Friedemann J. Schirrmeister

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Transkript:

Konflikte, Konfliktprävention und Konfliktursachen am Beispiel Lateinamerika Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung stellt sich vor Friedemann J. Schirrmeister Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) 1 beschäftigt sich seit seiner Gründung im Jahr 1991 mit der empirischen, systematischen Erfassung von gewaltsamen und nicht-gewaltsamen Konflikten weltweit. Aus einem Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft heraus wurde das Institut gegründet und ist seitdem am Institut für Politikwissenschaft an der Ruprecht-Karls- Universität Heidelberg angesiedelt. Die beiden Schwerpunkte der Arbeit des HIIK sind erstens der jährlich herausgegebene Report über das laufende Konfliktgeschehen weltweit, das Konfliktbarometer, und zweitens die relationale Datenbank Konflikt-Simulations-Modell (KOSIMO). Sie ist das Resultat zweier Forschungsprojekte: In den Jahren 2002 und 2003 leitete Prof. Dr. Frank Pfetsch das Projekt Early Detection of Manmade crises, welches vom Büro für Humanitäre Hilfe (ECHO) der Europäischen Kommission der Europäischen Union finanziert wurde. In einem weiteren Projekt unter Leitung von Prof. Dr. Tanja Börzel Humanitarian Impact of Conflict Dynamics The Effects of Man Made Crisis on Refugee Movement and Displacement wurde der Datensatz inhaltlich erweitert und methodisch verbessert. KOSIMO 2 wurde kürzlich umbenannt zu CONIS (Conflict Information System). Das HIIK hat sich auf das empirische und systematische Erfassen von Konflikten spezialisiert Konfliktprävention, Vorhersagen oder Analysen dagegen sind nicht unser Spezialgebiet. Allerdings können durch die Unterscheidung von gewaltsamen und nicht-gewaltsamen Konfliktintensitäten gewaltsame und nicht-gewaltsame Phasen eines Konfliktes, Eska- 1 <http://www.hiik.de> 29

lations- und Deeskalationsprozesse erkannt und mit verschiedenen unabhängigen Variablen in Beziehung gesetzt werden. Auf diese Weise können auf statistischem Wege durchaus Erkenntnisse zur Konfliktfrüherkennung bzw. über die Konfliktursachen gewonnen werden. Die Methodik des HIIK Die Methodik des HIIK werde ich im Folgenden darstellen. Diese Methodik gilt sowohl für das Konfliktbarometer als auch für die Datenbank. Konflikte werden definiert als Interessengegensätze (Positionsdifferenzen) um nationale Werte von einiger Dauer und Reichweite zwischen mindestens zwei Parteien (organisierte Gruppen, Staaten, Staatengruppen, Staatenorganisationen), die entschlossen sind, sie zu ihren Gunsten zu entscheiden. 2 Die Akteure können staatlich oder nichtstaatlich sein. Dazu im Folgenden ein paar Erläuterungen. Konfliktgegenstände Unter nationalen Werten, also den Konfliktgegenständen, werden Territorium, Sezession, Dekolonisierung, Autonomie, System und Ideologie, nationale Macht, regionale Vorherrschaft, internationale Macht sowie Ressourcen gefasst. Gewaltsame und nicht-gewaltsame Konflikte die fünf Intensitätsstufen des HIIK Die Unterscheidung von gewaltsamen und nicht-gewaltsamen Konflikten erfolgt anhand der Intensitäten. Das HIIK begreift Konflikte auch dann als Konflikte, wenn sie (vorübergehend) nicht-gewaltsam ausgetragen werden. Daher wird zwischen fünf Intensitätsstufen unterschieden: Die Intensitätsstufen 1 (latenter Konflikt) und 2 (manifester Konflikt) 2 Konfliktbarometer 2005, Innenumschlag. 30

sind gewaltfrei im Sinne von Abwesenheit von physischer Gewalt gegen Personen. Die höchsten gewaltfreien Maßnahmen sind Drohungen, Manöver sowie Sanktionen. Kommt es jedoch zu Todesopfern durch Bombenanschläge, Schießereien oder ähnliches, werden die Intensitätsstufen 3 (Krise), 4 (ernste Krise) oder 5 (Krieg) erreicht. Je nach Intensität der eingesetzten Mittel, Organisationsgrad und Dauer der Gewaltanwendung werden die Intensitäten vergeben beim Krieg ist das Kriterium Nachhaltigkeit der Zerstörung entscheidend bei der Abgrenzung von der ernsten Krise. In der Datenbank werden die Intensitäten für einen minimalen Zeitraum von ca. 3 Monaten vergeben, im Konfliktbarometer wird die Jahreshöchstintensität angegeben. Durch diese Einteilung ergeben sich die Konfliktverlaufskurven. Die qualitative Konfliktdefinition des HIIK hat unter anderem folgende Vorteile: 1. Gewaltsame und nicht-gewaltsame Konflikte. Überregionale und intertemporale Vergleiche können mit Hilfe von Konfliktverlaufskurven Aufschluss über gewaltsame sowie nicht-gewaltsame Phasen von Konflikten geben. Der Einfluss beispielsweise von Interventionen oder Vermittlungsversuchen kann im Bezug auf die Intensität der Konfliktaustragung untersucht werden. Es können nicht-gewaltsame Phasen eines Konflikts vor der ersten gewaltsamen Eskalation untersucht werden, was einen Beitrag zu Konfliktfrüherkennung, zur Konfliktprävention und zur Entwicklung von Frühwarnsystemen auf statistischem Wege sein kann. Nicht-gewaltsame Phasen und damit eventuell die Ursachen der Deeskalation sowie der erneuten Eskalation eines Konflikts können ebenfalls zwischen gewaltsamen Phasen untersucht werden, wie das folgende Beispiel verdeutlicht. 31

Quelle: KOSIMO 2.0 (vorläufige Daten) x = Jahr, y = Intensität Die Konfliktverlaufskurve des Bürgerkriegs in Guatemala zeigt die Intensitäten des Konflikts jahresweise aufgezeichnet von 1960 bis 2004. Mitte der 1980er Jahre ist eine hohe Intensität der Gewaltanwendung zu beobachten, Anfang der 1990er Jahre eine Deeskalation. Hier kommt es zu einer Reihe von Verträgen mit dem Höhepunkt der Unterzeichnung des Friedensvertrags am 29. Dezember 1996. Nach dem klassischen Konfliktverständnis wäre der Konflikt jetzt beendet. Es folgt tatsächlich eine Phase der relativen Ruhe, wobei Streitigkeiten über Entschädigungszahlungen anhalten. Die Wahlen im April 2003 bringen eine erneute Eskalation des Konflikts mit sich: Der Ex-Diktator General Ephrain Rios Montt entschließt sich, bei den Präsidentschaftswahlen zu kandidieren. Mit dem Einsatz von massiver Gewalt versucht er, die Wahl zu seinen Gunsten zu entscheiden, was mit 17 % der abgegebenen Stimmen für ihn nicht gelingt. Danach verläuft der Konflikt weiter auf einem nicht-gewaltsamen Niveau. Hier wird deutlich, dass mit dem Friedensvertrag von 1996 der Konflikt keineswegs beendet war, sondern bei den Wahlen acht Jahre später versucht wird, ehemalige Akteure des Bürgerkriegs erneut an die Spitze des Staates zu katapultieren. 2. Inner- und zwischenstaatliche Konflikte. Ein weiterer Vorteil ist die Unterscheidung von zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Konflikten. Berücksichtigt man nur die Intensitätsstufen 4 und 5, also hochgewaltsame Konflikte, ergibt sich folgendes Bild (siehe Graphik): Die Zahl der innerstaatlichen Konflikte nimmt erheblich zu bei zwischen- 32

staatlichen Konflikten hingegen ist eine abnehmende Tendenz zu beobachten. 45 40interstate 35 30 25 20 15 10 5 0 1945 intrastate 1975 2005 Quelle: KOSIMO 2.0 (vorläufige Daten) x = Jahr y = Intensität Das HIIK unterscheidet inner- und zwischenstaatliche Konflikte. Auf der Basis dieser Unterscheidung zeigt sich, dass seit Beginn des Untersuchungszeitraumes die Anzahl der innerstaatlichen hochgewaltsamen Konflikte über der der zwischenstaatlichen hochgewaltsamen Konflikte liegt. Zudem ist die insgesamt zu beobachtende tendenzielle Zunahme hochgewaltsamer Konflikte auf innerstaatliche Auseinandersetzungen zurückzuführen die Zahl zwischenstaatlicher hochgewaltsamer Konflikte hat seit den 1990er-Jahren signifikant abgenommen. 3. Non-state Conflicts. Das HIIK hat mit methodischen Veränderungen im Jahr 2003 die Voraussetzungen geschaffen, auch zwei nichtstaatliche Akteure als Konfliktparteien definieren zu können, soweit die übrigen Erfordernisse der Konfliktdefinition erfüllt sind. Dadurch kön- 33

nen auch Konflikte in schwachen oder zusammengebrochenen Staaten erfasst werden, wo die Staatsmacht nicht in der Lage ist, mit eigenen Truppen einzugreifen. Schwierigkeiten der Methodik 1. Problematisch ist die Abgrenzung von Konflikten nach unten. Wann beginnt ein Konflikt, wann hört er auf? Diese Fragen können in Einzelfällen nicht immer eindeutig beantwortet werden. Vorteilhaft ist allerdings, dass ein Konflikt über sein formales Ende hinaus beobachtet wird, was wie im Fall der dargestellten Konfliktverlauskurve von Guatemala zutreffend ist. Die Unschärfe ist aus methodischer Sicht problematisch, für die praktische Anwendbarkeit aber sicherlich ein großer Gewinn. 2. Das Phänomen des internationalen Terrorismus stellt den Konfliktbegriff des HIIK ebenfalls vor Probleme. Das Kriterium der gewissen Dauer ist beispielsweise bei den Anschlägen von Madrid oder London problematisch. Die Artikulation von Forderungen ist ein weiteres methodisches Problem in der Bearbeitung des internationalen Terrorismus als Konflikt im Sinne des HIIK. Aus dem Sachzusammenhang ergibt sich mit den Angriffen auf Afghanistan und Irak eine klare Verbindung zwischen internationalem Terrorismus und Konflikten im Sinne des HIIK, unabhängig von den Gründen für den Irak-Krieg. Daher ist diese Konfliktdefinition nicht geeignet, den internationalen Terrorismus als Konflikt zu erfassen. Regional begrenzter Terrorismus wie der der ETA oder der IRA ist dagegen ein fortlaufender Konflikt, in dem klare Forderungen in Bezug auf ein Gut von nationaler Bedeutung artikuliert werden und der damit alle Voraussetzungen des HIIK-Konfliktbegriffs erfüllt. 3. Ein weiteres Problem ist die Trennung von Kriminalität und Konflikt. Die Konflikte in Haiti und Kolumbien sind hier besonders anschaulich. Seit gut einem Jahr ist hier eine Deeskalation zu beobachten bei steigender Kriminalität. Die Sicherheitslage vor Ort hat sich nicht 34

verbessert, wie es aus der Intensität abzulesen wäre, denn konfliktrelevante Gewalt wird zu krimineller Gewalt. Konfliktursachen Interpretiert man die Auswertungen der Konflikte in Hinblick auf mögliche Konfliktursachen, so ist Folgendes zu erkennen: Eine überproportional hohe Anzahl an Konflikten in der Region Amerika wird über Fragen von System und Ideologie ausgetragen. In Mittel- und Südamerika sind Institutionen und Konfliktregelungsmechanismen vergleichsweise schwach ausgebildet. Hinzu kommt eine vergleichsweise schwache Ökonomie in Verbindung mit Verteilungskonflikten sowie sozialen Konflikten. Die Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung vieler Länder mündet in Konflikte, zumeist in Form von Demonstrationen, die in vielen Fällen gewaltsam eskalieren. Der aktuelle Konflikt in Mexikos südlichem Bundesstaat Oaxaca veranschaulicht dieses Konfliktmuster deutlich. Aus einem Streik von Lehrern für höhere Gehälter entwickelt sich innerhalb weniger Wochen ein politischer Konflikt. Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Gouverneurs und erheben Vorwürfe der Wahlfälschung. Hier lohnt es sich also, im Sinne der Konfliktprävention bei Demonstrationen genau hinzuschauen in der Vergangenheit waren dies oft die ersten Maßnahmen gewaltsamer Konflikte mit dem Konfliktgegenstand System/Ideologie. Eine weitere Konfliktlinie ist in Mittel- und Südamerika in den vergangenen zehn Jahren zu erkennen. Indigene Völker fordern mehr Rechte für sich. Ausgehend von dem zapatistischen Aufstand am 1. Januar 1994 im mexikanischen Bundesstaat Chiapas sind eine Reihe von weiteren Konflikten mit ähnlichen Forderungen von Seiten indigener Völker zu beobachten. Beispiele sind hier die Guambianos in Kolumbien, das MST in Brasilien und indigene Völker, die sich in Ecuador gegen die Regierung erheben. 35

Um Konfliktursachen zu erkennen, sind meiner Ansicht nach folgende Bausteine von erheblicher Bedeutung: Die quantitative Erfassung von Konfliktverlaufskurven, d.h. von Eskalations- und Deesakalationsprozessen einzelner Konflikte, kann zur statistischen Identifizierung von kausalen und auslösenden Faktoren auf Struktur- und Prozessebene beitragen. Selbiges gilt auch für den Vergleich von gewaltsamen Konflikten mit solchen, die während ihrer gesamten Dauer oder zumeist gewaltfrei waren. Ökonomische Daten sind gerade in Mittel- und Südamerika von Relevanz, weil hier zu beobachten ist, dass ein negatives Wirtschaftswachstum leicht in einen politischen Konflikt münden kann. Bekanntestes Beispiel ist hier die Argentinienkrise im Jahr 2001, in der aus dem Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft unmittelbar ein gewaltsamer politischer Konflikt hervorging, der zum Rücktritt des damaligen Präsidenten führte. Statistische Analysen sollten durch qualitative Forschungen ergänzt werden, da statistische Konfliktverlaufskurven die gesellschaftliche Realität nicht aufzeigen können. Entsprechend ist Wissen über nicht-staatliche Akteure in Konflikten von großer Bedeutung schließlich ist die Mehrzahl der hochgewaltsamen Konflikte innerstaatlich. Die KOSIMO/CONIS-Datenbank kann auch hier wichtige statistische Erkenntnisse hinsichtlich Größe, Finanzierung, Unterstützung und Bewaffnung von nichtstaatlichen Akteuren liefern. 36

Teil 2: Aktivitäten der Europäischen Union 37