Unsicherheitsvermeidung

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Transkript:

Also für mich ist der Mensch erst einmal ein Naturwesen, zweitens ein Gesellschaftswesen und drittens ein Freier, das heißt schöpferisch Kreativer. Aus dem Komplex heraus, wo er frei und schöpferisch ist, muss er Modelle erarbeiten für das Gebiet, wo er immer gebunden sein muss, nämlich im Gesellschaftlichen. Joseph Beuys, 1969 Christoph Daniel Jungermann Unsicherheitsvermeidung Fragen Sie sich mal! Zu welcher Antwort tendieren Sie (im stillen Kämmerchen), wenn Sie mit einer völlig unbekannten Situation konfrontiert sind? Lautet die Antwort eher Was unbekannt ist, ist gefährlich!, oder Was fremd ist, ist bedrohlich!, oder Was anders ist, ist lächerlich!, oder Was anders ist, ist seltsam?, oder Was neu ist, ist interessant, ja überraschend! oder Was anders erscheint, wusste ich halt noch nicht! oder oder oder. Oder sowohl als auch? Sind Sie sich bewusst, was Ihnen Angst macht, oder wo andere ängstlich reagieren, Sie aber nicht? Schon der Volksmund im teutonischen Mitteleuropa erzählte den Gebrüder Grimm das (russische) Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Im Kern ist das Märchen die Negation allgegenwärtiger menschlicher Angstbewältigung. Die Existenz des Märchen lässt vermuten, dass die Erzähler und Hörer die Frage beschäftigte, wie unterschiedlich Individuen Risiken wahrnehmen und wie atypisch für den Menschen ein Verhalten empfunden wird, das fehlende Unsicherheitsvermeidung befürchten lässt. Bei dem Begriff der Unsicherheit (uncertainty) handelt es sich um ein relatives Prinzip, das mit der Wahrnehmungsfähigkeit des Individuums in Relation zu verschiedenen Mitmenschen und Situationen variiert. Definiert als der Ungewissheitsgrad, der auf der Unvorhersehbarkeit zukünftiger Ereignisse basiert, kann Unsicherheit annähernd zwei Ordnungen zugeordnet werden:[1] Die Unsicherheit 1. Ordnung umschreibt, dass keine Wahrscheinlichkeiten für den Eintritt zukünftiger Ereignisse bekannt sind, sondern nur, dass bestimmte [1] vgl. Gablers Wirtschaftslexikon (1993), 13. Auflage

Ereignisse eintreten könn(t)en. Hier wird ein bekanntes Objekt vorausgesetzt, zu dem keine statistisch objektiven Wahrscheinlichkeiten berechnet werden können, d. h. beispielsweise, dass die anstehende Chinareise bekannt ist und dass sich Chinesen irgendwie verhalten - aber wie? Die Unsicherheit 2. Ordnung deutet an, dass es völlig unbekannt ist, welche Ereignisse in der Zukunft auftreten können. Hier ist selbst das zukünftige Objekt unbekannt. Das Individuum ist vollständig dem Nicht- Wissen (ignorance) und der Kontingenz von der Entwicklung der Welt ausgesetzt. Auf dieser Stufe entdecken wir unsere ungerichtete Angst und fragen nicht mehr: Wie sicher ist sicher genug?, sondern eher: Wie unsicher ist sicher genug? und retten uns in die unser Wissen transzendierende Welt des Vertrauens, Glaubens und Hoffens. Somit sind Angst und Unsicherheit zu unterscheiden von Furcht (Gruseln vs. Grauen) und Risiko (Vermuten). Letztere sind objektbezogen.[2] Beispielshalber dürfte ein Forscher eigentlich ex ante keinen Forschungsmittelantrag stellen können, da er da schon mit Hypothesen (= Unsicherheit 1. Ordnung, nicht 2. Ordnung!) operiert, die er dann (lediglich) verifiziert. Unsicherheit 2. Ordnung umschreibt die Ängste (und damit verbundene Selbstzweifel), die für Depressionen (und Lähmung) sorgt, jedoch auch Selbstschutz, Kreativität und Innovation sowie neue Beziehungsfähigkeit gebärt, die die Welt sich entwickeln lässt. Ohne Unsicherheit 2. Ordnung gäbe es keine Entwicklung. [3] Huuh, so fühlt sich Angst an - weiß sogar der Protagonist am Ende des Märchens ein Liedchen zu pfeifen. Dieses Gefühl drückt sich u.a. in nervösem Stress und einem Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit aus: Angst drückt ein undeutliches Gefühl des Bedrohtseins aus. Auf der kollektiven Ebene drückt es sich als ein Bedürfnis nach geschriebenen und ungeschriebenen Regeln aus. In der Naturwissenschaft (v.a.neurowissenschaft) und den Sozialwissenschaften (v.a.psychologie) wird der Begriff der Unsicherheit meist als ein Zustand unvollständiger oder fehlender Gewissheit definiert, der [2] vgl. Hofstede, Geert (2001).Lokales Denken, globales Handeln, Interkulturelle Zusammenarbeit und globales Management, 2. Auflage, München: C.H. Beck, S. 154ff. [3] Menschliche Angst als Phänomen soll nicht einseitig als Bedrohung verstanden werden. Schon Charles Darwin beschrieb die Angst als Potential und Schutzfunktion, nämlich als Urtrieb der Lebewesen mit Bewusstsein, als Schutz zum (Über-)Leben. Rudolf Steiner beschreibt die Angst als ein grundlegendes Spektrum des seelischen Erlebens des Menschen.

entweder aus unvollständiger Information oder aus fehlendem Wissen über die möglichen Konsequenzen von Entscheidungsoptionen der Individuen resultiert, da das Verhalten anderer Akteur nicht antizipierbar ist.[4] Der Begriff setzt sich ab als Gegenbegriff von dem Konstrukt der Sicherheit und des (kalkulierbaren) Risikos. Sicherheit ist eine Annahme der Entscheidungstheorie und wird definiert als der Ungewissheitsgrad, bei dem nur eine einzige Zukunftslage für möglich gehalten wird. Risiko wird definiert als der Unsicherheitsgrad, bei dem für das Eintreten zukünftiger Ereignisse objektive (kalkulierbare) Wahrscheinlichkeiten vorliegen.[5] Gemeinsam sind diesen Konstrukten das weit verbreitete mathematisch-quantitative Welt- und Menschenbild, das auf das Ideal des Allwissens abzielt. Unsicherheit tritt nur auf als Mangel an genügend Information und Wissen und stellt ein defizitorientiertes Konzept dar. Diese Herangehensweise suggeriert, dass derjenige, der nur genügend wisse und genügend (relevante!) Information zur Verfügung hätte, Unsicherheit und Ungewissheit reduzieren und vermeiden könnte. Er wäre angstfrei (und somit un-be-ein-druckbar ) von Unbekanntem, Fremdem und Neuem. Dieses (illusorische) Verständnis von Angstbewältigung durch Wissen interessiert hier nicht. Stattdessen wird angenommen, dass es sich bei uns Menschen um relative Unsicherheit handelt. Die einzelnen Individuen nehmen hochgradig subjektiv wahr und definieren somit für sich individuell unterschiedlich, was er oder sie als Befremdliches und Bedrohliches empfindet. Wenn hier von Unsicherheitsvermeidung die Rede ist, ist auf der individuellen Ebene nicht riskantes (in Gefahr bringendes) Verhalten gemeint, sondern der Umgang mit ungerichteter Angst, d.h. ein sich bewusst dem Nicht-Wissen aussetzendes Verhalten. Es ist die Forderung nach Kontingenz riskieren und -aushalten. Es muss nicht im Moment erlebte Angst sein. Zu dem Wunsch nach Unsicherheitsvermeidung kann schon alleine antizipierte Angst führen. Was jedoch dem einen Individuum als Angst begegnet, muss nicht notgedrungen als Angst von dem Anderen wahrgenommen und empfunden werden. [4] vgl. Brockhaus: Lexikon der Neurowissenschaft und Lexikon der Psychologie (online Jan. 2004) [5] Es wird hier explizit nicht die Unschärferelation der Heisenbergschen Quantenmechanik thematisiert.

Was ist auf kollektiver Ebene gemeint, wenn wir von Unsicherheitsvermeidung sprechen? Die klassische kulturvergleichende Studie in der Ökonomie von Hofstede[6] definiert Unsicherheitsvermeidung (uncertainty avoidance) als den Grad (hoch bis niedrig), in dem die Mitglieder einer Kultur[7] sich durch ungewisse oder unbekannte Situationen bedroht fühlen. Der Grad von Unsicherheitsvermeidung einer ganzen Gruppe (Gesellschaft, Nation, Unternehmung usw.) wird bestimmt durch das Ausmaß, wie sie die Unsicherheit durch soziale Interventionen wie Regeln, Vorschriften usw. zu reduzieren versucht und Ordnung schafft. Die These dieser Studie ist, dass in unterschiedlichen Ländern und an anderen Orten den dort ansässigen und sozialisierten Bewohnern (statistisch aggregiert zum Kollektiv ) ein ungleiches Wahrnehmen eigen ist und somit auch ihr Umgang mit Unsicherheit(-svermeidung) ungleich ausfällt. Wenn man verschiedene Länder vergleicht, wie werden Nationalkulturen auf einem Unsicherheitsvermeidungsindex angeordnet? Dort werden Griechenland und Japan extrem hoch angeführt, es folgen u.a. Israel und Italien, sowie Deutschland und die Schweiz. An dem andern Ende dieser Dimension sind mit wenig ausgeprägten Unsicherheitsvermeidungsinstitutionen in Gesellschaft/Sprache/etc. Dänemark, Hongkong und Großbritannien, sowie in der Mitte des Indexes die USA, Kanada und die Niederlande angeführt. Wir Deutschen haben für alles tradierte Normen, Traditionen, Regeln, (formelle und informelle) Institutionen und Gesetze, auch dafür, für die wir keine haben (Notstandsgesetzte). Japan brauchte (nach dem 2. Weltkrieg) ein neues Rechtssystem: was liegt näher, als sich bei den Deutschen zu bedienen! Aber Japan besitzt noch viel mehr ungeschriebene Gesetze des Alltags zur Regelung des sozialen Miteinanders. Ein Japaner braucht tendenziell erst einmal die Visitenkarte des Gegenübers, um überhaupt den Mund aufmachen zu können (welche Anrede muss ich verwenden?). Die japanische (verbale und nonverbale) Sprache stellt (relativ verglichen zu anderen Sprachen) ein hoch entwickeltes tradiertes Regel- und Normensystem ( Unsicherheitsvermeidungs- [6] Geert Hofstede untersuchte Anfang der 70er die anhand von vier (+einer) Dimensionen (Machtdistanz, Kollektivismus/Individualismus, Weiblichkeit/Männlichkeit, Vermeidung von Unsicherheit, + langfristige/kurzfristige Orientierung) kategorisierten kulturellen Unterschiede in 50 Ländern und 3 Regionen bei weit über 50.000 IBM-Mitarbeitern, vgl. Fußnote Nr. 2 [7] Der Kulturbegriff bei Hofstede wird als ein kollektives Phänomen definiert, da man ihn zumindest teilweise mit Menschen teilt, die im selben sozialen Umfeld leben oder lebten, d.h. dort, wo diese Kultur erlernt wurde: Sie[Kultur] ist die kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet.

System ) dar, welches durch die starke Sozialisation ausgeprägt wird und durch regelgerechte Anweisungen für das Verhalten des Individuums in der Gesellschaft aufrechterhalten wird.[8] Im Vergleich die VR China. Ich schätze, dass für die VR China ein mittlerer Unsicherheitsvermeidungspunktwert (wie lang und dadurch präzise sicher ein dt. Wort sein kann!) angegeben werden kann. Im Gegensatz zu dem Recht durch Gesetze (Römische Vorstellung) gab es in China allgemeine (konfuzianistische) Prinzipien vom Recht durch Menschen, einem Moralkodex, der eher das Fallrecht präferierte (ähnlich wie die USA). Augenscheinlich spielt auch die Geographie eine Rolle zur Charakter- und Wertebildung von Nationen.[9] Die japanischen Inseln sind durch Ressourcenknappheit ihrer Natur gekennzeichnet. China hat ganz andere (geographische) Dimensionen, ist geschützt und abgegrenzt durch Gebirgszüge, Meere, Wüsten und hat (noch) große Ressourcen. Das erklärt vielleicht einen Teil der von diesen Nachbarn bevorzugten und tradierten Werte. Deutschland hat viele Grenzen, ist verwundbar. Australien und Großbritannien sind reiche Inseln und durch das Meer geschützt. Fanatiker und Extremisten - so scheint es nach dieser Theorie - haben eher eine Chance in einem sozialen Umfeld (und Zeiten) von hoher Unsicherheitsvermeidung Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eine religiöse oder politische Führerperson beispielsweise, die als jemand wahrgenommen wird, die weiß, wo es lang geht und weiß, was sie will und not tut, könne von ihrem (tendenziell stärker) verunsicherten sozialen Umfeld eine (An-)Führerkarriere machen. Die Achsenmächte und Kriegstreiber des 2. Weltkriegs (Japan, Österreich, Deutschland und Italien) wären so ein Beispiel nach dem Motto: Wir halten die Unsicherheit nicht mehr aus. Dann schlagen wir schon mal prophylaktisch zu! [8] Indikatoren für die (hohe und mittlere) Unsicherheitsvermeidung sind der Erhalt von regelnden Traditionen und tradierten Normen, genauso wie auch ein kollektives Verhalten eine Rolle spielt, dass das Gegenteil beobachten lässt. So kann auch ein Kollektiv von (in Nationen organisierten) Menschen Unsicherheit empfinden, wenn die als normal und als unbegrenzt wahrgenommene Entdeckung von Neuem (technologischer Fortschritt, Innovation, neue Absatzmärkte, etc.) gefährdet wird, bzw. sich verlangsamt. [9] Dies ist nur einer der beispielhaft herausgegriffenen Faktoren, die Berücksichtigung zur Bestimmung der kollektiven Unsicherheitsvermeidung finden müssen. Andere Faktoren sind die historischen Erfahrungen der Länder und Nationen, die Entwicklung und der Bestand der Institutionen der jeweiligen Bewohner, etc..

Ängstlichere Kulturen sind tendenziell ausdrucksstärkere Kulturen. Es sind die Kulturen, in denen man mit den Händen spricht, wo es sozial akzeptabel ist, laut zu sprechen, Gefühle zu zeigen und auf den Tisch zu schlagen oder - wie am Beispiel von Japan und China - wo man minimalistisch, aber sehr bestimmt und eindeutig (für den Insider) kommuniziert. Gerade Japan und China erreichen eine starke Kohärenz (Identifizierung) der Gesellschaftsmitglieder zueinander durch außerordentlich (lange und kontinuierliche) Sozialisation und ethnozentrische Kultivierung. [10] Angstfreiere Kulturen können tendenziell unkomplizierter Handeln (aus der Perspektive des Ängstlicheren ist das natürlich dann meistens Waahnsinn! oder als einfach nur unüberlegt und voreilig! zu bewerten). Sei es in dem unkomplizierten Umgang miteinander (Migration), mit Gentechnik, Großtechnik[11] oder allgemeinem Glücklichsein. Auch die Finanz- und Kapitalmärkte scheinen in den USA und in Hongkong unkontrollierter und flexibler zu funktionieren. Gegenbeispiele und Gegenargumente liegen auf der Hand, was ein Indiz dafür zu sein scheint, dass es anderswo anders gehandhabt wird. Ein Richtig und Falsch scheint sich so einfach nicht mehr formulieren zu lassen. Entscheidend jedoch für den Einzelnen ist der Umgang mit Unsicherheit und nicht ein statistischer Vergleich zwischen Kulturen, welcher mit der Frage verbunden ist, wie beobachtbar Unsicherheit ist. Beobachtung dient der Bewusstmachung, ist aber dennoch kein Umgang (wie gerne würde sich der Beobachter davor drücken!). Wie kann heute ein Umgang mit Unsicherheit erlernt werden? Durch die Globalisierung nehmen Kontakte zwischen Menschen der unterschiedlichsten Kulturen zu und somit das Potential des divergenten sozialen Möglichkeitsraums. Was des einen Individuums die ganz reale Angst ist, muss nicht gezwungenermaßen die (wahrgenommene und empfundene) Angst des Anderen sein. Wir unterscheiden uns über unsere Ängste, die mannigfaltig, aber nicht dieselben, zu sein scheinen. Ist die Kehrseite von Angst nicht Vertrauen im weitesten Sinne? Könnte eine Lösung nicht im Bereich der lernbaren kommunikativen und sozialen Kompetenzen liegen? Reformulierend postuliere ich, dass heutzutage die Kompetenz im Umgang mit Unsicherheit die Fähig- und Fertigkeit ist, sich zu sensibilisieren, den relevanten [10] Gegenbeispiele und Kontersubkulturen in Nationalkulturen lassen sich jedoch auch beliebig finden (Bushisten in den USA - eine reiche dominante Interessenminorität?). [11] vgl. Perrow, Charles (1992). Normale Katastrophen - die unvermeidbaren Risiken der Großtechnik, 2. Auflage, Frankfurt am Main: Campus Verlag

Unterschied in Bezug auf Angst bei dem Mitmenschen zu erkennen und damit umgehen zu lernen.[12] Das könnte dazu führen, dass wir auch zu dem Anderen Vertrauen aufbauen lernen, was unsere Angst erträglicher macht, ohne sie augenwischerisch eliminieren zu wollen. Die Angst und die Unsicherheit bleiben ein Leben lang. Aber der Mensch kann Vertrauen schöpfen in das prinzipielle Nicht-Wissen des Menschen. Die respektvolle Beziehungsnahme zu dem (fremden) Mitmenschen - auch und gerade über kulturelle Klippen hinweg - könnte helfen, durch die Bereicherung einer annehmbaren vertrauensvollen Außenperspektive uns vom individuell eigenen Konstrukt der Angst zu ent-drohen. Auch der, der auszog, um das Fürchten zu lernen, wurde erst fündig, weil er lieben lernte. Januar 2004 Christoph Daniel Jungermann, geboren 1975, ausgebildet zum Zimmermann, Student der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten / Herdecke, Schwerpunkt Internationale Beziehungen, Dialogprozess, Transformationsökonomie. Lernte Russisch während eines Studienjahres in Moskau und Chinesisch während eines einjährigen Forschungsaufenthaltes in der VR China zum Thema transkulturelle Kommunikation. [12 ]im Sinne von Joseph Beuys Sozialer Plastik