Masterstudiengang Das Rechtssystem zur finanziellen und sonstigen Sicherung 15.10.2012 Prof. Dr. Christof Stock Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen Abteilung Aachen Telefon: +49 (0)241 6000322 E-Mail: c.stock@katho-nrw.de
Systemkenntnisse 1. Anspruch auf Geld- oder Sachleistung? 2. Leistungen der Sozialversicherungsträger 3. Das Netz mit doppeltem Boden: SGB II und SGB XII
Fallbeispiel: Anfang Oktober 2012 kommt Frau Turan mit ihrem 9-jährigen Sohn Ali in die Beratungsstelle. Sie gibt an, ganz schnell finanzielle Hilfe zu benötigen. Sie ist offensichtlich frustriert und schildert Ihnen, dass sie bis Ende September für Ali Sozialhilfe erhalten habe. Jetzt habe sie schon mehrfach beim Sozialamt vorgesprochen. Manchmal müsse sie lange warten. Die Sachbearbeiterin, Frau Maier, sei auch wirklich nett, sie würden manchmal denselben Bus benutzen. Aber Frau Maier habe jetzt endgültig die Sozialhilfe abgelehnt, obwohl doch der leibliche Vater von Ali keinerlei Unterhalt zahle. Er sei vor zwei Jahren mit einer "Neuen" durchgebrannt. Jetzt beginnt Frau Turan, die inzwischen selbst einen neuen Lebensgefährten hat, Ihnen gegenüber die Schwierigkeiten mit ihrem Exmann auszubreiten. Sie lassen sie eine Weile reden, erinnern sie aber dann daran, dass sie doch eigentlich eine Beratung über finanzielle Hilfen in Anspruch nehmen wollte. Deshalb hätten Sie selbst jetzt ein paar Fragen.. Welche Fragen stellt eine Sozialarbeiterin im Hinblick auf eine mögliche finanzielle Unterstützung? SGB II und SGB XII 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes 3
Privates und staatliches Sicherungssystem Private Sicherung Eigene Sicherung Einkommen Vermögen Unterhaltspflichtige Staatliche Leistungen Kindergeld Elterngeld Wohngeld BAFÖG Unterhaltsvorschuss Pflegewohngeld Leistungen der Sozialversicherungen 1. Krankenversicherung 2. Pflegeversicherung 3. Arbeitslosenversicherung 4. Rentenversicherung 5. Unfallversicherung Man könnte das 3-Säulen-Modell auch als soziales Netz auffassen, das uns auffängt, wenn wir in eine finanziellen Krise geraten. Der rote Strich markiert den Netzboden. 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes 4
Das Netz mit doppeltem Boden Private Sicherung Staatliche Leistungen Leistungen der Sozialversicherungen Eigene Sicherung Einkommen Vermögen Unterhaltspflichtige Kindergeld Elterngeld Wohngeld BAFÖG Unterhaltsvorschuss Pflegewohngeld SGB II und XII 1. Krankenversicherung 2. Pflegeversicherung 3. Arbeitslosenversicherung 4. Rentenversicherung 5. Unfallversicherung Die beiden Gesetze bilden den zweiten Netzboden der Existenzsicherung. Das bedeutet: Erst wenn die o.a. Sicherungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind, kommen die Hilfen dieser Gesetze in Frage. SGB II und XII leisten subsidiäre Existenzsicherung. 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes 5
Das Netz mit doppeltem Boden Private Sicherung Eigene Sicherung Einkommen Vermögen Unterhaltspflichtige Staatliche Leistungen Kindergeld Elterngeld Wohngeld BAFÖG Unterhaltsvorschuss Pflegewohngeld Leistungen der Sozialversicherungen 1. Krankenversicherung 2. Pflegeversicherung 3. Arbeitslosenversicherung 4. Rentenversicherung 5. Unfallversicherung SGB II Grundsicherung für Arbeitsuchende SGB XII Sozialhilfe Differenzierung nach Erwerbsfähigkeit 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes 6
Fragen an Frau Turan Private Sicherung Staatl. Leistungen Sozialversicherungen Eigene Sicherung Arbeitseinkommen / Vermögen Unterhaltsansprüche Kindesunterhalt Trennungs- /Scheidungsunter halt Lebensgefährte?? Staatsangehörigkeit von Frau Turan und Ihrem Sohn? Kindergeld? Unterhaltsvorschuss? Wohngeld? Sozialversicherungspfli chtige Beschäftigung? 1. Krankenversicherung Familienversicherung? 2. Pflegeversicherung 3. Arbeitslosenversicher ung 4. Rentenversicherung 5. Unfallversicherung SGB II /SGB XII Erwerbsfähigkeit? ALG I ALG II Sozialgeld Sozialhilfe? 7 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes
Übersicht: Sozialversicherungen 1. Gesetzliche Krankenversicherung 2. Gesetzliche Pflegeversicherung 3. Arbeitslosenversicherung 4. Rentenversicherung 5. Unfallversicherung Rehabilitationsleistungen
Fallbeispiel: Die 22-jährige Mona studierte an der RWTH, als sie am 17.03.2012 auf dem Weg zur Hochschule unverschuldet das Opfer eines Verkehrsunfalles wurde. Der Fahrer beging Unfallflucht. Nachforschungen der Polizei verliefen ergebnislos. Mona erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und eine halbseitige Lähmung. Die Krankenhausbehandlung ist gerade abgeschlossen. Neben Medikamenten benötigt sie nun noch Physio-, Ergo- und Logotherapie, zunächst stationär, später ambulant. Es ist kaum damit zu rechnen, dass Mona ihr Studium wieder aufnehmen kann, aber eine einfache berufliche Tätigkeit ist nach entsprechender Ausbildung möglich. Die sie begleitende Sozialarbeiterin schätzt, dass Mona dafür sicher noch zwei bis drei Jahre finanziell unterstützt werden muss. Mona will nicht mehr bei ihren Eltern, sondern möglichst selbständig leben. Dafür wären Maßnahmen zum Umbau ihrer Eigentumswohnung erforderlich. Wer hilft? Fallvariante: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn Mona nicht auf dem Weg zur Hochschule, sondern zu ihrem Freund war, als der Unfall passierte? 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes 9
Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen Leistung Leistungserbringer SGB V Mutterschaftshilfe 195 ff. RVO, MUSchG Mutterschaftsgeld Geldleistung 200 RVO, MUSchG Ärztliche und zahnärztliche Vertrags(zahn)arzt 28 SGB V Behandlung Psychotherapeutische Behandlung Ärztlicher, Psychologischer oder Kinder- und 28 Abs. 3 SGB V Jugendlichenpsychotherapeut Soziotherapie Soziotherapeut 37a SGB V Häusliche Krankenpflege Ambulanter Pflegedienst 37 SGB V Haushaltshilfe 38 SGB V Krankenhauspflege Kassenkrankenhaus 39 SGB V Kuren Reha-Klinik 40 SGB V Arzneimittel Sachleistung; Kassenarzt; Apotheker 31 SGB V Arzneimittelrichtlinie Heilmittel (ambulante Reha) Zugelassene Physio-, Ergotherapeuten, 32 SGB V Heilmittelrichtlinien Logopäden Hilfsmittel Sach-/ Geldleistung 33 SGB V Hilfsmittelrichtlinien Zahnersatz 55 SGB V Krankengeld Lohnersatz 44 SGB V (Sterbegeld) entfallen
Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherungen Versicherungsrisiko Leistung Leistungserbringer SGB XI Pflegebedürftigkeit (Stufe I-III) Pflege durch Pflegeperson Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf 14 SGB XI, Pflegebedürftigkeits- Richtlinien Pflegegeld Geldleistung 37 SGB XI Pflegesachleistung Ambulanter Pflegedienst 36 SGB XI Pflegehilfsmittel Sanitätshäuser 40 SGB XI, VO über Pflegehilfsmittel und technische Hilfen Tages-/Nachtpflege zugelassene Einrichtung 41 SGB XI Kurzzeitpflege zugelassene Einrichtung 42 SGB XI Heimpflege Pflegeheim 43 SGB XI Pflegekurse 45 SGB XI Renten-, Unfallversicherung Betreuungsleistungen 44 SGB XI 45 a bis d, 87b SGB XI
Leistungen der Arbeitslosenversicherung Leistungsart Leistung Geldleistung an Arbeitnehmer SGB III Beratung 29 Vermittlung Arbeitsvermittlung 35 Ausbildungsvermittlung Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung Ausbildungsförderung Berufsausbildungsbeihilfe 59, 248 Weiterbildungsförderung Unterhaltsgeld 77, 248 Förderung der Arbeitsaufnahme Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen Zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen Leistungen bei Arbeitslosigkeit An Arbeitnehmer: An Arbeitgeber Eingliederungszuschüsse Lehrgangskosten Übergangsbeihilfe, Ausrüstungsbeihilfe, Umzugskostenbeihilfe Maßnahmekosten, Unterhaltssichernde 97, 248 Leistungen, Ergänzende Leistungen Kurzarbeitergeld, Insolvenzgeld 169, 183 Arbeitslosengeld I 117
Leistungen der Rentenversicherung Leistungsart Leistung Geldleistung an Arbeitnehmer SGB VI Medizinische Medizinische Reha 15 Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben Berufsförderung 16 Übergangsgeld Geldleistung 20 Berufsunfähigkeit Berufsunfähigkeitsrente Geldleistung 240 Erwerbsunfähigkeit Erreichen der Altersgrenze Tod Rente wegen voller oder teilweiser Geldleistung 43 Erwerbsunfähigkeit Altersrente Geldleistung 35 Hinterbliebenenrenten Witwenrente Waisenrente Geldleistung 46
Leistungen der Unfallversicherung Versicherungsrisiko: Arbeitsunfall oder Berufskrankheit Leistungsart Leistung Geldleistung an Arbeitnehmer SGBVII Heilbehandlung Alle Leistungen der Krankenversicherung 26, 27 Medizinische Rehabilitation 26 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Leistungen zur Teilhabe am Verletztengeld, Übergangsgeld 45,49 Gemeinschaftsleben Pflegebedürftigkeit Pflegegeld 44 Folge: Minderung der Erwerbsfähigkeit um Verletztenrente 56 mindestens 20 % Folge: Tod Hinterbliebenenrente, Überführungskosten. Sterbegeld 63
Rehabilitationsleistungen, SGB IX Risiko: Behinderung oder von Behinderung bedroht Teilhabe Medizinische Rehabilitation Teilhabe am Arbeitsleben Teilhabe am Gemeinschaftsleben Unterhaltssichernde Leistungen Leistungen (u.a.) Behandlung, Arzneimittel, Heil-, Hilfsmittel, Psychotherapie, Belastungserprobung, Arbeitstherapie Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung, berufliche Ausbildung Kommunikationshilfen, Beschaffung, Umbau, Ausstattung der Wohnung, Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten Krankengeld, Übergangsgeld, Verletztengeld usw.
Überblick: Rehabilitationsträger Leistungen UV KV RV AV Jugendhilfe Sozialhilfe OEG Medizinische Reha X X X X X X Teilhabe am X X X X X X Arbeitsleben Teilhabe am Gemeinschaftsleben Unterhaltssichernde Leistungen X X X X X X X X X
Falllösung: 1. Mona s Unfall ist ein sog. Wegeunfall. Studierende sind auf dem Weg zur und von der Uni gesetzlich bei der Unfallversicherung versichert. 2. Die Unfallversicherungen leisten das Komplettpaket der Rehabilitationsleistungen, also a. Die medizinische Versorgung (Krankenhausbehandlung, Pflege, Reha), b. Die Leistungen zur Teilhabe am Gemeinschaftsleben c. Die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben d. Die Unterhaltssichernden Leistungen 3. Hilfreich ist darüber hinaus die Feststellung des Grades der Schwerbehinderung einschließlich der Merkzeichen. Dadurch kann Mona z.b. einen Behindertenparkplatz erhalten, kostenlose ÖPNV-Nutzung für sie und eine Begleitperson o.ä. Zuständig sind die Versorgungsämter der Kreise und kreisfreien Städte. Fallvariante: privat erlittener Verkehrsunfall: 1. Kranken-, Pflegeversicherung. 2. Rentenversicherung nur bei bestehendem Versicherungsverhältnis. 3. Arbeitslosenversicherung nur bei bestehendem Versicherungsverhältnis. 4. Jugendhilfe (-) 5. Opferentschädigung (-), da kein verbrecherischer Angriff. 6. Sozialhilfe in Form der Grundsicherung, Gesundheits- und Eingliederungshilfen. 17 2010 Christof Stock / Vera Goetzkes