzustellen. II. Wesentliche Aussagen der Entscheidungen 1. Werden für eine Gast- oder Verkaufsstätte Besuchertoiletten geschaffen, muss auch dann grundsätzlich mindestens ein Toilettenraum rollstuhlgerecht ausgestaltet sein, wenn dieser ohne eine rechtliche Verpflichtung freiwillig errichtet wird. 2. Abweichungen von diesem Erfordernis sind nur möglich, wenn die Schaffung eines entsprechenden Toilettenraums mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand verbunden wäre. 3. Freizeitbereiche eines Beherbergungsbetriebs stehen auch der Nutzung von Menschen mit Behinderungen offen. 1

III. Sachverhalt IV. Entscheidungsgründe Im Fall des Oberverwaltungsgerichts Sachsen (OVG Sachsen) war die Baugenehmigung für eine Gaststätte in einer Freizeitanlage strittig. Die Gaststätte sollte nur durch Gäste des anliegenden Jugendhotels genutzt werden. Die Erteilung der Baugenehmigung wurde abgelehnt, da keine barrierefreie Toilette vorgehalten werden sollte. Hiergegen legte der Gaststättenbetreiber Klage ein. Er war der Ansicht, dass seine Anlage nicht barrierefrei sein müsse. Zudem wäre die Vorgabe der Errichtung eines behindertengerechten WCs mit einem unverhältnismäßigen Kostenaufwand verbunden. Im Fall des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) stritten die Bauaufsichtsbehörde und der Inhaber eines Fleischereigeschäfts über die Erteilung einer Baugenehmigung für die Umgestaltung des Ladens zu einem Bäckereifachgeschäft mit Café (28 Plätze). Auch in diesem Fall wurde die Genehmigung wegen fehlender Einrichtung eines rollstuhlgerechten Toilettenraums abgelehnt. Der Inhaber plante, jeweils eine Damen- und Herrentoilette für die Besucher des Cafés. Nach Ansicht des Inhabers waren die Voraussetzungen für ein behindertengerechtes WC in dem bestehenden Gebäude äußerst schlecht. Mit Einbau einer behindertengerechten Toilette müsse die Gastplatzzahl von 28 auf 22 reduziert werden. Dies würde die Wirtschaftlichkeit des neuen Cafés in Frage stellen. Außerdem sei er ohnehin nicht verpflichtet, Toilettenräume für seine Gäste vorzuhalten, sondern wolle dies auf freiwilliger Basis tun. 1. Sächsisches OVG Das OVG Sachsen lehnte die Klage des Hotel- und Gaststättenbetreibers ab. Bei der Freizeitanlage, die zusammen mit dem Gaststättenbereich auf dem Grundstück des Hotels errichtet werden sollte, handele es sich um eine öffentlich zugängliche Anlage im Sinne von 50 Abs. 2 Nr. 2 Sächsische Bauordnung (SächsBO). Die Freizeitanlage stehe jedem potenziellen Nutzer offen, der in dem Jugendhotel übernachten möchte. Insofern ist die Anlage auch dafür gedacht, von einer nicht konkret bestimmbaren Gruppe von Menschen und zwar jedem, der eine Übernachtung in dem Hotel bezahlt, genutzt zu werden. Zwar sei der Betrieb der Gaststätte nach 2 Abs. 2 Nr. 4 Gaststättengesetz 1 nicht erlaubnispflichtig, hierauf komme es für die Anwendbarkeit von 50 Abs. 3 S. 9, Abs. 2 S. 2 Nr. 5 SächsBO jedoch auch nicht an. Die Auflage, eine behindertengerechte Toilette im Gaststättenbereich zu errichten, sei auch nicht erkennbar mit einem unverhältnismäßigen Kostenaufwand verbunden. Das OVG führte weiter aus, dass Mehrkosten von bis zu 20 Prozent der Normalkosten nicht zu hoch seien 2. Die Notwendigkeit eines behindertengerechten WCs sei auch nicht deshalb anders zu beurteilen, da die Freizeitanlage nur von Hotelgästen genutzt werde. Es sei nicht ersichtlich, weshalb der Vorteil der Barrierefreiheit für den mit 50 SächsBO geschützten Personenkreis (Menschen mit einer Behinderung, alte Menschen und Personen mit Kleinkindern) nur gering sei. Es entspreche 2 1 Dieses Gesetz wurde inzwischen durch die Gesetzgebung der Länder weitgehend abgelöst. 2 Mit Bezug zu der ebenfalls vorliegenden Entscheidung des OVG NRW vom 24.01.2012, welches hingegen die Frage der zumutbaren Mehrkosten nicht abschließend bewertet (vgl. Rn. 67 69, juris).

vielmehr der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Freizeitbereiche eines Beherbergungsbetriebs auch von Menschen mit Behinderungen genutzt werden. 2. OVG Nordrhein-Westfalen Das OVG Nordrhein-Westfalen (NRW) kam im Fall der geplanten Umgestaltung ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Inhaber eine rollstuhlgerechte Toilette vorhalten müsse. 55 Abs. 1 der Landesbauordnung (BauO NRW) sehe vor, dass öffentlich zugängliche bauliche Anlagen in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen von Menschen mit Behinderung, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern barrierefrei erreicht und ohne Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können. Zu solchen öffentlichen Anlagen zählen auch Verkaufs- und Gaststätten ( 55 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 BauO NRW). Diese müssen verschiedene bauliche Anforderungen zur Herstellung von Barrierefreiheit erfüllen, so auch, dass ein entsprechend gekennzeichneter Toilettenraum für Benutzerinnen und Benutzer von Rollstühlen geeignet und erreichbar ist. ( 55 Abs. 4 Satz 10 BauO NRW). Von diesen Anforderungen könne nach 55 Abs. 6 BauO NRW nur dann abgewichen werden, wenn eine Umsetzung aufgrund schwieriger Geländeverhältnisse, ungünstiger vorhandener Bebauung oder im Hinblick auf die Sicherheit der Menschen mit Behinderungen oder alten Menschen mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand verbunden wären. Diese Ausnahmetatbestände seien hier nicht erfüllt. Dass die mit dem behindertengerechten Toilettenbau verbundene Reduzierung der Sitzplätze im Geschäft einen unverhältnismäßigen Mehraufwand (bzw. Gewinneinbußen) zur Folge habe, konnte das OVG im vorliegenden Fall nicht erkennen. Die Vorgabe, einen für Rollstuhlfahrer erreichbaren und geeigneten Toilettenraum einzubauen, sei so das OVG auch 3 dann zu erfüllen, wenn die geplanten Toiletten in der Gaststätte ohne eine rechtliche Verpflichtung errichtet werden. Die Anforderungen gemäß 55 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 und Abs. 4 Satz 10 BauO NRW gelten somit auch für Toilettenräume, die im Rahmen eines Bauvorhabens freiwillig errichtet werden. V. Würdigung/Kritik In den beiden Fällen standen die Streitsachen im Zusammenhang mit der Pflicht zur Errichtung eines behindertengerechten Toilettenraums in einer öffentlichen Anlage. Das Sächsische OVG hat zutreffend festgestellt, dass es sich bei dem angrenzenden Gaststättenraum um eine öffentlich zugängliche Anlage im Sinne von 50 Abs. 2 Nr. 2 SächsBO 3 handelt. Nach dieser Vorschrift müssen die baulichen Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, barrierefrei zu erreichen sein und selbstständig genutzt werden können. Diese Anforderungen gelten insbesondere für Freizeitstätten. Die streitige Freizeitanlage stand jedem möglichen Nutzer offen, der in dem Jugendhotel übernachten möchte. Dass die Anlage nur durch Hotelgäste genutzt werden sollte, hat im Grunde keine größere Bedeutung, weil das Hotel von einem vorher nicht konkret bestimmbaren Personenkreis genutzt wird, d. h. von jedem der bereit ist, das entsprechende Entgelt für die Übernachtung zu leisten. Des Weiteren werden Freizeitbereiche eines Beherbergungsbetriebs auch von Menschen mit Behinderungen genutzt. Der Betreiber des Hotels dürfte einem Menschen wegen seiner Behinderung im Übrigen auch nicht den Aufenthalt in seinem Hotel und damit die Nutzungsmöglichkeit der Gaststätte verwei- 3 Sächsische Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Juni 2004 (SächsGVBl. S. 200); zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 4. Oktober 2011 (SächsGVBl. S. 377).

gern, dies würde gegen das Benachteiligungsverbot nach 19 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen. Somit steht die Gaststätte grundsätzlich auch möglichen Nutzern mit einer Behinderung offen, wie das OVG zutreffend bemerkt hat. Das Prinzip des barrierefreien Bauens kann grundsätzlich nach Abs. 4 eingeschränkt werden, soweit die Anforderungen wegen schwieriger Geländeverhältnisse, wegen des Einbaus eines sonst nicht erforderlichen Aufzugs, wegen ungünstiger vorhandener Bebauung oder im Hinblick auf die Sicherheit der Menschen mit Behinderungen oder alten Menschen nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand erfüllt werden können; das war vorliegend nicht der Fall. Der zweite Fall (OVG Nordrhein-Westfalen) erscheint zuerst hingegen komplexer und problematischer. Es bestand keine Pflicht einen Toilettenraum für Kunden der Bäckerei mit Café zu errichten. Das OVG kommt hier zutreffend zu dem Ergebnis, dass 55 Abs. 4 S. 10 BauO NRW nicht zwischen vorgeschriebenen und freiwillig errichteten Toilettenräumen unterscheidet. Ohne einen konkreten Bezug zur UN- Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) herzustellen 4, folgt das OVG mit seiner Entscheidung auch den allgemeinen Grundsätzen dieses Übereinkommens. Indem sich die Pflicht zur Herstellung von Barrierefreiheit nicht nur auf gesetzlich vorgeschriebene, sondern auch freiwillig gebaute Toilettenräume erstreckt, wird das Diskriminierungsverbot auf den privaten, nicht durch Gesetze reglementierten Bereich, erstreckt (Art. 4 Abs. 1 lit. e, Art. 5 Abs. 2 UN-BRK) und die gleichberechtigte Einbeziehung behinderter Menschen in die Gesellschaft gefördert. Das Urteil des OVG NRW geht weit über den entschiedenen Einzelfall hinaus. Die Argumentation des Gerichts lässt sich ebenso 4 Diese war zum Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde (2008) auch noch nicht in Kraft. 4 auf andere Um- oder Neubauten öffentlicher Anlagen übertragen, bei denen allein aufgrund von Besonderheiten wie der Raumgröße oder des Nutzungszwecks von Gesetzes wegen keine Sanitäreinrichtungen, besondere Brandschutzmaßnahmen usw. vorgehalten werden müssen. Werden diese baulichen Veränderungen z. B. als Kundenservice dennoch vorgenommen, so müssen vorhandene Regelungen zum Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierungen wie z. B. die Barrierefreiheit auch bei diesen baulichen Veränderungen beachtet werden. Verzichtet der Inhaber der Anlage gänzlich auf den freiwilligen Bau von Toiletten, so betrifft dies alle Kunden und führt zu keiner behinderungsbedingten Benachteiligung. Sowohl im Falle einer freiwilligen als auch einer vorgeschriebenen Baumaßnahme, steht es jedoch nach 55 Abs. 6 BauO NRW im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, Ausnahmen von den Vorgaben über die Barrierefreiheit öffentlicher Anlagen zuzulassen. Dies ist möglich, wenn die jeweiligen Geländeverhältnisse und die Bebauung so ungünstig sind oder Gefahren für die Sicherheit behinderter und älterer Menschen bestehen, die nur mit einem unverhältnismäßigen Mehraufwand überwunden werden können. Die Anforderungen an die barrierefreie Gestaltung der Anlage müssen somit im Hinblick auf die Interessen des Inhabers verhältnismäßig sein. Ob der Mehraufwand gegenüber dem Ziel der Gleichstellung behinderter Menschen unverhältnismäßig hoch ist, wird teilweise anhand eines Vergleichs der Gesamtinvestitionen des Neu- oder Umbaus und der zusätzlichen Kosten für die Barrierefreiheit entschieden. Hierbei werden überwiegend Zusatzinvestitionen von bis zu 20 Prozent als zumutbar angesehen 5. Letztlich ist dieser Schwellenwert jedoch nicht 5 Vgl. nur OVG Sachsen, Urt. v. 16.12.2010 2 L 246/09, Rn. 19 (juris); sowie auch der Landesgesetzgeber von Baden-Württemberg, LT- Drs. 13/3304, S. 11.

als starre Grenze zu sehen. Stattdessen sind alle relevanten Aspekte und die Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick zu nehmen 6. So wird bspw. auch in der Verwaltungsvorschrift zu 50 der SächsBO festgehalten, dass die Unverhältnismäßigkeit des Mehraufwands gerade nicht aus dem Verhältnis zwischen Mehrkosten und Gesamtkosten geschlossen werden darf (Nr. 50.4 VwVSächsBO) 7. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit ist die besondere Bedeutung der Barrierefreiheit für die Teilhabe behinderter Menschen gerade im Bereich der Gaststätten 8 ebenso zu berücksichtigen. Außerdem ist in beiden Fällen 19 Abs. 1 AGG 9 einschlägig, an Hand dessen eine Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die typischerweise ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen (Massengeschäfte) oder bei denen das Ansehen der Person nach der Art des Schuldverhältnisses eine nachrangige Bedeutung hat und die zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen oder eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, unzulässig ist. Unter den Begriff des Massengeschäfts lassen sich die Fälle der Bargeschäfte des täglichen Lebens fassen, wie sie z. B. in einem Café getätigt werden, da hier gewerbliche Anbieter Verträge über Konsumgüter oder standardisierte 6 Jürgens, Uwe, Barriere- und diskriminierungsfreier Zugang zu öffentlichen Gaststätten, 2008, S. 137; ebenso Gesetzgeber Baden- Württemberg LT-Drs. 13/3304, S. 11. 7 In der Verwaltungsvorschrift zur BauO NRW bleibt 55 hingegen gänzlich ohne nähere Erläuterung. 8 BT-Drs. 14/8331, S. 52, hier jedoch zur Frage der Unzumutbarkeit, die enger gefasst ist, als die Unverhältnismäßigkeit. 9 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 3. April 2013 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist (AGG). 5 Dienstleistungen ohne Ansehen der Person und zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen abschließen 10. Die nicht barrierefreie Gestaltung eines Toilettenraumes stellt eine mittelbare Benachteiligung dar 11, da hier Menschen mit Behinderungen durch neutrale Gestaltungselemente beim Abschluss von Verträgen ungleich behandelt werden. Die Errichtung eines WCs steigert die Attraktivität solcher Freizeitanlagen oder Gaststätten. Wenn das WC aber nicht barrierefrei ist, werden Menschen mit einer Behinderung ungleich behandelt, weil sie eigentlich ein anderes Angebot erhalten (sie könnten im Café keinen Toilettenraum nutzen, obwohl sie denselben Preis zahlen würden). VI. Fazit Die beiden vorliegenden Entscheidungen zeigen, dass öffentlich zugängliche Anlagen auch dann über einen barrierefreien Toilettenraum für behinderte Menschen verfügen müssen, wenn die Toiletten freiwillig errichtet werden. Nur ausnahmsweise darf zugelassen werden, dass davon abgewichen wird. Die UN-BRK galt damals (zum Entscheidungszeitpunkt) noch nicht, müsste aber jetzt bei anderen ähnlichen Streitsachen beachtet werden. Art. 9 Abs. 2 lit. b UN-BRK verpflichtet den Staat geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden, anbieten, alle Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen. Einerseits sind die beiden Entscheidungen aus der Sicht der Teilhabe von behinderten Menschen insgesamt zu begrüßen, andererseits ist zu kritisieren, dass die beiden Landesvorschriften ( 55 BauO NRW und 50 10 HK-AGG/Franke/Schlichtmann, 19 Rn 25. 11 3 Abs. 2 AGG.

SächsBO) den Anforderungen an die Herstellung von Barrierefreiheit per se nicht genügen, weil sie sich nur auf Menschen mit Gehbehinderungen bzw. Rollstuhlfahrer beziehen. Art. 9 Abs. 2 lit. b UN-BRK differenziert jedoch keine Behinderungsarten untereinander und bevorzugt auch keine Gruppe dahingehend, dass sich das Zugänglichkeitsprinzip nur an sie richte. Es ist vielmehr zu betonen, dass die Vorschriften sich auf alle Menschen mit Behinderungen beziehen und alle Aspekte der Barrierefreiheit (wie lesbare Schilder für Sehbehinderte u. a.) gewährleisten müssen, was dem Gleichheitssatz (Art. 3 GG) entspräche. Ihre Meinung zu diesem Diskussionsbeitrag ist von großem Interesse für uns. Wir freuen uns auf Ihren Beitrag. 6